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8 Minuten

Moritz Grossmann: Von null auf hundert

Christine Hutter, CEO Moritz Grossmann
© PR
Am Anfang war nur der Name: In den letzten vier Jahren hat die Uhrmacherin Christine Hutter in Glashütte aus dem Stand eine Manufaktur aufgebaut. Bald sind die ersten 100 Uhren der neuen Marke Moritz Grossmann fertiggestellt. Das Porträt erschien in der Chronos-Ausgabe 01.2013.
„Eigentlich wollte ich Sport studieren.“ So, wie Christine Hutter diesen Satz ausspricht, könnte man ihn fast überhören. Ist ja auch etwas Alltägliches. Haben wir alle nicht irgendwann einmal etwas beginnen wollen, aus dem dann nichts wurde? Und dann kommt etwas dazwischen. Im Fall von Christine Hutter war es eine Verletzung. So konnte sie die Aufnahmeprüfung fürs Studium nicht absolvieren, und ihre berufliche Laufbahn bewegte sich in eine ganz andere Richtung. Zwar verbrachte sie die Jahre nach dem Abitur wie geplant in München, aber nicht in Hörsaal und Turnhalle, sondern in der Werkstatt eines Münchner Juweliers am Rotkreuzplatz. Dort wurde sie zur Uhrmacherin ausgebildet. Begriffe wie Rad und Rotation, Antrieb und Geschwindigkeit bekamen nun eine andere Bedeutung. Statt sich selbst zu bewegen, musste sie dafür sorgen, winzige Metallteile am Laufen zu halten. „Das mechanische Arbeiten hat mir eine neue Seite an mir gezeigt“, sagt Hutter heute. Doch ihre eigene innere Unruhe trieb sie fort vom Werktisch. In den Folgejahren lernte sie die Uhrenbranche von allen möglichen Seiten kennen. Die Stationen hießen Wempe, Maurice Lacroix, Glashütte Original und A. Lange & Söhne. Sie beriet im Laden, führte Schulungen und Seminare durch und organisierte Events. Sie arbeitete in der Verkaufsförderung und baute Vertriebsstrukturen im Ausland auf. Bei Lange hatte sie zum Schluss sogar zwei Jobs: Sie verantwortete weltweit das operative Marketing und war zugleich zuständig für den Mittleren Osten. Nach München, Glashütte und vielen Reisen nach Übersee ging sie 2004 in die Schweiz – und damit zurück in den Fachhandel, zu Juwelier Schindler nach Zermatt.
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Das bisher einzige Modell von Moritz Grossmann heißt Benu. Während die Produktion der 50 Weißgoldmodelle gerade anläuft, sind die 100 Exemplare in Roségold bereits ausverkauft. © PR
Oktober 2012. Ich treffe Christine Hutter in ihrer heutigen Funktion, als Geschäftsführerin der jungen Marke Moritz Grossmann. 2010 wurde die erste Uhr vorgestellt; eine schöne, feine Dreizeigeruhr in Rotgold für 16.800 Euro, limitiert auf 100 Exemplare. Danach hörte man eine Weile nichts Neues. Aber bei meinem letzten Besuch in Glashütte sah ich das neue Manufakturgebäude. Hochmodern, riesengroß und designt wie ein Schiff. Ganz oben, auf der Rotunde, prangt der Name: Moritz Grossmann. So ein Gebäude für 100 Uhren? Und wenn es 500 wären! Meine Neugier war geweckt; ich wollte wissen, was da drin vor sich geht. Christine Hutter holt mich am Dresdner Hauptbahnhof ab, wir fahren mit dem Auto nach Glashütte. Das Auto hat ein Schweizer Kennzeichen: AI, Appenzell-Innerrhoden. Zwar ist die am 11. November 2008 gegründete Grossmann Uhren GmbH ein Glashütter Unternehmen, aber die sieben Tage ältere Muttergesellschaft Grossmann International Uhren AG sitzt in der Schweiz. Von dort stammen auch die Investoren, die die junge Firma mit Geld ausstatten. Christine Hutter hat Glück: Das Kapital gibt ihr die Zeit, in Ruhe eine Manufaktur aufbauen zu können, ohne den Druck, vom ersten Tag an Geld verdienen zu müssen. Ein Zuckerschlecken ist es trotzdem nicht. Am Anfang war ja buchstäblich nichts da. Kein Gebäude, keine Mitarbeiter, keine Maschinen. Nur ein Name.
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Weißgoldvariante der Benu © PR
Der historische Moritz Großmann, der seinen Familiennamen mit einem scharfen S schrieb, gehörte zu den bedeutenden Uhrmachern der Stadt Glashütte. 1854 eröffnete der Zeitgenosse von Ferdinand Adolph Lange hier ein Atelier für Taschenuhren, Chronometer und Präzisionspendeluhren. 1878 wurde auf seine Initiative hin die Deutsche Uhrmacherschule in Glashütte gegründet, außerdem schrieb er wichtige Bücher über Konstruktion und Regulierung von Uhren. Irgendwann in ihrer Zeit bei Glashütte Original und Lange entdeckte Christine Hutter, dass die Markenrechte an Großmanns Namen noch frei waren, und ließ sie von einem Familienmitglied eintragen. Doch erst, als sie die Schweizer Investoren für die neue Marke begeistern konnte, kam die Sache ins Rollen.
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Beim auf 25 Exemplare limitierten Platinmodell der Benu sind die Zeiger auf dem Ziffernblatt nicht brauviolett sondern braun angelassen. © PR
Wir fahren über die Landstraße nach Glashütte. Der Weg führt über Dörfer mit wenig einladenden Namen. Eines heißt Elend, ein anderes Oberhäslich. Die Ortsansässigen legen Wert darauf, dass das Ä lang und das S weich ausgesprochen wird. Glashütte selbst ist in den letzten Jahren immer attraktiver geworden. Zwar gibt es nach wie vor keine repräsentativen Hotels – die großen Marken bringen ihre Besucher in Dresden unter –, aber die Firmengebäude können sich sehen lassen. Zu Lange und Glashütte Original, zu Nomos im neuen Bahnhof und Wempe in der Sternwarte, zu Tutima im neuen Domizil, zu Mühle und Union gesellt sich nun auch noch Moritz Grossmann. Und stiehlt mit seinem Schiff den anderen fast die Schau. Piratenschiff, das war meine Assoziation, als ich es zum ersten Mal sah. Nicht, dass es so aussehen würde, ganz im Gegenteil. Aber wenn man weiß, wie wenig grün sich manche Glashütter Marken sind, ahnt man, wie groß die Begeisterung bei den Mitbewerbern sein mag angesichts der Tatsache, dass Moritz Grossmann hier vor Anker gegangen ist. Und nannte man den Nachbarn Nomos nicht früher „Piratenmarke“? Im Innern des 80 Meter langen Gebäudes fühlt man sich jedenfalls wie der Kapitän auf der Brücke, wenn man die Fensterfront entlangläuft. Von hier hat man ganz Glashütte im Blick. Ganz rechts, von Christine Hutters Büro aus, kann man direkt in das Besprechungszimmer von Nomos schauen. Ganz links ist man schon auf der Höhe von Lange. Dazwischen liegt Tutima, dahinter Glashütte Original.
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Erinnert an ein Schiff: das vor knapp einem Jahr bezogene Produktionsgebäude © PR
Begeisternd ist jedenfalls, wie ernsthaft und zielstrebig Christine Hutter Marke und Manufaktur aufgebaut hat. Das Jahr 2009, als sie, zunächst ganz allein, in einen kleinen Laden in Glashüttes Hauptstraße einzog, scheint Dekaden entfernt. In der Manufaktur arbeiten heute 34 Mitarbeiter, und die produzieren unter anderem Platinen, Brücken, Hebel, Zahnräder, Anker. Christine Hutter sagt: „Wir machen 85 Prozent vom Uhrwerk selbst.“ Sogar die Zeiger fertigt man in Eigenregie, außerdem Werkzeuge, die für verschiedene Arbeitsschritte benötigt werden. Zugekauft werden Gehäuse, Zifferblätter, Armbänder und Schließen, außerdem, fürs Werk, Lagersteine, Ankerräder und -paletten sowie Federn, darunter Zugfeder und Spirale. Die Rohspirale, besser gesagt. Denn um das Kürzen und das Hochbiegen kümmern sich die Uhrmacher von Moritz Grossmann.
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Konstrukteur Jens Schneider erklärt das Kaliber 100.0 © PR
Auch zwei Konstrukteure beschäftigt die Firma. Der eine, Jens Schneider, kam vom großen Nachbarn A. Lange & Söhne. Er war 2009 der zweite Mitarbeiter nach der Chefin. Beide sprechen die gleiche Sprache. Schneiders Vorstellungen davon, wie eine moderne Grossmann-Uhr auszusehen hat, ähneln denen von Hutter, und Hutter versteht als ausgebildete Uhrmacherin die technischen Details, von denen der Konstrukteur spricht. „Ich hatte ganz am Anfang klare Vorstellungen, wie die Uhr aussehen sollte“, sagt Christine Hutter. „Ich wollte sehr feine Zeiger und eine schmale Lünette, damit das Zifferblatt groß wirkt. Von Moritz Großmann wollte ich den Platinenschnitt übernehmen, dazu aufgesetzte Schrauben und hervorstehende Chatons. Besonders wichtig waren mir die Großmann’sche Regulierschraube und der Uruhkloben der Ankerchronometer. Ich wusste aber nicht, was technisch machbar ist und was nicht; das musste dann Jens Schneider als Konstrukteur entscheiden.“ So entstand 2010 mit dem ersten Manufakturkaliber 100.0 ein unverwechselbares und ästhetisch gelungenes Handaufzugswerk. Schneider reicht mir eine Lupe, damit mir die Feinheiten nicht entgehen. Das erste, was das Auge wahrnimmt, ist die große Zweidrittelplatine. Sie wird durch zwei Pfeiler auf Abstand von der Grundplatine gehalten. Die Pfeilerbauweise kommt dem Uhrmacher bei Service und Reparatur entgegen, genau wie der separat herausnehmbare Aufzug, der nicht Teil der Werkplatte ist.
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Pfeilerbauweise und Zweidrittelplatine: Das Kaliber 100.0 nimmt Glashütter Traditionen auf. Blickfang ist der gestufte Unruhkloben mit Rücker und Feinregulierschraube © PR
Grund- und Zweidrittelplatine bestehen aus Neusilber – ein Material, das auch Lange für seine Werke benutzt und das der Uhrmacher nicht mit bloßen Händen anfassen darf. Typisch für Moritz Grossmann ist der gerade Schnitt der Platine mit einem Kreissegment, das den Blick auf die Unruh freigibt – eine weitere Reminiszenz an den Namensgeber, der auch (wenngleich nicht nur) Platinen in diesem Stil baute. Christine Hutter hat diese typische Optik ins Markenlogo eingebracht, wo über dem geraden Schriftzug „Moritz Grossmann“ ein solches Kreissegment verläuft. Die Glashütter Tradition, mit Zweidrittel- beziehungsweise Dreiviertelplatinen zu arbeiten, statt wie die Schweizer mit Kloben und Brücken, soll zu mehr Stabilität im Uhrwerk beitragen, hat aber auch den prinzipiellen Nachteil, dass man vom eigentlichen Werkmit seinen Zahnrädern, Hebeln und Federn nicht viel sieht. Daher verzieren die Glashütter den Rest besonders schön. Das gilt im Falle Grossmann für die verschraubten Massivgoldchatons genauso wie für die von Hand ausgeführte Schriftgravur, den breiten Streifenschliff und den Sonnenschliff auf dem Federhaus. Damit nicht genug: Um sich noch klarer von anderen Uhrenherstellern abzusetzen, verwendet Moritz Grossmann als Lagersteine farblose Saphire anstelle von Rubinen, und die sichtbaren Schrauben werden von Hand so angelassen, dass sie sich nicht blau färben, sondern rötlichbraun. Auch das macht ein Mitarbeiter in der Manufaktur.
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Überprüfen eines fertiggestellten Werks © PR
Der eigentliche Eyecatcher aber ist der von Hand gravierte stufige Unruhkloben. In ihn ist eine lange, gut sichtbare Feinregulierschraube eingepasst, in deren Gewinde das Ende des Rückerzeigers sitzt. Dreht man an der Schraube, kann man den Rücker leicht hin und her bewegen und so die aktive Länge der Spiralfeder verändern, sprich: die Ganggenauigkeit beeinflussen. Ich frage Hutter und Schneider, ob sie sich vor allem aus optischen Gründen für den prominenten Rückerzeiger entschieden haben. Denn wenn heutzutage eine Uhrenmarke ein neues Werk konstruiert, ist die Unruh meist frei schwingend, also ohne Rücker, dafür mit kleinen Reguliergewichten versehen. Die Antwort ist entwaffnend: „Wir bauen unsere Uhren so“, sagt Hutter, „dass sie auch in 100 Jahren noch von einem Uhrmacher repariert werden können, ohne dass dieser ein Spezialist für unsere Marke sein muss. Das sichert den Werterhalt.“
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Montage der Uhrwerke © PR
Alle Werke werden zweimal zusammengebaut, so, wie auch Lange es macht. Beim ersten Mal sind die Teile noch nicht finissiert, also verziert. Der jeweilige Uhrmacher prüft die Funktion und nimmt unter Umständen an bestimmten Stellen etwas Material weg, um das Zusammenspiel zu perfektionieren. Hier wird die industrielle Teileproduktion, die auf modernen CNC-Maschinen stattfindet, ergänzt durch echte handwerkliche Fertigung. Auch bei der Finissage ist viel Handarbeit im Spiel. Christine Hutter zeigt auf den dreigestuften Sonnenschliff des Federhauses: „Wir haben Monate gebraucht, um das so hinzukriegen.“
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Die abgebildete Taschenuhr mit gerade abgeschnittener Dreiviertelplatine stammt aus den 1870er Jahren. © PR
Das Werk ist beeindruckend, aber die Uhr selbst, nach einem mythologischen Vogel „Benu“ genannt, ist es auch. Eine schlichte, elegante Dreizeigeruhr mit einer groß ausgeführten kleinen Sekunde. Kein Datumsfenster stört die Symmetrie auf dem Zifferblatt. Die schlanken Zeiger erinnern stark an die Vorbilder des historischen Moritz Großmann, die arabischen Ziffern dagegen strahlen eher eine Art Neue Sachlichkeit aus. Hutter: „Wir greifen Traditionen von Großmann auf, wollen aber nicht seine Taschenuhren kopieren. Vielmehr wollen wir das Ganze in die Neuzeit übersetzen und weiterentwickeln.“ Vom ersten Modell in Rotgold sind noch nicht alle ausgeliefert, aber schon alle verkauft. Zurzeit werden die ersten Nachfolgemodelle in Weißgold und Platin fertiggestellt.
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(1826–1885) ließ sich 1854 in Glashütte nieder. © PR
Wie geht es weiter? Wird es Komplikationen geben? Auf welche Stückzahlen kann die Produktion ausgebaut werden? Das Werk, sagt Hutter, sei so konstruiert, dass man es mit bestimmten Komplikationen verbinden könne. Welche, verrät sie nicht. Ich denke laut, dass eine Gangreserveanzeige gut vorstellbar wäre, vielleicht auch ein Datum. Ein Tourbillon? Die Antwort ist ein Lächeln, das man so und so deuten kann. Jedenfalls sei es denkbar, die Produktionskapazitäten in absehbarer Zeit auf 800 bis 1000 Stück pro Jahr zu erhöhen, sagt Hutter. Für 2013 ist das zweite Kaliber geplant, und 2014 soll es insgesamt vier verschiedene eigene Werke geben. Das Schiff nimmt Fahrt auf. Fotos: Marcus Krüger, Moritz Grossmann
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