Bei Omega denken viele zuerst an Olympia und James Bond. Doch das höchste Gut der Uhrenmarke ist für Präsident Stephen Urquhart die Co-Axial-Hemmung.
Chronos traf Stephen Urquhart im Dezember 2012, am Ende eines Jahres, das für die Uhrenmarke geprägt war von den Olympischen Spielen in London und dem neuen James-Bond-Film. Mit beiden Themen erreicht Omega viele Millionen potenzieller Kunden. Doch das Wichtigste für die Zukunft der Marke ist für den Chef die technische Basis seiner Uhren: die Co-Axial-Hemmung. Sie ist nach ihrer Vorstellung 1999 nicht zur Randerscheinung geworden – ganz im Gegenteil: In bemerkenswerter Konsequenz hat Omega in den vergangenen 13 Jahren fast seine gesamte Produktion an mechanisch angetriebenen Uhren auf diese Technik ausgerichtet. Mittlerweile produziert die Uhrenmarke jährlich eine halbe Million Werke mit dieser Hemmung.
Herr Urquhart, Sie begannen Ihre Karriere bei Omega 1968, gingen später zu Audemars Piguet und kehrten 1999 zurück. Gerade in den letzten zehn, zwölf Jahren hat sich viel verändert. Was war aus Ihrer Sicht am wichtigsten?
Die Entwicklung der Co-Axial-Hemmung. Sie ist heute für mich der Schlüssel für das weitere Wachstum von Omega.
Warum das?
Omega hat eine reiche Geschichte und auch viele Geschichten zu erzählen: die Speedmaster mit der Mondlandung, die Seamaster, die Olympischen Spiele, James Bond, unsere Markenbotschafter – all das ist sehr wichtig. Aber das Rückgrat der heutigen Omega bildet die Co-Axial-Hemmung. Sie hat Omega mehr Substanz gegeben; mit ihr verfügen wir über etwas Einzigartiges. Sie wissen, woher der Name Omega kommt?
Es war der Name eines 1894 gebauten, sehr hochwertigen Uhrwerks. Der Name des letzten Buchstabens des griechischen Alphabets sollte Vollendung ausdrücken.
Genau. Es war das erste industrialisierte Uhrwerk, und das im Jahr 1894! Unsere Marke trägt den Namen eines Uhrwerks. Omega hat immer danach gestrebt, das bestmögliche Werk zu bauen. Das soll nicht heißen, dass das, was andere tun, nicht gut wäre. Bestmöglich meine ich auch nicht im Sinne von Komplikationen, wie sie einige Luxusmarken anbieten; das ist nicht unser Business. Aber das Werk stand für Omega immer im Zentrum allen Bemühens. Das muss man wissen, um zu verstehen, wie Omega handelt. Heute fragen mich Leute manchmal: Warum hat Omega in den siebziger Jahren mit der Produktion von Quarzuhren begonnen? Zu der Zeit war das ein logischer Schritt. Omega wollte auch auf diesem Gebiet führend sein. Ich war damals dabei. Es war meine erste Zeit bei Omega. Jeder glaubte, Quarz sei die Zukunft. Und auch heute geht es uns darum, das bestmögliche industrialisierte Großserienwerk zu bauen – im Hinblick auf Zuverlässigkeit, Langlebigkeit und Präzision. Daher ist die Co-Axial-Hemmung so wichtig für uns. Sie führt diese Tradition fort in die Zukunft.
Omega verkauft mehrere Hunderttausend Uhren pro Jahr. Viele Ihrer Kunden wissen nicht einmal, was eine Hemmung ist, geschweige denn eine Co-Axial-Hemmung. Welche Bedeutung kommt ihr da zu? Haben die Käufer das Gefühl, etwas Besonderes zu besitzen?
Ich glaube, es ist das Gefühl, Qualität zu besitzen. Und es ist auch das Bewusstsein, dass Omega die Uhrenwelt um etwas bereichert hat. Darum bemühen sich ja viele Hersteller, aber anspruchsvolle technische Neuerungen finden Sie meist nur in kleinen Stückzahlen. Mit der Co-Axial-Hemmung haben wir es geschafft, eine technische Verbesserung auf breiter Ebene durchzusetzen. Als ich 1999 zum zweiten Mal zu Omega kam, standen wir am Anfang des Prozesses. Im Jahr 2000 stellten wir eine Limited Edition mit unserem ersten Co-Axial-Werk vor: dreimal 1000 Stück, jeweils in Rot-, Gelb- und Weißgold. Das waren die Anfänge. Herr Hayek senior glaubte an diese Hemmung und trieb uns an, stärker in diese Richtung zu gehen. Und in der Tat: Die Co-Axial-Hemmung ist bei uns nicht auf Kleinserien beschränkt geblieben. Sie bildet heute das Herz unserer Mechanikwerke. Omega produziert heute rund 700.000 Uhren im Jahr, davon 500.000 mit Co-Axial-Hemmung! Mit Ausnahme der original Speedmaster Moonwatch verfügen heute alle unsere Mechanikwerke über diese Hemmung.
Die Co-Axial-Hemmung war ursprünglich eine Idee des vielgerühmten englischen Uhrmachers George Daniels. Er hatte einige Exemplare damit gebaut und suchte einen großen Partner mit dem Ziel, diese Technik zu industrialisieren. Dabei handelte er sich einige Absagen ein – bis schließlich Omega darauf einstieg.
Ja. Wobei wir eine starke Unterstützung innerhalb unserer Gruppe erfuhren. Vor allem Nivarox-FAR …
… die Swatch-Group-Tochter, die Hemmungsbestandteile fertigt …
… hat sich sehr intensiv mit der Co-Axial-Hemmung beschäftigt und es geschafft, diese Technik in ein bestehendes Eta-Werk zu integrieren. Ohne die Mithilfe von Nivarox, ohne die gesamte Swatch Group wäre das niemals möglich gewesen. Bedenken Sie: Die Patente auf die Co-Axial-Hemmung sind seit Jahren frei, doch niemand hat sie bisher nachgebaut. Das zeigt, wie schwierig es ist, diese Technik zu beherrschen. Im Lauf der Jahre haben wir die Hemmung dann immer weiter verbessert, unter anderem mit der Reduzierung der Unruhfrequenz von 28.800 auf 25.200 Halbschwingungen pro Stunde. Der nächste Schritt war ein eigenes Omega-Kaliber.
Der Unterschied zu den ersten Varianten war, dass dieses Kaliber um die bestehende Co-Axial-Hemmung herum gebaut wurde. Es mussten keine Kompromisse mehr eingegangen werden.
So ist es. Das Resultat war unser Kaliber 8500. Dafür wurde auch die Hemmung verbessert. Heute sieht sie anders aus als am Anfang: Das Hemmrad besitzt drei statt zwei Ebenen, die Unruhspirale besteht aus Silizium.
Die Idee, die George Daniels mit seiner Co-Axial-Hemmung hatte, war, auf Schmierung verzichten zu können. Öle altern, und wenn man im Uhrwerk kein Öl einsetzen muss, weil es so konstruiert ist, dass Reibung praktisch entfällt, dann braucht die Uhr seltener gewartet zu werden. Sie müssen allerdings auch heute immer noch etwas Öl zur Schmierung verwenden.
Ja, aber deutlich weniger als in einem Werk mit Schweizer Ankerhemmung. Und vielleicht schaffen wir es eines Tages, dass wir wirklich ohne Öl auskommen.
Ist das Ziel, höhere Serviceintervalle zu bekommen, erreicht worden?
Ja, definitiv. Wir geben ja schon eine Garantie von vier Jahren.
Normalerweise empfehlen Uhrenmarken ihren Kunden, eine mechanische Uhr alle drei bis fünf Jahre zum Service zu bringen. Was empfehlen Sie?
Die Frage kann man nicht generell beantworten. Ich kenne Leute, deren Uhr läuft seit 20 Jahren einwandfrei, ohne beim Service gewesen zu sein. Es hängt auch davon ab, in welcher Umgebung Sie leben und arbeiten, ob Sie zum Beispiel Magnetfeldern ausgesetzt sind, ob Sie sich viel im Freien aufhalten, wie Temperatur und Luftfeuchtigkeit sind und so weiter. Grundsätzlich würde ich sagen, ein Service nach fünf Jahren tut einer Uhr gut, aber ich weiß auch, dass die meisten Leute länger warten. Wir haben jetzt zwölf Jahre Erfahrung mit der Co-Axial-Hemmung und fünf Jahre mit unserem eigenen Werk, und wir sehen den Erfolg: Es kommen viel weniger Uhren als früher zur Reparatur zurück.
Wie wichtig ist die Co-Axial-Hemmung heute für das Image von Omega?
Ich erinnere mich noch genau an die besagte Präsentation im Jahr 2000. Da sagten einige der eingeladenen Händler zu mir: „Steve, das ist ganz nett, aber es passt nicht zu Omega. Omega, das ist James Bond und Cindy Crawford.“ Das war damals die Einstellung, und die war im Jahr 2000 auch nicht falsch. Damals wussten wir noch nicht, dass wir mal ein Kaliber 8500 und ein Kaliber 9300 bauen würden. Aber seit 2000 hat sich vieles verändert: Die Qualität der Uhren und Uhrwerke ist höher, und entsprechend ist auch die Wahrnehmung der Marke eine andere. Dazu kommt die Entwicklung unserer Distribution, zu der auch unsere Boutiquen zählen. Mit der Kollektion, die wir im Jahr 2000 hatten, hätten Boutiquen noch keinen Sinn gehabt. Umgekehrt hätte unsere heutige Kollektion nicht zu unseren Distributionskanälen von damals gepasst.
Welche Neuheiten bringen Sie 2013 und womit kann man in Zukunft rechnen?
Es wird neue Versionen der Hemmung geben, vielleicht auch Verbesserungen. Wir beschäftigen uns auch weiterhin mit neuen Materialien, so wie wir 2009 bereits die Legierung „Liquidmetal“ und 2012 die „Ceragold“-Technik eingeführt haben.
Was für ein Material wird da kommen?
Wir bringen in diesem Jahr eine neue Rotgoldlegierung, die wir „Sedna“ nennen.
Bis heute ist das Omega-Image geprägt von den Themen Mondlandung, Olympia und James Bond |
Sedna?
Das ist der Name eines erst 2003 entdeckten Himmelskörpers in der Nähe von Pluto. Rotgold ist prinzipiell ein heikles Thema, da sich die Farbe einer herkömmlichen Rotgolduhr nach ein, zwei Jahren verändern kann. Daher haben sich in den letzten Jahren Mitarbeiter aus der gesamten Swatch Group dieses Themas angenommen, und Omega-Entwickler im Besonderen. In Basel bringen wir jetzt eine Constellation mit dieser Legierung, eine höchst interessante Uhr, denn wir verbinden in ihr das heutige Constellation-Gehäuse mit dem Zifferblatt der ersten Constellation von 1952.
Wie ist denn das Verhältnis zwischen Herren- und Damenuhren bei Omega?
Von den Zahlen her ist es fast 50:50. Es gibt ein leichtes Übergewicht bei den Herrenmodellen, aber wie gesagt gibt es auch Damen, die Herrenuhren kaufen. Ich denke, in Asien haben wir mehr weibliche Kunden, während die Herrenuhren in Europa und Amerika an die 60 Prozent ausmachen.
Verstärkt sich auch bei den Frauen der Trend hin zur mechanischen Uhr?
Eindeutig. Besonders deutlich sieht man das in Asien. In China zum Beispiel sind mechanische Uhren bei den Frauen inzwischen deutlich beliebter als Quarzuhren. Unsere 2010 eingeführte Ladymatic ist ein voller Erfolg. Zunächst einmal wegen ihres Designs: die Gehäuseform, das Strahlenmuster auf dem Zifferblatt, das Armband… Aber wir erhalten auch gerade auf das Uhrwerk viel positives Feedback von unseren Kundinnen. Und unser eigenes Damenkaliber 8520 mit Co-Axial-Hemmung ist ein echtes Schätzchen. Zum einen war es technisch eine Herausforderung, die Hemmung auf kleinerem Raum umzusetzen. Und dann ist das Werk auch schön anzuschauen. Früher trug eine Frau, die eine mechanische Uhr wollte, eine Herrenuhr. Jetzt können wir ihr mit der Ladymatic eine echte Damenuhr anbieten.
Wir sprachen über die Omega-Boutiquen. Wie viele gibt es heute weltweit?
Wir haben 110 eigene. 290 sind es, wenn man die mitrechnet, die wir zusammen mit Partnern betreiben.
Man hört immer, dass sich speziell in Deutschland die Boutiquen nicht rentieren.
Das kann man so nicht sagen. Aber Deutschland ist insofern ein besonderer Markt, als es hier viele wichtige Städte gibt; nicht bloß eine Stadt, die alles an sich zieht, wie es in Frankreich der Fall ist. Dazu kommt, dass die klassischen Einzelhändler in Deutschland sehr stark sind und ein hohes Niveau haben. Aber wir müssen schon Geld verdienen mit unseren Shops; das sind nicht nur schöne Schaufenster. Nein, wir sind sehr zufrieden mit unseren drei Shops in Hamburg, München und im KaDeWe in Berlin. In diesem Jahr eröffnen wir einen vierten in Frankfurt am Main. Außerdem ändert sich das Verhalten der Kunden: Sie wissen viel mehr als früher, was sie wollen. Sie wollen nicht mehr „eine Uhr“, sondern eine bestimmte Marke. Und steuern dann bewusst eine Boutique an, so, wie es auch in anderen Produktbereichen der Fall ist. Da ändert sich die Welt heute sehr schnell. Eine große Metropole ohne Monobrandstore ist kaum noch vorstellbar.
Welche Trends sehen Sie für die Zukunft?
Trends vorherzusehen, ist immer schwierig. Die größte Herausforderung für unsere Branche ist, dass auch die nachwachsende Generation mechanische Uhren unverändert attraktiv findet. Und da bin ich sehr optimistisch. Die Statistiken der weltweiten Verkaufszahlen bestätigen, dass das im Moment so ist. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen: mehr als je zuvor.
Fragen: Rüdiger Bucher (aus Chronos 2.2013)
Fotos: Nik Schölzel und Omega