Für Wienreisende führt ab sofort kein Weg mehr an Juwelier Schullin vorbei. Wer das Geschäft betritt, wird sofort gefangengenommen von der eindrucksvollen Inneneinrichtung. Hier findet man hochwertigste Zeitmesser von heute - von Marken wie Rolex, Breitling oder Zenith - in einem historisch bedeutsamen Ambiente, das keineswegs historisch, sondern höchst modern wirkt. Kein Wunder, das "Haus am Michaelerplatz", als das es früher in Wien bekannt war, wurde von einem der wichtigsten Architekten der Wiener Moderne gestaltet: dem 1870 im mährischen Brünn geborenen Adolf Loos (siehe Kasten).
Das Looshaus
Das Looshaus, wie es heute heißt, ist eines der Hauptwerke des damals berühmten Architekten. Loos war ein Visionär und sich durchaus der Tatsache bewusst, dass seine Ideen eigentlich immer ein paar Jahre zu früh für seine Zeit kamen. Insbesondere das Looshaus wurde bei seiner Fertigstellung 1911 zum Gegenstand erbitterter Debatten, weil es sich nicht in die ornamentalen Nachbarbauten einfügte, sondern mit seiner funktionalen Nüchternheit viele Zeitgenossen verärgerte. Kaiser Franz Joseph, der in der Hofburg Sichtweite auf der anderen Seite des Platzes residierte, störte sich an der als fast nackt empfundenen Fassade des Gebäudes. Loos, der sich mit Kompromissen schwertat, war schließlich bereit, einige (aber nicht alle) Fenster der Frontseite mit Blumenkübeln zu schmücken. So ist es bis heute. Doch wer wegen der Uhren kommt, wird seinen Blick nicht unbedingt nach oben richten. Zu eindrucksvoll ist das Portal, hinter dessen vier Marmorsäulen sich eine große, gebogene Glasfront befindet. Hier präsentieren sich neben den drei oben genannten Marken auch Uhren von Hublot, Parmigiani und Tudor, innen findet man weitere Marken wie Bell & Ross, Eberhard oder Frederique Constant.
Adolf Loos
Adolf Loos (1870–1933) war als Architekt und Architekturkritiker ein früher Vertreter eines modernen Funktionalismus, der nicht zuletzt durch seine Schrift „Ornament und Verbrechen“ von 1908 bis heute bekannt ist. Loos lehnte verschnörkelte Dekorationen ab und setzte stattdessen auf strenge, oft minimale Formen, Farben und Materialien, die aber sehr hochwertig sein mussten. Loos arbeitete gern mit Wandvertäfelungen und verwendete Spiegel, um Räume größer erscheinen zu lassen. Er war selbstbewusst, streitbar und kompromisslos. Seine Kunden entstammten vornehmlich einem kulturell aufgeschlossenen Bürgertum in Österreich und der 1918 gegründeten Tschechoslowakei.
Luxuriöse Eleganz der Moderne
Das Innere des Hauses ist mindestens so interessant wie das Äußere. Dort, wo Juwelier Schullin heute seine Uhren verkauft (die Schullin-Boutique für Schmuck ist weiterhin um die Ecke am Kohlmarkt), befand sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein damals renommierter Herrenausstatter namens Goldman und Salatsch. Die Inhaber waren begeistert von Loos' Ideen und beauftragten ihn mit dem Bau des Hauses sowie der gesamten Inneneinrichtung. Wie diese aussah, lässt sich heute auf Schritt und Tritt erfahren, sobald man die Eingangstür passiert hat. Insbesondere die opulente Verkleidung von Wänden und Säulen mit Mahagoni fällt sofort auf, ebenso der Einsatz von Spiegeln. Wenn man im Erdgeschoss steht, beherrscht die unübersehbare große, zentrale Treppe das Bild.
Von dort geht es in das Mezzanin genannte Geschoss, das reichlich Platz für Kundengespräche in entspannter Atmosphäre bietet. Hier sind auch die Büros der Geschäftsführer untergebracht. Mit 700 Quadratmetern Fläche ist der Mezzanin noch einmal deutlich größer als das Erdgeschoss mit weiteren 400 qm. Wichtig ist Herbert Schullin, seiner Frau und ihren Söhnen Lukas und Johannes, dass in absehbarer Zeit auch die Uhrmacher hier einziehen, die derzeit noch extern angesiedelt sind. Im Erdgeschoss gelangt man schließlich über eine seitliche Treppe nach unten in die Rolex-Boutique. Schullin ist seit Jahrzehnten Konzessionär der Genfer.
Aufwändige Restaurierung
Das ursprüngliche Interieur wurde im Laufe der Jahrzehnte zerstört - beginnend mit den Nationalsozialisten, die dort 1938 ein Opel-Autohaus installierten. Nach der Übernahme des Hauses durch die Raiffeisenbank begann bereits in den 1970er Jahren eine aufwendige Restaurierung. Schullin sah sich bei der jetzt erfolgten Renovierung vor die Aufgabe gestellt, die Erhaltung bzw. Wiederherstellung der ursprünglichen Einrichtung mit den Erfordernissen des Denkmalschutzes auf der einen sowie den Erfordernissen modernster Uhrenpräsentation auf der anderen Seite zu vereinen. Zu den spektakulärsten Arbeiten gehört sicherlich die Anfertigung der großen, gebogenen Frontscheiben, für die erst einmal ein passender Lieferant gefunden werden musste. Der Aufwand hat sich mehr als gelohnt: Wer das Geschäft am Michaelerplatz heute betritt, kann Uhren in einer schönen, eleganten und kunsthistorisch bedeutenden Umgebung kaufen, die ihresgleichen sucht.