UHREN-MAGAZIN: Herr Reichel, welche Uhr ist Ihre Lieblingsuhr? Reinhard Reichel: Ich kann zwar täglich über 400 Uhren im Deutschen Uhrenmuseum Glashütte betrachten und bestaunen, meine Lieblingsuhr aber bleibt die Astronomische Kunstuhr von Hermann Goertz, die im Foyer unseres Museums steht. Weshalb hat sie diese große Bedeutung für Sie? Zum einen ziehe ich den Hut vor den mathematischen und konstruktiven Leistungen von Hermann Goertz – die Uhr besteht aus genau 1756 Uhrwerk- und Zifferblattteilen. Und ich darf auch mit gewissem Stolz berichten, dass Bruno Reichel, der Bruder meines Großvaters, als Mitarbeiter der Kunsttischlerei Arthur Guricke Glashütte das wunderschöne Mahagonigehäuse nach dem Entwurf von Goertz angefertigt hat.
Ihre Vorfahren waren ja auch in der Uhren- und Rechenmaschinenindustrie Glashüttes tätig, Sie haben als Betriebsmittelkonstrukteur der Glashütter Uhrenbetriebe gearbeitet. Wie haben Sie den Wandel zur heutigen Uhrenindustrie erlebt? Die Wiedervereinigung und damit die Öffnung der Grenzen wird für mich zeitlebens ein Ereignis von außergewöhnlicher Tragweite bleiben. Ein Glücksumstand für die Glashütter Uhrmacher damals war die Renaissance der Mechanik. Die erhalten gebliebenen Fertigkeiten und Fähigkeiten, solche Uhren herzustellen, waren günstige Voraussetzungen für das Überleben. Nach ursprünglich 72 arbeiten zurzeit etwa 1400 Beschäftigte in über zehn Uhrenfirmen, und wöchentlich kommen weitere dazu. Welche Bedeutung hat es für Sie, der Leiter des Deutschen Uhrenmuseums Glashütte zu sein? Nach der Wiedervereinigung war unklar, wie es in Glashütte weitergeht. Ich selbst habe 1992 die Kündigung erhalten, da die Abteilung, in der ich gearbeitet habe, personell reduziert wurde. Als man mich dann fragte, ob ich nicht Leiter des Uhrenmuseums werden wolle, habe ich stark gezweifelt – als Konstrukteur "hinter dem Brett" sollte ich jetzt in aller Öffentlichkeit auftreten. Ich habe es bisher keinen Tag bereut. Stets neue Besucher aus nah und fern, die Verbindung zu ehemaligen Glashüttern und Uhrenfreunden, die Gespräche mit Sammlern, Uhrmachern, Auktionatoren und Journalisten und vor allem das Begutachten der Glashütter Uhren aus allen Epochen machen diese Tätigkeit so interessant. Das Schönste ist aber, dass unsere Präsentation im Museum nicht in der Vergangenheit endet, sondern dass wir mit Stolz auf die jetzige blühende Industrie verweisen können. Gibt es für Sie überhaupt einen Tag ohne Uhren? Umso älter man wird, umso häufiger möchte man manchmal die Zeit anhalten, also sinngemäß die Uhr abnehmen. Sei es im Urlaub, mit Familie, mit meiner lieben Enkeltochter. Aber es ist leider Theorie, wir können die Zeit nicht anhalten. Nicht nur mir kommt es so vor, dass die Uhren immer schneller gehen – und das auch in Glashütte, der Stadt der Präzisionsuhren.
Fragen: Gwendolyn Benda
Die "Lieblingsuhr" ist eine Artikelserie des UHREN-MAGAZINS über Persönlichkeiten mit besonderem Bezug zur mechanischen Uhr. Worin liegt die Faszination der Mechanik? Wie kommt man überhaupt dazu, sich mit mechanischen Uhren auseinanderzusetzen? Welche ist die Lieblingsuhr dieser Person? Um diese – und manchmal auch völlig andere – Themen drehen sich die Gespräche.