In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war der Siegeszug der Eisenbahn nicht mehr aufzuhalten. In rasantem Tempo eroberten die modernen Dampfloks, die die Pferdewagen ersetzten, ein Gebiet nach dem anderen. Mit dieser Entwicklung ging auch ein sprunghaft steigender Bedarf an präzisen Uhren einher.
Gab es 1830 gerade einmal 34 Kilometer Eisenbahnschienen in den USA, waren es 1889 schon 150.000 Kilometer. Eine ähnlich rasante Entwicklung vollzog sich auch in der Schweiz und Europa. Mitte des 19. Jahrhunderts begannen die damals privaten Eisenbahngesellschaften, sich aufeinander abzustimmen. Doch die Vereinheitlichung der Fahrpläne war problematisch, da es bis dato weder in den USA noch in Europa eine Standartzeit gab. Vor der Internationalen Meridiankonferenz, die 1884 in Washington D.C. stattfand und bei der unter der Federführung des Kanadiers Sandford Fleming ein global verbindliches Zeitsystem beschlossen wurde, hatte jede Ortschaft ihre eigene Zeit, die sich nach dem Stand der Sonne richtete.
Am Bodensee gab es zum Beispiel fünf verschiedene Lokalzeiten und in den Vereinigten Staaten über 100. Die Folge waren teilweise verheerende Unfälle auf den meist noch eingleisigen Strecken, wie 1891 in Cleveland, Ohio, als zwei voll mit Passagieren besetzte Züge ineinanderfuhren und es viele Tote zu beklagen gab. Die Untersuchungen zeigten, dass einer der beiden Lokomotivführer zu früh von der Ausweichstelle auf die Strecke einfuhr, weil seine billige Uhr die Zeit falsch angezeigt hatte. Dies führte dazu, dass sich die wichtigsten US-Bahngesellschaften auf den »General Railroad Timepiece Standard« einigten, welcher höhere Qualitätsnormen für Uhren im Eisenbahngebrauch und ihre Werke vorschrieb. In der Schweiz und in Europa waren die Auflagen nicht so streng und bezogen sich lediglich auf gut lesbare Zifferblätter. Deswegen sind historische Eisenbahnuhren amerikanischer Herkunft in Sammlerkreisen heute begehrter als ihre Schweizer Pendants. sz