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Wie testen die Hersteller ihre mechanischen Uhren?

Wichtigstes Arbeitsgerät der Uhrmacher von Nomos Glashütte ist die Zeitwaage
© PR
Das Ticken einer Uhr ist der schönste Klang für einen Mechanik-Liebhaber, aber es dient auch der Gangdiagnose. Dazu benötigt man eine Zeitwaage – nur eines der Geräte, die ein Uhrmacher bei seiner Arbeit nutzt. Welche Prüfungen die Uhrwerksteile und das fertige Werk über sich ergehen lassen müssen, bevor sie in der Uhr verbaut werden, und welche Kontrollen danach auf sie warten, zeigt der folgende Artikel.
Vom Rohling zum Werkteil bis hin zur fertigen Uhr – das ist ein weiter Weg, bei dem jeder Schritt mit großer Präzision erfolgen muss. Denn nur exakt gefertigte Komponenten ergeben ein ganggenaues Uhrwerk. Doch seine Präzision ist kein Zufall: Jedes einzelne Werkteil und schließlich das große Ganze muss zahlreiche Tests bestehen. Diese Kontrollen sind exakt durchgeplant und werden mit verschiedenen Instrumenten und Geräten durchgeführt. Bei der Herstellung sind es zum Beispiel automatische Messvorrichtungen, in die ein Teil eingespannt wird. Dabei kann an einer gewünschten Stelle das Maß bis auf den Tausendstel Millimeter genau ermittelt und direkt in einen Computer eingespeist werden.

Schon die Herstellung der Uhrwerksteile begleiten ständige Kontrollen

Oder es erfolgt die optische Kontrolle mittels Profilprojektor an einem Leuchttisch, an dem man eine vielfach vergrößerte technische Skizze mit der Silhouette eines Einzelteils abgleicht. Wenn es an die Montage des Uhrwerks geht, muss wieder kontrolliert und kontrolliert werden – immer und immer wieder. Mit all der Geduld, die dem Uhrmacher allgemein zugesprochen wird. Bei Nomos Glashütte beginnt die Montage mit dem Zusammenbau des Kupplungssystems. Dieses erlaubt sowohl den Aufzug als auch das Zeigerstellen bei gedrückter Krone. Dazu muss die Welle richtig im Werk sitzen, was nach diesem Arbeitsschritt vom Uhrmacher selbst überprüft wird. Nun kann er das Laufwerk einbauen. Die Räder werden gesetzt, die Dreiviertelplatine montiert. Schließlich testet der Uhrmacher, ob sich die Räder drehen, ohne zu blockieren, und ob sie in der Höhe richtig zueinander stehen. An diesem Punkt kommt bei Nomos in Glashütte das erste Spezialgerät zum Einsatz: ein erst vor Kurzem angeschaffter automatischer Messtisch. Dieser misst nicht nur das Höhenspiel der Räder, sondern sorgt auch für die richtige Schmierung, indem er an bestimmten Punkten im Uhrwerk automatisch Öl zugibt.
Der Höhenspielmess- und Öltisch bei Nomos kontrolliert, ob die Räder des Uhrwerks korrekt eingebaut wurden. © PR
Nach dieser ersten automatischen Kontrolle während der Montage kann der Anker eingebaut werden. Er setzt die Drehbewegung des Laufwerks in eine Hin- und Herbewegung um und spielt so eine wichtige Rolle im mechanischen Uhrwerk. Sitzt der Anker, geht es an die Reglage, bei der die Unruh eingebaut wird: Bald erwacht das Werk zum Leben. Nomos erhält den Unruhreif mit vormontierter Spirale, ausgewuchtet und kontrolliert von einem Zulieferer. Dieser sorgt auch für die "annähernd richtige Länge der Spirale", sagt Daniel Malchert, Uhrmacher bei Nomos.

Weiter Weg: Vom Einsetzen der Unruhspirale zum präzisen Gang

Daher kann die Spirale nun mit einem Klötzchen fixiert sowie mitsamt Rücker und Klötzchenträger eingesetzt werden. "Wenn man alles richtig gemacht hat, läuft das Werk jetzt zum ersten Mal", erklärt Malchert. Noch ist der Gang sehr unpräzise, denn zuerst muss einreguliert werden. Dabei verändert der Uhrmacher die aktive Länge der Spiralfeder, indem er an der Regulierschraube dreht und damit den sogenannten Rücker verstellt. In die eine Richtung erreicht er ein Plus: Die Feder wird verkürzt und die Unruh bewegt sich deshalb schneller. In die andere Richtung ein Minus: Die Feder wird verlängert, die Unruh bewegt sich langsamer.
Nach dem Einsetzen von Unruhreif, Spiralfeder, Klötzchen, Rücker und Klötzchenträger wird das Uhrwerk reguliert. © PR
Bei der Reglage bedient sich der Uhrmacher einer sogenannten Zeitwaage – seinem wichtigsten Hilfsmittel nicht nur bei der Montage, sondern auch im Service. Als Zeitwaage wird ein Gerät bezeichnet, das den genauen Gang von mechanischen Uhren mit Schweizer Ankerhemmung prüft. Dies erfolgt, indem das Ticken der Uhr über ein Mikrofon abgehört und anschließend durch Hochrechnen der Abweichung ausgewertet wird.

Wie eine Zeitwaage funktioniert

Das Ticken entsteht durch die Berührung von Anker und Ankergabel mit Ankerrad und Hebelstein. Das erste Geräusch entsteht, wenn der Hebelstein die Gabel des Ankers berührt, das zweite Geräusch beim Abheben der Palette vom Ankerrad und das dritte beim Fallen des Ankerrads auf die Palette. Moderne Zeitwaagen haben einen kleinen Bildschirm, auf dem eine eventuelle Gangabweichung in Sekunden pro Tag angegeben und die Ganggenauigkeit zudem als Linie visualisiert wird. Eine waagerechte Linie ist dabei das anzustrebende Ergebnis – denn diese bedeutet im Idealfall, dass die Uhr vollkommen präzise funktioniert.
Für mechanische Uhren: Die Zeitwaage "Chronoscope S1" von Witschi Electronics, dem bekanntesten Hersteller von Mess- und Prüfgeräten für die Uhrenindustrie. © PR
Außerdem ist die Zeitwaage in der Lage, den sogenannten "Abfall" anzuzeigen. Damit bezeichnet man eine Abweichung zwischen der Hin- und der Herbewegung der Unruh. Im Idealzustand dauert die Bewegung in die eine Richtung ebenso lange wie in die andere. Angezeigt wird dies auf der Zeitwaage durch zwei parallele Doppellinien, die aufeinanderliegen sollten.
Für die Uhrenindustrie: Das "Retouche A2 System" von Witschi Electronics ermöglicht das automatische Abgleichen von Uhrwerken und stellt dazu Gang und Abfall ein. © PR
Die Zeitwaage prüft das Werk in bis zu sechs Lagen – zum Beispiel mit Zifferblatt nach oben, dann hängend, also mit dem Zifferblatt senkrecht, und so weiter. Nur so können bestimmte Fehler sichtbar werden. Liegt zum Beispiel eine Unwucht der Unruh vor, so hat diese in der flachen Lage keine Folgen für den Gang. Hängend offenbart sich dann der Fehler. Neben der manuellen Zeitwaage, bei der die Uhr von Hand eingespannt und ihre Lage verändert wird, arbeiten die Nomos-Uhrmacher auch mit automatischen Zeitwaagen, die die Uhr alle 35 bis 40 Sekunden dreht und danach jeweils Gang und Abfall misst. Diese Zahlen werden direkt auf einem Bildschirm angezeigt – mitsamt der bereits errechneten Durchschnittswerte und einem visuellen Hinweis auf eventuelle extreme Abweichungen.
Kontrolle des Gangverhaltens: Uhren von Nomos werden in sechs Lagen automatisch auf der Zeitwaage geprüft. Die Testergebnisse sind auf dem Display ablesbar. © PR
Bei Nomos zusätzlich im Einsatz ist eine Zehnfachzeitwaage, welche – wie der Name schon andeutet – gleich zehn Uhrwerke auf einmal prüfen kann. Bei der Schweizer Firma Witschi Electronics in Büren an der Aare, dem bekanntesten Hersteller von Messgeräten für Uhrmacher, teilt man die Zeitwaagen in "Tisch-" und "Industriegeräte" ein. Als Tischgeräte gelten dabei jene, die der Uhrmacher auf seinem Werktisch benutzt. Industriegeräte werden hingegen über einen Computer angesteuert, erlauben die schnelle Prüfung mehrerer Werke und garantieren eine Rückverfolgbarkeit der Messungen. Selbstverständlich werden auch Zeitwaagen für Quarzuhren angeboten, bei denen die Präzision anhand der Motorimpulse ermittelt wird. So mancher Uhrensammler hätte gerne eine eigene Zeitwaage neben seiner Kollektion stehen, doch die hat ihren Preis. Für eine Zeitwaage von Witschi Electronics ohne Zubehör ist mit mindestens 1.800 Schweizer Franken zu rechnen, auch der Mitbewerber Greiner Vibrograf bewegt sich in dieser Größenordnung. Ein weiterer Anbieter von Prüfgeräten ist die deutsche Firma Elma Hans Schmidbauer GmbH & Co. KG in Singen. Hier kostet eine Zeitwaage für Mechanikuhren mit Zubehör circa 2.500 Euro.
Zehn auf einen Streich: Die Zehnfachzeitwaage von Nomos kann zehn Uhren gleichzeitig prüfen, bewegen und wieder prüfen. © PR
Eine günstigere Alternative bietet das deutsche Unternehmen L-Trade, das unter dem Markennamen TYMC Zeitwaagen für Profis und Laien anbietet. Der Einstiegspreis für eine Zeitwaage mit Bildschirm liegt hier bei 329 Euro. Etwa genauso viel kosten Ausrüstung und Software für den Computer, der damit sehr detaillierte Messprotokolle abliefern kann. Eine solche PC-Zeitwaage bietet zum Beispiel der Wiener Uhrmacher Mikl. Wer gerne bastelt und sich mit Elektronik auskennt, der findet im Internet sogar Baupläne und Anleitung für den Bau einer eigenen Zeitwaage. Doch zurück zu den Profi-Geräten, wie sie in den Werkstätten von Nomos stehen. Diese werden ausgiebig benutzt. Man erinnere sich: Zuerst die Prüfung auf der manuellen Zeitwaage nach dem Einsetzen der Unruh und immer wieder abwechselnd regulieren und kontrollieren, bis die Gangwerte bestens sind. Darauf folgt eine Woche, in denen die Werke täglich aufgezogen werden und die Spirale sich an ihre Bewegung gewöhnen kann. Am Ende dieser Woche wird mithilfe der manuellen Zeitwaage wieder reguliert. "Dann wird das Werk an der automatischen Zeitwaage in sechs Lagen geprüft", schildert Daniel Malchert den Ablauf. "Als Regleur sieht man anhand dieser Werte, ob zum Beispiel ein Schwerpunktfehler es nötig macht, die Unruh nochmals auszuwuchten oder nachzuregulieren", erklärt Malchert. Dabei könne man auf alles gefasst sein: "Hier ist alles möglich, denn es geht um geringste Toleranzen, die sich dennoch massiv auf den Gang einer Uhr auswirken." Um dies zu verdeutlichen, hat Daniel Malchert ein Beispiel parat: "Bei einer Uhr mit einer Frequenz von vier Hertz, also 28.800 Halbschwingungen pro Stunde, benötigt die Unruh für ein Schwingen in eine Richtung 125 Millisekunden. Wenn hier eine Differenz von einer tausendstel Sekunde, also 0,1 Millisekunden, verbleiben würde, summiert sich das auf den ganzen Tag gesehen auf mehr als eine Minute Gangabweichung." Damit dies nicht geschieht, wird bei Nomos so lange geprüft und reguliert, bis beste Gangwerte protokolliert sind.

Nach dem Einschalen warten neue Prüfungen auf die Uhr

Erst dann wird das Werk zum Einschalen ins Gehäuse weitergegeben. Danach kommt noch einmal die Zehnfachzeitwaage zum Einsatz: Sie prüft die fertigen Uhren. Und nicht nur das: Je nach Modell ist auch eine Wasserdichtigkeitsprüfung zu bestehen. Sie teilt sich in eine Deformations- und Druckdifferenzmessung. Bei der Deformationsmessung analysiert ein Gerät, wie stark sich ein Uhrengehäuse unter Druck oder im Vakuum deformiert.
Ist die Uhr wasserdicht? Der "Proofmaster M" von Witschi Electronics analysiert, ob und wie stark sich ein Uhrengehäuse unter Druck oder in einem Vakuum deformiert. © PR
Beim Differenz-Druckverfahren wird gemessen, ob Luft aus einer Prüfkammer in eine Uhr strömt, wodurch sich der Druck in dieser Kammer reduziert. Ein entsprechendes Prüfgerät analysiert den Verlauf der Druckdifferenz und berechnet sogar eine sogenannte "Leckrate", wie es bei Witschi Electronics heißt. Ermittelt man eine solche Undichtigkeit, heißt es, das Leck zu suchen. Nomos benutzt dabei ein Gerät von Greiner Vibrograf mit einem Glaszylinder. Hier wird eine Uhr eingehängt und einem erhöhten Luftdruck ausgesetzt. Dann wird die Uhr in Wasser eingetaucht, das die durch den Überdruck ins Gehäuse eingedrungene Luft wieder herauspresst. Nun gilt es, anhand der dabei entstehenden Bläschen das Leck zu finden und abzudichten.
Wasserdichtheit: Die Prüfung bei Nomos erfolgt mit dem Gerät "WPL 310" von Greiner Vibrograf. Vorne die Druckanzeige. © PR
Dann geht es weiter zum nächsten Test, Schritt für Schritt. Erst wenn eine Uhr jeder Prüfung standhält, wird sie in die weite Welt entlassen werden.

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