Innovativ, technisch-funktional und zuverlässig – das sind die Merkmale, die seit Jahren die Fans der Uhrenmarke Sinn begeistern. Das Frankfurter Unternehmen baut Uhren für den Anwender: von besonders druckfesten Taucheruhren über Expeditionsuhren bis hin zu Modellen für Spezialeinheiten oder spezielle Berufsgruppen. Wir blicken hinter das Erfolgskonzept.
„Bei uns passt sich die Form der Funktion an.“ Für Lothar Schmidt, den Inhaber der Uhrenmarke Sinn, kommt das Design seiner Uhren an zweiter Stelle. Das Äußere muss stimmig sein, ganz klar, doch sein Hauptaugenmerk liegt auf der Anwendbarkeit, der Funktionalität seiner Uhren. Allem voran steht eine optimale Ablesbarkeit. Doch es gibt noch viele weitere Merkmale, die eine Uhr zu einer Sinn Spezialuhr machen.
Ein Blick in den Katalog des Frankfurter Uhrenherstellers lässt das Herz des Technikliebhabers höher schlagen. Dort liest man spannende Dinge über Magnetfelder und wie eine Uhr davor geschützt werden kann, über gasgefüllte Uhren oder Uhren, die dank eines Spezialöls sogar bei arktischen Temperaturen noch funktionieren.
Wie alles begann
1994 übernahm der gelernte Maschinenbauingenieur Lothar Schmidt die Frankfurter Uhrenmarke von Helmut Sinn. Der Pilot und Blindfluglehrer Sinn hatte das Unternehmen 1961 in Frankfurt am Main gegründet und sich, seiner Passion folgend, auf Navigationsborduhren und Fliegeruhren spezialisiert, die er in der Schweiz als Private-Label-Produkte eingekauft hatte.
Schmidt landete eher auf Umwegen in der Uhrenbranche. Nach seinem Studium und der anschließenden Bundeswehrzeit arbeitete der gebürtige Saarländer zunächst in einer Maschinenbaufabrik in La Chaux-de-Fonds, der Heimatstadt seiner Frau. Kurz danach wechselte Schmidt – was in der Heimat der Uhrmacherkunst fast unausweichlich ist – in die Uhrenbranche. Ab 1976 war er fünf Jahre lang als Technischer Direktor bei der Gehäusefabrik Bräuchy in La Chaux-de-Fonds tätig, bevor er 1981 zur IWC nach Schaffhausen kam, die damals noch zum Automobilzulieferer VDO gehörte. Dort zeichnete er unter anderem für die Arbeitsvorbereitung Produktion und Teilbereiche der Entwicklung verantwortlich und war später als Prokurist tätig. 1991 übernahm er zudem den produktionstechnischen Aufbau der Uhrwerkteileproduktion bei der Marke A. Lange & Söhne. Die IWC-Führung um Günter Blümlein wollte A. Lange & Söhne nach der Wende wieder aufleben lassen. Drei Jahre später kündigte Schmidt bei IWC und wechselte zunächst als freier Mitarbeiter zu Sinn. Bereits 1982 hatte er Helmut Sinn kennengelernt und stand seitdem mit ihm in regelmäßigem Kontakt. Zwölf Jahre später, am 1. September 1994, übernahm Lothar Schmidt die Frankfurter Uhrenmarke. Er wollte technisch-funktionale Uhren für den Anwender produzieren. Das entsprechende Know-how dazu hatte er sich über die Jahre hinweg angeeignet.
Schon im selben Jahr erschien der erste Zeitmesser, der diesem Anspruch Folge leistete und ein bis heute bei Sinn wichtiges Thema umsetzte: das magnetfeldgeschützte Modell 244. Die Uhr besaß neben dem Magnetfeldschutz ein Chronometerzertifikat, ein stoßsicher aufgehängtes Uhrwerk und ein Titangehäuse. Es war auch die erste Uhr, die mit eigenem Werkzeug produziert wurde. Die Private-Label-Ära war somit beendet.
Neben der Entwicklung neuer Modelle übernahm Schmidt auch Uhren seines Vorgängers, die sich bei den Kunden besonders bewährt hatten. Die Modellreihen 103, 140, 144 und 903, die noch heute zur Kollektion gehören, wurden ab sofort mit eigenen Werkzeugen gefertigt. Sie erhielten einen optischen Feinschliff, wurden technisch auf den neuesten Stand gebracht und nach und nach mit den Sinn’schen Technologien ausgestattet.
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Technik, die begeistert
Bereits 1995 machte Sinn mit der Ar-Trockenhaltetechnik auf sich aufmerksam. Die Abkürzung „Ar“ stand zunächst für das verwendete Edelgas Argon. Die Technik verlangsamt Alterungsprozesse im Innern der Uhr, und das Werk bleibt funktionssicher. Sinn verwendet hierbei anstatt der herkömmlichen Nitril-Dichtungen sogenannte EDR-Dichtungen (extrem diffusionsreduzierend) aus Fluor Karbon-Kautschuk. Diese lassen bis zu viermal weniger Luftfeuchtigkeit eindringen. Zudem wird das Gehäuse mit Gas gefüllt. Das großatomige Gas lässt Luftfeuchtigkeit aufgrund seiner Beschaffenheit nicht so leicht in das Gehäuse. Sollte doch Feuchtigkeit eindringen, kommt der wichtigste Teil der Trockenhaltetechnik zum Einsatz: eine Kupfersulfatkapsel. Das Kupfersulfat bindet die Feuchtigkeit im Innern der Uhr. Ein Sichtfenster am Gehäuse zeigt an, ob die Kapsel noch aufnahmefähig ist (weiß) oder ob sie schon gesättigt ist (blau). Die trockene Atmosphäre schont das Öl, Alterungsprozesse werden reduziert, und das Deckglas kann bei starken Temperaturschwankungen nicht beschlagen, da sich keine Luftfeuchtigkeit im Innern befindet. Die Technik kam 1995 beim Modell 203 Ti Ar zum ersten Mal zum Einsatz. Im Laufe der Jahre wurde die Technologie weiterentwickelt und im Jahr 1997 mit der Temperaturresistenztechnologie perfektioniert. Heute verwendet Sinn bei der Ar-Trockenhaltetechnik ein anderes Schutzgas mit besseren Eigenschaften als Argon; der Name jedoch blieb. Darüber, um welches Gas es sich handelt, gibt Sinn keine Auskunft.
Um die Funktion der Uhren auch bei extremen Temperaturen zu gewährleisten, setzt Schmidt ein Spezialöl ein, dessen Temperaturspektrum von minus 45 Grad Celsius bis plus 80 Grad Celsius reicht. Das sind etwa 50 Prozent mehr als mit normaler Schmierung. Jede einzelne Uhr wird in Frankfurt im Klimaschrank bei diesen extremen Temperaturen geprüft. Tauchgänge im Polarmeer, Einsätze in der Arktis oder im Hochgebirge sind mit den Spezialuhren somit kein Problem.
Durch seinen Blick über den Tellerrand adaptiert der gelernte Maschinenbauingenieur immer wieder Vorgehensweisen und Techniken aus anderen Industriebereichen. Die Hydro-Technologie beispielsweise garantiert eine absolute Beschlagsicherheit, optimale Ablesbarkeit unter Wasser und die Druckfestigkeit des Gehäuses für jede erdenkliche Tauchtiefe. Bei der Hydro-Technologie (Modellreihe UX) wird das Gehäuse mit einer Flüssigkeit, deren genaue Typisierung Sinn nicht preisgibt, gefüllt. Diese dehnt sich bei Wärme aus, weshalb bei den heutigen Modellen der Boden zweiteilig aufgebaut ist und eine Membran erhält, die es erlaubt, dass sich der innere Teil des Bodens etwas nach außen bewegt. Zudem besitzt diese Flüssigkeit den gleichen Brechungsindex wie Saphirglas. Dadurch ist die Uhr im Wasser unter jedem Winkel ablesbar. Die Flüssigkeit würde jedoch eine Unruh zu sehr dämpfen, weshalb sie nur bei Quarzwerken zum Einsatz kommt. Sinn gibt Hydro-Uhren bis 5.000 Meter Tiefe frei, da die Kapselung des Schwingquarzes bei mehr als 6.500 Metern zerdrückt werden könnte.
Die ersten Einsatzzeitmesser (EZM) erschienen 1997 und wurden damals für Spezialeinheiten der deutschen Bundespolizei und des deutschen Zolls konzipiert. Einsatzzeitmesser von Sinn sind auf pure Funktionalität ausgerichtet, Form und Gestaltung dienen einzig und allein der sicheren und schnellen Zeiterfassung. Mancher dieser Einsatzzeitmesser ist aufgrund seines Konzepts mit Zusatzfunktionen ausgestattet, wie beispielsweise der EZM 7, der speziell für den Feuerwehrdienst und unter Mitarbeit von Feuerwehreinsatzleitern entwickelt wurde. Eine farbige Skala und der Drehring sollen das Ablesen aller wichtigen Einsatzzeiten erleichtern. Die professionellen Taucheruhren rüstet Sinn zusätzlich mit einem unverlierbaren Sicherheitsdrehring aus, der durch eine Verschraubung auch bei seitlichen Schlägen oder beim Hängenbleiben an der Ausrüstung oder beispielsweise am Korallenriff nicht abspringen kann.
Doch auch mit der Lancierung der Finanzplatzuhr, einer eleganten funktionsstarken Herrenuhr, im Jahr 1999 trug das Unternehmen entscheidend dazu bei, das Image der Marke weiter zu heben. Noch heute zählt die Modellreihe zu einer der beliebtesten und feierte 2014 ihr 15-jähriges Bestehen.
Die Innovationsfreude ließ im Laufe der Jahre nicht nach. 2001 startete Sinn mit der Diapal-Technik und kam damit dem großen Traum der Uhrmacher, eine vollständig öl- und schmierstoßfreie Uhr zu produzieren, einen Schritt näher. Mit der ölfreien Hemmung haben die Frankfurter den wichtigsten Teil des Werks trockengelegt. Bei der Diapal-Technologie arbeiten spezielle Materialpaarungen ohne Schmierung reibungslos zusammen und gewährleisten so die dauerhafte Ganggenauigkeit des Uhrwerks. Möglich macht dies eine Nano-Beschichtung des Ankerrads; der Anker mit den Rubinpaletten bleibt unverändert. Bereits im Jahr 1995 begannen die Arbeiten zu diesem Projekt. Erste Trockenversuche mit Diamantpaletten gaben der Technologie ihren Namen.
Nicht nur die Funktionalität des Uhrwerks und die optimale Ablesbarkeit unter extremen Bedingungen liegen Schmidt am Herzen. Auch die Gehäuse, die zum größten Teil bei der Sächsischen Uhrentechnologie GmbH Glashütte (SUG) gefertigt werden und an der Schmidt 74 Prozent hält, sollen ein größtmögliches Maß an Funktionalität und Robustheit gewährleisten. Dabei setzt die Marke auf die kratzfeste Oberflächen garantierende Tegiment-Technik. Diese erhöht zudem die Korrosionsbeständigkeit des Edelstahls. Der Stahl wird im Oberflächenbereich durch ein spezielles Verfahren gehärtet. Es handelt sich um keine Beschichtung, sondern der Stahl selbst wird zum Schutzmantel. Kohlenstoff wird hier in den Stahl eindiffundiert und setzt sich in Zwischengitterplätze, wodurch die harte Oberfläche entsteht. Die Härte des Ausgangsmaterials steigt dabei um ein Vielfaches.
Das Tegiment stellt gleichzeitig eine gute Basis für die schwarze PVD-Hartstoffbeschichtung des Gehäuses dar. Da das Tegiment eine vergleichbare Härte aufweist wie die PVD-Schicht, kann es nicht zum Eierschaleneffekt kommen, bei dem die obere, harte Schicht eingedrückt wird, weil das darunterliegende weiche Material nachgibt. Seit dem Modell EZM 10, das 2011 erschien, verwendet Sinn die Tegiment-Technik auch bei dem noch aufwendiger zu bearbeitenden Leichtmetall Titan.
Funktionen auf dem Prüfstand
Um die Funktionen seiner Uhren zu testen und sich den hohen Entwicklungsstand der Techniken attestieren zu lassen, geht Schmidt unorthodoxe Wege. Seine Taucheruhren lässt er auf Druckfestigkeit, Wasserdichtheit und Beschlagsicherheit und darüber hinaus nach den Europäischen Tauchgerätenormen von der unabhängigen Zertifizierungsgesellschaft DNV GL prüfen und zertifizieren. Die Gesellschaft entstand aus der Fusion der norwegischen Klassifikationsgesellschaft Det Norske Veritas (DNV) und dem Germanischen Lloyd (GL) in Hamburg. So wird die Funktion voll unter Beweis gestellt und dem Anwender ein größtmögliches Maß an Sicherheit seiner zeitmessenden Ausrüstung bescheinigt. Ein ständiges Hinterfragen von Notwendigkeiten steht bei der Entwicklung stets im Mittelpunkt: Was benötigt eine Uhr bei einem bestimmten Einsatz, gibt es hierfür Standards, die berücksichtigt werden sollen? Diese Herangehensweise an ein Thema führte 2008 zum Projekt TESTAF. Hinter der Abkürzung verbirgt sich der Technische Standard für Fliegeruhren, den Sinn in Kooperation mit der Fachhochschule Aachen ins Leben gerufen hat. Schmidt und sein Team stellten sich folgende Fragen: Was benötigt eine Fliegeruhr zwingend, und weshalb gibt es hierfür keinen Standard?
2012 wurde dieser Standard vorgestellt. Es handelt sich um einen Katalog von Anforderungen, die eine Armbanduhr im zivilen Flugbetrieb erfüllen muss, ähnlich den Normen für Taucheruhren. Der TESTAF bescheinigt den Uhren, dass diese die an Bord befindlichen Zeitmessinstrumente für den Piloten bei einer manuellen Navigation übernehmen können. Seit 2013 gibt es die ersten Uhren dazu und noch im selben Jahr beschloss das Deutsche Institut für Normung, eine neue Norm für Fliegeruhren zu schaffen. Die neue DIN 8330 soll in ein bis zwei Jahren fertiggestellt sein.
Innen- und Außenleben
Im Innern der Spezialuhren ticken derzeit Werke der Eta und von Sellita. Wo diese den Anforderungen an ein Modell nicht Genüge leisten, werden in Frankfurt komplexe Werkumbauten vorgenommen. Mit dem Modell EZM 10 wurde aus dem Chronographenkaliber Valjoux 7750 das Kaliber SZ01. Es erfolgte ein komplexer Umbau auf die Anzeige der Stoppminute aus der Mitte, um die Ablesbarkeit der Stoppzeit zu verbessern. Dieser Schritt schien für Sinn der einzig richtige, nachdem das legendäre Lemania-Kaliber 5100 nicht mehr erhältlich war.
Neben dem Kaliber SZ01 gibt es derzeit vier weitere Uhrwerkmodifikationen: Das Kaliber SZ02 ist durch einen dezentralen 60-Minuten-Zähler gekennzeichnet, beim SZ04 wird das Unitas-Kaliber 6498 in ein Uhrwerk mit Regulatoranzeige umgebaut, und beim SZ05 werden die Stoppminuten bei der Drei in 60er-Schritten abgelesen. Das SZ03, das in der aktuellen Frankfurter Finanzplatzuhr 6052 tickt, verfügt dank der Modifikation des Basiskalibers Valjoux 7751 über einen 60-Minuten-Zähler anstelle des 30-Minuten-Zählers bei der Zwölf. Zum ersten Mal bei einer Uhr von Sinn kommt die Anzeige der Kalenderwoche zum Einsatz. Zusätzlich dazu sind auch der Monat und der Wochentag ablesbar.
Heute arbeiten circa 100 Mitarbeiter in den Gebäuden mit der schönen Adresse „Im Füldchen“, die schon bald nicht mehr genügend Platz bieten. Deshalb wird derzeit ein neues Firmengebäude in der Wilhelm-Fay-Straße 21 in Frankfurt-Sossenheim gebaut, der Umzug ist für April 2017 geplant. Neben Deutschland zählen Japan und die USA zu den wichtigsten Absatzmärkten der circa 14000 jährlich in Frankfurt produzierten Uhren. Der regelmäßige Austausch mit den Endkunden dank des Direktvertriebs ist seit Beginn ein wichtiger Erfolgsfaktor. Hier erhält die Marke Impulse für ihre Entwicklungen. Sämtliche Anfragen deckt Sinn über die derzeit 86 Depots (Sinn stattet den Händler mit Waren aus und gibt nur eine sehr geringe Marge) in Deutschland und Österreich, den eigenen Online-Shop und den Verkaufsraum direkt am Firmensitz.
Die Begeisterung für neue Technologien hat auch nach all den Jahren nicht nachgelassen und wie Lothar Schmidt im Vorwort seines Uhrenkatalogs schreibt, liegen die meisten Entwicklungen noch vor ihm. Eine Entwicklung, die nur indirekt seine Uhren betrifft, hat der Unternehmer bereits angestoßen: Das erste eigene Verkaufsgeschäft, das im Juni 2015 an Frankfurts wichtigstem Dreh- und Angelpunkt, dem Römerberg, als kleines Reich für Technik-Freunde eröffnet werden. ks