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Wie die Uhren nach Glashütte kamen

A. Lange & Söhne baute diese Taschenuhr, die Kaiser Wilhelm II. 1898 beim Staatsbesuch in Konstantinopel dem Sultan schenkte
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Das sächsische Städtchen Glashütte im Osterzgebirge gilt als deutsches Uhrenmekka. Hier sitzen die wichtigsten deutschen Hersteller von Luxusuhren, und der Name gilt weltweit als Qualitätsbegriff. Aber wie kam es eigentlich dazu?
In dem kleinen Städtchen Glashütte, das nicht gerade verkehrsgünstig in Sachsen an der Grenze zu Tschechien liegt, haben nicht weniger als elf Uhrenmarken ihren Sitz. Einige davon entwickeln ihre Uhrwerke in Eigenregie und stellen auch fast alle Komponenten des Werks selbst her. „Glashütte“ ist auch eine richtige Qualitätsauszeichnung: Um den Ortsnamen aufs Zifferblatt drucken zu dürfen, reicht es nicht aus, dort ansässig zu sein. Dafür müssen auch mindestens 50 Prozent der Wertschöpfung am Uhrwerk vor Ort vorgenommen werden. Stammt das Werk aus der Schweiz, muss also aufwendig verziert oder technisch modifiziert werden. Das ist einmalig in Deutschland. Armbanduhren mit klangvollen Namen wie A. Lange & Söhne oder Glashütte Original werden hier gebaut. Sie kosten teilweise über 100.000 Euro und bringen Liebhaber in Paris, New York und Hongkong zum Schwärmen. Heute arbeiten in Glashütte in Sachsen ungefähr 1.000 der 7.000 Einwohner im Uhrenbau. Wie kommt es zu dieser Bündelung feiner Uhrenmarken, die man eher in München oder Hamburg erwartet hätte als im Osterzgebirge? Glashütter Uhrenmarken heute:
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Nomos Glashütte Glashütter Bauhaus-Design wiederbelebt Zürich Weltzeit mit eigenem Automatikwerk im 40-mm-Stahlgehäuse für 3740 Euro A. Lange & Söhne Wurde stilbildend Lange 1 mit eigenem Handaufzugswerk im 38,5-mm-Weißgoldgehäuse für 24.900 Euro Glashütte Original Klassisches Design Senator Automatik mit eigenem Automatikwerk im 40-mm-Stahlgehäuse für 5.450 Euro
 
 
 
Die Geschichte beginnt im 15. Jahrhundert, und nicht sehr prunkvoll: Glashütte war ein kleines Bauerndorf wie viele andere. Als im 15. Jahrhundert Silbererz gefunden und abgebaut wurde, erlebte der Ort einen Aufschwung und bekam 1506 sogar das Stadtrecht. Anfang des 19. Jahrhunderts waren die Erzvorkommen allerdings erschöpft, und die Arbeitslosigkeit in Glashütte nahm deutlich zu.
 
 
Gründete 1845 die erste Uhrenproduktion in Glashütte: Ferdinand Adolph Lange © PR
Die sächsische Regierung im 20 Kilometer entfernten Dresden rief Unternehmen auf, sich im Erzgebirge anzusiedeln. Der Uhrmachermeister Ferdinand Adolph Lange, Schwiegersohn und ehemaliger Lehrling des Königlichen Hofuhrmachers Johann Christian Friedrich Gutkaes, unterbreitete der sächsischen Regierung den Plan, im Erzgebirge eine Uhrenindustrie nach Schweizer Vorbild zu etablieren. Dadurch würde nicht nur der Wohlstand im Erzgebirge erhöht werden, sondern es bliebe auch mehr Geld im Land, schließlich müssten hochwertige Uhren dann nicht mehr ausschließlich aus der Schweiz bezogen werden. Lange plante, zunächst einmal 15 Jugendliche auszubilden. Diese sollten sich später selbstständig machen und als spezialisierte Zulieferer dienen. So sollte die Keimzelle für die deutsche Uhrenindustrie nach dem Vorbild des Schweizer Hochtals Vallée de Joux entstehen. Das dort herrschende System der Arbeitsteilung und den Wohlstand der Region hatte Lange während seiner Wanderjahre kennengelernt. Um die angehenden Uhrmacher auch nach der Ausbildung am Ort zu halten, sah Langes Plan vor, dass alle Lehrlinge aus der Gegend stammen sollten.
 
Das sächsische Ministerium des Innern wählte als geeigneten Platz Glashütte aus. Lange wurde ein Darlehen gewährt unter der Auflage, 15 Lehrlinge auszubilden. 1845 ging er nach Glashütte und gründete dort seine Uhrenmanufaktur für Taschenuhren. Damals lebten etwa 1.000 Menschen in dem Erzgebirgsstädtchen. Neben dem Wunsch, der notleidenden Bevölkerung zu helfen, waren wohl auch die niedrigen Löhne in diesem wirtschaftsschwachen Gebiet ein Grund für die Standortwahl. Als Betriebsleiter brachte Lange Adolf Schneider mit, der ebenfalls bei Gutkaes gelernt hatte.
Es war kein leichtes Unterfangen, die ehemaligen Strohflechter, Dienstjungen und Steinbrucharbeiter in die Feinmechanik einzuweisen. Außerdem brachten die Kosten Lange trotz der staatlichen Unterstützung an den Rand des Ruins. Er musste sein ganzes Geld und sogar das seiner Frau in die Unternehmung stecken. Glashütter Uhrenmarken heute:
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Mühle-Glashütte In Familienbesitz Germanika V mit modifiziertem Schweizer Automatikwerk im 42,4-mm-Stahlgehäuse für 1.590 Euro Moritz Grossmann Glashütter Werkaufbau Modell Benu mit eigenem Handaufzugswerk im 41-mm-Rotgoldgehäuse für 16.800 Euro
Trotz der Zeit, die Lange in Produktion und Ausbildung investierte, gelang es ihm, verschiedene Geräte zur exakten Herstellung von Teilen zu entwickeln und die Uhrwerke zum Beispiel durch die Dreiviertelplatine weiter zu verbessern. Seine präzisen Maschinen, die niedrigen Lohnkosten und die Arbeitsteilung führten dazu, dass er sehr genau gehende und dabei erschwingliche Uhren in Serie herstellen konnte. Die Uhren verkauften sich vor allem in England und Amerika gut. Auch Langes Plan, eine Uhrenindustrie zu etablieren, ging auf. Seine Lehrlinge machten sich selbstständig und belieferten ihn mit Teilen. Zudem siedelten sich andere Uhrenhersteller an: unter anderem Moritz Großmann, Robert Mühle und die Uhrenfabrik Union. Zudem wurde der theoretische Unterricht, der von Anfang an in Langes Plan eine Rolle spielte, weiter verbessert. Vor allem Moritz Großmann war es zu verdanken, dass 1878 die Deutsche Uhrmacherschule in Glashütte eröffnet wurde.
Von Schülern der Uhrmacherschule Glashütte angefertigte Zeichnung eines Werks mit typischen Glashütter Merkmalen wie der Dreiviertelplatine © PR
Die Vision von Ferdinand Adolph Lange war Realität geworden: Eine richtige Uhrenindustrie mit Zulieferern hatte sich in Glashütte etabliert, und der Ort florierte. Als Bürgermeister von Glashütte sorgte Lange zudem für eine Verbesserung der Infrastruktur. Im Grunde wurden in Glashütte immer nur hochwertige Uhren gebaut. Eine richtige Industrialisierung mit Fließbändern fand auch zur Jahrhundertwende in Glashütte nicht statt. Gebrauchsuhren kamen aus dem Schwarzwald oder der Schweiz. Zudem zögerte man in Glashütte, die in Mode gekommenen Armbanduhren und entsprechende Werke zu konstruieren und zu bauen. Das waren sicher zwei Gründe, die nach dem Ersten Weltkrieg in der Weltwirtschaftskrise der Glashütter Uhrenwelt den Niedergang bescherten und einige Marken sterben ließen. 1926 entstanden dann endlich die Uhren-Rohwerke-Fabrik Glashütte (Urofa), die Armbanduhrwerke herstellte, und die Uhrenfabrik AG Glashütte (Ufag), die Armbanduhren mit diesen Werken baute. Die Uhren der höchsten Qualitätsstufe trugen den Namen Tutima auf dem Zifferblatt. Während des Zweiten Weltkriegs wurden hauptsächlich Zünder und Taschenuhren sowie Armbanduhren für den militärischen Bedarf gebaut – darunter die berühmten großen Fliegeruhren. Noch am letzten Kriegstag wurde Glashütte bombardiert und schwer beschädigt. Glashütter Uhrenmarken heute:
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Tutima Glashütte Rückkehr in die alte Heimat Hommage Minutenrepetition mit eigenem Handaufzugswerk im 43-mm-oségoldgehäuse, limitiert auf 15 Stück, für 168.000 Euro Hemess Günstige Glashütter Uhr Hematic Royal mit modifiziertem japanischem Automatikwerk im 38-mm-Stahlgehäuse für 999 Euro Union Glashütte Führt ihre Tradition fort Noramis Chronograph mit modifiziertem Schweizer Automatikwerk im 42-mm-Stahlgehäuse für 2.500 Euro
Nach dem Krieg folgte die teilweise Demontage durch die sowjetischen Besatzungstruppen. 1951 wurden die verbliebenen Glashütter Uhrenfirmen – darunter Lange und Mühle – in dem Volkseigenen Betrieb Glashütter Uhrenbetriebe (GUB) zusammengefasst. Armbanduhren mit den in den 1960er Jahren entwickelten Automatikwerken namens Spezimatic waren nicht nur in der DDR als genaue und robuste Uhren beliebt. Auch in Westdeutschland wurden sie unter dem Namen Meister-Anker verkauft und brachten dem sozialistischen Staat wichtige Devisen. Sogar Quarzwerke wurden später entwickelt und gebaut.
Zu DDR-Zeiten entstanden im Volksei genen Betrieb GUB (Glashütter Uhrenbetriebe) gute Gebrauchsuhren © PR
Während es sich trotz der guten Qualität bei den Glashütter Produkten der DDR-Zeit um echte Gebrauchsuhren handelte, nahm die Bedeutung der alten handgemachten und handverzierten Qualitätstaschenuhren von A. Lange & Söhne im Westen wieder zu. Auf Auktionen stiegen ihre Preise, und viele Uhrenliebhaber entdeckten sie für sich als ihr Sammelgebiet. Nach der Wiedervereinigung kam es zu einer zweiten Blüte Glashüttes als Uhrenstadt. Die Glashütter Uhrenbetriebe wurden privatisiert, und 1994 entstanden unter der Ägide des Nürnberger Unternehmers Heinz W. Pfeifer wieder Luxusarmbanduhren mit dem Namen Glashütte Original. Bis heute konstruiert und fertigt man dort die Uhrwerke selbst. Die Fertigungstiefe ist enorm: Sogar Schrauben stellt Glashütte Original selbst her. Ebenfalls 1994 präsentierte die wiedergegründete Uhrenmarke A. Lange & Söhne mit technischer Unterstützung der Schweizer Schwestermarke IWC ihre ersten Uhren, darunter die inzwischen legendäre Lange 1 und ein kompliziertes Tourbillon. Walter Lange, der Urenkel von Ferdinand Adolph Lange, der nach dem Krieg nach Westdeutschland gegangen war, unterstützt die Marke. Alle Werke werden selbst entwickelt und die Feinheit der Verzierungen genießt weltweite Anerkennung. Wie bei der ersten, von Lange initiierten Blüte kamen andere Hersteller dazu, die teilweise an ihre eigene Geschichte in Glashütte anknüpfen konnten. So wurde Mühle-Glashütte ebenfalls von der Familie, die stets in Glashütte in der Uhrenindustrie beschäftigt war, wieder ins Leben gerufen. Der Düsseldorfer Roland Schwertner gründete die Uhrenmarke Nomos und nutzte dafür einen Namen, den es schon Anfang des 20. Jahrhunderts in Glashütte gegeben hatte. Als Vorbild für die Uhren diente ein Glashütter Design aus den 1920er Jahren. Inzwischen baut Nomos eigene Uhrwerke. Auch die Hamburger Juwelierkette Wempe baut Uhren in Glashütte. Ihr ist es zu verdanken, dass die verfallene Sternwarte in Glashütte renoviert wurde und heute die einzige deutsche Chronometerprüfstelle für Uhren beherbergt.
Juwelier Wempe richtete eine Chronometerprüfstelle in der alten Sternwarte ein und baut dort Uhren © PR
Ein Ende des Wachstums ist nicht in Sicht: Zuletzt ist der inzwischen in der Nähe von Bremen ansässige Uhrenhersteller Tutima wieder mit einer Außenstelle in seine Geburtsstadt zurückgekehrt und hat dort eine Uhr mit einer Zusatzfunktion entwickelt, die es so noch nie in Glashütte gab: eine Minutenrepetition, die die Zeit auf Verlangen mithilfe von Tonfedern schlägt. Und die Uhrenmarke Moritz Grossmann wurde ebenfalls wieder gegründet und errichtet zurzeit ein stattliches neues Produktionsgebäude. Glashütter Uhrenmarken heute:
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Wempe Zeitmeister In Glashütte als Chronometer zertifiziert Fliegeruhr mit modifiziertem Schweizer Handaufzugswerk im 45-mm-Stahlgehäuse für 1.575 Euro Bruno Söhnle Baut neben Quarzuhren auch Mechanik Modell Mechanik Edition No. 4 mit Schweizer Handaufzugswerk im 43-mm-Stahlgehäuse für 1.690 Euro B. Junge & Söhne Konfigurierbare Gehäuse Modell Modular SbrSS mit modifiziertem Schweizer Automatikwerk im 40-mm-Stahlgehäuse für 1.290 Euro
Glashütte bezieht seine Bedeutung also nicht nur aus der Geschichte, sondern auch aus dem Ruhm, den zahlreiche Qualitätsuhrenhersteller in das Städtchen zurückgebracht haben.

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