Das Guillochieren entwickelte sich aus dem "königlichen Handwerk" des Kunstdrechselns, das einst zur höfischen Ausbildung gehörte. Kein geringerer als Abraham-Louis Breguet brachte die aus einer Myriade von zarten Linien bestehenden, winzig kleinen Muster im 18. Jahrhundert auf das Zifferblatt. Das filigrane Dekor avancierte zu einer eigenen Kunstform, die, obgleich vor einigen Jahrzehnten noch dem Untergang geweiht, sich heute wieder großer Beliebtheit erfreut.
Wunderschöne Emaillemalerei, kunstfertige Einlegearbeiten, ausgesuchte Gravuren und filigrane Guillochierungen – von Beginn an haben die Uhrmacher höchste Sorgfalt auf die Dekoration und Finissage ihrer Zeitmesser verwendet, waren diese mechanischen Wunderwerke doch zugleich wertvolle Besitztümer. Selbst jene Teile, die dem Auge verborgen blieben, wurden sorgfältig bearbeitet und mit Schliffen, Polituren und Gravuren ästhetisch aufgewertet. Namhafte Schweizer Manufakturen wie Patek Philippe, Breguet, Audemars Piguet und Jaeger-LeCoultre beauftragten talentierte Kunsthandwerker mit der Verzierung ihrer Taschenuhren, die Königs- und Adelshäuser sowie betuchte Kunden aus der ganzen Welt in Auftrag gaben. Diese Preziosen brachten Genf im 19. Jahrhundert den Ruhm als Hauptstadt der seltenen Handwerkskünste ein, und die Eidgenossen waren stolz auf diese Exporte.
Die Wiedergeburt der seltenen Handwerkskünste
Im 20. Jahrhundert brach die Nachfrage nach diesen kostbaren Kleinoden jedoch ein. Bis zum Zweiten Weltkrieg wurden sie zwar noch hergestellt, doch die Stückzahlen sanken stetig. Moderne Maschinen und Produktionsmethoden sowie schlichtere Designs brachten das Aus für die kleinen Kunstwerke. In den Nachkriegsjahren war das spezialisierte Savoir-faire der Artisans – Emailleure, Guillocheure und Graveure – bereits vom Aussterben bedroht.
Es ist einigen wenigen Schweizer Manufakturen zu verdanken, dass diese traditionellen Techniken bewahrt wurden. Mit der Renaissance der Mechanik, die Mitte der 1980er-Jahre auf die Quarzkrise folgte, stieg die Nachfrage nach exquisiten, von Spezialisten ihres Métiers auf das Feinste verzierten Luxuszeitmesser wieder und bescherte den seltenen Handwerkskünsten eine neue Blütezeit. Die wohl bekannteste ist die Guillochierung von Uhrwerk- und Gehäuseteilen sowie Zifferblättern. Das überlieferte Verfahren, das keinen geringeren als Abraham-Louis Breguet 1786 berühmt machte und das bis heute ein Erkennungszeichen der Manufaktur ist, verleiht jedem Element eine Raffinesse, die Connaisseurs begeistert. Sie schätzen die mit einem hohen handwerklichen Aufwand einhergehende traditionelle Methode, bei der winzige kreis- oder linienförmige Muster in die Oberfläche eingeritzt werden. Der Vorgang ist heutzutage derselbe wie vor mehr als zweihundert Jahren – selbst die alten handbetriebenen Drehbänke kommen dabei zum Einsatz.
Mit sicherer Hand und hohem Fingerspitzengefühl bringt der Guillocheur mithilfe eines Gravierstichels das Muster auf die Metalloberfläche auf. Bei gleichzeitigem Drehen zweier Handkurbeln ritzt er vorsichtig das gewünschte Motiv ein, indem er mit sanftem Druck die Metallspäne im Zehntelmillimeter-Bereich abträgt. Der Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt, denn die Vielfalt der Muster ist ebenso beeindruckend wie die präzise Kunstfertigkeit des Artisans: Die traditionellsten sind das Clous de Paris- oder Hufnagelmuster, von der Mitte ausgehende Sonnenstrahlen, Flammen und Wellen sowie die markanten Korn- und Schachbrettmuster-Verzierungen.
Millimeterarbeit, Geduld, eine ruhige Hand und Adleraugen
Mit der Geradzugmaschine lassen sich geradlinige Verzierungen aufbringen, die sich wie das Clous de Paris in beliebigen Winkeln kreuzen, mit der Rundzugmaschine erzeugt der Guillocheur wellenförmige Ornamente. Indem er den Linien eine neue Form, einen anderen Abstand oder einen unterschiedlichen Überschneidungswinkel verleiht, hat er bei der Gestaltung schier unendliche Möglichkeiten. Dies ist dank der großen Anzahl an Musterrollen und Wellen möglich, die sich beliebig miteinander kombinieren lassen. Allen Mustern gemein sind die faszinierenden Reflektionen, die je nach Einfallswinkel des Lichts variieren. Denn bei aller Schönheit hatte diese Veredelung auch einen praktischen Zweck: Sie diente in früheren Zeiten, als elektrisches Licht noch ein Luxus war, auch zur Unterscheidung der Funktionen, zum Beispiel bei Kalenderuhren und Chronographen.
Auch wenn künstliche Lichtquellen heute jederzeit zur Verfügung stehen, hat sich an dem Handwerk nichts geändert. »Man braucht eine ruhige Hand, ein wenig Konzentration und letztlich jede Menge Erfahrung, um einem Zifferblatt beziehungsweise Werkstück ein gleichmäßiges Aussehen – selbst über eine große Fläche hinweg – zu verleihen«, sagt Jochen Benzinger. Er hat sich auf veredelte Uhrenunikate, Skelettuhren und andere traditionelle Handwerkskünste spezialisiert und kreiert unter dem eigenen Label Benzinger Uhrenunikate Einzelstücke und führt Auftragsarbeiten anderer Hersteller in seinem Pforzheimer Atelier aus.
Der Kunsthandwerker erklärt, dass beim Ansetzen des Stichels gerade so viel Druck aufgewendet werden müsse, dass das Muster eine gleichbleibend plastische Tiefe aufweist – nicht zu viel, nicht zu wenig. Daher empfehle es sich auch, ein Blatt von Anfang bis Ende fertig zu guillochieren, weil jedes Ab- und neues Ansetzen allein schon von der Schnitttiefe her sichtbar werde. "Eine Hand ist eben keine Maschine", erklärt Benzinger. "Aber gerade diese vermeintlichen Unebenheiten machen den Reiz eines handgeschnittenen Zifferblatts aus, sie bringen Leben und einen eigenen Glanz aufs Zifferblatt."
Einen solchen Glanz besitzt auch die neue Open Gear ReSec Kingfisher von Chronoswiss, ein auf 50 Exemplare limitierter Zeitmesser mit Regulator-Zifferblatt, dessen wellenförmige Guillochierung das schillernde Gefieder eines Eisvogels widerspiegelt. Die Schweizer Marke hat sich ebenfalls der Erhaltung der traditionellen Handwerkskünste verschrieben. Am Hauptsitz in Luzern unterhält Chronoswiss eigene Ateliers für das Guillochieren, Emaillieren und Skelettieren. Die intensiven Blau- und Orange-Töne der Open Gear ReSec Kingfisher entstehen aus der Kombination von handgefertigter Guilloche mit einer CVD-Beschichtung. Die trichterförmige Stundenanzeige, die retrograde Sekundenskala und die Brücken wurden ebenfalls mit CVD in den beiden Komplementärfarben beschichtet.
Der Chronoswiss-Designer Maik Panziera erklärt: "Bei der CVD-Beschichtung ist das Ergebnis metallischer als bei einer galvanischen Behandlung – und man hat außerdem mehr Farben zur Auswahl." Trotz der modernen Anmutung steht hinter dem filigranen Dekor mit seinen langen Wellenbögen eine handwerkliche Aufgabenstellung, die staunen lässt: Zwischen den einzelnen Linien liegen jeweils nur 0,275 Millimeter. sz