30 Jahre deutsche Einheit. Das Ereignis würdigt Sinn Spezialuhren mit einer Sonderedition. Denn für den deutschen Uhrenhersteller hat die Wiedervereinigung einen ganz besonderen Stellenwert. Wir erzählen die Erfolgsgeschichte zweier Unternehmen, die das Zusammenwachsen zwischen West und Ost aktiv leben. Bis heute. Sinn Spezialuhren zu Frankfurt am Main und die Sächsische Uhrentechnologie GmbH Glashütte.
Dipl.-Ing. Lothar Schmidt, Inhaber von Sinn Spezialuhren, liebäugelte schon immer mit einer Gehäusefabrik. Seine Ausbildung zum Maschinenbauer, die Tätigkeiten in den 1970er-Jahren und, dass es schließlich in deutschen Landen keine gängige Gehäuseproduktion gab, haben es ihm geradezu ins Pflichtenheft geschrieben.Als er Anfang der 1990er Jahre als Produktionsleiter der IWC auch für den produktionstechnischen Aufbau bei der neu gegründeten Lange Uhren GmbH verantwortlich zeichnete, habe er »Glashütter Luft geschnuppert« , wie er unumwunden zugibt: »Hier gab es bestens ausgebildete Leute – gar nicht verwöhnt und äußerst engagiert. Ich spürte, mit denen kann ich etwas unternehmen.« Dr.-Ing. Ronald Bolt, zu dieser Zeit Chefkonstrukteur in der Glashütter Uhrenbetrieb GmbH (GUB) und verantwortlich für Technologie und Qualitätssicherung, gehörte zu diesen Leuten.
Mit dem Mauerfall und der deutschen Einheit änderte sich für ihn alles, "und zwar nachhaltig", wie er betont. Die Ereignisse ermöglichten seine berufliche Emanzipation. Nachdem er beim ehemaligen Großproduzenten GUB und Lothar Schmidt bei der Lange Uhren GmbH technologische Aufbauarbeit geleistet hatte, konnten sich die beiden Ingenieure, die sich im überschaubaren Glashütter Uhrenbiotop schon längst über den Weg gelaufen waren, an die Verwirklichung ihrer eigenen Idee, die Gründung einer Gehäusemanufaktur in Glashütte, machen. Eine Gehäuseproduktion hatte hier keine Tradition, Wissen war nicht vorhanden, aber ein dringender Bedarf. Lothar Schmidt suchte nach einem geeigneten Lieferanten für die technisch anspruchsvollen und qualitativ hochwertigen Gehäuse der Sinn Spezialuhren GmbH, die er inzwischen (1994) übernommen hatte.
Ronald Boldt strebte nach Selbständigkeit und nach einem Geschäftspartner für seine Unternehmensambitionen. Die Chemie stimmte also, wie man sprichwörtlich so sagt. Die strapazierte Formel vom 'Besserwessi' und 'Jammerossi' hat zwischen den Beiden nie eine Rolle gespielt. Nicht zuletzt, weil sie zwei technisch tickende Menschen sind. Gegenseitiges Verständnis und Vertrauen waren so groß, dass ein Handschlag bei einem Treffen an der Autobahnraststätte den Beschluss besiegelte, eine eigene Gehäusefabrik zu gründen. Gesagt. Getan. Am 17. Dezember 1998 ist es soweit, für Ronald Boldt zugleich der Schritt in die Selbständigkeit und für beide eine mutige Entscheidung, ein Unternehmen aus dem Nichts, ohne den Background eines Konzerns oder die Unterstützung von Investoren aufzubauen.
"Nach der Flut 2002 mussten wir einfach weitermachen."
WAnfangs wollte ich mich gar nicht so viel einmischen", schildert Schmidt, "wollte nicht die sogenannte verlängerte Werkbank sein, sondern vielmehr zeigen, dass Sinn Spezialuhren als Partner dahintersteht, es ernst meint und für Aufträge sorgt." Aber dann kam das Jahrhunderthochwasser 2002 und damit die Zerstörung der gesamten Betriebseinrichtung.
Totalschaden. Die SUG hätte Insolvenz anmelden müssen. "Doch ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie die Menschen die Gehäuse aus dem Schlamm holten", erzählt Lothar Schmidt emotionsgeladen. "Das hat mich so unglaublich berührt, dass ich einfach weitermachen musste." Er sichert die Finanzierung für den Neuaufbau, übernimmt in diesem Zuge die Anteile eines ausscheidenden dritten Partners und stockt seine eigenen auf 74 Prozent auf. Die Gehäusefertigung für Sinn Spezialuhren macht bei der SUG etwa die Hälfte der Gesamtproduktion aus.
Wenn die Gehäuse in Frankfurt am Main ankommen, sind sie bereit für die Uhrwerkmontage. Das war nicht immer so. Beherrschte man anfangs »nur« Drehen und Fräsen, kamen schnell Oberflächenbearbeitung und Montage hinzu. Seit 2002 werden Komplettgehäuse ausgeliefert.
Ein Stück deutsche Geschichte
Lothar Schmidt und Ronald Boldt haben in Glashütte eine Gehäusemanufaktur gegründet und sie durch alle Stürme der Zeit geführt. Heute liefert die SUG Komplettgehäuse, die höchsten technischen Anforderungen entsprechen. Das Unternehmen bietet eine flexible Kleinserienfertigung, alles aus einer Hand – angefangen bei der Konstruktion, über die CNC-Teilefertigung, bis hin zu Finish und Montage. "Neben Erfahrung und Kreativität braucht es dazu auch Leidenschaft, die reichlich vorhanden ist", ist Ronald Boldt überzeugt. Die SUG kann auch schwierige Gehäusekonstruktionen zur Serienreife bringen. "Das macht uns so schnell keiner nach", sagt Boldt nicht ohne berechtigte Stolz auf diese Leistung."Kreativität und Leidenschaft sind reichlich vorhanden."
Der Prozess beginnt mit Konstruktionen im 3D-Format auf Basis von Kundenvorlagen. Nach Abstimmung und Freigabe werden Zeichnungen für die Einzelteile und die Werkzeuge, mit denen sie gefertigt werden sollen, erstellt. In der Produktion entstehen dann aus Materialstangen, Scheiben, Ronden oder Rohlingen durch Drehen und Fräsen diese Einzelteile. Die SUG verarbeitet neben klassischem Edelstahl ebenso Titan, Gold, Platin und Keramik, auch das derzeit angesagte Material Bronze und für Sinn Spezialuhren den besonderen U-Boot-Stahl, beherrscht zudem Beschichtungen und Härtungsprozesse. Im Finish gibt es keine Kompromisse beim Schleifen und Polieren der Gehäuseoberflächen. Für die Montage zu Komplettgehäusen werden Gläser, Dichtungen, Drücker und Kronen zugekauft. Inzwischen hat Boldts Sohn Daniel die Geschicke übernommen, der die Gehäusemanufaktur bereits seit ihrer Gründung aus verschiedenen Funktionen heraus kennt.
Wenn er in die Zukunft blickt, erzählt der heute 45-Jährige von der anstehenden Dreiviertel-Millionen-Investition eines CNC-Komplettbearbeitungszetrums, bei dem am Anfang das Material und am Ende das fertige Gehäuse steht. Und von eine Lasergraviermaschine als zweites Dienstleistungs-Standbein. "Wir haben dafür so viele Aufträge, dass wir gleich eine zweite Maschine zur automatisierten Fertigung angeschafft haben", lässt er im gleichen Atemzug wissen. Ansonsten könne er die Situation momentan nicht so recht einschätzen, sieht sich mit seinen Partnern aber auf einem guten Weg. Schließlich habe man schon so manchen Tiefschlag – das Hochwasser 2002, die Finanzkrise 2008 und die Uhrenkrise 2016 bewältigt. Dabei hat sich die SUG zu einem führenden Gehäusehersteller gemausert, der sich mit deutscher Ingenieurskunst und technologischem Know-how, Lösungskompetenz und Fertigungsqualität mit den Besten der Branche messen kann, abzulesen an namhaften Uhrenherstellern, die der SUG – natürlich unter Wahrung der Produktionsgeheimnisse – den Bau ihrer Gehäuse anvertrauen. Diese machen die anderen 50 Prozent der Produktionskapazität aus.