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Wie entstehen Uhrwerke bei Glashütte Original?

Manufakturporträt: Glashütte Original, Werk auf Zeichnung
© PR
Die Manufaktur Glashütte Original zaubert aus wenigen Zutaten komplexe Werke. Dafür sind viele zeitaufwendige Arbeitsschritte, viel Know-how und Erfahrung nötig – wie bei einem Meisterkoch.
Stellen Sie sich vor, Sie haben als Zutaten lediglich Kartoffeln, Möhren und Salz und sollen ein Vier-Gänge-Menü kochen. Unmöglich? Aber im Grunde gelingt Glashütte Original genau das: Denn als Rohmaterial bekommt die Manufaktur in Glashütte nur lange Stangen und Blechbänder aus Metall. Daraus zaubern die Sachsen ein präzises, verziertes und oft auch kompliziertes Werk, das aus einem genauen Zusammenspiel von Platinen, Hebeln, Federn, Zahnrädern und Schrauben besteht. Außer den Lagersteinen bereiten sie dabei nahezu alles im eigenen Haus zu. Bis das fein verzierte Werk, vielleicht sogar mit ewigem Kalender oder Tourbillon, fertig ist, sind unzählige Arbeitsschritte und -stunden erforderlich.
Glashütte Original: Ausgangsmaterial sind lange Metallbänder © PR
Die Zutaten kommen in Holzkisten – lange Stangen oder Bänder aus Metall, dünnere Bänder aufgedreht auf Rollen. Aus den zwei bis drei Meter langen Stangen aus Stahl oder Messing formen CNC-Drehmaschinen alle runden Teile: Räder, Federhäuser, Schrauben. Im Gegensatz zu einer Küchenmaschine oder einem von Hand geführten Messer dreht sich aber die Zutat, und ein scharfes Werkzeug, der Drehmeißel, entfernt so lange Material, bis eine Scheibe mit der gewünschten Dicke entstanden ist. Auch komplexere Formen wie Federhäuser oder Schrauben und sogar Gewinde oder Zähne können die Maschinen schneiden. Für besondere Verzahnungen gibt es spezielle Maschinen, die die Zähne fräsen. Die kleinsten Teile, die hier entstehen, sind Schrauben mit einem Durchmesser von weniger als einem halben Millimeter, also kleiner als ein Salzkorn. Winzige Zahnräder müssen die Mitarbeiter mit einer Pinzette und einer Lupe im Auge in die Maschinen legen.
Glashütte Original: Die Stangenware liegt bereit für die weitere Verarbeitung © PR
Die drehenden Achsen in der Uhr, die Wellen, benötigen eine Sonderbehandlung, damit sie sich später möglichst reibungsarm in ihren Lagersteinen drehen: Eine Spezialmaschine rolliert die Teile. Bei dieser Technik wird der Lagerzapfen mit zwei drehenden Metallscheiben verdichtet und auf genaues Maß gebracht.

Herstellung von Uhrwerksteilen mithilfe der Drahterosion

Auch die Zutaten für alle Werkteile, die nicht rund sind und daher nicht gedreht werden, bestehen aus Metall: Am Anfang stehen lange, schmale Blechbänder aus Kupfer oder Stahl. Einen Blitzeinschlag oder Kurzschluss hat man in der Küche nicht so gerne. Hier gehört er zum Herstellungsprozess: Hebel und Federn erhalten durch computergesteuerte Drahterodiermaschinen ihre genaue äußere Form. Ein Draht wird am Werkstück vorbeigeführt und erhält elektrische Impulse; dadurch springen Funken über, und Material wird abgetragen. Auch wenn die Beschreibung es nicht vermuten lässt, dieses Verfahren ist äußerst präzise und arbeitet auf fünf Tausendstelmillimeter genau. Es können sogar mehrere Bänder übereinander liegen und gleichzeitig ausgeschnitten werden.
Drahterodiermaschinen bei Glashütte Original © PR
Das Drahterodieren ähnelt etwas dem Schneiden von Tortenböden mit einem Faden. Dagegen werden andere Teile wie Platinen und Brücken zuerst wie mit Plätzchenformen ausgestochen. Nur dass einfache Muskelkraft nicht reicht, um aus den Metallbändern quadratische oder runde Rohlinge zu bekommen; da muss schon eine Maschine ran. Die ausgestochenen Rohlinge bekommen dann auf computergesteuerten Fräsmaschinen ihre Bohrungen, Senkungen und die exakte äußere Form.

Eigene Werkzeugherstellung

Ein guter Koch schleift seine Messer selbst. Glashütte Original geht sogar noch einen Schritt weiter: Die Werkzeuge, mit denen die Maschinen schneiden und fräsen, sozusagen die Küchenmesser, werden in der Abteilung Werkzeugbau nicht nur nachgeschliffen, sondern auch teilweise von den Werkzeugmachern aus Hartmetall mit Diamantschleifern selbst gefertigt. Die ausgestochenen und gefrästen Brücken werden zwar nicht wie Kekse gebacken, aber sie kommen in eine backofenähnliche Maschine, die sie mit Messingpulver strahlt und so die äußeren Grate entfernt. Für die Grate und Unebenheiten an den Bohrungen ist dann wieder viel Fingerspitzengefühl erforderlich: Ein Mitarbeiter entfernt sie von Hand mit einem Stichel.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

Das wichtigste beim Kochen ist das Abschmecken. Probieren können die Glashütter das aus Metall zubereitete zwar nicht, aber überprüfen, ob es dem gewünschten entspricht, schon. Im Messraum kontrollieren Angestellte daher die die Teile mit einem Profilprojektor. Hier wird das Werkstück vergrößert und kann mit einer Zeichnung verglichen werden. Ein Videomessgerät prüft automatisch Teile wie die Grundplatine und misst bei komplexeren Werken an über 100 Punkten Bohrungen, Radien und Durchmesser nach.

Die aufwendige Verzierung der Uhrwerke

Auch wenn die Teile nun schon ihre Funktion erfüllen und man anrichten könnte: Das Auge isst mit. Das gilt für ein dauerhaftes Produkt wie eine Uhr noch mehr als für schnelllebige Speisen. Daher folgt nun die aufwendige, zeitintensive und nur in Handarbeit zu leistende Kunst des Verzierens. Ein unverzichtbares optisches Merkmal hochwertiger Uhren sind die gebrochenen Kanten. Sie werden im 45-Grad-Winkel abgeschrägt. Die Schriftzüge werden eingefräst und ein Graveur verziert mit dem Handstichel die Unruhbrücke. Goldgravuren bei Glashütte Original Nun geht es wirklich ans Kochen. Zumindest sieht es in der Galvanikabteilung mit den flüssigkeitsgefüllten Edelstahlbehältern aus wie in einer Großküche. Hier lüftet sich auch das Geheimnis der Goldgravuren: Nach dem Gravieren werden die Teile im Bad vernickelt und dann vergoldet.
Das Auftragen eines Schutzlackes auf den Platinen bei Glashütte Original © PR
Eine Mitarbeiterin trägt mit einem Pinsel nun einen Schutzlack auf die Gravuren auf. Wenn der Lack ausgehärtet ist, wird die Oberfläche des Werkstücks mit einem Streifenschliff versehen, der auch den überschüssigen Lack entfernt. Oder der überschüssige Lack wird von Hand abgezogen. Nun wird das Teil galvanisch rhodiniert, bekommt also die abschließende silberweiße Farbe. Nur die Stellen, die mit Schutzlack abgedeckt sind, bleiben goldfarben. Nachdem der Schutzlack im Ultraschallbad ausgewaschen wurde, erstrahlen die Gravuren in Gold, während die restliche Oberfläche hellsilberfarben rhodiniert ist. Zierschliffe bei Glashütte Orginal Die Zierschliffe sind so etwas wie das Soßendekor auf dem Teller. Nur dauern sie ungleich länger: Für den Streifenschliff nutzt Glashütte Original eine leicht schräg stehende Schleifscheibe, die drei- bis viermal in gleich breiten Bahnen über eine Brücke bewegt wird. Die Höhe der Schleifscheibe muss von erfahrenen Mitarbeitern nach jedem Durchgang neu angepasst werden, damit ein gleichmäßiger Schliff entsteht.
Glashütte Original verziert die Platine mit einem Wölkchenschliff © PR
Der zweite wichtige Zierschliff heißt Wölkchenschliff. Dabei bewegt ein Mitarbeiter die Platine auf einer drehbaren Scheibe weiter, während er mit einem rotierenden Diamantstaubstift einen Kreis nach dem anderen erzeugt. Jeder neue Kreis überdeckt im Idealfall das Zentrum des vorigen Kreises. Jenach Größe der Teile variiert die Dicke des Stiftes und damit die Dicke der Kreise. Dieser Zierschliff erfordert langjährige Einarbeitung und eine gefühlvolle Hand, denn je nach Durchmesser des Stiftes muss unterschiedlich stark auf das Werkteil gedrückt werden.
Ein vollendetes Werk von Glashütte Original © PR
Schrauben bläuen bei Glashütte Original Wie wäre es noch mit etwas Flambierten? Glashütte Original bläut die Schrauben zwar nicht über offenem Feuer, sondern mit dem Lötkolben, aber es geht trotzdem heiß her. Eine Mitarbeiterin erhitzt mehrere Schrauben gleichzeitig. Dabei durchlaufen sie verschiedene Farben; man muss also den Zeitpunkt genau treffen, um die gewünschte Farbe zu erreichen.

Das Zusammensetzen der Werkteile

Nachdem alle Teile verziert sind, kann nun alles zur Gesamtkomposition zusammengestellt und angerichtet werden. Über 30 Uhrmacher sitzen in einem großen Reinraumbereich, der über gefilterte Luft und Überdruck verfügt, sodass kaum Staub eindringen kann. Immer zwei Uhrmacher bauen ein Werk zusammen. Dafür benötigen sie acht bis zehn Stunden bei einfachen Werken, die aus etwa 200 Teilen bestehen. Kompliziertere Werke, beispielsweise mit ewigem Kalender, werden im Komplikationsatelier von einem einzigen Uhrmacher zusammengesetzt, was bis zu 40 Stunden dauern kann. Die Uhrmacher müssen alles richtig einstellen, sozusagen abschmecken, und die Werke einregulieren, um die gewünschte Ganggenauigkeit zu erreichen.
Die Uhrwerke werden in die Gehäuse eingeschalt © PR

Nun sind die Werke bereit, eingeschalt zu werden, sie bekommen quasi eine Servierglocke. Dafür gibt es sogenannte Flow-Boxen, halbgeschlossene Arbeitsplätze, die den Staub noch weiter reduzieren. Hier werden das Zifferblatt, das ebenfalls aus eigener Produktion (in Pforzheim) stammt, und die Zeiger montiert und das Werk in das Gehäuse eingebaut. Nach verschiedenen Tests kann serviert werden: Die Uhr geht in den Verkauf.

Blickt man durch den Glasboden auf die feinen Verzierungen und das perfekte Zusammenspiel der Räder, fällt es schwer, sich vorzustellen, dass Glashütte Original die schmackhafte Komposition aus einfachsten Zutaten gezaubert hat. jk

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