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6 Minuten

Uhren mit hoher Gangautonomie

Rekordverdächtig: Gangreserveanzeige der Lange 31 mit einem ganzen Monat Gangreserve
© PR
Eins, zwei oder drei… Beim Blick in ein Uhrwerk kann es vorkommen, dass man nicht nur ein, sondern gleich mehrere Federhäuser entdeckt. Ein Ergebnis, das dem Streben nach höherer Gangreserve zu verdanken ist und Uhrmacher vor verschiedene Herausforderungen stellt.
Mehr Komfort und Bedienerfreundlichkeit: Eine Uhr, die nicht täglich aufgezogen werden muss, verspricht dem Besitzer unbeschwerte Tragefreude. Doch nicht nur das hat in den vergangenen Jahren Handaufzugsuhren mit immer längerer Gangreserve auf den Markt gebracht. Es ist auch eine Art Wettbewerb entstanden, Kollektionen mit einer besonders ausdauernden Uhr schmücken zu können.
Den Rekord hält die Glashütter Manufaktur A. Lange & Söhne mit dem Uhrenmodell Lange 31, welche 31 Tage läuft, ohne aufgezogen zu werden. Mit auf dem Treppchen steht Jacob & Co. mit der Uhr The Quenttin, ebenfalls mit 31 Tagen Gangreserve dank der Energie von sieben Federhäusern. Das Modell ist eine Ausnahmeerscheinung. Nicht nur wegen der Vielzahl von Federhäusern, sondern auch wegen derer Anordnung auf einer Achse. Ebenso ungewöhnlich die Zeitanzeige, die digital auf Rollen stattfindet. Ein interessantes Konzept. Noch interessanter aber ist der Umgang mit der Gangdauer in ganz normalen Langläufern.
 
Uhrenmodell_Lange31-Handaufzugswerk_ALange-Soehne.jpg
Lange 31, Rückansicht: Blick auf das Handaufzugswerk. In der oberen linken Hälfte wird ein Schlüssel zum Aufziehen des Werks angesetzt. Gut unter der Platine zu sehen: Der Rand eines Federhauses und dessen übergroße Dimension © PR
Denn dieses Thema stellt Konstrukteure und Uhrmacher schon seit Jahrhunderten vor große Herausforderungen. Im Mittelpunkt der Bemühungen steht das Federhaus, denn die Gangdauer umschreibt die Zeitspanne vom Vollaufzug der Zugfeder bis hin zu deren völliger Entspannung. Je mehr Umdrehungen das Federhaus bis zur Entspannung der Zugfeder zurücklegt, desto länger auch die Gangdauer.  Klassischerweise beträgt diese bei den heutigen Armbanduhren rund 50 Stunden, bei historischen Taschenuhren sind es etwa 24 Stunden. Es gibt auch his­torische "8-Tage-Uhren" – Taschenuhren mit einer Gangdauer von acht Tagen, die durch ein zusätzliches Rad im Räderwerk erreicht wird. Dieses Zahnrad heißt Beisatzrad und ist zwischen Minuten- und Kleinbodenrad platziert. Es vergrößert die Übersetzung vom Federhaus zum Minutentrieb – bis heute ein probates Mittel, die Gangdauer zu erhöhen. Es erfordert eine leistungsstarke Zugfeder.  Ebenfalls längere Gangautonomie schafft eine Idee, die schon Abraham-Louis Breguet (1747–1823) umsetzt: statt einer Zugfeder kommen einfach zwei zum Einsatz. In Breguets Instrument Nr. 3118 gibt es zwei Federhäuser, die separat aufgezogen werden; beide Systeme sind mit Gesperr und Stellung versehen. Abweichend von dieser Kons­truktion sind in Breguets Chronometer Nr. 428 zwei Federhäuser nebeneinander geschaltet und werden gemeinsam aufgezogen. Eine weitere Variante dieser Idee stammt aus dem Jahre 1785. Damals fertigt Henri Louis Jaquet-Droz (1752 – 1791) eine Selbstaufzug-Taschenuhr mit Gewichten und zwei Federhäusern – wobei jedes Federhaus von einem Gewicht separat aufgezogen wird. Auch Alfred Helwig (1886 – 1974), der berühmte deutsche Feinuhrmacher, verbaut in verschiedenen Modellen zwei Federhäuser und konstruiert eine serielle Schaltung, bei der das erste Federhaus die Kraft an das zweite weitergibt.
Zu den Pionieren der Armbanduhr mit zwei Federhäusern gehört die Firma Favre-Leuba. 1962 präsentiert sie zwei Handaufzugskaliber mit zwei parallel geschalteten Federhäusern, die auf das Minutentriebrad einwirken. Ein weiteres, gerne verwendetes Uhrwerk aus diesem Zeitraum ist das Kaliber 82 von Büren, ebenfalls mit zwei parallel geschalteten Federhäusern aufgerüstet. Die größere Federkraft wird für eine höhere Frequenz verwendet – das Werk läuft mit 5 Hertz, also 36.000 Halbschwingungen.
 
Beim geschichtlichen Rückblick fällt auf, dass es in Uhrwerken mit mehreren Federhäusern immer wieder um die Art des Aufzugs und die Energieweitergabe geht. Heute ist es üblich, mehrere Federhäuser in Serie zu schalten. Die andere Variante wäre die parallele Schaltung, bei der der Eingriff beim Aufzug über das mittig platzierte Kronrad gleichzeitig auf beide Federhäuser wirkt; umgekehrt erfolgt das Ablaufen ebenfalls simultan.
 
Einen Vorteil für die Gangreserve gibt das aber kaum, da die Kraft, die auf das Hemmsystem wirkt, eine bestimmte Stärke nicht übersteigen darf, um diesen Mechanismus nicht zu überfordern. Wirkt ein zu hohes Drehmoment auf das Räderwerk, löst dies ein Prellen der Unruh – also ein Anschlagen außerhalb der Ankergabel – und einen starken Vorgang aus. Die Federkraft von zwei parallel geschalteten Federhäusern müsste also wiederum reduziert werden (durch Reduzierung der Federdicke oder -höhe). In Bezug auf die Gangdauer ließe sich das ausgleichen durch eine höhere Windungszahl der Zugfeder im Federhaus – dann möglich dank der reduzierten Federdicke. Wesentlich unkomplizierter ist die serielle Schaltung mehrerer Federhäuser, heute die gängige Konstruktion moderner Langläufer. Eine serielle Schaltung bedeutet, dass der Aufzug über die Krone nur auf ein Federhaus wirkt. Dieses gibt die Kraft an das oder die anderen Federhäuser weiter. Die Kraftabgabe an das Werk erfolgt ebenfalls von einem einzigen Federhaus aus, das quasi von der Kraft des oder der Kollegen gespeist wird. Dieser Austausch von Kräften erfolgt durch eine frei bewegliche Verzahnung ohne Gesperr zwischen mehreren Federhäusern. Allein die Spannung der Zugfedern sorgt für einen kontinuierlichern Kraftausgleich. Das lässt sich am besten mit dem Prinzip der kommunizierenden Röhren erklären. Damit bezeichnet man oben offene, aber unten miteinander verbundene Gefäße. Da die Eigenspannung der Zugfedern einander entspricht, balancieren sich ihre Kräfte ständig aus. Das heißt, die Feder, auf die der Aufzug wirkt, gibt ihre Spannung kontinuierlich weiter, ebenso verhält es sich bei der Abgabe der Kraft in das Werk: Läuft ein Federhaus ab, schiebt das andere mit seiner Spannung stetig nach.
Computer-Konstruktion-Eterna-Kaliber3510.jpg
Konstruktionssache: Computergestützte Konstruktion des Eterna-Kalibers 3510 in der Entwicklungsabteilung © PR
Weitere Überlegungen bezüglich der Gangdauer drehen sich um die Zugfeder. Der Grundsatz lautet hier: Eine längere Zugfeder beschert eine längere Gangreserve. Allerdings lässt sich die Zugfeder nicht beliebig verlängern. Klassischerweise ist eine Zugfeder so lang, dass sie nach circa acht Umdrehungen zwischen ihren beiden Befestigungspunkten vollständig gespannt ist. Hier spricht man von acht Umdrehungen oder Umgängen. Allgemein heißt es, die Zahl der Umdrehungen solle zehn bis zehneinhalb nicht überschreiten. Daran hat man sich bei Eterna bei der Konstruktion des neuen Kalibers 3510 orientiert: Das Werk mit acht Tagen Gangreserve, im eigenen Haus unter der Leitung des Technischen Direktors Patrick Kury in drei Jahren Entwicklungsarbeit fertiggestellt, ist mit zwei in Serie geschalteten Federhäusern ausgestattet.
Dopelfederhaus-Kaliber3510_Eterna.jpg
Doppelfederhaus: Im neuen Eterna-Kaliber 3510 mit acht Tagen Gangreserve sind zwei Federhäuser nebeneinander angeordnet. Sie sind in Serie geschaltet und befinden sich in einem steten Kräfteausgleich © PR
Jede Zugfeder beschert dem Federhaus jeweils zehn Umdrehungen. Warum, erklärt Kury nochmals ganz genau: "Wird eine gewisse Zahl an Umgängen überschritten, nimmt der Wirkungsgrad ab. Außerdem könnten die Windungen verkleben, da die Zugfeder gefettet ist."
Zahnrad-Eterna-Kaliber-3510.jpg
Auf einen Blick: Gut zu sehen – das Zahnrad, das die beiden Federhäuser miteinander verbindet und eine stete Ausbalancierung der Kräfte ermöglicht © PR
Das reibungsfreie Ablaufen der Zugfedern ist jedoch Voraussetzung für die Ganggenauigkeit. Damit ist ein weiteres Problem von seriell geschalteten Federhäusern angesprochen: die Kraftübertragung zwischen ihnen erfolgt nicht gleichmäßig; der Kraftausgleich kann stocken und plötzlich wieder weitergehen. Diesem Problem begegnet man bei Eterna mit der Eigenentwicklung "Spherodrive". Dabei ruhen beide Federhäuser auf Keramikkugellagern, was eine reibungsarme Bewegung, mehr Effizienz und Zuverlässigkeit bedeutet. Um weitere Reibungsverluste im System zu vermeiden, ist das gesamte Antriebsorgan samt Zwischen- und Sperrrädern kugelgelagert.
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Kleine Teile, große Wirkung: Die Einzelteile eines Eterna-Federhauses. Das Federhaus dient als Energiespeicher im mechanischen Uhrwerk © PR
Damit noch nicht genug der Herausforderungen: Bei jedem Federhaus gibt es gegen Ende der Gangdauer einen Drehmomentabfall. Die Kraft der Zugfeder lässt nach, was sich nachteilig auf die Beständigkeit der Unruh-Amplitude auswirkt. Mit Amplitude bezeichnet man die Schwingungsweite der Unruh, deren Veränderung sich auf die Gangstabilität negativ auswirkt. Um dem vorzubeugen, laufen die Federhäuser des Kalibers 3510 nicht ganz ab. Vielmehr werden sie, auch wenn noch ausreichend Kraft für zwei Tage Zeitanzeige gespeichert ist, durch eine besondere Konstruktion angehalten.
 
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Federhausmontage: Die Zug-feder wird in das Federhaus eingelegt. Wird sie aufgezogen, will sie sich wegen ihrer Eigenspannung wieder entspannen und versorgt das Werk durch diese Bewegung mit Energie © PR
 
Bei der sächsischem Uhrenmanufaktur A. Lange & Söhne hat man für das Problem der abfallenden Amplitude eine andere Lösung erdacht – ein Nachspannwerk. Hier sorgen zwei Federhäuser für reichlich Gangreserve: Das Uhrenmodell Lange 31 läuft bis zu ihrer Abschaltung ganze 31 Tage, ohne aufgezogen zu werden. Dafür sorgen zwei übereinander gelagerte Federhäuser, die drei Viertel der Werkfläche einnehmen. Im Inneren dieser Federhäuser befindet sich jeweils eine Zugfeder von 1,85 Metern Länge, bei denen man die Lehrmeinung von maximal zehn Umgängen im Federhaus ignoriert hat. Statt dessen macht jede Zugfeder 16 Umdrehungen pro Federhaus.
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Lange Zugfeder: In der Lange 31 von A. Lange & Söhne sorgen zwei extra lange Zugfedern von jeweils 1,85 Metern Länge für 31 Tage Gangreserve © PR
Die Nachteile, die daraus resultieren, kompensiert ein extra konstruiertes Nachspannwerk. Dieses sorgt für einen konstanten Antrieb über die gesamte Laufzeit. Das Nachspannwerk ist zwischen dem vom Doppelfederhaus angetriebenen Räderzug und die Gangpartie geschaltet und bewirkt, dass eine mit der Sekundenradwelle verbundene Antriebsspirale eine immer gleiche Energiemenge an das Ankerrad weitergibt. Alle zehn Sekunden wird diese an einem Spiralklötzchen befestigte Spiralfeder an ihrem äußeren Ende durch die Energie des Federhauses nachgespannt. Die zuverlässige Steuerung des Nachspannvorgangs übernimmt eine auf der Sekundenradwelle befestigte Kurvenscheibe, die einen Schwenkhebel bewegt. An dessen Innenseite greifen zwei Paletten abwechselnd in ein einzahniges Rad, das über das Räderwerk mit dem Federhaus verbunden ist, und hemmen dessen Ablauf nach jeder 180-Grad-Drehung. Mit jeder Drehung wird die Antriebsspirale ein Stück nachgespannt, die diese Energie an das Ankerrad weitergibt.
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Nachspannwerk: Ein Nachspannwerk sorgt in der »Lange 31« von A.Lange&Söhne für eine kontinuierliche Kraftabgabe aus zwei Federhäusern in das Uhrwerk © PR
Damit wird auch der Abfall des Drehmoments gegen Ende der Gangdauer verhindert, der bei solch stark vergrößerten Federhäusern sogar noch gravierender ausfällt als bei mehreren kleineren. Das bedeutet für die »Lange 31« eine gleichbleibende Ganggenauigkeit und für den Träger den angekündigten Komfort einer Uhr mit besonders langem Atem.
Text: Iris Wimmer-Olbort
A. Lange & Söhne Wissen Gangreserve Eterna
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