Philippe Dufour hält nicht besonders viel von modernem Marketing. Begriffe wie Corporate Identity und Public Relations scheinen ihm fremd. Sein Uhrenatelier ist noch nicht einmal mit einer eigenen Internetseite im World Wide Web präsent. Was nicht heißt, dass sein Name dort nicht zu finden wäre. Ganz im Gegenteil, Branchen-Foren wie The Purists, Timezone oder Horomundi sind voll von Einträgen, die begeisterte Besitzer einer Philippe-Dufour-Uhr sind oder es gerne wären. Besonders seine neueste Uhr, die Simplicity, wird dort als zeitgenössisches Kunstobjekt gelobt. Darüber hinaus gibt es eine inoffizielle Philippe- Dufour-Webseite, die ein besonders großer Verehrer online gestellt hat und mit Nachrichten über den Uhrmacher Dufour und seine Uhren speist. Dort wird Philippe Dufour sogar als „lebende Legende“ bezeichnet.
Trotz oder vielleicht gerade wegen fehlender PR-Maßnahmen ist es Philippe Dufour gelungen, unter anspruchsvollen Sammlern und Liebhabern eine Art Kultstatus zu erlangen. Denn seine Uhren sprechen für sich. Spätestens seit der Vorstellung der Grande et Petite Sonnerie 1992 in Basel, die prompt mit der Goldmedaille für technische Neuerungen prämiert wurde, sind sie mehr als nur ein Geheimtipp. Seine beinahe vollständig von Hand gefertigten Werke, deren exklusive Gestaltung die perfektionistische Handschrift ihres Meisters bis ins Kleinste, nur unter der Lupe erkennbare Detail zeigt, entstehen im Geist einer vergangenen Zeit, in der Tradition der großen Uhrmacher aus dem schweizerischen Vallée de Joux.
Philippe Dufour ist in jenem abgeschlossenen Hochtal im Schweizer Jura geboren. Nur 60 Kilometer vom mondänen Genf entfernt, ist das Vallée eine kleine Welt für sich. Sein raues Klima, die langen Winter und die Abgeschiedenheit waren dafür verantwortlich, dass sich die Bauern dort im 18. und 19. Jahrhundert dem Bau von Uhren widmeten. Sie begründeten den Ruf der Gegend als eine der Wiegen hoher Schweizer Uhrmacherkunst – die Manufakturen Audemars Piguet, Jaeger-LeCoultre, Dubois Dépraz und Frédéric Piguet haben hier ihre Wurzeln. Im 3000 Einwohner zählenden Le Sentier geboren, gibt es für Dufour nach der Schule wenig Alternativen zur Uhrmacherausbildung. So erlernt er das Handwerk an der örtlichen Uhrmacherschule, erweitert die Lehre noch durch die Qualifikation zum Horloger-Rhabilleur, dem Spezialisten für Reparaturen. Zunächst wird er von Jaeger-LeCoultre angestellt. Im Anschluss daran zieht es ihn in die Welt hinaus, fort aus dem beschaulichen Tal. Dufour arbeitet in Frankfurt, London und auf den Jungferninseln.
Zurück in der Schweiz entwickelt er für verschiedene der weltbekannten Manufakturen im Vallée de Joux, darunter Audemars Piguet und Daniel Roth. Seine komplexen Werke und die Ausführung der schwierigsten Komplikationen verhelfen ihm zu einem weitreichenden Ruf. Doch letztlich lässt sich sein nach Freiheit strebendes Naturell nicht mit einem starren Angestelltenverhältnis vereinigen. „Nach der Erfahrung in den verschiedenen Firmen habe ich festgestellt, dass ich meine künstlerischen Vorstellungen dort nicht verwirklichen konnte und machte mich selbstständig“, erzählt Dufour. „Wenn ich heute zurückblicke, war das sicher nicht der einfachste Weg, den ich wählen konnte“, erinnert er sich. Andererseits, sei es trotz der harten Konkurrenz in der Welt der feinen Uhren die richtige Entscheidung gewesen. „Ich habe den Luxus, das zu tun, was ich möchte, ohne dabei nach links oder rechts schauen zu müssen“, sagt er.
Zunächst spezialisiert sich der Uhrmacher auf die Reparatur alter, kostbarer Taschenuhren mit Komplikationen. Diese Arbeit verschafft ihm große Befriedigung, führt sie ihm doch die Genialität der alten Meister, von denen die meisten aus dem Vallée de Joux stammten, vor sein Uhrmacherauge. „Meine Lieblingsstücke wurden zwischen 1800 und 1920 gefertigt. Von zehn unsignierten Uhren waren mindestens sieben im Vallée de Joux entstanden“, erzählt der Uhrmacher.
1986 vollendet er schließlich sein erstes eigenes Werk, eine Taschenuhr mit Minutenrepetition mit Großem und Kleinem Schlagwerk. Das Modell ist so aufwändig, dass lediglich sechs Exemplare gefertigt werden. 1992 debütiert Philippe Dufour dann mit der Armbanduhrenversion auf der Basler Messe. Eine uhrmacherische Sensation – fügen sich die 420 von Hand gefertigten Einzelteile des komplizierten Kalibers in einen Mikrokosmos von gerade mal 30 Millimetern Durchmesser zusammen – und ein technisches Novum, denn es ist noch keinem Uhrmacher vor Dufour gelungen, diese beiden Großen Komplikationen im schmal bemessenen Gehäuse einer Armbanduhr zu vereinen. 2000 Stunden Arbeit stecken in der Produktion: Jedes Zähnchen, Rädchen und Federchen, jeder Kloben und jede Brücke ist vom Meister selbst erdacht, gezeichnet, geschnitten, gedreht, gefeilt, poliert und zusammengesetzt.
Um sich die Teilnahme an der Messe in Basel leisten zu können, hat sich Dufour Anfang der 1990er Jahre der „Académie Horlogère des Créateurs Indépendants“, kurz AHCI angeschlossen. Dieser internationale Kreis unabhängig arbeitender Uhrmacher stellt sich mit seinen außergewöhnlichen Schöpfungen, die wie Dufours Uhren in Handarbeit entstehen, gegen die serienmäßige, industrielle Produktion der Mechanikuhr. Hier findet er Gleichgesinnte. „Ich trat der AHCI bei, denn der gemeinsame Stand war die einzige Möglichkeit für mich, meine Arbeit einem breiteren Publikum vorzustellen. Damals war das Interesse an unabhängigen Uhrmachern noch nicht so trendy wie heutzutage“, erinnert sich Philippe Dufour.
Als nächste Eigenkreation stellt er die Duality vor. Sie ist die erste Uhr, die in seiner neuen Werkstatt im ehemaligen Schulhaus in Le Solliat entsteht, wo einst seine drei Töchter die Schulbank gedrückt haben. In ihrem Ansatz ist sie ebenso revolutionär und kompromisslos wie die Armbanduhr Grande et Petite Sonnerie: ein uhrmacherisches Konzept, das es in dieser Form noch nie gab. Ihren Namen verdankt die Ausnahme-Armbanduhr den zwei Unruhen in ihrem Werk. Verbunden durch ein Differenzial und angetrieben von nur
einem kleinen Federhaus, schwingen sie gegenläufig, um der Schwerkraft zu trotzen und die Ganggenauigkeit zu verbessern. In den 1930er Jahren hatte ein besonders begabter Schüler an der Uhrmacherschule in Le Sentier eine großzügig dimensionierte Taschenuhr mit zwei Unruhen geschaffen – das komplexe Räderwerk im kleinen Gehäuse einer Armbanduhr mit einer Höhe von nur vier Millimetern unterzubringen, ist hingegen erst Dufour gelungen. 1996 wird der einmalige Mechanismus mit einem Technik- Sonderpreis geehrt. Von dieser Uhr fertigt Dufour nur neun Modelle statt wie ursprünglich geplant 25, da zu jener Zeit die Nachfrage nicht so groß ist. Heute hingegen ist die Duality sehr gefragt, ob Dufour jedoch Zeit finden wird, weitere zu fertigen, steht jedoch offen.
Seine nächste Uhr ist nicht ganz so kompliziert und schwierig zu produzieren. Ihrem Namen entsprechend stellt sich die Simplicity als schlichte Dreizeigeruhr ohne Komplikationen mit Kleiner Sekunde auf der Sechs-Uhr-Position vor. Ihr Gold- oder Platingehäuse ist in den Größen 34 oder 37 Millimeter erhältlich. Wie auch bei ihren Vorgängern besteht die Platine des Handaufzugswerks aus Neusilber, einer speziellen Legierung, die jeden Ausrutscher beim Dekor unbarmherzig zeigen würde. Mit Genfer Streifen verziert, trägt sie die Signatur ihres Meisters und ihre Herstellungsnummer. Sowohl der Aufbau als auch die Verzierungen, für die Philippe Dufour, mittlerweile unterstützt von einem jungen Uhrmacher, ungefähr einen Monat Arbeitszeit benötigt, sind von der hohen Tradition der alten Meister des Vallée de Joux inspiriert. So ist die Simplicity wie überhaupt alle Uhren des Hauses auch als eine Hommage an die berühmten Vorfahren des Vallée de Joux zu verstehen.
Auf die Frage, wie seine nächste Uhr aussehen wird, hält sich der Uhrmacher noch bedeckt: „So lange die Dinge eher in meinem Kopf denn tatsächlich in einem Uhrengehäuse vorhanden sind, spreche ich nicht gern darüber. Nachdem alle vorbestellten Simplicitys ausgeliefert sind, wird es eine neue Uhr geben“, verspricht Dufour. Alles, was er jetzt darüber sagen könne, ist, dass sie mindestens drei Zeiger haben wird.
Text: Sabine Zwettler, Fotos: Hersteller, Steve G