1989 – das Jahr, in dem die Erstausgabe des UHREN-MAGAZINS erschien – steht auch für das Revival der mechanischen Uhren. Damals sorgte das Calibre 89 von Patek Philippe weltweit für Aufsehen. An eine Renaissance der traditionellen Uhrmacherkunst hatten im Zeitalter der Quarzrevolution nur noch wenige geglaubt. Doch einer Riege überzeugter Unternehmer und Uhrmacher gelang in den 1980er-Jahren das triumphale Comeback der Mechanik.
Als Anfang der 1970er-Jahre der Siegeszug der Quarzuhren begann, waren sich viele Repräsentanten der traditionellen Uhrenindustrie der Tragweite dieser Revolution kaum bewusst. Sie machten weiter als sei nichts geschehen. Das rächte sich: Die Quarzrevolution stürzte viele Hersteller, darunter Angelus, Buttes Watch Co. (BWC), Cortébert, Edox, Excelsior Park, Fleurier Watch, IWC, Jaeger-LeCoultre, Juvenia, Lémania, Moeris, Tavannes-Cyma, Ulysse Nardin und Zodiac in die Krise. Vielerorts standen die Maschinen still, tausende Schweizer Uhrmacher verloren ihre Jobs.
Wer sich für mechanische Armbanduhren interessierte, der musste sich fortan auf Auktionen von Vintage-Uhren umsehen. Auf dem Sekundärmarkt zeigte sich ein Jahrzehnt später, dass die Glut der mechanischen Uhr noch glimmte. 1984 konstatierte Martin Huber, Inhaber des Münchner Uhrenfachgeschäfts Andreas Huber, verblüfft: "Klingt die Feststellung nicht verrückt und anachronistisch, dass sich die mechanische Armbanduhr in einem bisher unbekannten Stadium der Hochblüte befindet, und das im Angesicht der Quarzuhr, die das todsichere Ende der mikromechanischen Kultur hätte auslösen sollen? Das Sammeln alter Armbanduhren ist derzeit die große Mode." Einen Hype um mechanische Vintage-Uhren gab es in Italien, wo Männer zum Aviator-Look aus Lederbomberjacke und Sonnenbrille Vintage-Chronographen wie die Rolex Daytona oder die Breitling Navitimer trugen.
Jacques Piguet weckte in Biver die Leidenschaft für Mechanik
Dass es nach wie vor eine Nachfrage nach mechanischen Armbanduhren gab, erkannten in der Uhrenindustrie zunächst nur wenige. Feines Gespür bewies Jean-Claude Biver: "Jacques Piguet, Erbe des Rohwerkefabrikanten Frédéric Piguet, weckte in mir die Leidenschaft für mechanische Uhren", erinnert er sich. Zusammen mit Piguet erwarb Biver 1981 von seinem damaligen Arbeitgeber Omega für 9000 Franken die Rechte an der Marke Blancpain. Biver informierte sich, welche Modelle bei Vintage-Uhrensammlern besonders gefragt waren. Es waren Zeitmesser mit Chronographenfunktion und solche mit Mondphasen. Diese Komplikationen schienen die Sehnsucht nach dem Besonderen und der uhrmacherischen Höchstleistung anzusprechen. Und wie sollte man die Faszination für Mechanik wieder wecken, wenn nicht mit außergewöhnlichen Extras?
Beim Relaunch von Blancpain setzte der selbstbewusste Jungunternehmer auf Mondphasenanzeigen. Es folgten Chronographen ohne und mit Schleppzeiger, ewiger Kalender, Minutenrepetition, Tourbillon sowie die Kombination aller Komplikationen in einer Armbanduhr namens '1735'. "Wenn ich auf diese herausfordernde Zeit zurückblicke", betont der 1949 Geborene, "bekomme ich immer noch Gänsehaut. Die gute alte Mechanik war eigentlich schon abgeschrieben. Und wir haben einen nicht unerheblichen Beitrag geleistet, sie nicht nur bei Freaks wieder salonfähig zu machen". Ähnlich dachte Gerd-Rüdiger Lang in München, als er 1983 die Marke Chronoswiss gründete. Das erste Chronoswiss-Modell war zeitgemäß ein Chronograph mit Mondphasenanzeige.
1985 wimmelte es auf der Baseler Messe nur so von Armbanduhren mit dieser Funktion. Als auffälliges Beiwerk fand sie sich auch in den beinahe inflationär vertreten Top-Modellen mit ewigem Kalender. Besonders spektakulär präsentierte sich die goldene IWC Da Vinci als erstes Modell mit voll ausgeschriebener Jahreszahl, Kronen-Korrektur und Automatik-Chronograph zum damaligen Sensationspreis von umgerechnet 10.000 Euro. Hinter dieser Uhr stand der deutsche Ingenieur Günter Blümlein. Er hatte von der Mannesmann-Tochter VDO den Auftrag erhalten, die der Gruppe gehörenden Uhrenmarken IWC und Jaeger-LeCoultre zu koordinieren.
Die Sanierung der Traditionsmanufakturen erwies sich für Günter Blümlein als Knochenarbeit. "Wir mussten mit festgefahrenen eidgenössischen Traditionen brechen. In Schaffhausen und dem Vallée de Joux regierte das Prinzip des Festhaltens am Überlieferten. Bei der IWC hielt 1984 auf dem Weg über die Porsche-Design-Linie ein neuer Geist Einzug. Hinzu kam die Beschäftigung mit innovativer Mechanik. Bei der Da Vinci von 1985 handelte es sich um eine gekonnte Symbiose aus uhrmacherischen und ingenieurmäßigen Problemlösungen."
Am Abgrund balancierte damals auch die Manufaktur Jaeger-LeCoultre. Blümlein erinnerte sich später: "Dort übernahm ich 1984 die strategische und 1986 die operative Führung. Die unverzügliche Rückbesinnung auf überlieferte Werte, der unglaubliche Erfolg unserer vergessenen und wiederbelebten Reverso sowie anderer Mechanik-Modelle sicherten der Traditionsmanufaktur einen festen Platz im kleinen Orchester der besten Uhrenmarken dieses Globus."
Nicolas Hayek bewahrte Omega vor dem Verkauf nach Japan
Blümlein war eine der zentralen Akteure in der Renaissance der mechanischen Uhr. Anfang der 1990er-Jahre sollte er gemeinsam mit Walter Lange in Glashütte den Hersteller A. Lange & Söhne wiederbeleben und zu einer der begehrtesten Luxusuhrenmarken der Welt aufbauen.
Messerscharfe Situationsanalyse betrieb auch der spätere Swatch-Gründer Nicolas G. Hayek. Ende 1980 erreichte den Unternehmensberater die Botschaft vom schlechten finanziellen Zustand der Uhrengruppe SSIH (Société Suisse de l’Industrie Horlogère SA) mit ihren Marken Omega und Tissot. Jahresverluste in Millionenhöhe erfüllten die involvierten Banken mit Sorge. Der japanische Hersteller Seiko streckte bereits die Fühler nach dem eidgenössischen Kleinod aus. "Die fernöstliche Konkurrenz meinte damals, wir Schweizer könnten guten Käse und gute Schokolade, aber keine industriellen Güter produzieren", so Hayek. Für Omega war Seiko bereit, 400 Millionen Schweizer Franken zu zahlen. Hayek überzeugte die Banken, das Kaufangebot abzulehnen.
Nicht minder notleidend war die konkurrierende Allgemeine Schweizer Uhrenindustrie AG (Asuag) mit Marken wie Certina, Eterna, Longines, Rado sowie der Rohwerkeholding Ebauches SA. 1982 bilanzierte die Asuag einen operativen Verlust von 259 Millionen Schweizer Franken. Als die Banken 1984 die Mehrheit des Aktienkapitals einer neu zu bildenden Uhrengruppe für 300 Millionen Franken offerierten, griff Hayek zu. Ab 1985 formte er die SMH (Société Suisse de Microélectronique et d'Horlogerie), den Vorläufer der heutigen Swatch Group.
Trotz der einsetzenden Mechanik-Renaissance waren Einschnitte unvermeidlich. Die Fabrikation Hunderter verschiedener Kaliber teilweise in Kleinserien durch Arogno, AS, Chézard, Derby, Eta, FEF, Felsa, FHF, Landeron, A. Michel, Peseux, Unitas, Valjoux und Venus ließ sich nicht mehr verantworten. Von den 14 Mitgliedsfirmen der ehemaligen Ebauches SA überlebte nur jene, die schon zehn Jahre zuvor eine Aufgliederung in Elektronik und Mechanik bewerkstelligt hatte. Effizienz und Bezahlbarkeit verlangten jedoch auch bei der neuen Eta SA eine strikte Konzentration auf das Wesentliche. Dazu gehörten Selbstaufzugskaliber wie 2824 oder 2892, ergänzt durch sinnvolle Zusatzfunktionen. Auf dem Gebiet des Handaufzugs überlebten nur das kleine und flache Peseux 7001 sowie die ehemaligen Taschenuhrkaliber Unitas 6497 und 6498. Aus dem Valjoux-Portfolio gelangten schließlich die Automatik-Chronographen Eta 7750 und 7751 sowie die abgespeckten Handaufzugs-Versionen 7760 und 7765 zur Eta.
Einen wichtigen Beitrag zur Wiederbelebung der mechanischen Uhr leistete die Académie Horlogère des Créateurs Indépendants (AHCI). Ihre Ausstellungen auf der Basler Messe wurde stark beachtet. Zu ihren hochkarätigen Mitgliedern zählten George Daniels, Francois-Paul Journe (F.P. Journe), Franck Muller und sehr viel später Felix Baumgartner, Mitbegründer der Marke Urwerk.
»Festhalten an dem, was wir am besten können«
Auch die Branchengrößen Rolex und Patek Philippe leisteten zentrale Beiträge zum Wiederaufstieg der mechanischen Uhrmacherkunst. Rolex hatte das erste Schweizer Quarz-Kaliber Beta 21 entwickeln lassen. Am 5. Juni 1970 war die Quartz Date, Referenz 5100, zur Serienreife gediehen. Nach anfänglichen Erfolgen flaute die Nachfrage schnell wieder ab. Der damalige Rolex-CEO André Heiniger trat beherzt auf die Bremse. Die Genfer setzten fortan wieder primär auf Mechanik. Patek Philippe war Mitglied der Gruppe rund um das QuarzKaliber Beta 21.
1963 trat Philippe Stern in das Familienunternehmen ein, 1977 übernahm der studierte Betriebswirt mit beruflichen Erfahrungen in der Computerindustrie das Ruder bei Patek Philippe. "Ich war überrascht, all diese Schweizer Firmen zu sehen, die ihre Maschinen verschrotteten und damit für die Zukunft darauf verzichteten, eigene mechanische Werke herzustellen. Mir war klar, dass das nicht der Weg für Patek Philippe sein konnte. Damals konnte ich meinen Vater davon überzeugen: Wenn es eine Schweizer Firma gibt, die weiterhin mechanische Werke herstellt, dann muss das Patek Philippe sein." Dieses Credo äußerte sich in der 1974 begonnenen Konstruktion des ultraflachen Mikrorotor-Kalibers 240. "Das war für uns ein großer Schritt und gleichzeitig ein großes Risiko. Damals waren praktisch alle der Meinung, dass das Kapitel mechanische Uhr für immer beendet ist. Alle sagten: Hört auf, es ist zu teuer und zu kompliziert."
Von solchen Argumenten ließ sich der heute 81-Jährige nicht beeindrucken. Er glaubte felsenfest an eine Zukunft der mechanischen Uhr. "Zu jener Zeit sammelte ich bereits Uhren. Ich besuchte viele Auktionen und sah dort so viele Sammler, die verrückt nach mechanischen Uhren waren. Ich dachte, das kann doch nicht alles von einem Tag auf den anderen verschwinden…
Aus heutiger Sicht kann man sagen, dass das Festhalten an der Mechanik ein wichtiger Schritt für Patek Philippe war. Es entsprach dem, was mein Vater immer sagte: Wir müssen festhalten an dem, was wir am besten können: feine mechanische Uhren zu bauen. Nicht abschweifen, wie wir es mit der Quarzuhr bereits getan hatten." Als Patek Philippe 1989 das 150-jährige Jubiläum seiner Gründung feierte, ließ die Manufaktur beim Auktionshaus Antiquorum eine Uhr versteigern, an der sie zuvor neun Jahre gearbeitet hatte. Die Taschenuhr Calibre 89 war die komplizierteste Uhr, die je gebaut wurde. Sie besaß 33 Komplikationen, hatte 1728 Teile, zwei Hauptzifferblätter, 12 Subzifferblätter und 24 Zeiger. Der Auktionator, Antiquorum-Gründer Osvaldo Patrizzi, erzielte für das Meisterwerk den Rekordpreis von 3,17 Millionen Dollar. Als die Summe medial um die Welt ging, verstand ein breites Publikum, dass mechanische Uhren den Status und Preis berühmter Gemälde erzielen konnten.
Das Revival der Mechanik wurde durch die Offenheit der Uhrenmarken für neue Technologien erleichtert. Computergestützte CAD-Programme und CNC-Maschinen halfen beim Entwurf und der Produktion raffinierter Komplikationen, Ingenieure unterstützten jetzt das traditionelle Uhrmacherhandwerk. Ein Ergebnis dieser Hi-Mech genannten Fusion aus Hi-Tech und Handwerk war die erste Grand Complication von IWC, die Kurt Klaus und sein Team 1990 vorstellten. Sie war der Auftakt für eine Blütezeit der Komplikationen in den 1990er-Jahren.
Das UHREN-MAGAZIN begeisterte eine neue Generation
1989 kam mit dem UHREN-MAGAZIN eines der ersten Consumer Watch Magazines in Europa (und das erste in Deutschland) auf den Markt. Das UHREN-MAGAZIN trug maßgeblich dazu bei, eine neue Generation von Uhrenliebhabern für mechanische Uhren zu begeistern.
Das Comeback der Mechanik in den 1980er-Jahren verrät einiges über unsere Zeit. Beinah hätte damals Quarz die Mechanik verdrängt. Diese Gefahr bannten die traditionellen Hersteller, indem sie sich auf ihre Stärken besannen und durch Innovation und Rekordleistungen für Schlagzeilen sorgten. An den Grundfesten der zeitbewahrenden Tradition werden wohl auch Smartwatches, die Mini-Computer am Handgelenk, nicht rütteln. Denn für viele Zeitgenossen rund um die Welt verkörpert das Ticken der mechanischen Uhr weiterhin den Herzschlag der menschlichen Kultur. Die konstant hohe weltweite Nachfrage und das Ansehen, welches klassische Luxusuhrenmarken bei jüngeren Käufern genießen, sprechen dafür, dass die Quarzkrise keine Neuauflage als Smartwatchkrise erleben und die mechanische Uhr auch künftige Generationen begeistern wird. glb