Nach über 175 Jahren Uhrmacherei in Glashütte ist die Herkunftsbezeichnung Glashütte in eine gesetzliche Verordnung gegossen worden. Nachdem einst Nomos vermeintlich zu Unrecht den Namenszusatz verwendet hatte, setzte sich das Unternehmen besonders engagiert für dessen Schutz ein. Wir zeigen, wie der umtriebige Uhrenhersteller – heute als moderne Manufaktur – das "Made in Glashütte" hütet und mit jedem Tag neu lebt.
Vor ziemlich genau einem Jahr hat die neue Glashütte-Verordnung den Bundesrat passiert. Nomos Glashütte betrachtete diesen Augenblick als einen "Ritterschlag für die Uhrenstadt im Erzgebirge". Die weltweit bekannten Zeitmesser aus Glashütte genießen seitdem – wie jene großer Schweizer Marken – einen vergleichbaren gesetzlichen Schutz. Doch während "Swiss Made" für die gesamte Schweiz gilt, gilt "Glashütte" nur für einen sehr eng begrenzten geografischen Raum.Die Anforderungen sind strenger und detaillierter und gehen über ein "Made in Germany" hinaus. Nach Solingen ist Glashütte der einzige Ort in Deutschland, der mit einer Herkunftsbezeichnung verknüpft ist. Verbraucher können sich darauf verlassen, dass Uhren, auf denen "Glashütte" steht, tatsächlich unter allen qualitätsrelevanten Bedingungen in dem Traditionsort hergestellt sind. Denn jeder, der mit diesem Namen wirbt, hat sich strikt an die Vorgaben der Verordnung zu halten.
Die Verordnung sagt, dass folgende Herstellungsschritte komplett in Glashütte ausgeführt sein müssen: Die Montage und das Ingangsetzen des Uhrwerks, die Reglage, die Montage des Zifferblattes, das Setzen der Zeiger und das Einschalen des Uhrwerks ins Gehäuse. Darüber hinaus ist festgelegt, dass »in den wesentlichen Herstellungsstufen zusammen mehr als 50 Prozent der Wertschöpfung im Herkunftsgebiet« erzielt werden müssen. Neben den bereits erwähnten Schritten gehören dazu auch die Fertigung, Veredlung und Montage von einzelnen Teilen und die Schlusskontrolle des Uhrwerks sowie die Chronometer-Zertifizierung, soweit diese in Glashütte erfolgt.
50 Prozent Wertschöpfung in Glashütte, doch Nomos will mehr
"Wir streben nicht die Vorgabe von 50 Prozent der Wertschöpfung im Herkunftsgebiet an, sondern schauen täglich, was über 95 Prozent hinaus noch möglich ist", sagt Mirco Heyne, der seit mehr als zehn Jahren die Abteilung Forschung und Entwicklung bei Nomos Glashütte leitet. Dabei heißt "Made in Glashütte" für Nomos, traditionelles Handwerk mit moderner Technologie zu verbinden, im Sinne Glashütter Tradition weiter nach Optimierungen und Neuerungen zu streben, die dem Ziel der Qualität und Präzision dienen.
Wie muss man sich das vorstellen? Beispiel Platine. Sie ist die Basis eines jeden Uhrwerks und legt den Grundstein für die Präzision des künftigen Zeitmessers. Zahlreiche Bearbeitungsschritte wie Bohren, Senken, Fräsen, über jede Menge Ebenen, Höhen und Tiefen sind erforderlich. Da wird aber nicht einfach los gefräst, sondern zunächst akribisch bemessen – jeder Startpunkt, jede Bahn. Drehzahl und Vorschube sind aufeinander abgestimmt, die Reihenfolge der einzelnen Arbeitsschritte mit viel Erfahrung genau definiert. Genauigkeit auf wenige Mikrometer ist erforderlich – übrigens einst wie heute, aber die Verfahren haben sich geändert.
Was früher aufwändig mit Klammerdrehbank und einer Vielzahl von Arbeitsschritten erledigt wurde, übernimmt heute eine moderne CNC-Fräsmaschine. Bei dieser können zahlreiche Werkzeuge automatisch eingewechselt werden, und sie sorgen für eine kontinuierlich hohe Qualität und Effizienz. Zudem sind Spezialwerkzeuge für besondere Konturen verfügbar, um Durchmesser, Höhen und Tiefen über eine gesamte Serie stabil zu halten. Die moderne Technik ermöglicht eine hohe Wiederholungsgenauigkeit der Teile, sodass keine Anpassungsarbeiten mehr notwendig sind. Das bedeutet: Die Teile bleiben immer austauschbar, was einer effizienten Arbeitsweise, später einer hohen Gangstabilität und nach Jahren obendrein einem guten Service an der Uhr dient.
Alles wird auf den Mikrometer genau kontrolliert. Dazu kommen moderne optische Verfahren, aber auch konventionelle Methoden zum Einsatz. Die optische Messung mit einer programmierbaren Video-Messmaschine ermöglicht eine sehr schnelle und zuverlässige Prüfung der entscheidenden Koordinaten. Sehr viele Teile können produktionsbegleitend automatisiert vermessen werden. Damit wird die Qualität in hohem Maße sichergestellt. Doch die Maschine macht nur das, was versierte Programmierer zuvor berechnet haben. Und nicht zu vergessen: die Werkzeugmacher. Ein eigener Werkzeugbau bedeutet Knowhow, macht unabhängig, flexibel und schnell. "Eine Wissenschaft für sich", bestätigt Mirco Heyne: "Unsere Qualität ist nur deshalb so gut, weil unsere Spezialisten hinter den Maschinen perfekte Arbeit leisten."
Moderne Produktion triff traditionelles Handwerk
Gegenüber der modernen Wissenschaft ist der Sonnenschliff eine große Glashütter Tradition. Und bei Nomos wird er auch ganz in diesem Sinne ausgeführt. Sonnenschliffe gibt es viele, realisiert mit verschiedenen Werkzeugen, Schleifpapieren, Fräsen oder Stahlbürsten. "Aber die Strahlkraft des Glashütter Sonnenschliffs erreicht man nur mit ganz viel Gefühl", behauptet Mirco Heyne: "Man muss das Material spüren. Darüber hinaus braucht es einen Schleifstift und entsprechende Schleifpaste, aber nicht irgendeine..." Jedoch welche, darüber hüllt Nomos den Mantel des Schweigens. Denn für das perfekte Schliffbild wurden hunderte Versuche gefahren, die Rezeptur der Schleifpaste unzählige Male angepasst. Und für das "Strahlen der Sonne" braucht man zudem sehr erfahrene Mitarbeiter – genauso wie für das Polieren des Unruhreifs. Auf die richtige Mischung von Granulat, Poliermittel und der nötigen Flüssigkeiten kommt es an. Etwas kürzer oder länger poliert, wirkt sich auf die Optik aus, verändert aber auch das Trägheitsmoment der Unruh stark. Deshalb müssen Rezepturen und Prozesse streng eingehalten werden.
Auch damit die Unruh in jeder Lage im richtigen Takt schwingt, braucht es zahlreiche Handgriffe. Zum statischen Auswuchten bedient sich Nomos heute moderner Technik. Die Unruh wird durch einen Luftstrom gleichmäßig angetrieben. Ein Sensor und ein Laser lokalisieren Lage und Größe einer eventuellen Unwucht. Das Gerät merkt sich die Stelle und fräst entsprechend mehr oder weniger Material ab. Die Technik ist heute wesentlich komplexer als einst die Unruhwaage, aber auch schneller und präziser. Nur wenigen Fachleuten ist es gegeben, Unruh und Spirale zum richtigen Lauf zusammenzubringen. Viele Wochen und Monate Übung sind notwendig, um diese Arbeiten ausführen zu können. Zu Trainingszwecken haben die Nomos-Ingenieure eine Software entwickelt, die das Auge zum Erkennen der Fehler schult. Wenn später Unruh und Spirale mit der Unruhbrücke vereint sind, nimmt mit dem im eigenen Haus entwickelten Swing-System das Herzstück einer jeden Nomos-Uhr seine Arbeit auf. Dieses Ingangsetzen des Uhrwerkes ist ein Schritt, der laut neuer Verordnung zwingend in Glashütte durchzuführen ist. Und damit schließt sich der Kreis.
Nomos Glashütte hat seit den 1990er-Jahren eine grandiose Entwicklung hingelegt und übererfüllt die Bedingungen der Verordnung seit Jahren schon längst. Das Unternehmen fertigt inzwischen 13 Uhrwerke in eigener Manufaktur – mit einer Fertigungstiefe von bis zu 95 Prozent. Unter den derzeit neun Uhrenherstellern des Ortes stellt Nomos zudem mit Abstand die meisten Zeitmesser mit der Herkunftsbezeichnung "Glashütte" her. MaRiDieser Artikel erschien zuerst im Uhren-Magazin 02.2023. Die aktuelle Ausgabe finden Sie hier:)