Sehr wenige von den ohnehin nur in geringen Stückzahlen produzierten Kampfschwimmer-Uhren von Panerai sind bis heute erhalten geblieben. Einige dieser Uhren sind erst nach Jahrzehnten wieder aufgetaucht und geben nach fast 70 Jahren Auskunft über ihren einstigen Verwendungszweck. Von diesen wenigen Exemplaren sind es wiederum nur eine kleine Anzahl von Uhren, deren Geschichte heute zurück bis zum Zeitpunkt ihrer Verwendung vollständig dokumentiert werden kann. Historisch belegbare Tatsachen über die Umstände und Begebenheiten aus der Zeit des 2. Weltkrieges, im Zusammenspiel mit Zeitzeugenberichten der wenigen heute noch lebenden Veteranen, dokumentieren diese Sammlerstücke in beeindruckender Weise. Heute stellen wir eine weitere Panerai-Uhr mit Geschichte vor:
Die Kiefer-Radiomir (Referenz 3646 / Typ D)
Die Kiefer-Radiomir mit der Gehäusenummer 260560 gehört wie auch die bereits hier vorgestellte Pape-Radiomir (siehe Artikel "Die Pape-Radiomir") zu den 60 heute noch bekannten Uhren des Typs D, dessen Nummernkreis sich von 260408 bis 260838 erstreckt. Ein besonderes Merkmal dieser Uhr ist das eingebaute Messingzifferblatt, bei dem die Leuchtmasse nicht wie bei den sonst üblichen Sandwich-Zifferblättern unter dem Zifferblatt liegt, sondern von oben aufgetragen wurde. Passend dazu besitzt diese Panerai-Uhr eine 1 mm flacher ausgeführte Lünette, da das Messingzifferblatt gegenüber dem Sandwichzifferblatt eine geringere Bauhöhe aufweist.
Bis heute sind nur acht Uhren mit dieser Zifferblattversion bekannt, welche anhand der verwendeten Uhrwerke und Gehäuseböden den Chargen des Typs D, E und G (1943-1944) zugewiesen werden können. Damit kann diese Zifferblattvariante innerhalb der Referenz 3646 durchaus als eine der Seltensten bezeichnet werden.
Die radioaktive Strahlung der Messingzifferblätter ist im Vergleich mit den Sandwichzifferblättern wesentlich geringer und deutet auf eine niedrigere Dosierung und andere Zusammensetzung der Leuchtmasse hin. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Radiomir-Leuchtmasse zum Zeitpunkt der Herstellung der Messingzifferblätter nicht mehr verfügbar war und man auf andere Leuchtmittel zurückgreifen musste. Die ursprüngliche Leuchtmasse in den Zeigern ist bis heute erhalten. Die gebläuten Zeiger weisen, nur in einem bestimmten Neigungswinkel erkennbar, leicht unterschiedliche Farbtöne auf, welche durch Erhitzen während der Herstellung entstehen.
Das Gehäuse der Uhr wurde nie aufpoliert und hat über Jahrzehnte eine einzigartige Patina erhalten. Kleine Kratzer und Tragespuren – Zeichen des langjährigen Gebrauchs – geben dem Gehäuse ein mattes Finish, welches bei vielen Sammlern historischer Uhren einen hohen Stellenwert genießt und als besonders sammelwürdig gilt.
„Das letzte Aufgebot“ – Kampfschwimmerausbildung im Schnelldurchgang (Winter 1944/45)
Die hier vorgestellte Panerai-Uhr (Buch „History1“ / Kapitel III) gehörte Karl-Heinz Kiefer. Er gehörte zu den letzten, vor Ende des 2. Weltkriegs im Schnelldurchgang ausgebildeten deutschen Kampfschwimmern. Kiefer war schon als Jugendlicher ein sehr guter Schwimmer und nahm an überregionalen Wettkämpfen teil. Im August 1942 machte er bei den Deutschen Jugendmeisterschaften in Breslau mit, bei denen er viele seiner späteren Kampfschwimmerkameraden kennenlernte, darunter auch Heinz Günter Lehmann (siehe Artikel „Die Lehmann-Radiomir“). mit dem er auch noch nach dem 2. Weltkrieg in freundschaftlicher Verbindung stand. Seine Laufbahn bei der Marine begann im Oktober 1943. Als Angehöriger der „Crew 10/43“ absolvierte er seine Rekrutenausbildung in Stralsund. Im Januar 1944 ging er in Gotenhafen an Bord des Zerstörers Z 25, wo er bis Juli 1944 den zweiten Abschnitt seiner Offiziersausbildung absolvierte. Ende Juli 1944 begann für Kiefer die letzte Phase seiner Ausbildung mit dem Navigationslehrgang in Schleswig, den er im Dezember 1944 als Fähnrich zur See abschloss. Nach der Offiziersausbildung hatte Kiefer ein klares Ziel: Er wollte zu den Kampfschwimmern und meldete sich sofort als Freiwilliger beim Kleinkampf-Verband. Dort waren viele seiner Schwimmkameraden, die er von den sportlichen Wettkämpfen vor Ausbruch des Krieges kannte.
Im Dezember 1944 wurde Kiefer zur Vorbereitung seiner Kampfschwimmerausbildung im sogenannten „Abhärtungslager“ in Kappeln an der Ostsee stationiert. Kiefer und seine Kameraden fanden dort nur spartanisch ausgestattete Baracken vor, die auch im Winter nicht beheizt wurden. Die Ausbildung der zukünftigen Kampfschwimmer beinhaltete neben dem Schwerpunkt Rudern (mit 24, 48 und 72 Stunden andauernden Trainingseinheiten!) auch das Boxen und eine Nahkampfausbildung. Im Januar 1945 wurde Karl-Heinz Kiefer nach List auf die Insel Sylt verlegt. Dort absolvierte er mit etwa 50 anderen Teilnehmern eine Ausbildung in der örtlichen Schwimmhalle und erlernte die Bedienung der Taucherausrüstung sowie den Umgang mit den Sprengladungen. Einen Monat später kam Kiefer nach Glücksburg, wo er an einer zweimonatigen Ausbildung im Meer teilnahm. In der Flensburger Förde waren die Bedingungen, alleine schon wegen der Wassertemperatur von nur 3 bis 4 Grad Celsius (!), deutlich schlechter als bei der Ausbildung in der Lagune von Venedig, wo Kampfschwimmer von Februar bis November 1944 ausgebildet wurden. In vielen nächtlichen Trainingseinsätzen wurde das Wrack eines Frachters, das im Grenzgebiet zu Dänemark lag, als Übungsobjekt für das Anschwimmen und Platzieren von Sprengladungen benutzt. Nach Abschluss der Ausbildung im Meer Ende März 1945 sollte Kiefer wieder zurück auf Sylt, um dort auf seinen ersten Einsatz zu warten. Dieser war im Hafen von Ancona an der italienischen Adriaküste geplant, doch es kam anders: Auf der Zugfahrt geriet er in einen Angriff alliierter Jagdflugzeuge, die bei Nacht in Niebüll den Eisenbahn-Verladebahnhof angriffen. Zwei seiner Kameraden kamen dabei ums Leben. Karl-Heinz Kiefer überlebte verwundet und wurde im Lazarett in Westerland behandelt. Nach seiner Genesung erhielt Kiefer mit etwa 15 weiteren Kampfschwimmern seine Panerai-Uhr überreicht. Das war für die Kampfschwimmer ein Ritual, das Kiefer als eine Art „Ritterschlag“ beschreibt: „Wer die Panerai am Arm trug, gehörte dazu.“, erinnerte sich Kiefer in einem Ende 2011 von uns geführten Interview. Bevor Kiefer in sein nächstes Einsatzgebiet (Rhein-Main-Mosel) versetzt wurde, um dort als Saboteur gegen vom Feind besetzte Brücken eingesetzt zu werden, war der Krieg bereits zu Ende. Er geriet in englische Kriegsgefangenschaft, konnte aber seine Panerai-Uhr der Konfiszierung durch die Engländer entziehen.
Die Panerai-Uhr blieb 62 Jahre lang Kiefer’s treuer Begleiter, bis er sich im Jahr 2007 von der Uhr trennte. Noch im gleichen Jahr wurde die Uhr Bestandteil des Buches „Uhren mit Geschichte“. Seit dem blieb der Kontakt zwischen uns und Karl-Heinz Kiefer bestehen. Dank des 2011 geführten Interviews konnte die Geschichte der Uhr und ihres Trägers ausführlicher dargestellt werden. Der Veteran blickte während des Interviews zurück und zog sein Resümee: „Am Ende meiner monatelangen Ausbildung entkam ich in Niebüll nur knapp dem Tod. Kurz darauf war ich bereit für den Einsatz und wollte ihn unbedingt ausführen. Ich wartete auf den Befehl, aber bevor dieser Befehl kam, war der Krieg schon vorbei. Heute sage ich: Ich habe großes Glück gehabt! Was geblieben ist, sind die Freundschaften zu meinen Kameraden von damals – sie hielten ein Leben lang.“
Weitere Informationen über die Kiefer-Radiomir und deren Vorbesitzer sind im Buch „History1“ (Kapitel III) von Ralf Ehlers und Volker Wiegmann veröffentlicht. Hardcover, 26 x 26 cm, 420 Seiten Inhalt, mehr als 250 Fotos und 30 technische Illustrationen, trilingual (Deutsch, Italienisch, Englisch) Preis 189,- EUR. www.vintagepanerai.com
Text: Volker Wiegmann