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Grieb & Benzinger: Skelettierte Uhr

Die Polaris Black & White der Uhrenschmiede Grieb & Benzinger
© PR
Jean-Frédéric Dufour, seit Juni 2009 CEO des Uhrenherstellers Zenith, hat der Uhrenmarke nach den Jahren des Hypes um den ehemaligen Präsidenten Thierry Nataf wieder klassische Designs und moderate Preise verschrieben.
Der Erfolg der Uhrenmarke kehrt zurück, aber: Wie ist das eigentlich möglich? Als der schillernde Zenith-Chef Thierry Nataf im Frühjahr 2009 seinen Hut nehmen musste, hatte die Uhrenmarke ernste Probleme: Die Uhren galten als überteuert, das Design als übertrieben. Viele dachten, Zenith hätte sich seine eigene Zukunft verbaut. Keine leichte Aufgabe für Natafs Nachfolger Jean-Frédéric Dufour, der zuvor für Chopard, die Swatch Group und Ulysse Nardin arbeitete. Ein Dreivierteljahr nach Dufours Amtsantritt, auf der Baselworld 2010, rieben sich die Messebesucher verwundert die Augen: Die neuen Uhren, vor allem aber deren erstaunlich moderate Preise bedeuteten eine Umkehr vom Nataf-Kurs um 180 Grad. Ein notwendiges, aber auch riskantes Unterfangen. Doch tatsächlich ist Zenith in die Erfolgsspur zurückgekehrt. Chronos fragte nach den Gründen.
Sie führen Zenith als CEO seit Juni 2009. Was war Ihre erste Amtshandlung? Als ich anfing, war die Firma in einer schwierigen Lage. Nachdem ich mir einen ersten Überblick verschafft hatte, sah ich vier Punkte, an denen es zu arbeiten galt. Der erste und wichtigste betraf die Kollektion. Diese hatte sich bis zu einem gewissen Grad von den Wurzeln Zeniths entfernt. Meine erste Aufgabe war es also, an unseren Werten zu arbeiten, an unseren Stärken und Schwächen. Es ging darum, zu begreifen:
  • Woher kommt Zenith?
  • Was waren die Gründe für unseren Erfolg in der Vergangenheit?
  • Was macht die Marke letztlich aus?
  • Und wie muss eine Zenith-Uhr beschaffen sein, um Erfolg zu haben?
Ich entschied, die Kollektion innerhalb von zwei Jahren völlig neu zu strukturieren. Und wenn Sie sich unseren neuen Katalog anschauen, der Ende Juli herauskam, dann sehen Sie ausschließlich neue Referenzen. Im ersten Jahr haben wir bereits rund die Hälfte ausgetauscht. Die Bestseller haben wir zunächst unangetastet gelassen, aber im zweiten Jahr haben wir dann auch diese überarbeitet. Jetzt ist die Kollektion gut strukturiert, und das macht sich auch in den Zahlen bemerkbar: Wir haben beim Abverkauf an die Endkunden eine Steigerung von über 50 Prozent. Wenn ich mir diese Zahlen anschaue, fühle ich mich in meiner Entscheidung bestätigt. Der zweite wichtige Bereich nach dem Produkt war das Marketing. Unter Thierry Nataf hieß das Gesamtkonzept Thierry Nataf – er selbst war der wichtigste Markenbotschafter. Für mich steht dagegen die Uhr im Mittelpunkt. Somit mussten wir das Image der Marke komplett verändern. Der dritte Punkt betraf die Organisation. Es ging darum, Prozesse zu verbessern, profitabler zu arbeiten – ohne dabei die angestammten Werte der Uhrmacherei zu verletzen. Wir haben die gesamte Manufaktur umstrukturiert. Bevor Sie kamen, hatte Zenith zwei Probleme: Die Kosten waren aus dem Ruder gelaufen, gleichzeitig aber verkaufte Zenith schlichtweg zu wenige Uhren. Genau. Zur Zeit der Übernahme durch die LVMH 1999 war Zenith eine schlafende Schönheit. Thierry Natafs Verdienst ist es, diese Schönheit geweckt zu haben. Er hat es geschafft, Zenith zurück auf den Radar zu bringen. Das ist und bleibt sein Erfolg. Aber diese überschäumende Art der Selbstdarstellung konnte kein Rezept auf Dauer sein. Sie haben am Anfang Uhrenmodelle von Händlern zurückgekauft, um den Markt zu „bereinigen“. Das kostet Geld. Gleichzeitig bieten Sie viele Uhren wesentlich billiger an als Ihr Vorgänger. Das kostet auch Geld. Wie rechnet sich das? Oh, Zenith ist durchaus ein profitables Unternehmen. Wir sind in diesem Jahr sogar in der besten Verfassung, in der wir je waren. Das Geld, das Sie ansprechen, kam von unserer Muttergesellschaft. Man hat dort immer an die Stärke von Zenith geglaubt; deshalb hat man auch bewusst diese Umstrukturierung mitgetragen und in die Zukunft investiert. Und wenn Sie die Preise ansprechen: Alle denken, ich hätte die Preise so stark gesenkt und Zenith-Uhren wären nun deutlich preiswerter als vorher, aber das stimmt so nicht. Wenn ich den Umsatz nehme und ihn durch die Zahl der verkauften Uhren teile, dann ist der heutige Durchschnittspreis nur 50 Euro günstiger als vor meiner Zeit. Aber: Wir verkaufen heute wesentlich mehr Uhren!
Wenn man bestimmte Modelle vergleicht, sieht es allerdings anders aus: Der El-Primero-Chronograph mit Tourbillon in Roségold zum Beispiel kostete 2008 unter Nataf 122.000 Euro, und Anfang 2011 kostete er 49.000 Euro. Aber heute gehören wir weltweit gesehen zu den Marken, die am meisten Tourbillons verkaufen. Und vorher haben wir von einer Referenz wie der von Ihnen genannten vielleicht eine Handvoll pro Jahr verkauft. Sie können fünf Tourbillons pro Jahr nicht zum gleichen Preis verkaufen wie Hunderte Tourbillons pro Jahr. Das macht einen großen Unterschied. Und indem wir das Tourbillonwerk selbst herstellen, können wir das zu günstigen Kosten tun. So sind wir auch mit einem geringeren, für die Kunden sehr attraktiven Verkaufspreis profitabel. Ganz anders sieht es aus, wenn man ein Tourbillonwerk zukaufen müsste: Das günstigste, das Sie auf dem Markt bekommen können, kostet vielleicht um die 20.000 Franken. Da kommen Sie am Ende auf einen Verkaufspreis für die gesamte Uhr, der nicht unter 100.000 Franken liegen kann. Haben sich nicht Käufer darüber beschwert, dass sie vor ein paar Jahren für eine ähnliche Uhr viel mehr bezahlen mussten als heute? Nein, beschwert hat sich niemand. Weil es unterschiedliche Uhren sind. Und es sind auch andere Kunden. Unsere heutigen Kunden sind Menschen, die Zenith mögen und die Geschichte der Marke kennen. Zuvor hatten wir vielleicht Kunden, die die Welt von Zenith neu kennengelernt hatten. Die sich vielleicht vom Design oder vom Image angesprochen fühlten. Gerade in den aufstrebenden Märkten der Schwellenländer gab es Kunden, die sich auf einmal für Uhren zu interessieren begannen, ohne die Markengeschichte zu kennen. Und die sahen dann Zenith neben Breguet oder anderen hochklassigen Marken und haben die Uhr gekauft, die ihnen am besten gefiel. Unterm Strich ist so etwas kein nachhaltiger Markt. Einen solchen haben Sie erst dann, wenn Ihre Produkte auch mit dem Bild übereinstimmen, das die Uhrenkenner von Ihrer Marke haben. Es war daher mein Ziel, wieder Uhren zu bauen, die unserer Geschichte entsprechen und für die eigentlichen Zenith-Käufer gemacht sind. Zeniths schnelle Rückkehr in die Erfolgsspur erklären Sie also damit, dass Sie jetzt mit Ihren Produkten wieder Ihre angestammte Kundschaft erreichen. Ja, ich glaube, das ist so. Diese Menschen hatten immer eine klare Vorstellung von Zenith: die Vorstellung einer hochqualitativen Uhr, gefertigt in einer Manufaktur, die unter anderem den ersten Automatikchronographen erfunden hat, die das berühmte El-Primero-Kaliber baut und so weiter. Aber wenn so ein Chronograph dann 20.000 Franken kostet – es gibt nicht viele Menschen, die solche Summen für eine Uhr ausgeben. Sie bieten aber auch im oberen Preisbereich Uhren an, zum Beispiel die „Christophe Colomb“, die unter Nataf als „Defy Zero-G“ eingeführt worden war. Die Christophe Colomb ist eine Ausnahme. Sie kostet 154.000 Euro … … unter Nataf sollte sie um die 350.000 Euro kosten … … aber dafür haben Sie ein ultrakompliziertes Werk mit einer bei Armbanduhren einzigartigen kardanischen Aufhängung, deren Käfig allein schon aus 166 Teilen besteht, bei 380 Teilen insgesamt; alles von Hand gefertigt. Dann ist das eine Limited Edition von dreimal 25 Stück. Also eine sehr exklusive Uhr, die dementsprechend teuer sein muss, sonst rechnet sich das Ganze nicht. Genauso handwerklich wurde bei Zenith auch das Tourbillon gefertigt. Aber als ich kam, entschied ich, die Fertigung zu industrialisieren. Und jetzt produzieren wir das Tourbillonwerk genauso wie die Chronographenwerke.
Und wo wollen Sie hin? Ich will, dass Zenith als die Top-Manufaktur für die Herstellung von hochwertigen Chronographen im Einsteigerbereich angesehen wird. Wir haben die gleichen Werte wie Patek Philippe, weil wir unsere Uhren auf eine ähnliche Weise fertigen. Wir brauchen uns nichts von ihnen abzuschauen. Wenn Sie mich fragen, ob wir Uhren in der gleichen Qualität fertigen können, antworte ich Ihnen: ja. Aber natürlich hat unser Markenname nicht den gleichen Wert. Das ist wie Picasso und Braque. Aber auch unsere Uhren erzielen gute Preise auf Auktionen; sie behalten ihren Wert. Wenn Sie heute ein berühmtes Zenith-Modell kaufen, müssen Sie vielleicht 6.000 oder 10.000 Euro bezahlen. Ein Original aus der ersten Automatikchronographen-Serie von 1969 kostet, je nach Zustand, zwischen 5.000 und 10.000 Euro, und für Taschenuhren muss man auch schon mal 20.000 oder 30.000 Euro ausgeben. Millionen erreichen wir nicht – abgesehen von der Gandhi-Uhr, die für 1,8 Millionen verkauft wurde. Bei Patek ist es im Prinzip ähnlich. Sie haben viele Uhren an Könige und Prinzen verkauft – weil sie in Genf sitzen und dort ein ganz anderes Publikum hatten. Zenith ist aus Le Locle. Aber wir haben unser erstes Uhrwerk 1865 hergestellt, Patek erst 1930. Auf diese Geschichte sind wir stolz, da brauchen wir uns vor niemandem zu verstecken. Wenn jemand in die Welt dieser wirklichen Manufakturen einsteigen möchte, dann findet er dort als Erstes Zenith. Das zu erreichen, ist mein Ziel. Und es ist mir auch wichtig, dass eine Uhr einer wirklichen Manufaktur nicht nur zu Preisen erhältlich ist, für die man ein Auto bekommen könnte.
Mir ist die Struktur der neuen Kollektion noch nicht ganz klar: Die „Captain“-Modelle sind eine eigene Kollektion, die „Stratos“-Modelle nicht. Dann gibt es eine Kollektion „El Primero“, aber Chronographen mit El-Primero-Werken finden sich auch in anderen Serien. Alle denken, El Primero sei ein Werk. Aber das stimmt nicht: El Primero ist ein Modell. Als Zenith 1969 das erste automatische Chronographenwerk produzierte, ließen es die Verantwortlichen in ein Modell einbauen, das sie El Primero nannten. In der Uhrenindustrie war es nie üblich, einem Werk einen Namen zu geben. Stattdessen bekam dieses erste Kaliber eine Nummer: 3019. Also: Eine Uhr namens El Primero mit dem Kaliber 3019 – das war unser erster Automatikchronograph. Der Name El Primero wurde dann aber auf viele verschiedene Modelle gedruckt, die alle dieses Chronographenwerk hatten. Und so kam es, dass die Leute das Werk irgendwann El Primero nannten. Auch Rolex spielte dabei eine Rolle: Als die Rolex-Leute unser Werk in ihre Daytona einsetzten, war es für sie einfacher, von „El Primero zu sprechen als vom „Kaliber 3019“. Das erste El-Primero-Modell besaß drei Hilfszifferblätter in verschiedenen Farben, so, wie wir es heute auch wieder machen. Daher heißen diese Uhren auch heute El Primero. „Captain“ dagegen ist eine andere Linie mit klassischer designten Uhren, und natürlich gibt es auch dort Chronographen mit unserem „El Primero“-Kaliber. Aber warum steht dann bei den Captain-Chronographen auch „El Primero“ auf dem Zifferblatt? El Primero ist natürlich ein Name, der uns hilft, die Uhr zu verkaufen. Aber wir werden das in Zukunft nicht mehr auf die Captain-Modelle drucken, weil wir glauben, dass diese Linie stark genug ist. Dann wird noch klarer, dass El Primero ein Modell ist und kein Werk. Stratos wiederum ist nicht der Name einer Kollektion, sondern das sind El-Primero-Modelle, die über eine Drehlünette verfügen. Insgesamt ist unsere Kollektion so aufgebaut: An der Spitze steht „Academy“, dazu gehört die Christophe Colomb; dann folgt El Primero, dann Captain. Und dann gibt es noch die Fliegeruhren der Serie „Pilot“. Die forcieren wir jetzt. Zenith ist seit jeher einer der wichtigsten Hersteller von Fliegeruhren. Nicht erst im Ersten oder Zweiten Weltkrieg: Zenith war schon dabei, als es zu Beginn des 20. Jahrhunderts die ersten Flugpioniere gab. Louis Blériot zum Beispiel hatte bei seinem Flug über den Ärmelkanal 1909 einen Höhenmesser und eine Armbanduhr von Zenith dabei und bedankte sich hinterher mit einem Brief für die Zuverlässigkeit der Instrumente.
Das „El Primero“ galt nach seiner Vorstellung 1969 jahrzehntelang als Hochfrequenzkaliber. Inzwischen aber experimentieren Marken wie TAG Heuer, Breguet und Chopard mit noch schnelleren Unruhn. Bedingt nicht die Tradition von Zenith, da mitzuhalten? Selbstverständlich gehört die hohe Frequenz zu unserer Tradition. Aber es gibt kein Wettrennen in Sachen Schnelligkeit, an dem wir uns beteiligen müssten. Dass andere Marken auch auf dieses Thema einsteigen, ist für uns kein Problem, sondern eine Bestätigung. Aber wäre eine Frequenz von, sagen wir, zehn Hertz (= 72.000 A/h) für Sie ein Thema? Oh, wir haben schon mehr als das. Wir arbeiten bereits an einem Projekt, das wir auf der letzten Baselworld einigen Händlern, aber nicht der Presse gezeigt haben. Ich möchte mir das als Überraschung aufsparen, bis die Entwicklung fertig ist. Wie weit sind Sie mit diesem Werk? Den Prototypen dieses Modells gibt es schon. Wir haben ihn bereits gezeigt und die Uhr sogar schon an Händler verkauft. Man kann damit Hundertstelsekunden messen, das heißt, die Frequenz liegt bei 360.000 Halbschwingungen pro Stunde. Wie wird sich der Uhrenmarkt in den nächsten zehn Jahren verändern? Ich glaube, es wird weniger Marken geben, aber der Qualitätslevel wird steigen. Wenn die Swatch Group, wie angekündigt, keine Werke mehr an fremde Marken liefert, werden auch die Uhren im Einsteigerbereich teurer werden. Ich hoffe, dass die Marken sich künftig weniger durch ihr Marketing unterscheiden, sondern durch die Qualität ihrer Uhrwerke. So wie es in der Autoindustrie der Fall ist und wie es auch in der Uhrenindustrie früher der Fall war. Für die Uhrenindustrie ist das gut, denn langfristig werden wir nur überleben, wenn wir glaubwürdig sind.
Fragen: Rüdiger Bucher  Fotos: Eveline Perroud
Das ausführliche Interview lesen Sie in der aktuellen Ausgabe Chronos 6.2011. Hier können Sie die aktuelle Chronos versandkostenfrei bestellen!
Weitere Themen dieser Ausgabe: Die acht begehrtesten Uhrenmarken:  Welches sind die beliebtesten Luxusuhrenmarken der Welt, und worauf gründet ihre Begehrlichkeit? Diese Frage beantwortet Chronos in einem 18-seitigen Spezialbeitrag. Außerdem testet die Redaktion vier wichtige Neuheiten: die zweite Breitling-Manufakturuhr Chronomat GMT, den überarbeiteten Tudor Grantour Chrono, die Chanel J12 Chromatic im einzigartigen Gehäuse und den Stowa Flieger Chrono mit modifiziertem Chronographen. Des Weiteren erklärt der Zenith-Chef, wie der Erfolg der Marke zurückkam, und ein Auktionsbericht von der Benefizveranstaltung Only Watch zeigt, welche Erlöse die Uhren-Unikate renommierter Marken zugunsten muskelkranker Kinder brachten.
Die erste Flieger-Armbanduhr produzierte Zenith schon im Ersten Weltkrieg. In Klassik Uhren 5-2011 berichtet Zenith-Kenner Manfred Rössler über 21 bedeutende Flieger- und Militäruhren, die Zenith seitdem gefertigt hat. Rössler ist auch der Autor einer 328-seitigen Monografie über Zenith. Dieses Buch und die Ausgabe 5-2011 von Klassik Uhren können Sie bestellen unter www.watchtime.net/shop

Web Special: Certina - Die neuen Uhren

Seit über 130 Jahren widmet sich Certina der anspruchsvollen Schweizer Uhrmacherkunst.