Wir haben Wilhelm Schmid, den CEO von A. Lange & Söhne, nach dem neuen Odysseus Chronographen gefragt, den die Manufaktur aus Glashütte auf der wichtigsten Luxusuhrenmesse des Jahres vorgestellt hat. Doch zuvor sprachen wir über die Vertriebsstrategie: Sie ist für viele ein heißes Eisen, da auch A. Lange & Söhne, wie manch andere Topmarke, sich von immer mehr Konzessionären trennt und stattdessen auf den Vertrieb über eigene Boutiquen setzt.
Herr Schmid, die letzten Jahre waren für die globale Wirtschaft und für uns alle von ständig neuen Krisen geprägt. Wie steht A. Lange & Söhne aktuell da? Wir haben die Krisen gut gemeistert und ich denke, wir sind auch für künftige gut aufgestellt. Man muss generell gut auf schwierige Phasen vorbereitet sein, ein gutes Team haben, die richtigen Rezepte und nicht zuletzt ein bisschen Glück.Was sind denn die richtigen Rezepte? Für uns heißt das, die richtige Uhr zur richtigen Zeit zu bringen. Etwas zu schaffen, das so noch nicht da war. Das überraschend ist und das man durchaus auch kontrovers sehen kann. Es ist das, was A. Lange & Söhne immer gemacht hat: sich neu zu erfinden, ohne sich zu verlieren. Das ist für uns ein wichtiges Rezept. Ein anderes ist, dass wir heute unsere Kunden viel besser verstehen als früher.Sie spielen darauf an, dass Sie immer mehr Uhren über eigene Boutiquen verkaufen. Ja. Wie wollen Sie mit Ihren Kunden in Kontakt treten, wenn der letzte Meter von jemand anderem kontrolliert wird? Wir stehen heute tagtäglich in einem sehr direkten Kontakt mit unseren Klienten – viel stärker als jemals zuvor. So erhalten wir ständig ein direktes Feedback, nicht nur an einer Stelle, sondern global. Ich glaube, ich habe einen relativ guten Überblick darüber, was unsere Kunden heute bewegt, was sie toll finden, auch was sie stört. Das zu verstehen, ist wichtig, damit man gegebenenfalls etwas verändern kann.
Sie haben letztes Jahr nach Dresden und München zwei neue Geschäfte in Deutschland eröffnet: in Frankfurt und Berlin. Wie zufrieden sind Sie? Sehr zufrieden. Sie sind eine gute Ergänzung zu den beiden bisherigen und geben uns tiefe Einblicke in den deutschen Markt, die wir so bisher nicht hatten. Außerdem sind sie auch wirtschaftlich erfolgreich.Was muss man tun, um mit Boutiquen erfolgreich zu sein? Es ist erstens wichtig, dass man überall den gleichen Anspruch hat, egal wo eine Boutique sich befindet. Und auch dafür sorgt, dass man beim Personal immer den Service bietet, den die Kunden von einem erwarten. Eine einzelne Boutique zu betreiben, hat Herausforderungen, aber ein Netz von Geschäften, wie wir es haben, ist um ein Vielfaches komplexer. Mittlerweile haben wir 28 eigene Boutiquen, dazu 18 extern geführte und die nächsten vier sind in der Pipeline.Worin bestehen die Schwierigkeiten bei einem Netz? Sie müssen viel mehr automatisieren, ohne die Herzlichkeit zu verlieren. Sie müssen standardisieren, ohne die Individualität zu verlieren. Und Sie brauchen ganz andere interne Abläufe und Organisation, um vor Ort das Erlebnis zu kreieren, dass ihre Kunden von ihnen erwarten.Haben Sie vor, in Deutschland demnächst weitere zu eröffnen? Nein. Wir haben ja jetzt schon Schwierigkeiten, eine Standardkollektion mit den wichtigsten Modellen in unseren Boutiquen zu zeigen. Geschweige denn verkaufbar zu machen. Wenn wir jetzt noch mehr Verkaufspunkte aufmachen würden, würden wir das Problem verschärfen. Wir haben einen hohen Anspruch an die Verfügbarkeit von Uhren, von Service, von Kundenerlebnis in jeder einzelnen Boutique. Dazu gehört auch, dass man sich beherrscht und nicht überall Boutiquen aufmacht.
Werden Sie sich im Gegenzug von noch mehr Konzessionären trennen? Dieser Prozess ist in vollem Gange. Wir haben uns bereits von vielen Händlern getrennt, und zwar nicht aus Undankbarkeit, sondern weil wir nicht mehr als 5000 bis 5500 Uhren pro Jahr produzieren können. Unsere Uhren werden nun einmal von Menschen gebaut, die über exzellente Kenntnisse und Fertigkeiten verfügen. Das lässt es leider nicht zu, der großen Nachfrage immer gerecht zu werden. Wenn der Handel uns teure Verkaufsflächen zur Verfügung stellt, erwartet er, dass er dort ausreichend viele Uhren verkaufen kann. Doch wenn wir nicht genügend Uhren liefern können, gebietet es die Fairness, dass man die Zahl seiner Konzessionäre so weit reduziert, bis das für die verbliebenen wieder gewährleistet ist.Das heißt, Wachstum ist für Lange nicht über die Erhöhung der Stückzahlen möglich, sondern über immer kompliziertere und damit teurere Modelle? Ja. Wir bauen mehr komplexe Uhren, und das wird so bleiben. Daher kann ich, was die Steigerung der Stückzahlen angeht, wenig Hoffnung machen. Insofern ist das, was wir heute erleben, kein Ausnahmezustand, sondern sehr wahrscheinlich künftig die Regel. Deshalb müssen wir unser Vertriebsnetz so weit reduzieren, dass unsere verbleibenden Partner auch wirklich Spaß am Geschäft haben.Welches Modell bildet Ihre Einstiegspreislage? Das ist nach wie vor die Saxonia Thin. Sie liegt inzwischen deutlich über 20.000 Euro. Das ist übrigens ein gutes Beispiel für das eben Gesagte: Von ihr werden wir künftig deutlich weniger Stück bauen, weil wir die Kapazitäten für andere Uhren benötigen. Eine Saxonia Thin wird ja mit derselben Präzision, mit demselben Maß an Handarbeit, mit derselben Liebe zum Detail gefertigt wie die Komplikationen. Auch sie wird zweimal montiert, sie hat genau so ein schweres Gold- oder Platingehäuse wie andere Uhren – in dieser Hinsicht unterscheiden wir nicht. Von daher ist es für uns heute nicht machbar, die Stückzahlen in diesem Bereich aufrechtzuerhalten.
Für Ihre hochfeinen Uhren brauchen Sie sehr gut ausgebildete Uhrmacherinnen und Uhrmacher. Wie steht es um die Ausbildung des Nachwuchses? Wir bilden seit über 25 Jahren Uhrmacher aus, insgesamt waren das bisher über 240 junge Menschen. Zurzeit haben wir 36 Lehrlinge im 1., 2. oder 3. Lehrjahr. Bräuchten wir mehr? Theoretisch ja, aber wenn es zu viele sind, ergibt sich daraus am Ende nicht unbedingt mehr Qualität. Man muss die richtige Zahl finden, und das sind bei uns etwa 12 bis 15 Uhrmacher pro Ausbildungsjahr. Um die können wir uns dann auch mit unseren sechs Ausbildern intensiv kümmern.Aus welchen Regionen kommen die Auszubildenden? Haben Sie auch welche aus entfernten Ländern? Ja. Schätzungsweise 80 Prozent stammen aus der Region, wir hatten aber auch schon Finnen, Japaner oder Hawaiianer.
Auf der Watches and Wonders haben Sie den Odysseus Chronographen vorgestellt. Warum kommt als erste Komplikation dieser Serie ein Chronograph? Ich denke, keine andere Linie wäre besser geeignet, unser erstes automatisches Chronographenwerk zu beherbergen. Man sieht ja schon an der Kaliberbezeichnung, dass wir uns schon vor langem Gedanken gemacht haben, was als nächstes kommen würde …… das Kaliber heißt L156.1. Die beiden ersten Ziffern verraten, dass die Entwicklung 2015 begann, richtig? Die Anfänge, ja. An der Iteration, die zum aktuellen Werk führt, haben wir konkret sechs Jahre gearbeitet. Ein Automatik-Chronograph ist schon eine recht komplexe Entwicklung. Dazu kam, dass wir ähnlich wie bei der Lange 1 oder bei der Zeitwerk ein Familiendesign beibehalten wollten. Das heißt, die Eckpunkte des Zifferblatts mit den beiden Fenstern war vorgegeben, dem musste sich die Entwicklung des Chronographenwerks anpassen.
Wann wird die erste Uhr ausgeliefert? Die Auslieferung beginnt 2024.Und Sie können dieses Kaliber in keiner anderen Linie nutzen? Nein, es ist nur für die Odysseus vorgesehen.Was waren die größten Herausforderungen, die Sie bewältigen mussten? Eine ganze Menge. Zum Beispiel, was die beiden zentralen Chronographenzeiger angeht: Da beide zusammenhängen, hat man nun die doppelte Masse, die beschleunigt und kontrolliert zum Stoppen gebracht wird. Trotz der Doppelbelegung der Krone können wir wie beim Automatikmodell 120 Meter Wasserdichtigkeit garantieren. Und schließlich mussten wir für die Integration des Chronomechanismus am Datum, der Tagesanzeige und der kleinen Sekunde vorbei arbeiten, ohne dass die Uhr am Ende zu dick wurde – alles für sich schon Herausforderungen, aber zusammen ist es noch um einiges aufwendiger.
Was wird der Odysseus Chronograph kosten? Um die 135.000 Euro. Den genauen Preis können wir aber erst Anfang 2024 sagen, wenn die Uhr ausgeliefert wird.