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Speake Marin: Der Preis der Unabhängigkeit

Peter Speake-Marin
© PR
Wer meint, ein unabhängiger Uhrmacher führe ein glamouröses Leben, sollte sich mit Peter Speake-Marin unterhalten, der vor elf Jahren seine eigene Marke gründete.
Peter Speake-Marin kauft seine Flugtickets en gros. Der in England geborene und jetzt in der Schweiz ansässige Uhrmacher bucht Tickets, die für jeweils 16 Flüge rund um die Welt gültig sind. Damit fliegt er überall hin, wo er Uhren verkaufen, ausstellen oder neue Geschäftsmöglichkeiten erkunden kann. Speake-Marin ist einer jener hochmotivierten und permanent unter Jetlag leidenden Uhrmacher, die ihre Produkte unter eigenem Namen fertigen und vertreiben. Sie lassen sich durch nichts abschrecken, angefangen von unzuverlässigen Zulieferern bis hin zu einer von Flugzeugessen geprägten Ernährung. Vor zehn Jahren ließ sich der Engländer auf dieses Abenteuer ein. In der Grafschaft Essex geboren, lernte Speake-Marin das Uhrmacherhandwerk am Hackney Technical College in London und an der Wostep (Watchmakers of Switzerland Training and Education Program) in Neuchâtel. Anschließend restaurierte er sieben Jahre lang Uhren für den Antiquitätenhändler George Somlo im Londoner Stadtteil Piccadilly, angefangen von antiken Breguet- und Graham-Taschenuhren bis hin zu Mickymaus-Armbanduhren aus den 1950er Jahren. Speake-Marin sagt, die Erfahrungen aus dieser Zeit bilden die Grundlage für alles, was er seitdem gemacht hat. Danach arbeitete er vier Jahre bei Renaud & Papi in Le Locle, wo er Minutenrepetitionen und Tourbillons fertigte. An den Uhren anderer zu arbeiten, reichte ihm irgendwann nicht mehr. Speake-Marin wollte sich beweisen, dass er seine eigenen Uhren entwerfen und fertigen konnte. So begann er, in seiner Freizeit an einer Taschenuhr mit Tourbillon zu arbeiten. Die Uhr zeichnete sich durch ein hohes, zylindrisches Gehäuse, einen Stundenzeiger mit herzförmiger Spitze und einen Tourbillonkäfig aus, der wie das Rad einer alten Finissiermaschine geformt war. Im Jahr 2000 stellte Speake-Marin seine erste eigene Uhr fertig. Er bezeichnete sie später als „Grundlagenuhr“, denn in ihr verwirklichte er alle Ideen, die auch seine späteren Uhren beeinflussten.
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Seine erste eigene Armbanduhr benannte Speake-Marin nach dem Londoner Stadtteil Piccadilly © PR
2001 hatte Speake-Marin eine folgenreiche Begegnung: Er lernte den Komplikationsspezialisten Philippe Dufour kennen. Auf dessen Drängen willigte er ein, 2002 auf der Basler Messe unter dem Dach der AHCI auszustellen, der Akademie selbstständiger, schöpferisch tätiger Uhrmacher, die schon vielen unabhängigen Meistern als Karrieresprungbrett diente. Ihm war jedoch klar, dass eine Taschenuhr nur wenige Messebesucher interessieren würde. Daher entwarf er für Basel eine Armbanduhr, die er in Anlehnung an seine Londoner Zeit „Piccadilly“ nannte. Dort wurde ihm klar, was es heißt, seine eigene Marke zu führen: „Wenn man seine erste Uhr präsentiert, spricht die Branche über dich. Von überall her kommen Fachhändler auf dich zu und sagen dir, dass sie von dir kaufen wollen. Aber spätestens nach zwei Jahren ist man auf dem Boden der Realität angekommen.“ Und Realität, das heißt in dem Fall: viel Trubel um die eigene Person und jede Menge versprochener Aufträge – die allerdings nie erteilt werden. Der Engländer jedoch blieb bei dem, was er sich vorgenommen hatte: Er fertigte kleine Serien hochwertiger Uhren, die er oftmals für einen bestimmten Markt oder spezielle Kunden entwarf. Diese Uhren tragen jene charakteristischen Merkmale seiner ursprünglichen Tourbillon-Taschenuhr. Hinzu kommen markante Bandanstöße und eine große, kannelierte Krone. Einige Zifferblätter sind mit römischen Ziffern auf weiß emailliertem Grund eher klassisch gehalten. Andere zeigen sich mit farbigen Mosaiken oder goldenen Drachen extravagant gestaltet. Wiederum andere Zifferblätter sind mit Vögeln und wilden Tieren verziert, die in der japanischen Lacktechnik Maki-e aufgetragen wurden. Speake-Marin fertigte auch große Komplikationen, einschließlich eines ewigen Kalenders und eines Tourbillons. Die Produktion blieb allerdings sehr gering und selbst jetzt, zehn Jahre nach der Markengründung, fertigt er nur rund 400 Uhren pro Jahr. Als Basiskaliber verwendete Speake-Marin das von Soprod modifizierte Eta-Kaliber 2824, das er selbst noch weiter bearbeitete und von Hand finissierte. Heute werden seine Uhren überwiegend von Technotime-Werken angetrieben. Speake-Marin machte die Erfahrung, dass die Uhrenfertigung nur ein Teil dessen ist, was zum Führen der eigenen Marke gehört. „Wenn man ein Unternehmen gründet, muss man alles selbst tun. Plötzlich lernt man alles Mögliche über den weltweiten Versand von Uhren“, erinnert er sich. „Man findet heraus, dass es unterschiedliche Bestimmungen gibt, je nachdem, ob es sich um eine Uhr aus Gold oder aus Stahl handelt, ob sie ein Metall- oder Lederarmband hat und ob es sich dabei um Kalbs- oder Krokodilleder handelt. Es ist ein sehr weites Feld. Um ein halbes Dutzend Uhren zu verkaufen, muss man Exportfachmann werden“. Zu seiner Berufsbeschreibung zählen zudem die Tätigkeiten eines Steuerberaters, Vertreters, PR-Fachmanns und Fotografen. Wenn Speake-Marin mit einem seiner rund 30 Zulieferer zu tun hat, wird er zum Vertriebs- und Einkaufsleiter. „Man muss Spezialist in allem und jedem werden“, sagt er. In den ersten fünf Jahren arbeitete Speake-Marin zusätzlich für andere Uhrenmarken. Er half Max Büsser, dem ehemaligen Leiter der Uhrenabteilung von Maîtres du Temps. Mit jedem neuen Auftrag wurde Speake-Marin bekannter und erhielt weitere Aufträge. „Eigentlich hätte ich all diese Dinge nicht tun sollen, denn sie lenkten mich von meiner eigenen Arbeit und meiner Marke ab, aber ich habe es genossen“, sagt er rückblickend. Schließlich hörte er auf, für andere Marken tätig zu sein. Der Zeitpunkt dieser Entscheidung im Jahr 2008 war jedoch wenig optimal: Nur ein paar Monate später ging Lehman Brothers in Konkurs, und die globale Finanzkrise begann. „Ich beschloss, nicht mehr für andere Firmen zu arbeiten, und genau dann begann die schlimmste Krise in der jüngeren Geschichte der Uhrenindustrie“.
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Der Gehäuseboden des Modells Spirit trägt die Aufschrift "Kämpfen, lieben & durchhalten". Das Motto half Speake-Marin durch die Wirtschaftskrise 2008/09 © PR
„Manche Leute glauben, dass es die Hälfte der heutigen Fachhändler in fünf oder zehn Jahren nicht mehr gibt.“ Die Finanzkrise führte zu Problemen, die weit über die normalen – wie etwa ein Einbruch bei den Aufträgen – hinausgingen. Die Zulieferbetriebe traf es besonders hart. Einige der Firmen, von denen Speake-Marin abhängig war, stellten die Arbeit ein oder meldeten Konkurs an. Andere schleppten sich irgendwie durch. „Die Arbeitsmoral in den Firmen sank auf einen Tiefpunkt. So konnte es vorkommen, dass Uhren, die wir gefertigt und getestet hatten, nach einem halben Jahr kaputt gingen. Teile, die gehärtet sein sollten, waren es eben nicht, und nach einer Weile gingen zum Beispiel die Zähne der Zahnräder kaputt“, erzählt er.
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2009 brachte Speake-Marin sein erstes eigenes Uhrwerk heraus, das Automatikkaliber SM2 © PR
Speake-Marin ließ sich trotzdem nicht unterkriegen, sondern stand mehr denn je hinter seiner Entscheidung, es alleine schaffen zu wollen. So brachte er 2009, mitten in der Rezession, sein erstes eigenes Uhrwerk heraus, das Kaliber SM2. Allerdings kostete ihn die Entwicklung dieses Automatikkalibers mit drei Tagen Gangautonomie viel Geld. Als die schlimmste Zeit der Rezession vorbei war, feierte er dies mit der Lancierung einer neuen Uhr namens Spirit. Sie war dem Prinzip gewidmet, sich durch nichts erschüttern zu lassen. Auf dem Gehäuseboden ist das Motto „Fight, love & persevere“ zu lesen, was so viel heißt wie „Kämpfen, lieben & durchhalten“. „Die Spirit ist mehr oder weniger das Ergebnis dieser Zeit“, sagt er. Laut Speake-Marin hat die Rezession seine Welt verändert, ebenso wie die aller anderen unabhängigen Uhrmacher. Vor der Finanzkrise kauften die Leute beinahe alles, was tickte. „Kleine Marken schossen überall wie Pilze aus dem Boden, und größere Marken konnten praktisch alles herstellen und verkaufen. Es war schon irgendwie verrückt“, erinnert er sich. „Dann platzte die Blase, und alles änderte sich.“ Wie er fortfährt, gäben heute selbst die enthusiastischsten Sammler ihr Geld nicht mehr so leichtfertig aus. Besonders vorsichtig seien sie bei kleineren Marken, bei denen keiner weiß, wie lange sie noch existieren werden.
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Der gebläute Rotor der Serpent Calendar hat die Form des Markenkennzeichens © PR
„Als ich zum ersten Mal in Basel ausstellte, fragten mich die Leute, was meine Uhr von anderen unterscheide oder woran ich gerade arbeite. Erst die neunte oder zehnte Frage war dann, was bei einer kleinen Marke wie Speake-Marin passiere, wenn die Uhr stehen bleibt. Inzwischen kommt das als erste oder zweite Frage. Ich finde, das ist ein starkes Stück. Aber die Leute haben Recht, es sollte wirklich die erste oder zweite Frage sein. Das ist interessant, denn es zeigt eine veränderte Denkweise, die nicht mehr in einer Märchenwelt verhaftet ist, sondern sich mit der Realität auseinandersetzt. Es wird immer noch eine beträchtliche Menge Geld ausgegeben, aber es geht immer weniger an die kleineren Marken, die es noch nicht so lange gibt“. Wie Speake-Marin meint, ist das Leben für unabhängige Uhrmacher auch deswegen schwieriger geworden, weil viele Zulieferer von großen Uhrenfirmen aufgekauft wurden und ihre Produkte nicht mehr an Externe verkaufen, schon gar nicht an kleinere Marken. Hinzu kommt die instabile Finanzlage einiger kleiner Zulieferer, wodurch unabhängige Uhrmacher permanent auf der Suche nach alternativen Quellen sein müssen. Auch die Situation im Fachhandel hat sich geändert. Da zahlreiche große Konzernmarken ihre eigenen Boutiquen eröffnen, hat der traditionelle Fachhändler mehr Platz für kleine Marken wie die von Speake-Marin. Langfristig jedoch wird sich die Zahl der traditionellen Fachhändler wohl verringern. „Manche Leute glauben, dass es die Hälfte der heutigen Fachhändler in fünf oder zehn Jahren nicht mehr gibt“, sagt er.
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Die bislang komplizierteste Speake-Marin-Uhr: der Renaissance Tourbillon Minute Repeater © PR
All dies macht es Neulingen enorm schwer. „So aggressiv, wie der Markt heutzutage ist, würde ich niemandem empfehlen, eine neue Marke zu lancieren“, sagt der Uhrmacher. „Auch geben viele Leute ihre Unabhängigkeit auf und arbeiten wieder in anderen Firmen, weil der Markt so extrem hart ist“. Für ihn, der bereits seit zehn Jahren im Geschäft ist, sieht es anders aus, wie er meint. Er befindet sich mittlerweile in der zweiten Phase seines Markenaufbaus und erweitert die Zahl seiner Mitarbeiter, damit er nicht mehr alles selbst tun muss, wie etwa den Überblick über seine weltweit rund 20 Konten zu behalten. „Wir befinden uns momentan an der Schwelle vom einzelnen Uhrmacher zur Marke und Firma“, erklärt er
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Das Modell Dong Son ist von gleichnamigen vietnamesischen Trommeln inspiriert © PR
Speake-Marin fertigt weiterhin sehr kleine Uhrenserien für spezielle Fachhändler. Hierzu zählt eine Serie aus 18 Exemplaren, die von sogenannten Dong-Son-Trommeln aus Bronze inspiriert wurde. Diese Trommeln stammen aus Vietnam, wo sie zwischen 1000 v. Chr. und 200 n. Chr. gefertigt wurden. Speake-Marin entwarf sie auf Anfrage eines vietnamesischen Fachhändlers. Im vergangenen Jahr lancierte Speake-Marin mit dem Renaissance Tourbillon Minute Repeater erneut eine Uhr, um etwas zu feiern. Dieses Mal ging es um ein neues Kapitel in der Entwicklung seines Unternehmens. Optisch weist das Modell die typischen Gestaltungsmerkmale der Marke auf. Das Werk wurde entsprechend Speake-Marins Spezifikationen von La Fabrique du Temps gefertigt, einem Hersteller hochwertiger Komplikationswerke. Jedes Exemplar der Renaissance ist ein Unikat, denn es wird mit einer einzigartigen Gravur dekoriert. Das Modell ist die bislang komplizierteste Uhr von Speake-Marin Langfristig will er seine Marke jedoch einem breiteren Publikum zugänglich machen. Er plant, seine Produktion auf etwa tausend Uhren pro Jahr zu erhöhen und nicht nur Uhrensammler anzusprechen. „Ich möchte an Leute verkaufen, die einfach nur eine schöne Uhr wollen“. Text: Norma Buchanan
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