Eine der wertvollsten privaten Uhrensammlungen der Welt ist zurzeit im Design Museum von London zu sehen: die OAK Collection ("one of a kind") des französischen Geschäftsmanns Patrick Getreide. Rüdiger Bucher sprach mit dem Sammler am Tag vor der Ausstellungseröffnung in London.Herr Getreide, Sie sammeln seit 40 Jahren Uhren. Wie hat damals alles angefangen? Als Teenager war ich in einem Internat in der Schweiz. Mittwochs und samstags durften wir nachmittags in die Stadt gehen. Eines Tages entdeckte ich im Schaufenster eines Juweliers eine Omega, in die ich mich verliebte. In den folgenden Woche bin ich immer wieder um den Laden herumgeschlichen, insgesamt vielleicht 50-mal. Beim 51. Mal ging ich dann hinein. Der Mann im Laden war sehr freundlich; er freute sich, dass so ein junger Bursche Interesse an seinen Uhren hatte. Natürlich hatte ich kein Geld, mein Vater gab mir nur fünf Schweizer Franken pro Woche. Aber ich bekniete ihn so sehr, dass er irgendwann nachgab und mir die Uhr kaufte. Es dauerte dann aber noch einmal zehn Jahre, bis ich in der Lage war, mir selbst eine gute Uhr leisten zu können.
Was für eine Omega war das? Ich weiß es nicht mehr, ich habe sie verloren. Es ist die einzige Uhr, die ich je verloren habe. Mit Anfang 20 habe ich mir dann eine Cartier Tank gekauft. Die können Sie auch in der Ausstellung sehen. Ich war damals bei einem Pferderennen und gewann 39.000 französische Francs, das sind heute etwa 6000 Euro. Die Uhr kostete etwa 16.000 Francs. Am nächsten Montagmorgen stand ich um Punkt zehn Uhr bei Cartier im Geschäft und verlangte nach einer Tank. Vor 45 Jahren war Cartier für einen Franzosen das Beste, was man am Handgelenk tragen konnte, vielleicht zusammen mit Boucheron. Eine elegante Uhr, perfekt für den Abend.Die Eleganz hat Sie besonders angezogen? Ja. Ich interessiere mich generell weniger für die Mechanik einer Uhr.Wann haben Sie dann angefangen, richtig zu sammeln? Zu dem Zeitpunkt, als ich die Cartier kaufte, hatte ich noch nicht das Geld, mir zum Beispiel eine Patek Philippe zu leisten. Ich kaufte andere Marken wie Universal Genève oder Zenith. Später dann auch einen ewigen Kalender von Cartier. Vor etwa 35 Jahren kaufte ich meine erste Patek, eine Referenz 3970, Chronograph mit ewigem Kalender und Diamantindexen. Seitdem bin ich verrückt nach Patek Philippe. So ging es los.
Warum gerade Patek Philippe? Sie sind die Besten. Die Qualität ist einzigartig. Dort gibt es alles: von der Calatrava bis zu den Komplikationen, Emailuhren, Taschen- und Tischuhren, alles. Und vor allem: Viele Modelle bringen sie nur in kleinen Stückzahlen heraus. Das ist mir sehr wichtig. Ich besitze übrigens eine der größten Calatrava-Sammlungen weltweit.Wie viele Calatravas haben Sie? Um die 30. Einige davon sind Spezialanfertigungen, die ich bestellt habe. Diese hier zum Beispiel (er nimmt eine Calatrava Referenz 5196-P010 von seinem linken Arm) hat ein spezielles Zifferblatt in Blau, das gibt es nur einmal. Blau ist meine Lieblingsfarbe.Haben Sie auch schon Uhren verkauft? Eine einzige: eine Breguet. Für mich die beste Breguet, die es je gab, produziert in den späten zwanziger Jahren, die sogenannte „Dollfuss”. Ein Unikat. Die Uhr gehörte einem Angehörigen der Familie Dollfus, einer der reichsten Familien in Frankreich, der sie seinem Bruder Charles schenkte. Charles Dollfus war ein Flugpionier, der schon früh den Ärmelkanal überquert hat.Was für ein Uhr war das? Sie sah ähnlich aus wie meine Tank, eine rechteckige, elegante Uhr. Ich mochte sie sehr, aber damals musste ich sie veräußern, um mir ein Haus zu kaufen.
Vermissen Sie die Breguet? Das Verrückte ist: Vor einigen Jahren rief mich Aurel Bacs (einer der bestvernetzten Auktionatoren weltweit) an und sagte: “Ich habe Ihre Dollfus gefunden!” Ich war elektrisiert angesichts der Chance, meine Uhr zurückzubekommen. Aber als ich sie sah, fand ich sie winzig. Das war einmal meine Traumuhr gewesen. Ich hatte Alpträume, als ich sie verkaufen musste. Aber ein paar Jahrzehnte später fand ich sie einfach zu klein.Was sind Ihre Leitlinien für den Kauf einer Uhr? Perfekte Qualität, kleine Serien – und natürlich muss sie mir gefallen. Vintage-Uhren müssen im Originalzustand und so gut wie neu sein. Und wenn ich eine Patek kaufe, will ich die ganze Familie haben.Sie meinen, das gleiche Modell in verschiedenen Materialvarianten? Ja! Erst vor kurzem habe ich eine der ersten Calatravas überhaupt gekauft, eine Referenz 96 in Platin, so gut wie neu. Danach fand ich eine Referenz 96 in Gelbgold, später eine in Rotgold und schließlich auch noch eine in Stahl. Als ich mit dem Sammeln begann, war das mit der Familie für mich noch kein Thema. Aber heute ist es mir sehr wichtig.Sammeln Sie vor allem Vintage-Modelle? Auf das Alter kommt es mir nicht an. Ich kaufe genauso gern neue wie alte Uhren. (Er nimmt die Patek Philippe Advanced Research Fortissimo Referenz 5750P von seinem rechten Handgelenk.) Das ist die beste Minutenrepetition, die je gebaut wurde. Patek hat sie erst vor einigen Monaten herausgebracht. Es gibt nur 15 Stück davon! Und der Ton ist unglaublich. (Er aktiviert den Mechanismus, aber man hört nur einen einzigen Ton, denn es ist gerade 13.02 Uhr. Er verstellt die Zeit auf 12.48 Uhr und betätigt den Schieber noch einmal.)
Hören Sie das? Das ist ein fantastischer Sound, und so gut hörbar, auch aus einigen Metern Entfernung. Diese Uhr finde ich faszinierend. Und diese auch! (Er holt eine weitere Patek Philippe aus der Innentasche seines Jacketts.) Das ist eine der großartigsten Uhren, die es gibt. Eine Referenz 1518, eine sogenannte „Pink pink” (gemeint ist ein Rotgoldgehäuse mit einem lachsfarbenen Zifferblatt). „Pink Pinks” gibt es ohnehin nur ganz wenige, aber diese hier, mit einem Rotgoldarmband von Gay Frères (ein renommierter Bänderhersteller, der 1998 von Rolex übernommen wurde), gibt es nur einmal. Schauen Sie sich das Band an: Besser geht es nicht! Und dabei ist die Uhr 70 Jahre alt.
Ist das Ihre Lieblingsuhr? (lacht) Oh, ich habe viele Lieblingsuhren! Diese hier etwa (er holt eine weitere Uhr aus der anderen Innentasche seines Jacketts). Eine Patek 2499 mit champagnerfarbenem Zifferblatt, ebenfalls ein Einzelstück. Perfekt.
Woher wissen Sie, dass eine Uhr ein Einzelstück ist? Mit welchen Experten tauschen Sie sich aus? Zu ihnen gehören Arnaud Tellier (der frühere langjährige Direktor des Patek Philippe Museums), Eric Tortella (ein Uhrenexperte, der viele große Sammler berät), und Patrick Cremers (der Direktor des Patek Philippe Salons in Genf). Ich arbeite nur mit den Besten zusammen. Das hat mir einst mein Vater geraten: Wenn du erfolgreich sein willst, musst du zusehen, dass die besten Leute für dich arbeiten! Selbst wenn du ihnen das Doppelte oder Dreifache zahlen musst. Das ist immer noch günstig. Wenig zu bezahlen, ist viel teurer.Haben Sie jemals erwogen, andere Dinge zu sammeln, zum Beispiel Autos? Ich besaß eine Sammlung von 43 Autos. Ich habe damit aufgehört, weil es immer schwieriger wird, mit ihnen zu fahren. Ich möchte ihre Geschwindigkeit eigentlich ausreizen, aber da landen Sie heute schnell im Gefängnis. Ich hatte auch eine große Gemäldesammlung. Die musste ich verkaufen, um mir die Uhren leisten zu können. Bei Uhren kann ich eine Gänsehaut bekommen, bei Kunst nicht, das ist der Unterschied. Ich habe allerdings festgestellt, dass meine Uhrenleidenschaft mit zunehmendem Alter immer größer wird. Ich bin jetzt 68 und kaufe mehr Uhren denn je. Ich muss ein bisschen aufpassen.Aus wie vielen Uhren besteht Ihre Sammlung? Aus rund 600 Stücken. Über 90 Prozent stammen von Patek Philippe. Der Rest ist zu einem Großteil Rolex, aber ich sammle auch einige unabhängige Marken wie F. P. Journe, Voutilainen oder Akrivia. Rexhep Rexhepi (der Gründer von Akrivia) hat für mich zwei Unikate angefertigt.
Welches ist Ihre Lieblings-Rolex? Die witzigste ist auf jeden Fall die Referenz 3525. Sie gehörte dem früheren Generalsekretär der Kommunistischen Partei Italiens, Palmiro Togliatti. Auf ihn wurde im Juli 1948 ein Attentat verübt, das er nur dank seines Arztes überlebte. Als Dank dafür schenkte er dem Arzt die Uhr. Ich finde die Geschichte, dass ein Kommunist eine Rolex trug, witzig.
Tragen Sie Ihre Uhren auch? Selbstverständlich! Ich trage sie alle. Mit manchen gehe ich sogar schwimmen. Zum Beispiel mit dieser hier. (Er zieht abermals eine Uhr hervor.) Das hier ist die neueste Weltzeituhr von Patek Philippe, in Platin. Sie ist wasserdicht, daher gehe ich mit ihr schwimmen. Manchmal schwimme ich sogar mit Vintage-Uhren wie meiner alten 3970.Ist beim Schwimmen irgendwann einmal Wasser eingedrungen? Nie. Aber natürlich lasse ich bei Patek Philippe von Zeit zu Zeit die Wasserdichtheit überprüfen. Ich habe auch einen Uhrmacher, der für mich arbeitet und sich um meine Uhren kümmert. Ich will, dass alle meine Uhren ständig funktionstüchtig sind.Kann Ihr Uhrmacher all Ihre Patek-Uhren reparieren? Einige. Nicht die ganz komplizierten. Die gebe ich direkt zu Patek Philippe.Wie kamen Sie auf die Idee, Ihre Uhren hier in London auszustellen? Es hat ein paar Jahre gedauert, bis die Idee sich geformt hat. Als ich noch eine Auto- und Kunstsammlungen besaß, hatte ich bereits hin und wieder Museen einige Stücke daraus ausgeliehen. Irgendwann sagte ich zu mir: Warum nicht auch die Uhren zeigen? Ich finde, dass diese Schätze auch einem größeren Publikum zugänglich sein sollten. Schließlich sind Uhren ja auch Kunstwerke. buc