Von der Zeit, als die Sekundenanzeige eine Innovation bedeutet, bis zum – laut Museumsangaben – kompliziertesten Uhrwerk der Welt, spannt das Patek-Philippe-Museum einen Bogen.
Die Fensterflächen lassen schon erahnen, dass hier einst Arbeit verrichtet wird, die viel Licht benötigt. Tatsächlich wird das Museum von Patek Philippe ursprünglich für eine Firma erbaut, die Edelsteine verarbeitet. Im Lauf der Zeit bewohnen das Gebäude verschiedene Unternehmen der Uhrenbranche, liegt es doch in einem früheren Industrieviertel von Genf. Das ist noch heute zu spüren: Stein und Asphalt wechseln sich ab, Block an Block säumt die Straßenschlucht. So hat das Museum Patek Philippe schon von außen gesehen historische Bedeutung. Doch in dem Haus mit den roten Fahnen sammeln sich Werkzeuge und Kunstwerke, die die Uhrmacherei in Europa im Lauf ihrer Geschichte zur Welt gebracht hat. Ein besonderer Akzent liegt auf den Entwicklungen Genfs, ein weiterer auf den Erzeugnissen von Patek Philippe.
Von der Straße her führen ein paar Stufen hinauf zur Museumskasse, dahinter tritt der Besucher direkt ein in den Bereich der historischen Werkstätten. Dort zeigen sich Werkbänke und Gerätschaften, mit denen Uhrmacher früher beispielsweise Unruhen und Unruhspiralen fertigen oder Räder schneiden. In einem Glaskasten ist die Ausstellung ganz besonders lebendig: Hier sitzt tatsächlich ein Uhrmacher in seiner originalgetreu ausgestatteten Werkstatt. Er ist für die Restaurierung historischer Stücke zuständig.
Uhrmacherhandwerk aus Genf für die ganze Welt
Im dritten Obergeschoss stehen den Besuchern Archiv und Bibliothek für Recherche offen. Das Archiv enthält Dokumente zur Geschichte des Unternehmens Patek Philippe, aber auch Patente und andere Unterlagen zu Uhren des Hauses. Eine Auswahl der Materialien liegt für die Besucher zum Blättern und Schmökern offen. Die Museumsbibliothek umfasst über 7.000 Bände über Zeitmessung und verwandten Themen, darunter befinden sich auch Werke von Galileo Galilei, Isaac Newton und Christiaan Huygens. An zwei Arbeitsplätzen haben die Gäste die Möglichkeit, im Bibliothekskatalog zu recherchieren.
Wer seine Entdeckungen lieber durch Schauen macht als durch Lesen, nimmt den Aufzug oder die Treppe hinunter in das zweite Stockwerk. Dort sind an die 700 Exponate aus der Zeit von 1500 bis 1850 versammelt, die die Geschichte der Uhrmacherei in Genf, der Schweiz und ganz Europa repräsentieren. Doch auch so ungewöhnliche Dinge wie Käfige mit Vögeln, die dank Mechanik zwitschern und mit den Flügeln schlagen, gibt es hier.
Betritt man das Stockwerk vom Treppenhaus her, fällt der erste Blick jedoch auf die Uhren, und zwar auf sehr alte Exemplare. Vorrichtungen wie Wasseruhren oder mechanische Großuhren für Kirchen und Klöster sind schon länger bekannt. Klein genug, dass man sie tragen kann, werden Uhren aber erst im 15. Jahrhundert in Süddeutschland, Norditalien und Frankreich. Bei diesen tragbaren Uhren nimmt das Patek-Philippe-Museum den Faden der Geschichte auf, die ersten Genfer Ausstellungsstücke – Taschenuhren, aber auch Uhren in Form eines menschlichen Schädels oder in Form eines Delfins – stammen aus der Zeit nach 1575. Denn im 16. Jahrhundert spezialisiert sich das örtliche Gewerbe auf die Uhrmacherei, was übrigens mit der Reformation zusammenhängt: Der Reformator Johannes Calvin lehnt zwar Schmuck als Zurschaustellung von Luxus ab, lässt aber Uhren als nützliche Gegenstände gelten. So ist es ihm zu verdanken, dass sich viele Goldschmiede und Juweliere dem Uhrmacherhandwerk zuwenden, als Genf protestantisch wird. Doch auch die Ereignisse jenseits der Stadtgrenzen machen sich derzeit bemerkbar: Aus Frankreich fliehen nach der Bartholomäusnacht 1572 viele Kunsthandwerker, weil sie als Protestanten um ihr Leben fürchten. Unter ihnen auch Uhrmacher, später folgen Emailmaler, deren Gewerbe um 1630 in Frankreich entsteht. Doch wohin mit den farbenfrohen Produkten? Da diese in calvinistischen Landen verpönt sind, exportieren viele Kunsthandwerker in katholische Gebiete und muslimische Länder. Die Handelsbeziehungen zwischen den Genfer Uhrmachern und dem Ottomanischen Reich sind zwischenzeitlich so gut, dass um 1700 an die 180 Genfer Uhrmacher und andere Handwerker in Konstantinopel leben. Von diesen engen Beziehungen ausgehend erobern ihre Erzeugnisse den Markt Chinas; auch dort siedeln sich Schweizer an.
Reformation, Aufklärung und Revolution zeigen Wirkung
Doch zurück zur Uhrmacherei: Im Lauf ihrer Geschichte nehmen die tragbaren Uhren an Genauigkeit zu. In der Nachfolge von Galileo Galilei, der die Gesetzmäßigkeiten des Pendels entdeckt, setzt Christiaan Huygens das Pendel als Taktgeber für Uhren um und führt 1675, knapp 20 Jahre später, die Unruhspirale ein. Sie erlaubt es, die Schwingungen der Unruh zu berechnen und legt so den Grundstein für die Präzisionszeitmessung. Uhrmacher aus Frankreich, England und der Schweiz arbeiten in der Folgezeit daran, die Einregulierung immer weiter zu verbessern. Im 18. Jahrhundert kommen schließlich die ersten Uhren auf, die neben der Stunden- und Minutenanzeige auch einen Zeiger für die Sekunde bietet. Im Patek-Philippe-Museum sind sie im Bereich "Technische Uhren" zu finden, von hier aus gelangt man zur Epoche der Aufklärung.
Das Kabinett, das ihr vorbehalten ist, gehört zu den aufregendsten Abteilungen: In den Jahren am Ende des 18. Jahrhunderts machen sich die Uhrmacher in Genf und Umgebung einen Namen mit ihren Automaten. Auch im Orient und auf dem chinesischen Markt ist die Mechanik gefragt, die Musik spielt, singende Vögel oder auch Menschen abbildet. Bis 1830 erfordert es die Mode, dass solche Extravaganzen Bestandteil des Uhrmacherhandwerks bleiben. Davon erzählt auch der Bereich der Formuhren aus Paris, Genf und Wien. Hier finden sich etwa kunstvoll gestaltete Pistolen, die anstatt mit Schüssen mit Vögelchen oder Blumen erfreuen.
Doch die technischen Entwicklungen zielen vom Ende des 18. Jahrhunderts bis 1850 mehr und mehr darauf ab, eine industrialisierte Produktion der Mechanik zu erlauben. Frédéric Japy produziert in seiner Rohwerkefabrik rund 100.000 Ebauches pro Jahr, und Jean-Moïse Pouzaït entwickelt die Schweizer Ankerhemmung. Und wieder einmal spürt man in Genf die Wirkung der Weltpolitik, denn die Französische Revolution ebnet hier den Weg zur Industrialisierung: Nachdem Frankreich die Stadt als Teil des neuen Departements Leman vereinnahmt hat, lockern sich dort die Einschränkungen durch Standesgrenzen und Schutzzölle. Dies trägt dazu bei, dass eine industrialisierte Massenfertigung neben dem Handwerk entstehen kann.
Wie gesagt: Das Patek-Philippe-Museum richtet sich strikt nach der Chronologie, die Besucher werden daher erst jetzt in den ersten Stock zu den Uhren von Patek Philippe geleitet. Die Wurzeln des Unternehmens reichen zurück bis 1839. In diesem Jahr geht der polnische Immigrant Antoni Norbert Patek (1812 –1877), der sich später Antoine-Norbert de Patek nennt, eine Partnerschaft mit dem Uhrmacher Frantisek Czapek ein. Nach weiteren Geschäftspartnerschaften und Firmierungen bekommt sein Unternehmen 1901 schließlich die Bezeichnung "Ancienne Manufacture d'Horlogerie Patek, Philippe & Cie". Hinter dem zweiten Familiennamen steht der Uhrmacher Jean-Adrien Philippe (1815 –1894), der sich 1845 auf Einladung Pateks in Genf niederlässt. Er hat zuvor beispielsweise das erste Aufzugs- und Stellsystem erfunden, das ohne einen Schlüssel auskommt und sich industriell herstellen lässt. Nun wird Philippe Leiter der technischen Abteilung. 1851, in dem Jahr als Patek und Philippe Partner werden, bestellt Königin Victoria von England eine seiner Uhren ohne Schlüssel. Damit, und mit einer Einladung der beiden Geschäftspartner an ihren Hof, eröffnet sie den Geschäftsleuten Patek und Philippe die Adelswelt Europas.
Das gesamte Erbe des Genfer Uhrmacherhandwerks
Über die Produkte des Art déco und auch komplizierten Taschenuhren, die bis heute gefragt sind, verfolgen die Besucher nun die Unternehmensgeschichte. Bald nach Beginn des 20. Jahrhunderts bietet Patek Philippe auch Entwicklungen auf dem Gebiet der Armbanduhr; so präsentiert man im Jahr 1922 den ersten Rattrapante-Chronographen für das Handgelenk. In den 1930er-Jahren erscheinen die ersten Weltzeituhren des Hauses, sie präsentiert Patek Philippe gemeinsam mit Louis Cottier. Er ist einer der letzten traditionellen Genfer Uhrmacher, die Industrialisierung des Handwerks ist längst vollzogen.
Durch die Abteilung der "Armbanduhren ohne Komplikationen" führt der Rundgang ins Reich der Calatrava. Das Calatrava-Kreuz, seit 1887 Markenzeichen von Patek Philippe, erscheint zuerst auf den Gehäusen und später auf den Kronen von Armbanduhren. In den 1980er-Jahren wird es zum Synonym für runde Uhren von Patek Philippe.
Als Höhepunkt beschließt ein Kabinett mit Sondermodellen den Besuch im Museum von Patek Philippe. Hier kann man unter anderem das Kaliber 89 betrachten, das laut Museumsangaben das komplizierteste Uhrwerk der Welt ist. Seine Entwicklung – zur Feier des 150-jährigen Bestehens von Patek Philippe – nimmt neun Jahre in Anspruch. Es verfügt über schier zahllose Komplikationen und astronomischen Funktionen, beispielsweise eine Sternkarte und einen Ewigen Kalender, über einen Rattrapante-Chronograph, Schlagwerke und eine Minutenrepetition. Das gesamte Erbe der Genfer Uhrmacherei hat sich in diesem Werk, so scheint es, versammelt. gb
Museum Patek PhilippeRue des Vieux-Grenadiers 7CH-1205 Genfwww.patekmuseum.comDienstag bis Freitag: 14 bis 18 UhrSamstag: 10 bis 18 Uhran Feiertagen geschlossen - Führungen nach Vereinbarung Die Leserreise des Uhren-Magazins gibt noch tiefere Einblicke. Besuchen Sie mit dem Uhren-Magazin unter anderem das Patek-Philippe-Musuem. Nähere Informationen erhalten Sie hier: