Die Contrôle Officiel Suisse des Chronomètres ist eine Schweizer Institution, und ihre Verwaltung residiert unter eindrucksvoller Adresse: mitten im Zentrum von La-Chaux-de-Fonds, im Herzen der eidgenössischen Uhrenindustrie. Der stattliche Sandsteinbau scheint einer Behörde, die nach internationaler Norm besonders exakt laufende Uhrwerke offiziell zu Chronometern adelt, gerade angemessen. Allerdings belegt die COSC nur eine kleine Fläche im Erdgeschoss, genug für ihre tatsächlich nur zwei Mitarbeiter.
Dass der Direktor Andreas Wyss und seine Assistentin die einzigen Angestellten sind und die COSC gar keine Behörde ist, sondern eine Art Verein, gehört zu einer ganzen Reihe organisatorischer Absonderlichkeiten und erklärt sich aus der Geschichte der Prüfstelle: Gegründet wurde sie 1973 zur Stärkung der Schweizer Uhrenindustrie, die bereits unter der Konkurrenz preiswerter fernöstlicher Produkte litt. Die „Uhrmacherkantone“ Bern, Genf, Neuchâtel, Solothurn und Waadtland (Vaud) sowie der Verband der Schweizerischen Uhrenindustrie FH wollten gemeinsam den prestigeträchtigen Titel „Chronometer“ verwalten und verleihen.
Die COSC ist eine gemeinnützige, nicht gewinnorientierte Organisation, wird aber nicht bezuschusst und muss sich deshalb komplett aus ihren Einnahmen finanzieren – den Gebühren, die die Hersteller für die Prüfung der eingelieferten Werke entrichten. Gelenkt wird sie von einer Generalversammlung, der Vertreter der Kantone, der Uhrenhersteller und ihres Verbands angehören.
Damit hat sie gleich zwei wesentliche Funktionen:
- Erstens prüft sie als Instrument der freiwilligen Selbstkontrolle die ihr vorgelegten Werke streng neutral nach wissenschaftlichen Kriterien.
- Und zweitens hat sie eine politische Aufgabe, da sie für Schweizer Chronometer wirbt und dafür seit diesem Sommer nur noch Werke zertifiziert, die von einheimischen Marken eingeschalt werden.
Strenge Prüfungen
Der Ablauf der Prüfungen ist technisch wie juristisch exakt festgelegt. Dazu gehört auch, dass für den Transport der Werke zur COSC und zurück allein die Kunden zuständig sind. Der letzte Unfall im Haus, bei dem gleich mehrere Hundert Werke zu Boden stürzten, liegt Jahre zurück.
Die Werke sind in glasklaren Kunststoffkapseln einzuliefern, die während der Tests niemals geöffnet werden dürfen, und müssen genormte Kunststoffkronen tragen. Sie zeigen eine eingravierte Nummer und ein weißes Zifferblatt mit zwei Markierungen, jedoch ohne Namenszug – wobei sich an die letztere Maßgabe nicht alle Marken halten.
Beim Eintreffen im Prüflabor erhält jedes Werk einen maschinenlesbaren Aufkleber, an dem es zweifelsfrei zu erkennen ist, und wird ein erstes Mal nach den Vorgaben des Herstellers maschinell aufgezogen. So erhalten nicht nur Handaufzugs-, sondern auch Automatikwerke täglich neue Energie, denn für die Tests muss deren Rotor demontiert sein.
15 Tage lang werden die Chronometer-Aspiranten in fünf Lagen und bei drei verschiedenen Temperaturen auf ihre Genauigkeit getestet. Zu mehreren auf kleine Tabletts geklemmt, verbringen sie jeweils zwei Tage in drei hängenden Lagen („6“ oben, „3“ oben und „9“ oben) bei einer Zimmertemperatur von 23 Grad Celsius.
Es folgen zwei Tage, in denen das Zifferblatt unten liegt, und gleich fünf mit oben liegendem Gesicht. In diese Zeit fällt ein Tag, an dem Zusatzmechanismen wie Chronographen eingeschaltet sind, sowie jeweils 24 Stunden in speziellen Klimakammern mit acht beziehungsweise 38 Grad Celsius.
Die Kühl- und Wärmekammern besitzen mäßig temperierte Vorzimmer, in denen die Werke zwischengelagert werden, um Kondenswasser und einen Temperaturschock zu vermeiden. Abschließend verbringt der Prüfling noch einmal zwei Tage bei 23 Grad mit der Neun oben. Täglich wird die Zeitanzeige jedes Werks genau gemessen. Dazu verwendet die COSC industrielle Seriensichtsysteme, die die Position des Sekundenzeigers vor dem weißen Zifferblatt anhand der erwähnten zwei Markierungen exakt und irrtumsfrei ermitteln.
Als Referenzzeit dienen in allen Büros zwei selbst gebaute Atomuhren. Computer erfassen die Ergebnisse und werten aus, ob die Werke die Anforderungen der sieben Prüfkriterien der ISO 3159 erfüllen, in der die Voraussetzungen für die Bezeichnung „Chronometer“ international festgelegt sind:
Das Zertifikat
Nahezu 95 Prozent der eingelieferten Werke bestehen die Prüfungen; die Rücklaufquote ist, vor allem bei den langjährigen Kunden, minimal. Neue Einlieferer bekommen in den COSC-Büros durchaus Rat, wie sich bessere Ergebnisse erzielen lassen.
Wenn sich allerdings ein Uhrenbesitzer nach den Prüfungsdaten seines Chronometers erkundigen möchte, führt der Weg immer über den Hersteller – Endkunden erhalten keine Auskunft. Dasselbe gilt für den Wunsch, eine ältere Armbanduhr, etwa nach einer Revision, erneut auf ihre Genauigkeit testen zu lassen. Auch diese Stücke müssen von ihren Produzenten eingeliefert werden.
Größter Kunde ist seit Jahren Rolex; 2009 machten die vom Unternehmen eingelieferten 607.512 Werke knapp die Hälfte der von der COSC getesteten Stücke aus. Auf den weiteren Plätzen folgten Omega mit 187.558, Breitling mit 108.220 (davon knapp 40.000 im Genfer Büro getestete Quarzwerke) und TAG Heuer mit 70.195 Werken. Natürlich spiegeln sich die Produktionsrückgänge in der Luxusgüterindustrie seit dem Krisenherbst 2008 auch in den Zahlen der COSC wider. 2009 sank die Anzahl der eingelieferten Werke um 27 Prozent gegenüber dem Vorjahr und hat trotz der schnellen Genesung der Branche noch nicht wieder den alten Stand erreicht.
Die COSC aber rüstet sich bereits für eine erfolgreiche Zukunft: In Le Locle entsteht zurzeit ein neues Labor. Während bislang das pünktliche Wenden der Tabletts in die richtige Lage sowie ihr Transport zum Aufzugsgerät und in die Klimakammer von Hand und auf kleinen Rollwagen erfolgen, sollen im Neubau viele Arbeitsschritte automatisch ablaufen. Noch präziser und kontrollierter eben – wie es sich für eine Schweizer Institution gehört. jl