Es gibt wohl außerhalb der Schweiz kein Land, in dem es so viele Uhrenmarken gibt wie in Deutschland. Daher setzten wir 2023 den lang gehegten Plan um, nach Glashütte und dem Schwarzwald eine weitere deutsche Region zu besuchen: Erstmals ging es ins Rhein-Main-Gebiet, nach Frankfurt und Umgebung.
Erste Station: Botta
Am Morgen des 7. März starten wir von der Mainmetropole aus in den Taunus, zur Marke Botta nach Königstein. Dort begrüßt uns Inhaber Klaus Botta mit seinem Team, zu dem auch seine Frau und sein Sohn gehören. Der Industriedesigner und Produktgestalter gründete 1986, noch während seines Studiums, sein Designbüro und entwarf zunächst ganz verschiedenartige Produkte, auch Armbanduhren.Zu Bottas ersten Auftraggebern gehörte unter anderem Junghans. Für die Schramberger Traditionsmarke gestaltete Botta deren erste Solaruhr Solar-1. 1986 entwarf er die Einzeigeruhr Uno, die ursprünglich von der Firma Watchpeople vertrieben wurde und die bis heute zu den typischen Modellen der Marke Botta zählt.
Bei Botta selbst werden keine Uhren gebaut, Produktion und Service der knapp 2000 Uhren pro Jahr finden in Süddeutschland statt. Was wir in Königstein live erleben, ist der komplette Kreativprozess: von den Handzeichnungen, die die Grundidee aufs Papier bringen, über den CAD-Prozess, in dem das Gehäuse mit all seinen Proportionen definiert wird, die technischen Zeichnungen für die Zifferblätter, die für den Zifferblatthersteller bis zum Hundertstelmillimeter genau festlegen, wie die Skalierungen aussehen sollen, bis hin zum Ausdruck eines 3D-Modells und der Vorbereitung des Prototypenbaus.
Wir sind fasziniert davon zu sehen, wie viele zum Teil winzige Details zu beachten sind, damit eine Uhr mit einem durch und durch stimmigen Design entsteht. Klaus Botta, der an der HfG Offenbach studiert hat, sieht sich in der Tradition des Bauhauses und setzt Designthemen wie Vereinfachung und Benutzerfreundlichkeit auch bei seinen Uhren um. Zu den typischen Botta-Modellen gehören neben der Uno die Uno 24 mit Einteilung des Zifferblatts in 24 Stunden, die extrem reduzierte Nova und die Clavius, bei der der Sekundenzeiger unter einem durchsichtigen Raster nicht fließend zu laufen, sondern abwechselnd zu starten und zu stoppen scheint. Botta legt Wert darauf, dass seine Werke von Eta, Sellita und Ronda ausschließlich aus der Schweiz stammen und die Uhr selbst komplett in Deutschland hergestellt wird.
Zweite Station: Sinn Spezialuhren
Am frühen Nachmittag geht es dann zurück nach Frankfurt zu Sinn. Als wir durch das Portal des 2017 eröffneten Firmengebäudes gehen, heißt uns Sinn-Geschäftsführer Lothar Schmidt herzlich willkommen. Wir sind zum richtigen Zeitpunkt da: Im März kann man bei Sinn die Sonderausstellung besuchen, die mit vielen ganz exklusiven Exponaten aus der Unternehmensgeschichte bestückt ist. (Sie läuft noch bis zum 6. April.)
Am Eingang der Halle ist unübersehbar der gelbe Reile-Porsche 911 RSR geparkt, in dem Rennfahrerlegende Walter Röhrl 2009 sein letztes Rennen bestritt - siegreich natürlich. Die Werbung für den Sinn 917 Rallye Chronographen prangt riesig auf der Motorhaube. Lothar Schmidt sowie Simone Richter und Sabine Kleiter von der Leitung Marketing und Kommunikation erklären uns alles über Einsatzzeitmesser, Finanzplatzuhren, die für die Gehäuse verwendeten Metalle und die verschiedenen Sinn-Technologien wie die Ar-Trockenhaltetechnik oder die Tegimentierung genannte Art der Oberflächenhärtung. Dazwischen gehen wir an einem Highlight nach dem anderen vorbei: etwa der Sinn-Uhr, die den ehemaligen Google-Manager Alan Eustace 2014 bei seinem Stratosphären-Rekordsprung begleitete - Eustace sprang aus 41 km Höhe ab und damit aus einer größeren Höhe als Felix Baumgartner (39 km).
Oder die Navigationsborduhr "Nabo" 17, die 1980 beim Crash des Tornado-Prototypen P04 an Bord war und auch nach dem Absturz noch einwandfrei funktionierte. Nach diesem Erlebnis geht die Hälfte unserer Gruppe ins Uhrmacheratelier, wo unter Anleitung durch die Azubis lernen, wie man Zeiger setzt. Die andere Hälfte kann währenddessen dabei zuschauen, wie die Extremtaucheruhr UX mit dem Spezialöl befüllt wird, das dafür sorgt, dass man die Uhr über wie unter Wasser aus fast allen Winkeln perfekt ablesen kann. Wir dürfen sogar den Finger in ein mit diesem Öl gefülltes Glas stecken - es fühlt sich überraschend wenig ölig an -, aber über dessen Zusammensetzung schweigt sich der Mitarbeiter aus. Anschließend geht es ins Labor. Auch hier ein Höhepunkt nach dem anderen: In der einen Ecke steht ein Gerät zur Messung der Wasserdichtheit bis zum theoretischen Wert von 16.000 Metern, das es laut Sinn so nirgendwo sonst gibt.Am anderen Ende des Raumes steht die Klimakammer, in der die mit der entsprechenden Technologie ausgestatteten Uhren Temperaturen von –45 bis +80 Grad Celsius aushalten müssen. Hier sehen wir auch die kleinen Kapseln, die die in das Uhreninnere eindringende Feuchtigkeit aufsaugen und deren Blauton anzeigt, wann sie gesättigt sind und ausgetauscht werden müssen. Danach dürfen wir die ersten Neuheiten des Jahres in die Hand nehmen, darunter die Taucheruhr T50 mit Gehäuse und Lünette aus Goldbronze. Den krönenden Abschluss bildet der Besuch im Shop: Hier dürfen wir fast endlos in Uhren schwelgen. Und die Uhrenreise wäre keine Uhrenreise, wenn sich am Ende nicht auch noch einige Teilnehmer eine neue Uhr kaufen würden. Wie sich Johannes über seinen neuen Sinn EZM 3 freut, sehen Sie oben im Video.
Dritte Station: Alexander Shorokhoff
Am Mittwoch fahren wir nach Alzenau. Das Städtchen, in dem die Bewohner noch mit hessischem Akzent sprechen, das aber seit 1817 zu Bayern gehört, ist seit 2001 die Heimat der Marke Alexander Shorokhoff. Sie wurde vom gleichnamigen russischen Unternehmer Alexander Shorokhov (die Marke schreibt sich mit "ff", um die russische Herkunft zu betonen) 2003 gegründet. Shorokhov wurde einst von Michail Gorbatschow als einer von 20 Managern nach Deutschland geschickt, um hier die soziale Marktwirtschaft kennenzulernen. 1992 gründete er eine Vertriebsgesellschaft für Poljot-Uhren. Shorokhov empfängt uns zusammen mit seiner Tochter Inga Duffy-Shorokhova in seinem Atelier und erklärt uns die Hintergründe der Marke.
Beide erzählen von den schwierigen Anfängen, als viele potenzielle Kunden sich noch nicht auf die kreativen und oft sehr farbenfrohen Designs einlassen wollten. Shorokhov aber glaubte an seine Art, Uhren zu gestalten. Seine Mischung aus Kreativität und Beharrlichkeit zahlte sich schließlich aus: Die Marke ist heute durch ihre Designs einzigartig in der Uhrenwelt, die Modelle sind leicht als Alexander-Shorokhoff-Uhren erkennbar, und dementsprechend stellte sich mit der Zeit auch der Erfolg ein. Das Besondere der Uhren liegt zum einen im Zifferblatt begründet: Hier lässt sich Shorokhov von Dingen, die ihm begegnen, inspirieren, wobei vor allem Künstler wie Gustav Klimt, Fjodor Dostojewski oder Pjotr Tschaikowski eine wichtige Rolle spielen.
Die zweite Besonderheit sind die handgravierten Uhrwerke. Sie stammen aus der Hand eines Graviermeisters, dem wir staunend bei seiner Arbeit zuschauen. Während er den Stichel ansetzt, erläutert er uns, wie er die unterschiedlichen, oft floralen Muster bewerkstelligt. Danach gehen wir ins Uhrmacheratelier. Hier arbeiten fünf Uhrmacher, von denen drei Meister sind. Sie arbeiten mit Schweizer Werken, aber auch noch mit Poljot-Kalibern. Das Prinzip von Alexander Shorokhoff ist, dass eine Uhr von ein und demselben Uhrmacher von A bis Z gefertigt wird und auch später im Falle eines Service oder eine Reparatur wieder zu diesem Uhrmacher zurückkommt. Was Uhrmacher und Graveure angeht, beschäftigt die Marke außer denen, die wir in Alzenau sehen, weitere, die in Heimarbeit für spezielle Projekte engagiert werden. Insgesamt zählt Alexander Shorokhoff 17 Mitarbeiter und stellt rund 2000 Uhren pro Jahr her. Unser Besuch endet mit dem Highlight: der Vorlage der Uhren aus der aktuellen Kollektion. Bei dieser Gelegenheit können wir auch schon prüfen, wie sich die Neuheiten des bisherigen Jahres am Handgelenk anfühlen.
Vierte Station: Juwelier Pletzsch
Nach dem Mittagessen in Alzenau geht es zurück nach Frankfurt. An der Zeil 81 befindet sich das Stammhaus von Juwelier Pletzsch. 1897 gegründet, war Pletzsch seitdem an diesem Standort vertreten und bietet heute eine große Auswahl hervorragender Marken an. Seit den späten Neunzigern gehört Juwelier Pletzsch, der neben Frankfurt in sieben weiteren deutschen Städten vertreten ist, zur Gold-Kraemer-Stiftung, die Menschen mit Behinderungen unterstützt. Wir haben ausgiebig Zeit, mit Geschäftsführer Mike Linner zu plaudern, vor allem über die Uhren, die er für uns herausgesucht hat.
Darunter sind unter anderem Stücke von Zenith, Porsche Design und Franck Muller, aber auch die Omega Speedmaster an seinem Handgelenk wird zum Gegenstand unserer Diskussion. Linner ist ein versierter Kenner der Uhrenszene, vielen auch bekannt durch seinen Instagram-Kanal. Mit ihm zu sprechen, ist immer super spannend. Anschließend gehen wir in die Werkstatt, wo uns deren Leiter Peter Koch empfängt. Das Atelier ist groß und hell, es gibt Arbeitsplätze für vier Uhrmacher und alle wichtigen Geräte für die Reparatur und den Service von Uhren. Koch, der selbst seit Jahrzehnten leidenschaftlich Uhren sammelt, erzählt uns, dass seine Abteilung den Service für alle Pletzsch-Geschäfte übernimmt und gibt einige Beispiele aus der täglichen Arbeit sowie Anekdoten von schwer zu reparierenden Spezialfällen. Man hat sofort den Eindruck, dass die eigene Uhr hier in besten Händen ist, wenn sie mal wieder auf Vordermann gebracht werden muss.
Schließlich wird es draußen langsam dunkel und wird bewusst, dass wieder einmal eine schöne und mit tausend Informationen und Eindrücken gespickte Uhrenreise zu Ende geht. Aber das Gute ist: Bis zu den nächsten dauert es nicht mehr lange! buc