Tauchen, Rennsport oder Tennis – etliche Sportarten sind mit der Zeitmessung eng verbunden. Noch enger ist die Verknüpfung zwischen der Fliegerei und der Zeitmesstechnik. Kaum eine Uhr zeigt den Mythos einer Fliegeruhr so wie die Longines Lindbergh Stundenwinkeluhr. Dabei scheint sie nicht zu altern: 2017 feiert Longines Lindberghs Atlantik-Überquerung vor 90 Jahren mit einer Neuauflage, die dem Original optisch relativ nahe kommt. Ihr Gehäuse besteht allerdings aus Titan, darin arbeitet das Automatikwerk Eta A07.L01. 90 Exemplare am braunen Lederband zum Preis von je 5.010 Euro werden gebaut. Doch zurück zum Ursprung des legendären Modells...
Inhalt:
- Lindberghs Anfänge als Pilot bei der amerikanischen Armee
- Lindbergh allein über dem Atlantik
- Auftrag für Longines: Lindbergh skizziert seine Wunschuhr
- Erfolgreicher Start der Longines Lindbergh Stundenwinkeluhr
- Neues Uhrwerk für die Lindbergh Stundenwinkeluhr
- Erste Neuauflage der Lindbergh-Uhr 1987
- Sammlerpreise: Longines Lindbergh Stundenwinkeluhr heute
- Wie funktioniert die Stundenwinkeluhr?
Lindberghs Anfänge als Pilot bei der amerikanischen Armee
Es waren die verrückten Männer in ihren fliegenden Kisten, die in den Anfängen des 20. Jahrhunderts für Aufregung sorgten. Mobilität gewann an Bedeutung, Pferdefuhrwerke wurden durch Benzindroschken abgelöst, Eisenbahnen verbanden bereits zahlreiche Metropolen miteinander. Und in der Luft bewegten sich die Piloten mit Nerven aus Stahl – die Fliegerei war zur damaligen Zeit gefährlich. Einer der mutigsten unter ihnen war Charles Lindbergh, geboren am 4. Februar 1902 in Detroit, USA. Der Sohn schwedischer Einwanderer war fasziniert von der Kunst des Fliegens, die ihm nach einigen Irrungen des Lebens in der amerikanischen Armee beigebracht wurde. Noch heute ist er berühmt für den ersten Alleinflug von New York nach Paris, einmal quer über den Atlantik, auf einer Flugroute, die auch gegenwärtig zu den meistbenutzten der Welt zählt.
Sein Flugzeug, die Spirit of St. Louis, war ein umgebautes Modell von Ryan Aeronautical. Der einfache Schulterdecker mit einem Rahmen aus Stahlrohr war mit Stoff verkleidet; ein einziger Motor mit 223 Pferdestärken trieb das leichte Fluggerät an. Lindbergh vertrat die Ansicht, dass bei mehrmotorigen Flugzeugen jeder Ausfall eines einzelnen Antriebs ohne Zweifel den Absturz zur Folge hätte.
Lindbergh allein über dem Atlantik
Um die lange Distanz ohne Tankstopp an der Küste Frankreichs zu bewältigen, nahm Lindbergh 1.705 Liter Treibstoff an Bord. Damit war mehr als die Hälfte des Gesamtgewichtes der Spirit of St. Louis – 2.330 Kilogramm – ein schnell entflammbarer Stoff. Der riesige Tank verdeckte zudem die Sicht nach vorne. Lindbergh konnte nur durch ein Periskop auf Sicht fliegen – Start und Landung gerieten so zu einem gefährlichen Spiel mit dem Glück. Theoretisch betrug die Reichweite der Maschine 4.000 Meilen – ein knapper Wert für die Überquerung des Ozeans. Am 20. Mai 1927 flog Lindbergh über den Atlantik und landete nach 33 Stunden, 30 Minuten und 3.610 zurückgelegten Meilen in Le Bourget, einem Vorort von Paris. Damit gewann Charles Lindbergh den ausgeschriebenen Preis von 25.000 US-Dollar. Zur Positionsbestimmung verwendete Lindbergh den Geschwindigkeitsmesser des Flugzeugs und einen Kompass sowie seine Armbanduhr.
Der Hersteller der Uhr ist unbekannt – doch Lindbergh war mit der Navigationshilfe am Handgelenk nicht zufrieden. Eine Weile nach seiner Rückkehr – und nach seiner Heirat mit der Bankierstochter Anne Morrow – zeichnete Lindbergh eine Armbanduhr, von der er sich Hilfestellung bei der Navigation im Flug versprach. Vor allem für Alleinflüge ist eine einfache Navigation wichtig, denn kein Kopilot kann hier unterstützen und die Navigation übernehmen.
Auftrag für Longines: Lindbergh skizziert seine Wunschuhr
Um die Jahreswende 1930 auf 1931 sendete Lindbergh die Skizze an John P. V. Heinmüller in New York. Der Präsident der "Federation International of Aviation" (F.I.A.) war auch gleichzeitig Direktor der Longines-Wittnauer Watch Corporation in den USA – dem amerikanischen Arm Longines. Heinmüller war in seiner Position als Präsident der F.I.A. mit der Zeitnahme des Atlantiküberflugs betraut. Entgegen zahlreicher Legenden hatte Lindbergh jedoch mit seinem Entwurf nicht die Fliegeruhr erfunden – diesen Schritt hatte der Flieger Philip van Horn Weems bereits im Jahr 1927 gemacht.
Der amerikanische Kommandant und Navigationslehrer entwickelte gemeinsam mit Longines einen Mechanismus, der das Synchronisieren einer Uhr mit einem Radio-Zeitzeichen ermöglichte – ohne das Uhrwerk anzuhalten oder die Zeiger auszurichten. Eine besondere Lünette mit Richtmarkierung oder ein zentrales, drehbares Hilfszifferblatt übernahm diese Synchronisierung. Beide Elemente sind drehbar angeordnet und mit einer Skala von 60 Sekunden versehen. Als Weems Navigation Watch wurde die Pilotenuhr zunächst von Longines produziert und vermarktet. Die Weems-Idee eines drehbaren Elements übernahm Lindbergh und baute sie aus – eine Skizze aus dem Jahr 1930 ist das entscheidende Bindeglied zwischen der Arbeit von Weems und Charles Lindbergh. Die beiden Herren kannten sich allerdings auch persönlich – Lindbergh war ein Schüler von Weems.
Für Heinmüller bot der Name Lindbergh unendliche Möglichkeiten zur erfolgreichen Vermarktung der Uhr. Der Flugpionier war weltweit bekannt und für alle Berufskollegen ein Vorbild. Fünf Monate brauchten die Entwickler im schweizerischen St. Imier, ehe aus der Skizze eine komplette Armbanduhr entstand.
Erfolgreicher Start der Longines Lindbergh Stundenwinkeluhr
Schnell sprach sich unter Pilotenkollegen das neue Uhrenmodell herum, die Bestellungen gingen ein: Die Uhr war ein Erfolg, in kurzer Zeit wurden 4.000 Stück gebaut und an Piloten und Airlines verkauft. In den Uhren kam das Taschenuhrwerk 18.69 N.S.C. mit einer Größe von 18 Linien zum Einsatz. Das in der Basisversion 18.69 N mit 15 Steinen ausgestattete Uhrwerk wurde auf eine zentrale Sekundenanzeige umgebaut, eine Breguet-Spirale sowie die Kompensationsunruh sorgten für hohe Genauigkeit. Nur selten sind solche Erstzeit-Modelle auf dem Gebraucht- und Auktionsmarkt zu haben – die meisten der Ur-Modelle wurden im harten Flugeinsatz verschlissen und so manche landete unsanft mitsamt Pilot und Fluggerät ungeplant auf dem Erdboden. Daher liegen die Preise für solche Uhren, die allesamt mit Gebrauchsspuren versehen sind, im Bereich von 5.000 bis 30.000 Euro. Besonders wertvoll sind die Lindbergh-Modelle mit Geschichte. Berühmte Vorbesitzer, Gravuren und nachvollziehbare Legenden machen die Uhren wertvoll.Neues Uhrwerk für die Lindbergh Stundenwinkeluhr
Ab 1938 verwendete Longines ein anderes Uhrwerk in den Fliegermodellen. Das Kaliber 37.9 N war mit Kupplungsaufzug ausgestattet, der Durchmesser schrumpfte auf 17 Linien. Das Uhrengehäuse blieb jedoch gleich – mit mehr als 47 Millimetern Durchmesser war die Uhr unter nahezu allen Umständen perfekt ablesbar, zudem ließ sich die Krone zur Einstellung der Stundenwinkelscheibe gut bedienen. Derweil entwickelte sich die Navigationstechnik weiter und machte die Stundenwinkeluhr langsam aber sicher überflüssig. Doch Legenden und Mythen leben weiter. Weltweit ist auch heute noch der Mythos um die Longines Stundenwinkeluhr ungebrochen.Erste Neuauflage der Lindbergh-Uhr 1987
Ein guter Grund für Longines – lange vor allen von der aktuellen Mode aufgeworfenen Retro-Trends –, die Lindbergh-Uhr wiederzubeleben. 1987 fiel in den Reihen der SMH (heute Swatch Group) die Entscheidung, das Modell neu aufzulegen. Mit einem Anfang der 90er-Jahre für Herren üblichen Durchmesser von 38 Millimetern kam die Uhr auf den Markt, erhältlich in Stahl, Gold oder mit Stahl-Gold-Gehäuse.
Die Stundenwinkelscheibe trug farbig gedruckte Zahlen; farblich passende Armbänder in Blau oder Rot machten die Uhr auch zum modischen Accessoire. Als Antrieb kamen über die folgenden Jahrzehnte mehrere Werke zum Einsatz. Zunächst wurde das Kaliber L 989.2 verbaut, das damals flachste Automatikwerk mit Zentralsekunde. Später wurde neben dem Eta 2892-2 auch das bewährte Eta 2824-2 verwendet, immer in hochwertiger Dekoration mit Schliffen und gebläuten Schrauben.
Sammlerpreise: Longines Lindbergh Stundenwinkeluhr heute
Die Version mit dem Kaliber L 989.2, das nach einiger Zeit an den Werkehersteller Lemania verkauft wurde und heute noch für Uhren der Marke Breguet verwendet wird, ist unter Sammlern besonders beliebt. So erklärt sich der Aufpreis, der auf dem Gebrauchtmarkt für diese Uhren zu zahlen ist. Zwischen 1.500 und 6.000 Euro liegen die marktgängigen Preise – je nach Zustand des nicht einfach zu wartenden Uhrwerks und des Gehäuses. Die flachen Bauteile sorgten in den ersten Lebensjahrzehnten des Kalibers für einige Probleme. Anbieter auf den gängigen Internetauktionsplattformen offerieren die Uhr auch für sehr günstige Preise knapp über 1.000 Euro. Hier ist meist eine komplette Revision einzukalkulieren. Vorzuziehen sind die späteren Versionen mit den gängigen Eta-Kalibern, die wesentlich leichter gewartet werden können.
Für Fans der originalen Version legte Longines 1990 eine Auflage mit historischem Handaufzugs-Taschenuhrwerk in einem Gelbgoldgehäuse mit 47,5 Millimetern Durchmesser auf. Die Auflage wurde im Gedenkkoffer mit zahlreichen Utensilien zum Alleinflug von Charles Lindbergh ausgeliefert und ist heute so gut wie nicht mehr auf dem freien Markt erhältlich – 10.000 Euro und mehr werden für komplette Sets verlangt. Longines baute im Laufe der Zeit das Thema Lindbergh konsequent zur Modelllinie aus. Auch ein Chronograph mit dem altbewährten Eta-Valjoux 7750 wurde präsentiert. Auch hier besteht für Einstiegspreise um 1.500 Euro die Chance, ein gepflegtes Exemplar über einen der gängigen Online-Marktplätze zu erwerben.
Heute zählt die Lindbergh-Uhr ebenso wie die Weems-Uhr zur Heritage-Kollektion von Longines und erfreut sich weiter einer hohen Beliebtheit. Und dennoch ist anzunehmen, dass kaum einer der Uhrenträger die Stundenwinkelfunktion tatsächlich aktiv verwendet – aber Charles Lindbergh, der 1974 verstarb, lebt mit der Uhr an vielen Handgelenken als Mythos weiter.