Die Wurzeln der heutigen Manufaktur Glashütte Original liegen im späten 19. Jahrhundert im sächsischen Mekka für Mechanik – Glashütte. Doch die Produktion wurde immer wieder vom Lauf der Geschichte unterbrochen. So waren Mitarbeiter und Chefetage schon immer dazu angehalten, besonders kreativ zu sein. Erst kürzlich gewann Glashütte Original mit ihrer einfach einzustellenden Weltzeituhr Senator Cosmopolite die Goldene Unruh in der Kategorie E "Uhren über 25.000 Euro". Mittlerweile gibt es weltweit eine so hohe Nachfrage nach den Uhren aus dem kleinen Ort im Osterzgebirge, dass die Manufaktur sie kaum befriedigen kann. Im Interview mit Yann Garmard, Chef von Glashütte Original, sprach Melanie Feist, verantwortliche Online-Redakteurin von Watchtime.net über die derzeitige Lage auf dem Uhrenmarkt, über besonders komplizierte Uhren und die Preispolitik der Marke.
Watchtime.net: Herr Gamard, was schätzen Sie an einer mechanischen Uhr?
Yann Gamard: Eine mechanische Uhr ist eine Art „kontinuierliche Erneuerung/Renaissance“. Viele denken, dass es nur eine traditionelle Handwerkskunst ist, aber im Gegenteil, es gibt immer wieder Innovationen. Die Herausforderung ist, dass wir auf sehr wenig Raum arbeiten, alle Teile sehr klein sind, aber diese Konstruktion sehr lange einwandfrei funktionieren muss. In der Uhrmacherei geht es darum, so schön auszusehen und so beständig zu funktionieren, dass es eben sehr lange dauert bis eine mechanische Uhr fertig ist. Doch diese Beständigkeit ist heute noch wichtiger, gerade, wenn man sieht, wie schnell eine Smartwatch als überholt gilt. Eine mechanische Uhr tragen Sie den ganzen Tag, Ihr Auto benötigen Sie in der Regel nur eine Stunde am Tag. Und dabei funktioniert die Uhr die ganze Zeit über, von Menschenhand geschaffen und das mit so winzig kleinen Teilen. Das macht die Faszination mechanische Uhr für mich aus.
Watchtime.net: Wenn Sie weder auf Produktionskosten noch auf Marge achten müssten, welche Uhr würden Sie entwickeln?
Yann Gamard: Ich finde Ihre Frage sehr interessant und wenn ich es mir recht überlege, würde ich diese Uhr (Anm. d. Red. Herr Gamard trägt die PanoInverse) eigentlich noch einmal produzieren. Es geht dabei nicht um Kosten. Denn, wenn Sie eine schöne Uhr herstellen, dann ist es erst einmal nicht wichtig, ob sie teuer oder nicht teuer ist oder ob sie aufwendig in ihrer Herstellung ist oder nicht. Denn eine schöne Uhr wird immer eine gewisse Produktionszeit benötigen: Von der Entwicklung einer guten Idee, über das Entwerfen eines attraktiven Designs sowie der technischen Umsetzung bis hin zur eigentlichen Herstellung – all das braucht Zeit. Aber eines der schönsten Dinge, die ich je gesehen und die ich mir auch gekauft habe, ist diese Uhr. Denn, wenn ich auf mein Handgelenk sehe, dann zeigt sich mir der Herzschlag der Uhr auf dem Zifferblatt. Das ist für mich wirklich das Allergrößte.
Watchtime.net: Es gibt einige Hersteller, deren Superlative ist es, möglichst viele Komplikationen in einer Uhr unterzubringen. Wie stehen Sie dazu?
Yann Gamard: Das macht Glashütte Original ebenfalls und wir müssen letztlich auch zeigen, dass wir das können. Aber wir sind in diesem Bereich auch innovativ: Das letzte Mal als Glashütte Original so eine hohe Komplikation vorgestellt hat, konnten wir wieder vier neue Patente anmelden. Wir gehören in die oberste Liga und müssen uns nicht verstecken. Zum Beispiel das Grande Cosmopolite Tourbillon: Eine Uhr mit 37 Zeitzonen, der Anzeige von Winter- und Sommerzeit, einem ewigen Kalender und einem fliegenden Tourbillon – das ist eine sehr, sehr schöne Uhr. Aber – und verstehen Sie mich bitte nicht falsch – das ist auch eine Uhr, die sich eben nicht jeder leisten kann. Was ich gerne produziere, sind Uhren, die ästhetisch wirklich ansprechend und hochwertig produziert sind, die sich aber trotzdem mehr Leute leisten können.
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Watchtime.net: Wie würden Sie den derzeitigen Uhrenmarkt einschätzen?
Yann Gamard: Kunden an der Nase herumzuführen, funktioniert nicht mehr und es gibt gewisse Marken, die dazu neigen, in dem sie den Preis künstlich nach oben schrauben. Dabei kommen viel Gold und Diamanten zum Einsatz, aber das hat für mich nur noch wenig mit einer Uhr zu tun. Die Kunden sind einfach immer besser informiert, auch dank Ihnen (Anm. d. Red. unter anderem Chronos, UHREN-MAGAZIN und Watchtime.net). Und sie sind neugierig. Das bedeutet im Umkehrschluss: Heutzutage muss man wirklich ehrlich sein. Und da bin ich glücklich und zufrieden, dass Glashütte Original das immer war. Von Beginn an bieten wir eine faire Preispolitik, hochwertige Qualität und eine transparente Manufaktur. Jeder Kunde kann uns in Glashütte besuchen und sich davon ein Bild machen. Und die Kunden, die sich die Manufaktur ansehen, fragen uns am Ende immer „Warum seid ihr für das, was ihr bietet, so günstig? Ihr könntet viel teurer verkaufen!“. Wir wollen das aber nicht. Wir möchten vielmehr, dass die Menschen die Uhren von Glashütte Original tragen können. Und deswegen tätigen wir unsere Investitionen in der Uhrenproduktion und nicht irgendwo anders. Wir haben unsere Basis nie vergessen. Viele Hersteller bringen in diesem Jahr wieder Stahluhren auf den Markt – wir haben schon immer Stahluhren in unserem Sortiment gehabt. Denn das Uhrwerk ist das Wichtigste. Das Gehäuse muss natürlich schön sein, aber es kann nicht nur aus Gold gefertigt werden. Daneben wird sich mehr und mehr auf das Zifferblatt konzentriert. Und ich würde behaupten, dass wir mit unserer eigenen Zifferblattmanufaktur in dieser Hinsicht einen riesen Vorteil haben. Auch die Antikorruptionskampagne von Chinas Premier Li Keqiang hat uns nicht wie andere getroffen. Denn plötzlich sucht auch der chinesische Kunde eine hochwertige Uhr zu einem vernünftigen Preis. Und ebenso in Deutschland bieten sich uns die besten Chancen, denn die Deutschen sind stolz auf ihre Uhren und können es auch sein.
Watchtime.net: Wie würden Sie den typisch deutschen Uhrenkäufer beschreiben? Was macht ihn aus?
Yann Gamard: Der deutsche Uhrenkäufer ist stolz. Als wir unsere Boutique in Dresden eröffneten, gab es direkt einen deutschen Kundenstamm. Alle haben uns berichtet, wie sehr sie sich darüber freuen, dass die Glashütter Uhrenindustrie so erfolgreich ist. Und sie sind sehr informiert. Sie erwarten für ihr Geld etwas. Und das ist gut so, dafür sind wir da.
Watchtime.net: Sie vergeben den mit 15.000 Euro dotierten Förderpreis „Made in Germany – Förderpreis Perspektive“ im Rahmen der Berlinale an junge Filmemacher und Sie betreiben in Glashütte das Deutsche Uhrenmuseum. Wie wichtig ist dieses kulturelle Engagement für Glashütte Original und warum?
Yann Gamard: Die Berlinale ist uns wichtig, da auch sie eine Kunst repräsentiert, nämlich die Filmkunst. Deshalb unterstützen wir den Nachwuchs mit unserem Preis. Genauso wichtig ist uns unser Museum: Es existiert bald seit 8 Jahren und erreichte schon knapp 300.000 Besucher. Das ist einfach großartig. Denn jeder, der das Museum besucht, versteht, dass wir seit über 170 Jahren Uhren produzieren.
Watchtime.net: …aber die 170 Jahre waren nicht immer leicht, oder?
Yann Gamard: Ja, da haben Sie Recht. Die Glashütter Uhrenindustrie war zum ersten Mal Ende der 1920er-Jahre am Boden, nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ein Großteil der Maschinen demontiert und dann kam 1990 die Wende. Und jedes Mal sind wir wieder wie Phönix aus der Asche auferstanden.
Watchtime.net: Glashütte Original ist aktuell der größte Ausbilder in Glashütte. Was muss ein junger Mensch mitbringen, der Uhrmacher werden will?
Yann Gamard: Ich würde die Frage umgekehrt stellen. Denn heutzutage bieten sich den Jugendlichen zwischen 16 und 20 so viele Möglichkeiten, die Welt zu entdecken, durch die Technologie, die sie ständig bei sich haben. Mit dem Smartphone sind sie in ständigem Austausch mit ihrer Umwelt und jemand, der Uhrmacher werden will, muss sich fragen: Kann ich acht Stunden lang und fünf Tage in der Woche für drei Jahre darauf verzichten? Und das ist sicher für viele am Anfang schwierig. Zum Glück haben wir oft noch die Eltern und die Großeltern bei uns in der Manufaktur, die dem Nachwuchs zeigen, dass dieser Beruf eine Berufung ist. Aber es geht nicht nur um den Uhrmacher. Wir beschäftigen insgesamt circa 40 Berufe – also 40 Tätigkeiten, die notwendig sind, um eine Uhr herzustellen.
Watchtime.net: 2015 stellten Sie mit der Senator Cosmopolite eine Weltzeituhr vor, die besonders einfach zu bedienen ist. Wie gehen Sie an so ein Projekt heran?
Yann Gamard: Um solche Neuheiten zu kreieren, erweist es sich als großer Vorteil, dass Glashütte Original eine Manufaktur ist. Alle Menschen, die dafür nötig sind – Konstrukteure, Designer, Uhrmacher, Werkzeugmacher, Prototypenbauer, Labormitarbeiter – kommen zusammen, um eine Lösung zu finden. Sie wollen eine sehr komplizierte Uhr so einfach wie möglich und dabei so schön wie möglich für den Kunden machen. Und das geht nur, weil wir diese Menschen bei uns beschäftigen. Ich bin an diesen Prozessen auch beteiligt und es ist immer wieder spannend, was dort entsteht.
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Watchtime.net: Wie viel Uhren produzieren Sie pro Jahr?
Yann Gamard: Ich kann Ihnen sagen: viel zu wenig. Unsere größte Herausforderung ist, dass wir nicht der Nachfrage entsprechend Uhren produzieren können. Wir sind weit weg von Masse. Das ist auf der einen Seite zwar sehr schön, auf der anderen Seite aber teilweise schade für die Kunden.