Montblanc schärft sein Image: Dem eigenen Namen entsprechend, richtet sich die Marke stärker auf alpine Themen wie Bergsteigen, Eis und Gletscher aus. Die Neuheiten für 2022 passen dazu.
Herr Lecamp, Sie sind seit 2021 Uhrenchef von Montblanc und haben das vergangene Jahr an Ihrer ersten Uhrenkollektion für die Marke gearbeitet. Welchen Leitlinien sind Sie gefolgt?Mein Ziel war es, das Thema Sportuhren, in dem Montblanc seit Jahren stark ist, weiterzuentwickeln. Am Anfang der Überlegungen stand unser 1913 eingeführtes Markenlogo: die Bergspitze. Sie lässt an den Mont Blanc und seinen Gletscher Mer de Glace – zu Deutsch: Eismeer – denken. Ich war persönlich dort, habe mich umgesehen und mit Experten gesprochen, um mehr über das Thema Gletscher zu erfahren. Daraus erwuchs die Idee, ein Zifferblatt zu entwickeln, das wie ein Gletscher aussieht. Die erste Reaktion unseres Lieferanten war: Das geht nicht. Denn ein Zifferblatt ist nur 0,3 bis 0,4 Millimeter dünn. Ich sagte, dann bietet uns das doch die Chance, etwas Einzigartiges zu machen. Es dauerte ein paar Monate, und dann kam er mit etwas sehr Speziellem auf mich zu. Die 1858 Iced Sea hat jetzt dieses Zifferblatt, das an einen Gletscher erinnert und dabei eine besondere Tiefe ausstrahlt. Wir nutzen dafür ein altes, fast vergessenes Verfahren, das sich „gratté boisé“ nennt: Dies ist eine sehr alte Technik der Zifferblattmacher, bei der eine Platte aus Guttapercha (ein Gummi aus Naturlatex) verwendet wird wenn man heißes Wasser darüber gießt. Das Zifferblatt wird bündig auf die Platte gelegt und mit einer Schleifbürste mit 0,4 Millimeter dicken Borsten bearbeitet, um es nicht zu beschädigen. Diese Holzschlifftechnik ist eines der Geheimnisse für die außergewöhnliche Optik unserer Zifferblätter, aber nicht das einzige. Es sind 30 Arbeitsgänge nötig, um unsere Zifferblätter herzustellen! Die Iced Sea ist aber nicht nur wegen des Zifferblatts einzigartig. Das Metallband verfügt über drei wichtige Eigenschaften: Es läuft zur Schließe hin konisch zu, verjüngt Millimeter Breite, lässt sich vom Träger leicht wechseln und besitzt eine integrierte Verlängerung mit sieben Stufen, insgesamt sind das 9,65 Millimeter. Diese Kombination gibt es nicht oft. Dazu kommt die Keramiklünette.
Das Mer de Glace in den französischen Alpen ist vom Klimawandel bedroht. Ist das ein Anlass für Montblanc, sich verstärkt für Themen wie Nachhaltigkeit und Klimaschutz engagieren?Wir werden in nächster Zeit eine Partnerschaft eingehen, bei der es um den Schutz von Gletschern geht. Das ist ein langfristiges Projekt.In den letzten Jahren gab es bei Montblanc bereits Anklänge an Themen wie Bergsteigen und Entdeckertum. Wird sich die Marke künftig verstärkt im Rahmen dieser Thematik bewegen?Unsere Philosophie fokussiert sich auf Berge, Gletscher, den Mont Blanc. Dazu gehört auch unsere Zusammenarbeit mit Reinhold Messner. Er ist zweifellos einer der besten, wenn nicht der beste Bergsteiger der Welt, und unsere Zusammenarbeit mit ihm ist, wie alles, langfristig angelegt.Messner wurde 1978 weltweit bekannt, als er als erster Mensch den Mount Everest ohne Flaschensauerstoff bestieg. Sie bringen jetzt eine Uhr ohne Sauerstoff im Innern. Sie soll eine Expedition auf den Mount Everest begleiten.Ursprünglich fragten wir Reinhold Messner, ob so eine Tour für ihn noch einmal infrage kommen würde. Er selbst macht solche Extremtouren heute nicht mehr, uns einen außergewöhnlichen Bergsteiger empfohlen, Nimsdai Purja. Nimsdai wird im Mai auf den Everest steigen, ohne zusätzlichen Sauerstoff, aber mit unserer Geosphere Chronograph 0 Oxygen.
Was heißt „0 Oxygen“ genau? Befindet sich im Innern ein Vakuum?Nein. Es gab in der Vergangenheit vereinzelt Vakuumuhren, aber wir haben eine andere Lösung gewählt, mit einer Stickstoffatmosphäre. Unser Verzicht auf Sauerstoff dient der Langlebigkeit der Werkteile, die so keinerlei Korrosion ausgesetzt sind. Wir haben das getestet und dabei eine Situation auf über 8.000 Metern Höhe simuliert. Unsere Uhr wird die erste sein, die ohne Sauerstoff im Innern auf über 8.000 Metern Höhe funktioniert. Übrigens ist der Trip im Mai auch für Nimsdai ein Novum: Er hat die 14 Achttausender 2019 in nur sechs Monaten und sechs Tagen bestiegen – der bisherige Rekord dafür lag bei fast acht Jahren! Er ist einer der herausragendsten Bergsteiger unserer Zeit. Aber er ist nie ohne Sauerstoff gegangen. Im Mai macht er das zum ersten Mal – mit unserer Uhr.Was passiert, wenn die Geosphere 0 Oxygen zum Service muss?Dann wird sie zu uns geschickt. Wir haben in unserer Fertigungsstätte in Le Locle ein eigenes Atelier für den Zusammenbau dieser Uhren eingerichtet, dort findet auch der Service statt. Die Uhrmacher greifen von außen mit Handschuhen in eine Atmosphäre ohne Sauerstoff. In der befinden sich die Uhren, die anschließend auf ihre Sauerstofffreiheit getestet werden. Übrigens dringt auch beim Betätigen von Drückern oder Krone kein Sauerstoff ein, dafür sorgen spezielle Dichtungen.
In der Geosphere Chronograph 0 Oxygen tickt ein neues Werk: das Kaliber MB 29.27. Welches Basiskaliber verbirgt sich dahinter? Die Geosphere ist der einzige Zeitmesser der Welt, der auf zwei drehbaren Halbkugeln die Stunden der nördlichen und südlichen Hemisphäre anzeigt. Für die Geosphere-Modelle verwenden wir Basiskaliber von Sellita und statten sie mit dem von uns selbst entwickelten Weltzeitmechanismus aus. Auch der Chronographenmechanismus der Geosphere 0 Oxygen wurde von uns in Villeret entwickelt. Die dritte Neuheit nach der 1858 Iced Sea und der 1858 Geosphere Chronograph 0 Oxygen ist der 1858 Minerva Monopusher Chronograph Red Arrow. Hier gibt es kein zur Welt von Eis und Schnee. Hier geht es um den Teil unserer Geschichte, der Minerva betrifft. Minerva ist Montblanc und Montblanc ist Minerva. Bei den bisherigen Uhren finden Sie im Werk jede Menge Verweise auf die Minerva-Historie wie die V-förmige Chronographenbrücke, das Pfeilsymbol. Aber auf der Vorderseite fehlte mir bei manchen Uhren etwas. Bei der Red Arrow haben wir das in Form der Innenlünette mit der pfeilförmigen Markierung umgesetzt. Wenn Sie den geriffelten Lünettenring drehen, verschieben Sie den roten Pfeil und können damit zusätzlich Zeitabschnitte messen, mit Minuten-, Stunden- oder Sekundenzeiger. Und genauso lässt er sich als Countdownfunktion nutzen. Der Pfeil ist typisch für Minerva. Aber auch die geriffelte Lünette findet sich in unserer Historie: 1927 gab es eine Minerva-Uhr mit einer solchen Lünette in Kombination mit einer innen liegenden Countdown-Skala. Somit erinnert die Red Arrow heute sowohl an die Markenhistorie als auch an die 1920er und ’30er Jahre. buc