Mechanische Uhrwerke erfreuen nicht nur durch ihre technische Ästhetik. Aufwendig aufgebrachte Zierschliffe machen das Innenleben noch hochwertiger und damit die Uhren zu wahren Schmuckstücken.
Die Dekoration von Uhrwerken hat Tradition: Ob Brücken, Kloben oder Platinen, ob Schliff oder Politur – der Phantasie sind bei der Verzierung der Oberfläche keine Grenzen gesetzt. Als Teil der Finissage, also der Fertigbearbeitung der Uhr, erhalten verschiedene Einzelteile zierende Muster – mal mehr, mal weniger aufwendig, mal mit einem größeren Anteil an Handarbeit aufgebracht, mal mit weniger. Ein Zusammenspiel zahlreicher Zierschliffe zeigt das Manufakturkaliber 2885 von Audemars Piguet.
Haute Horlogerie heißt: Der Zierschliff muss nicht sichtbar sein
Laut Callweys Uhrenlexikon waren Zierschliffe einst vor allem in amerikanischen Taschenuhren beliebt. Heute hat die Tradition der Dekoration längst Eingang in Armbanduhren gefunden, und viele Hersteller rühmen sich gern ihrer aufwendig dekorierten Werke. Dabei gehen nur wenige so weit wie die namhaften Manufakturen der Haute Horlogerie: Bei den Schweizern ist jedes Werk gleich aufwendig verziert, selbst wenn es ungesehen unter einem blickdichten Metallboden tickt.
Und auch im deutschen Glashütte werden sogar diejenigen Uhrwerkteile dekoriert, welche völlig unter anderen Teilen verschwinden. Der berühmteste Zierschliff ist der Wellenschliff, auch als Genfer Streifen oder auf Französisch als „Côtes de Genève" bezeichnet, eine rippenförmige Dekoration aus breiten, geraden Streifen. Ebenfalls weit verbreitet sind der Kreiselschliff, die „Perlage", aus kleinen, dicht beieinanderliegenden Kreisen, sowie der Sonnenschliff, „Soleil", in Form von strahlenförmigen Rippen.
Andere Manufakturen, andere Traditionen
Daneben gibt es je nach Marke eigene Spezialitäten: Bei Glashütte Original heißen die Genfer Streifen zum Beispiel ganz schlicht einfach „Streifenschliff", bei Patek Philippe und Audemars Piguet pflegt man ein im eigenen Hause „Rundschliff" genanntes Muster, das in parallelen Bogen auf den Rotor aufgebracht wird. Zuständig für diese diffizilen Arbeiten sind jeweils im eigenen Haus ausgebildete Handwerker. Denn eine Lehre für das Aufbringen von Zierschliffen gibt es nicht. Bei Patek Philippe werden diese Fachkräfte schlicht „Artisans" genannt, bei A. Lange & Söhne heißen sie „Finisseure" und bei Audemars Piguet „Dekorateure". Sie benötigen vor allem Fingerspitzengefühl, Erfahrung und können mit ruhiger Hand sehr genau arbeiten.
Bevor bei Lange wie auch bei Audemars Piguet der Schliff auf die Dreiviertelplatine aufgebracht wird, erfolgt die Erstmontage des Uhrwerks. Bei den vielen dabei erforderlichen Justier- und Einstellarbeiten würde die feine Dekoration beschädigt oder zerkratzt. Also wird zunächst montiert und eingestellt, bevor das Uhrwerk wieder zerlegt und komplett gereinigt wird und die Dreiviertelplatine ihren Glashütter Streifenschliff erhält. Dies geschieht im halbmaschinellen Verfahren. In kleine Schleifmaschinen wird das Werkstück von Hand in eine spezielle Aufnahmevorrichtung eingespannt. Hier liegt die größte Schwierigkeit: Die Höhe muss manuell auf eine Genauigkeit von einem Hundertstel Millimeter eingestellt werden, was zeitaufwendig ist.
Für die Glashütter Streifen fährt danach eine Schleifspindel in linienförmigen Bewegungen jeden einzelnen Streifen auf dem Werkstück ab. Für die richtige Tiefe einer „Welle" sind drei aufeinanderfolgende Schleifvorgänge notwendig. Während bei den meisten Schliffen das Werkstück und die Schleifspindel geradlinig zueinanderstehen, drehen sich beim Sonnenschliff sowohl das Werkstück als auch die Schleifspindel. Wurde das Werkstück richtig eingespannt, ist nach dem Schliff keine Nachbearbeitung nötig, da die Maschine ein sehr gleichmäßiges Schleifbild erzeugt. Bei A. Lange & Söhne werden fast alle Uhrwerkteile dekoriert – nur bei kleinen Teilen ohne Oberfläche wie Spiralen, polierten Schrauben oder Lagersteinen entfällt die Dekoration naturgemäß. Allein für das Finish – es beinhaltet auch Arbeiten wie das Anglieren der Kanten und Ähnliches – werden zwischen 35 und 50 Prozent der gesamten Fertigungszeit für ein Uhrwerk aufgebracht. Kein Wunder, denn alleine bei einer einzelnen Brücke dauert das Aufbringen des Zierschliffs schon seine 20 bis 25 Minuten. Nur kleinere Teile sind schneller dekoriert.
In den Ateliers von Patek Philippe werden die Genfer Streifen mithilfe einer Buchsbaumscheibe aufgebracht, die eine seidige, gediegene Optik schafft. Der eigentliche Vorteil aber ist, dass das Holz beim Schleifen nur wenig Material abträgt. Die hölzerne Schleifscheibe ist mit einer besonderen Paste eingestrichen – gemischt nach einem Geheimrezept, als dessen einzige Zutat Lavendelessenz verraten wird. Die in einer Maschine angebrachte Schleifscheibe wird durch ein Fußpedal abgesenkt, um dann von der Hand des „Artisans" geführt und mit sorgfältig dosiertem Druck von einer Seite auf die andere über das Werkstück gezogen zu werden.
Zierschliffe entstehen aus Buchsbaumholz, Lavendelessenz und Feingefühl
Durch die parallelen, freihändig geführten Bewegungen über das Werkteil entsteht das feine Wellenmuster der Genfer Streifen vor allem durch die Kunstfertigkeit des Handwerkers, denn die Maschine gibt lediglich eine gewisse Stabilität und sorgt für das Rotieren der Schleifscheibe. Ähnlich erfolgt die Ausführung von anderen Mustern. Zum Beispiel wird die Perlage durch eine ebenfalls von Hand geführte Vorrichtung aufgebracht. Eine Besonderheit ist auch die Herkunft der hölzernen Schleifscheiben: Der Buchsbaum wächst in der Umgebung von Patek Philippe, wird regelmäßig angeliefert und im eigenen Haus bearbeitet, da eine Schleifscheibe maximal zwei Wochen lang benutzt werden kann.4 verschiedenen Zierschliffe in der Uhrmacherei im Überblick
Fortlaufend aktualisierter Artikel, erstmals online gestellt im November 2016.