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Interview: Uhrendesigner Simon Husslein über virtuelle Uhren und ein NFT-Projekt

Beyer: Overgrowth
© PR
Uhrendesigner Simon Husslein hat schon Uhren für Marken wie Nomos, Braun und Ventura gestaltet. Ganz unterschiedliche Modelle, die aber eines gemein haben: man kann sie anfassen und am Handgelenk tragen. 2022 machte der gebürtige Würzburger eine neue Erfahrung: er gestaltete virtuelle Uhren für ein NFT-Projekt von Juwelier Beyer in Zürich.
© Simon Husslein
Juwelier Beyer in Zürich gilt mit 262 Jahren als ältester Juwelier der Welt. Was ihn nicht daran hindert, an anderer Stelle ganz jung zu sein. So hat das Haus im April 2022 die Time Warp Collection herausgebracht: eine Serie von 30 virtuellen NFT-Uhren, gestaltet von vier Kreateuren, die aus unterschiedlichsten Richtungen kommen. Beyer ist damit das erste Juwelierhaus, das NFT-Uhren anbietet. Normalerweise werden NFT-Objekte mit Kryptowährungen gekauft und verkauft. Da Beyer sein Angebot aber allen Interessierten und nicht nur Nerds zur Verfügung stellen wollte, konnte man die Uhren außer mit Ethereum auch per Kreditkarte erwerben. „Gemintet“, also auf den Markt gebracht, wurden die ersten 100 Uhren zunächst in einem ersten „Drop“, dem sogenannten „Genesis Drop“, für 450 US-Dollar. Dafür erhielt der Käufer eine „Mystery-Watchbox“, die eines der 30 Modelle enthielt – ohne dass der Käufer im Vorfeld wissen konnte, welches. Trotz oder gerade wegen des Überraschungsei-Effekts waren diese ersten 100 nach wenigen Minuten ausverkauft. Seit dem 29. Juni findet der zweite Drop statt, bestehend aus 382 NFTs, die für je 950 Dollar erhältlich sind.Einer der vier Kreateure der Beyer’schen Kryptouhren (wir zeigen auch Bilder von Objekten der drei anderen) ist der aus Deutschland stammende und in der Schweiz lebende Designer Simon Husslein, der bereits für Marken wie Nomos, Braun und Ventura sowie für seine eigene Marke Bolido Uhren gestaltet hat. Wir sprachen mit ihm über das Projekt, seine Kreationen und die Rolle, die NFT-Sammlerstücke künftig spielen könnten.
Continuum Husslein zeichnete die Continuum mit der VR- Brille. Sie besteht aus einem einzigen fort- laufenden Faden © Beyer
Continuum Husslein zeichnete die Continuum mit der VR- Brille. Sie besteht aus einem einzigen fort- laufenden Faden © Beyer
Simon, auch im Uhrenzirkus kommt das Thema NFT immer mehr in Fahrt. Du bist einer von vier Kreativen, die für Juwelier Beyer eine Kollektion von NFT-Uhren gestaltet haben. Wie bist du an das Thema herangegangen?Die erste Idee, die mir kam, war, eine Uhr zu machen, die jeder kennt, aber die zu besitzen eigentlich unmöglich ist. Mir fiel die Uhr aus dem Film „Pulp Fiction“ ein.Bruce Willis erhält sie als Kind von einem Soldaten, einem Kameraden seines gefallenen Vaters, der sie jahrelang in seinem Körper für ihn aufgehoben hat. Eine Kultszene.Es gibt Millionen Fans dieses Films, aber das konkrete Prop aus dem Film gibt es nur einmal. Daher fand ich die Idee interessant, diese Uhr als NFT zu generieren. Ich habe eine digitale Version entwickelt, die optisch derjenigen im Film gleicht, nur die Krone habe ich verändert: Sie ist versenkt. Allerdings haben wir uns später entschieden, diese Uhr nicht zu minten, also als Teil der Kollektion herauszubringen, da wir der Meinung waren, dass die Szene in gewisser Hinsicht den Krieg glorifiziert.
Hanoi - Simon Hussleins Hommage an die berühmte Uhr aus Pulp Fiction © Beyer
Eine andere NFT-Uhr von dir heißt „Continuum“. Sie besteht aus einem einzigen Faden, der Gehäuse und Band, Zifferblatt und Zeiger darstellt und immer weitergesponnen wird. Könnte man so eine Uhr auch in echt bauen?Im Prinzip schon. Man könnte das in 3D ausdrucken, dann hätte man so eine Art spinnwebenartiges Objekt. Aber diese Uhr besitzt ja gar kein Uhrwerk! Es gibt NFT-Uhren, die könnte man real bauen und andere nicht. Das ist das Spannende an diesem Projekt: Man sieht den Übergangsprozess vom Physischen hin zum Digitalen. Ich habe mich gefragt, was man als Uhr nicht machen kann. Eine dreidimensionale Uhr wie einen Kokon aufzubauen, aus einem einzigen, fortlaufenden Faden, das ist eigentlich nicht möglich. Nun gibt es die Uhr. Mich fasziniert der konzeptionelle Ansatz.Mit was für einem Programm hast du die Uhr gestaltet?Die Continuum habe ich mit einer VR-Brille direkt im virtuellen Raum gezeichnet. Der Prozess ist ähnlich wie am Bildschirm mit Maus und Tastatur, aber direkter, da man mit dem Controller in der Brille um das Objekt herumlaufen kann. Man kann sich das vorstellen wie die Arbeit an einer großen Skulptur aus Holz oder Stein. Die Software, die ich verwendet habe, heißt Gravity Sketch und wird hauptsächlich von Auto- und Produktdesignern verwendet.
Overgrowth - Ist eine herauswachsende Pflanze nicht spannender als ein Zifferblatt? © PR
Die NFT-Uhren sind also keine 2D-Bilder, sondern 3D-Objekte?Ja, die Uhren wurden alle als Volumen entworfen und gebaut. Allerdings ist die aktuelle Technik, NFTs zu publizieren, noch ziemlich eingeschränkt. Zum Beispiel können die Wallets, in denen man seine NFTs speichert, noch keine 3D-Dateien aufnehmen, nur Bilder oder Filme. Deshalb wurden im Fall von Beyer die Uhren als rotierende Animationen gezeigt. Man sieht quasi einen Film des Objekts, ein Rendering, das sich einmal um die eigene Achse dreht, 360 Grad. So wird die Uhr visuell eindeutig beschrieben.
Singularity - Affen- oder Schlangenkopf? Auf jeden Fall mit projizierter Digitalanzeige © Beyer
Hast du auch die anderen Designer kennengelernt, die an dem Projekt TimeWarp beteiligt waren?Ja, aber witzigerweise erst gegen Ende des Projektes. Mir wurde erst mit der Zeit klar, was für ein Potenzial in der Geschichte steckt. Die Arbeit für Beyer ist eine Art Pionierarbeit, die dieses Thema im Uhrenbereich erstmals austestet. Spannend wird, wie sich digitale Uhren (nicht zu verwechseln mit Digitaluhren) mit der Zeit entwickeln werden. Wenn man die Historie der gebauten Uhren ansieht, dann waren die Ursprünge bei Weitem nicht das, was man heute darunter versteht. Wenn noch mehr Menschen an dem Thema dran sind, wird hier eine eigene Welt entstehen, mit eigenen Technologien, neuen Archetypen und Kultobjekten.Beyer hat im April mit einem ersten „Drop“, dem sogenannten „Genesis Drop“ begonnen, eure NFT-Uhren zu verkaufen. Der erste Schwung war nach einigen Minuten ausverkauft, der zweite „Drop“ folgte im Juni. Hast du selbst deine Kreationen auch in irgendeiner Form erhalten?Von den Uhren, die ich für Juwelier Beyer gestaltet habe, habe ich jeweils ein NFT aus dem „Genesis Drop“ bekommen. Diese habe ich in meine Wallet auf einer Plattform namens Metamask (metamask.io) geladen. Als Creator könnte ich noch unzählige weitere NFT-Objekte machen. Aber die Uhren aus der Beyer-Kollektion sind etwas Besonderes, weil sie Teil der offiziellen Kollektion sind.
Allevio - Florian Beck lässt Zeiger und Werkteile vor dem Gehäuse schweben © Beyer
Noch ist NFT ein Thema für Nerds. Wie kann man einem Old-Schooler erklären, was daran so spannend sein soll?NFTs sind Teil einer umfangreichen Veränderung, bei der ein Teil unserer Identität aus dem physischen in den digitalen Raum migriert. So, wie man jetzt Menschen auf der Straße sieht, von denen der eine coole Sneakers, der andere eine besondere Uhr und die dritte einen Pelzmantel trägt: Dinge, durch die diese Menschen sich voneinander unterscheiden und die etwas über ihre Persönlichkeit ausdrücken. Solche Aussagen über unsere Identität werden wir zunehmend auch im digitalen Bereich tätigen. Es gibt schon jetzt Frühformen davon: Wenn ich etwa den Instagram-Account von jemandem besuche, sehe ich dort, was ihm wichtig ist. Ob er sich für Fahrräder interessiert oder gern in der Toskana Urlaub macht. Diese Art von Kommunikation wird die NFT-Welt künftig noch umfangreicher und detaillierter darstellen. Wer NFTs besitzt, sagt damit etwas über sich aus. Für jemanden, der sich nicht im digitale Raum aufhält, scheint das nicht viel Sinn zu machen. Aber die Netz-Generation baut sich bereits jetzt eine digitale Identität auf. Sie spielt VR-Chat mit personalisierten Avataren oder stellt digitale Assets auf Social Media zur Schau. Diese Welt wird sich von unten verändern, es werden immer mehr Menschen beginnen mitzumachen und sich NFTs zu kaufen – nicht nur die Jungen.
Koi - Ricardo Diaz denkt die virtuelle Uhr als eckigen Karpfen © Beyer
Du meinst, man läuft dann mit seinen neuen coolen Sneakers nicht mehr über die Straße, sondern zeigt sie im Metaverse an seinem Avatar?Die Möglichkeiten, digitale Assets zu integrieren, werden nahezu unbegrenzt sein. Ob man ein Objekt mit auf ein virtuelles Konzert nimmt oder es in seinem digitalen Zuhause aufstellt: die Begehrlichkeit von Rechten an etwas, das eine tolle Kreation oder eine angesagte Marke repräsentiert, wird natürlich auch im Digitalen funktioniert. Es geht nicht darum, ob eine virtuelle Rolex eine physische ersetzen kann. Wenn ich ein digitales Gucci-Asset als einer von nur 100 Menschen – oder sogar als einziger weltweit – besitze, dann ist das etwas Spezielles. Es wird einen sehr großen Shift ins Digitale geben, davon bin ich überzeugt. Das Metaversum befindet sich im Moment noch in einem sehr frühen Stadium. Auch weil sich erst sehr wenige Menschen im dreidimensionalen digitalen Raum aufhalten. Aber es wird nicht mehr lange dauern, bis wir in der Brille arbeiten, lernen, Freunde treffen und das alles völlig normal finden. Diese Erfahrungen werden uns völlig neu prägen und Ideen inspirieren, von denen wir uns heute noch gar keine Vorstellungen machen können. buc

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