Beat Haldimann baut vor allem Uhren mit Zentraltourbillon. Ein Modell verzichtet sogar ganz auf Zeiger und Zeitanzeige. Gerade wurde er für sein Schaffen mit dem renommierten Gaïa-Preis ausgezeichnet.
Uhrmacherisches Talent beschränkt sich in der Schweiz keineswegs auf den Jurabogen und Genf: Es kann überall auftauchen. Dies bezeugt insbesondere der 1964 in Oberdiessbach im Emmental geborene Beat Haldimann.
Das Emmental ist zwar weltweit bekannt, allerdings nicht für seine Uhren, sondern für seinen Hartkäse, der durch besonders große Löcher gekennzeichnet ist. Entfernt erinnert daran das große Loch im Zentrum der H1, Haldimanns erster Armbanduhr mit Tourbillon.
UHRMACHERGENE
Eine direkte genetische Prädisposition für die Mikromechanik lässt sich bei Beat Haldimann nicht nachweisen. Zur Zeit seiner Geburt war sein Vater Postbeamter, seine Mutter arbeitete als Psychiatrieschwester. Haldimanns direkte Vorfahren waren fast ausschließlich Beamte und Landwirte. Noch im Jahr von Beats Geburt zogen die Haldimanns nach Uetendorf bei Thun. Dort war eine Posthalterstelle frei geworden, mit einem geräumigen Haus für die bald siebenköpfige Familie. So wuchs Haldimann unter der Obhut von drei älteren Schwestern und mit einem jüngeren Bruder auf. Natürlich wurde er von den drei Mädchen „adoptiert" und enorm gefördert: Er musste alles lernen, was sie lernten, einschließlich des Kochens und Strickens.
LEHRE IM DORF
Den ersten und entscheidenden Kontakt mit der Uhrmacherei verdankt Beat Haldimann seinem Großvater, der damals 90 wurde und zum Lesen eine Lupe brauchte. Dieser Artikel war beim Dorfjuwelier, dem Uhrmacher Paul Dällenbach, erhältlich. Dessen Atelier faszinierte Haldimann, der damals gerade vor der Berufswahl stand. Er fragte den Meister, ob er eine Schnupperlehre beim ihm absolvieren könnte. Die Antwort war positiv, und der Meister drang darauf, dass Beat bei ihm eine volle Lehre als Uhrmacher-Rhabilleur machte. Der Weg zum Uhrmacher war kurz, denn Dällenbachs Geschäft war nur fünf Gehminuten von der Post entfernt. Zu den Verpflichtungen der Lehre gehörte allerdings jeden Monat eine Woche Unterricht an der Uhrmacherschule Solothurn. Dort mussten die Fachkurse absolviert werden. Der Schwerpunkt lag auf der Theorie, doch wurden auch praktische Dinge wie Regulieren, Zapfendrehen und die Reparatur von elektrischen Uhren unterrichtet. Haldimann schloss die vierjährige Lehre 1985 mit dem Eidgenössischen Fähigkeitsausweis ab. Wer Anfang der 1980er Jahre Uhrmacher lernte, musste eine besonders starke Motivation haben. Man befand sich ja damals mitten in der Quarzkrise, die zur Folge hatte, dass die Schweizer Uhrenindustrie etwa 60.000 Arbeitsplätze verlor. Die Uhrmacherei galt allgemein als Krisenberuf. Doch davon ließ sich Haldimann nicht beeindrucken. Er blieb noch ein Jahr beim Lehrmeister, absolvierte den Militärdienst und fand 1986 eine Stelle im Laboratorium der Eta in Grenchen.
KULTURSCHOCK ETA
Unvermeidlicherweise bedeutete dieser Wechsel einen Kulturschock: Haldimann kam vom Dorfuhrmacher direkt in einen Riesenbetrieb, wo alles auf dem umständlichen Dienstweg ablief. In Bezug auf die Produktion funktionierte die Eta sehr effizient, doch die Verwaltung verschlang ungebührlich viele Mittel. Ständig mussten nutzlose Rapporte geschrieben werden, und man verschwendete viel Zeit mit unnötigen Sitzungen. Trotzdem gefiel es Haldimann nicht schlecht. Die Eta stand damals unter der Leitung kompetenter Manager wie Ernst Thomke und Anton Bally. Doch die Quarzkrise war noch nicht ausgestanden; es wurde ständig umstrukturiert, ganze Abteilungen wurden geschlossen. Im Eta-Labor beschäftigte man Haldimann mit Klimaversuchen und dem Aufnehmen von Temperaturkurven. Seine Arbeitskollegen waren Physiker und Ingenieure. Haldimann überlegte eine Zeitlang ernsthaft, ob er vielleicht Physik studieren sollte. Doch schließlich blieb er der Uhrmacherei treu. Er verließ die Eta 1989 und trat in die Chronometrie Bangerter in Thun ein, wo er das Atelier aufbaute.
FRÜHE SELBSTSTÄNDIGKEIT
Berufsbegleitend absolvierte Haldimann den Uhrmachermeisterkurs in Solothurn, immer mit dem Ziel im Hinterkopf, sich so bald wie möglich selbstständig zu machen. Diesen Traum verwirklichte er 1991 im Alter von nur 27 Jahren. Seine Firma heißt Haldimann Horology, ihr Logo besteht aus zwölf im Kreis angeordneten Kugeln. Haldimann etablierte sich in Thun direkt am See im Dachstock eines Chalets. Dort baute er Prototypen und beriet bekannte Uhrenfirmen bei technischen Fragen. Das tägliche Brot verdiente er mit dem Restaurieren antiker Uhren.
Den Traum von der Selbständigkeit konnte sich Haldimann schon im Alter von 27 Jahren mit seiner Firma Haldimann Horology verwirklichen.
Zudem schloss er mit einer bekannten Uhrenfirma, die er nicht nennen will, einen zehnjährigen Vertrag ab. Seine Aufgabe war die Durchführung von Entwicklungsarbeiten für komplizierte Uhrwerke; dabei machte er mehrere patentierbare Erfindungen. Der Vertrag umfasste eine Konkurrenzklausel, nach der er keine eigenen Arbeiten im Bereich der Armband- und Taschenuhren durchführen durfte. Pendeluhren waren im Vertrag allerdings nicht erwähnt, darum konzentrierte sich Haldimann vorerst auf diesen Uhrentyp. Er entwickelte die sogenannte Haldimann-Hemmung, die er in seine erste eigenständige Pendeluhr einbaute. Im Jahr 2000 sah man Haldimann erstmals am gemeinsamen Stand der AHCI (Gesellschaft selbstständiger, schöpferisch tätiger Uhrmacher) auf der Uhrenmesse in Basel, wo er mit seiner Doppelpendel-Großuhr überraschte. Sie besteht aus zwei identischen, gewichtbetriebenen Werken, die mit je einer Haldimann-Hemmung ausgerüstet sind und nebeneinander im gleichen, verglasten Kasten montiert sind. Die beiden Pendel sind über den Galgen der Pendelaufhängung verbunden und kommen in Resonanz, sie laufen im Gleichtakt. Auf diese Weise erhält man einen deutlich besseren Gang als mit nur einem einzigen Uhrwerk. Mit dieser Konstruktion liegt Haldimann ganz in der Linie von Abraham-Louis Breguet. Doch bei Haldimann dominieren die spielerischen und künstlerischen Aspekte: zuerst sieht man die Bewegung der beiden Pendel. Erst beim Näherkommen werden die Zifferblätter mit Lokalzeit und Weltzeit ablesbar. Diese Philosophie durchdringt auch Haldimanns Armbanduhren: sie sollen zuerst dynamische Kunstwerke sein, die aufgrund ihrer rhythmischen Bewegung erfreuen und beruhigen. Die harte Physik der Zeit ist sekundär. Die Uhr befindet sich an der Schnittstelle zwischen Technologie und Kunst, sie ist beides zugleich. Damit der Besitzer sich richtig an seiner Doppelpendeluhr erfreuen kann, liefert Haldimann dazu einen von ihm selbst konstruierten, faltbaren Buchenholzstuhl aus einer Art Lattenrost, der „Haldi Chair".
ANALOGTECHNIK VERSUS CNC
Haldimanns Vertrag lief 2001 aus. Einen Teil des Honorars hatte er jedes Jahr in den Aufbau seiner Bibliothek und seines Maschinenparks investiert. Nun konnte er längst ausgeheckte Ideen für Armbanduhren verwirklichen. Nicht zuletzt aus diesem Grund wurde es im Chalet zunehmend eng. 2002 konnte Haldimann Horology in ein geräumiges, ganz in der Nähe liegendes, im Jugendstil gebautes Haus umziehen. Dort wohnt auch Haldimann mit seiner Familie. Für kreative Arbeit ist der Standort Thun für einen Uhrmacher der Spitzenklasse wie Haldimann ideal, wenn auch sehr ungewöhnlich. Doch Kunden und Interessenten besuchen ihn gerne, weil sie die Reise mit einer Fahrt zum Jungfraujoch oder Bergwanderungen kombinieren können. Für Haldimann selbst ist das wichtigste Requisit ein kleines, schwarz gebundenes Notizbuch, das ihn stets begleitet. Dort schreibt er seine Ideen auf und veranschaulicht sie mit Skizzen, den Computer braucht er erst später für eine detaillierte Ausarbeitung.
Beat Haldimann sieht seine Uhren in erster Linie als dynamische Kunstwerke. Die Zeitanzeige kommt erst an zweiter Stelle oder gar nicht.
Selbstverständlich findet man bei Haldimann Horology das komplette Spektrum moderner Hard- und Software. Nur eines hat er nicht und will es auch nicht haben: eine numerisch gesteuerte CNC-Maschine. Sie würde eine Rationalisierung der Produktion um drei bis vier Prozent ermöglichen, was für den Käufer einer Uhr mit sechsstelligem Preis absolut belanglos ist. Tatsächlich schätzen es solche Menschen, dass jedes Stück individuell gefertigt wird und nie genau gleich aussieht wie das nächste der jeweiligen Miniserie von zehn bis 30 Stück. Haldimann bemüht sich, die präzisesten analogen Maschinen anzuschaffen, doch werden sie von Hand geführt und gesteuert - das nächstbeste zum vollständig manuellen Drehen und Feilen. Bei Haldimann macht man sich einen Sport daraus, mit den analogen Maschinen gleich präzise zu arbeiten wie mit einer CNC-Maschine, also mit Toleranzen von einigen Tausendstelmillimetern. Wenn man dabei etwas mehr Zeit braucht, umso besser. Der Kunde weiß und schätzt es, dass Haldimann stets am Limit der Möglichkeiten der menschlichen Hand arbeitet.
Sehr wichtig ist für Haldimann auch der Klang seiner Uhren. Die Armbanduhr H1 sollte exakt so klingen wie das Ticken einer Breguet-Taschenuhr.
PERFEKTION DANK AUTARKIE
Eine sehr weitgehende Autarkie – sie liegt bei 90 Prozent – ist für Haldimann elementar wichtig. Er legt größten Wert darauf, wenn möglich jedes Teil des Werks und der Ausstattung selbst zu fertigen, bis hin zu den Schrauben und zur Faltschließe. Natürlich bezieht er seine Rubine und Saphirgläser von den darauf spezialisierten Firmen, dasselbe gilt für die Werkfedern und die Spiralfedern. Auch die Lederarmbänder werden zugekauft. Auf seine Uhrwerke ist Haldimann besonders stolz: sie sind zu 100 Prozent sein Design, seine Konstruktion. Im Gegensatz zu manchem Kollegen hat er nie Werke eingekauft und anschließend einfach finissiert. Ein besonderes Merkmal von Haldimanns Uhrwerken ist, dass man darin keinen Rücker findet, der selbst Fehler erzeugen kann. Die Feinregulierung führt er mit den Exzenterschrauben aus. Haldimanns Uhrgehäuse aus massivem Platin oder aus den drei klassischen Goldfarben, sind seitlich konkav, was vom Automaten nicht beherrscht wird, man muss sie ausdrehen und nachträglich die Bandanstöße anlöten. Auch die kleinste Einzelheit wird bei Haldimann mit Perfektionismus ausgeführt. Der Käufer soll wirklich den vollen Gegenwert für sein Geld erhalten. Anfänglich wurden Haldimanns Uhren ausschließlich von Männern gekauft, in den letzten Jahren kommen aber vermehrt auch weibliche Kunden dazu.
DAS ZENTRALTOURBILLON H1
Eine ganz besondere Herausforderung war für Haldimann das Problem des Zentraltourbillons. Er löste es 2002 mit seiner H1 auf originelle Weise. Der Käfig des verblüffend großen, fliegend gelagerten Tourbillons mit einem Durchmesser von 16,8 Millimetern ragt deutlich aus der Ebene des Zifferblatts hervor, genau in seiner Mitte. Natürlich lassen sich dort keine Zeigerachsen anordnen. Doch es gibt mehrere Problemlösungen. Zum Beispiel verzichtet man auf Zeiger, beziehungsweise man malt sie auf dünne Saphirscheiben mit Zahnkränzen zum Antrieb an der Peripherie, wie bei den berühmten „Pendules mystérieuses" der Art-déco-Zeit und dem Zentraltourbillon von Omega. Doch bloßes Nachahmen ist Haldimanns Sache nicht. Er suchte und fand eine eigene Lösung. So umfasst seine H1 ringförmige, an der Peripherie gelagerte Zahnräder, in deren Öffnung das Tourbillon rotiert. Diese Räder tragen seitlich neben dem Tourbillonkäfig herausragende Stunden- und Minutenzeiger im Breguet-Stil. Die H1 ist demzufolge absolut funktionell, obwohl ihre glücklichen Besitzer sie möglicherweise vor allem zum Bewundern des unablässig seine Runden drehenden Tourbillonkäfigs und der mitrotierenden Hemmung anschauen. Sehr wichtig für Haldimann war stets auch der akustische Aspekt seiner Schöpfungen. Schon mit der H1 wollte er den Klang einer Breguet-Taschenuhr in einer Armbanduhr verwirklichen. Mancher legt seine H1 zur Beruhigung auf den Nachttisch. Dann hört man auch das periodisch circa alle 30 Sekunden auftretende feine Summen der Spiralfeder, eine Art Melodie, die durch Resonanz mit dem Tourbillonkäfig zustande kommt.
DIE DOPPELPENDEL-ARMBANDUHR H2
Haldimann baut so wenige Uhren, dass er und seine sechs Mitarbeiter weiterhin als Restauratoren von Chronographen und komplizierten Großuhren tätig sind. Diese aktiven Begegnungen mit der Handschrift von Berufskollegen aus früheren Jahrhunderten sind für Uhrmacher der Spitzenklasse äußerst stimulierend. Eine weitere, ungewöhnlich originelle Schöpfung präsentierte Haldimann 2005. Mit der H2 übertrug er die Doppelpendeluhr auf die Dimensionen einer Armbanduhr. Anstelle von klassischen Pendeln verwendete er zwei identische Drehpendel, also Unruhn mit der ge nau gleichen Eigenfrequenz. Durch den Resonanzeffekt synchronisieren sie sich gegenseitig. Die Vibrationen werden über die Platine der Uhr übertragen.
H8 SCULPTURA
Am verblüffendsten ist Haldimanns H8 Sculptura, wohl eine der ersten Uhren überhaupt, an der man die Zeit nicht ablesen kann. Sie besteht nämlich „nur" aus einem Tourbillon, Zeiger sucht man vergeblich. Pro Jahr baut Haldimann 20 bis 30 Stück davon. Ein Kunde schrieb, er schaue oft auf seine Uhr, wisse aber glücklicherweise nicht, wie spät es sei. Das ist für den Konstrukteur das höchste Kompliment. Für Haldimann war die Verkörperung einer 600-jährigen mikromechanischen Tradition ganz ohne instrumentelle Aspekte stets das höchste Ziel. Eine Sculptura skandiert wohl die Zeit, doch ohne sie anzuzeigen: Man leistet sich den Luxus, die Jetztzeit zu ab strahieren, doch ganz weg davon kommt man nie. Denn Bewegung, Rhythmus, Frequenz ist Zeit.
PASSIVES MARKETING
Haldimann kommt ganz ohne Marketing aus. Seit 2004 stellt er auch nicht mehr am Stand der AHCI in Basel aus. Die Mund-zu-Mund-Propaganda genügt ihm heute, wird er doch unter Sammlern und Uhrenliebhabern als Geheimtipp gehandelt. Bisher hat Haldimann insgesamt etwa 70 bis 80 Uhren in die Welt entlassen, er kennt natürlich jede einzelne davon. Reparaturen und Revisionen gab es bisher noch kaum, doch die Kunden wissen, dass Haldimann-Uhren „zur Kur" nur zu Haldimann gehen dürfen. Haldimann-Fans machen sich ein Vergnügen daraus, von den USA oder Japan nach Thun zu reisen und sich über die Eigenheiten ihrer (vorhandenen oder künftigen) Uhr mit dem Meister zu unterhalten. Haldimann selbst oder seine Frau führen fast jede Woche Klubs, Vereine und Schulklassen durch das Haus und erklären ihnen geduldig, wie eine exklusive Luxusuhr entsteht. Schwieriger war es, gegenüber dem eigenen Vater die Preise der Uhren zu rechtfertigen. Anfänglich erschrak der darüber, dass die preiswerteste Uhr des Sohnes dem Vierfachen seines Jahresgehalts als Postmeister entspricht; heute ist er stolz darauf. Die extreme Konzentration, den absoluten Perfektionismus, die sein Beruf verlangen, führte Haldimann fast zwangsläufig zur Zen-Philosophie. In dieser Disziplin ließ er sich von einem japanischen Meister unterrichten. Er bemerkte, dass die vom Unterbewusstsein gesteuerte Hand Dinge schafft, die manchmal erst Jahre danach ins Blickfeld des Bewusstseins kommen. Im September 2009 verlieh das internationale Uhrenmuseum in La Chaux-de-Fonds Beat Haldimann den angesehenen Gaïa-Preis, die höchste Auszeichnung für Uhrmacher.
Lucien F. Trueb, aus Chronos 1.2010