Eugène Blum, dessen Firma sich von bescheidenen Anfängen sukzessive zu einem Weltunternehmen entwickelte, wurde am 15. Juli 1875 als neuntes und letztes Kind des Judas Blum und seiner Frau geboren. 1886 erlangten die Kinder, acht Jungen und ein Mädchen, in der Ortschaft Buttes die schweizerische Staatsbürgerschaft. Nach einer kaufmännischen Ausbildung fand er seinen ersten Job bei seinem Halbbruder Maurice Blum, der in La Chaux-de- Fonds an der Rue du Parc, unweit der heutigen Firmengebäude, bereits eine kleine Uhrenfabrik betrieb. Diese Tätigkeit führte ihn bereits vor der Jahrhundertwende ins Ausland. In der Türkei und in Russland knüpfte er wichtige Kontakte für seine spätere berufliche Selbstständigkeit. Bei der Einweihung der Synagoge in La Chaux-de-Fonds 1899 lernte er Alice Lévy, eine französische Kaufmannstochter aus Nantes, kennen. 1902 heirateten die beiden in Paris, wo die Brauteltern damals lebten. Damit wurden die Weichen in Richtung eines eigenen Betriebs gestellt. Alice Lévy brachte als Mitgift nämlich nicht nur die stattliche Summe von 40.000 Franken mit (dürfte heute rund einer Million Mark entsprechen), sondern auch jede Menge an Energie und kaufmännischem Wissen. Diese geballte Kompetenz mag Eugène Blum bewogen haben, seine beabsichtigte Karriere aufzugeben. Kurzerhand legte er die Pläne zu den Akten, das nicht gerade üppige persönliche Vermögen in die Fabrik des Halbbruders zu stecken. Vor dem Start in die Selbstständigkeit galt es zahlreiche Formalitäten zu klären. Zudem musste mit Jules-Emile Blancpain aus Villeret intensiv über die Lieferung der unabdingbaren Rohwerke sowie längere Zahlungsziele verhandelt werden.
10. Okt 2011
14 Minuten
Ebel: 100 Jahre Uhrengeschichte
2011 feiert die Uhrenmarke Ebel ihren 100. Geburtstag. Die Geschichte der Familie Blum und ihrer Marke erzählt von Pioniergeist, Kreativität und Erfolgen, aber auch von den Höhen und Tiefen, die fast jede Uhrenfirma über die Jahrzehnte hinweg erlebt.
Durch die enge Kooperation und gebündelte Energie der Inhaber gelang es dem jungen Unternehmen, die Folgen des Ersten Weltkriegs ohne größere Blessuren zu überwinden. Und das, obwohl so wichtige Auslandsmärkte wie Österreich-Ungarn, Rumänien, Spanien, und das zaristische Russland, wo sich Ebel als offizieller Lieferant des Zarenhauses bestens eingeführt hatte, förmlich über Nacht zusammenbrachen. Um Produktion und Personal halten zu können, musste dringend adäquater Ersatz gefunden werden.
Aufsehen in Paris
Qualitätssicherung
Notgedrungen konzentrierte sich Ebel zum einen stärker auf einheimische und zentraleuropäische Kundenkreise. 1925 eröffnete man ein Verkaufsbüro im mondänen Paris, wo im gleichen Jahr die legendäre Art-déco-Ausstellung stattfand. Hier überraschte Ebel das Publikum durch die Schönheit und Originalität seiner Produkte. In den Publikationen über diese Messe konnte man unter anderem lesen: „Das amüsanteste Stück ist eine achteckige Uhr mit einem streng geometrischen Dekor. Das wertvollste ist ein großes, mit Brillanten besetztes Armband, dessen starker Eindruck durch eine Reihe von Smaragden und Onyxe noch unterstrichen wird. Andere Uhren verdienen ebenfalls Beachtung, zum Beispiel die vier Exemplare, deren Gehäuse mit grünen Dreiecken verziert sind. Das Dekor setzt sich sogar auf den Lederbändern fort. Zwei Uhren sind für Herren und zwei für Damen gedacht. Es handelt sich sozusagen um die verehelichte Uhr!“ Solche Schmuckstücke fürs Handgelenk entstammten unzweifelhaft der Einflusssphäre Alice Blums, die mit ihrem sicheren ästhetischen Geschmack über die optischen Komponenten wachte. Zum anderen erkannte Eugène Blum schon damals die starke wirtschaftliche Bedeutung der außereuropäischen Märkte. Nach ausgedehnten Reisen gelang es ihm, neue Kunden in Lateinamerika, Japan und China zu gewinnen.
Technische Innovation, ein Höchstmaß an Funktionalität und optische Attraktivität brachte 1928 das erste Automatik-Modell von Ebel. Bei diesem „Ebello“ genannten Taschen- oder Tischührchen mit elegantem Schiebeetui sorgte ein 1930 zum Patent angemeldeter Hebelmechanismus dafür, dass die Energie zum Auseinanderziehen und Zusammenschieben des Gehäuses wirkungsvoll auf das Federhaus übertragen wurde. Dieses Vielseitige Modell sowie ein vierliniges, auf Serienproduktion ausgelegtes Baguettewerk für Schmuckuhren zeigte Ebel im turbulenten Jahr 1929 am schweizerischen Stand der Weltausstellung in Barcelona. Beides hinterließ bei der Jury tiefe Eindrücke, weshalb sie Ebel ein Ehrendiplom für herausragende Leistungen verlieh. Diese Würdigung erfüllte vermutlich auch die damaligen Kunden (u.a. Marvin, Mimo und Zenith) sowie die Rohwerke-Lieferanten wie Louis-Elisee Piguet mit Stolz, denn sie profitierten ebenfalls ganz beträchtlich von der Kreativität, dem Qualitätsniveau und dem Motivationsschub.
Im Oktober 1929, als der gewaltige Börsencrash an der New Yorker Wallstreet die Weltwirtschaftskrise auslöste, trat der 1908 geborene Sohn der Gründer, Charles-Eugène Blum, in die Dienste der Firma. Wie schon sein Vater hatte er eine gründliche Ausbildung zum Uhrmacher absolviert. Während des Besuchs der Uhrmacherschule La Chaux-de- Fonds gewann er gleich eine ganze Reihe wichtiger, einflussreicher Freunde, die sich später als sehr hilfreich für die geschäftliche Entwicklung erweisen sollten. Bei Ebel selbst und beim Besuch der ausländischen Kunden erwarb Charles zudem das kaufmännische Rüstzeug für die spätere Leitungsfunktion. Während er sich um die Diversifikation der Produktpalette sowie die Qualität annahm, dachte er immer wieder an einen jungen Uhrmacher, den er während seiner Ausbildung kennenund schätzen gelernt hatte: Marcel Reuche. Er holte ihn aus Zürich nach La Chaux-de-Fonds und stattete ihn mit einem breit gefächerten Verantwortungsbereich aus. Bald schon war Ebel ohne das uhrmacherische Talent dieses Mannes nicht mehr denkbar. Durch unermüdlichen Einsatz gelang es Reuche, das Ansehen der Marke kräftig zu steigern und neue Kunden für die fertigen Werke zu finden. Einer davon war Vacheron & Constantin, das die Uhren seiner Untermarke Astral in den dreißiger Jahren mit Werken von Ebel ausstattete.
Reuches Initiative war auch die Einführung eines lückenlosen Kontrollsystems für die Uhrwerke zu verdanken. Dem ambitionierten Uhrmacher lag so viel an einer systematischen Produktionsüberwachung, dass er, natürlich in Absprache mit Charles Blum, auch vor einer beträchtlichen Kostensteigerung nicht zurückschreckte. Bald schon hielten die ersten Zeitwaagen Einzug, Maschinen von Western Electric, die es außer bei Ebel noch nirgends in der Schweiz gab. Später wurden sie durch die bekannten „Vibrografen“ abgelöst.
Nach dem Zweiten Weltkrieg unternahmen Eugène, Alice und Charles Blum, die 1946 an der Rue de la Paix ihr neues Firmengebäude eingeweiht hatten, einen weiteren Anlauf zur stärkeren Popularisierung der eigenen Marke. Sie etablierten sich in Skandinavien und Italien, kreierten neue Werke (z.B. 1955 das massivgoldene, nur 1,7 mm hohe Handaufzugs-Kaliber 96) und Modelle, traten werblich noch stärker in Erscheinung und beschickten die wichtigsten Ausstellungen mit Ebel signierten Uhren. Ab 1949 gehörte dazu auch „Montres et Bijoux de Genève“, ein exzellentes Forum für wertvolle Schmuckuhren und kreative Designs.
Die wichtigste Ära der Erneuerung erlebte Eugène Blum nicht mehr. Er starb am 3. Januar 1959, zwei Jahre vor dem 50-jährigen Firmenjubiläum. Nun war Charles Blum im Wesentlichen auf sich allein gestellt. Zwar gingen ihm sein Sohn Jean-Claude, der 1958 in die Firma eintrat und bis heute für den Bereich Großuhren verantwortlich zeichnet, und seine Mutter Alice als Präsidentin des Verwaltungsrats der Eugène Blum S.A. zur Hand, die wichtigsten Entscheidungen traf jedoch er.
Zu diesen gehörten die Einführung des Kalibers Ebel 59 mit 13 Millimetern Durchmesser für kleine Damenuhren und die Lancierung des Erfolgsmodells „President“ als Leader der Kollektion. 1961 präsentierte Charles Blum auch noch das Kaliber Ebel 059 (Durchmesser ebenfalls 13 mm) mit rückwärtigem Aufzug. Es ließ Damenuhren noch raffinierter erscheinen, weil keine Krone den optischen Eindruck zu stören vermochte. Für eine derartige Schmuckuhr erhielt Ebel 1963 den Ersten Preis bei der Schweizerischen Landesausstellung.
Das alles reichte freilich noch nicht aus, um Ebel zu einer ebenso bekannten wie begehrenswerten Marke zu machen. Um das zu erreichen, bedurfte es der Fähigkeiten eines Pierre-Alain Blum. Der 1945 geborene Sohn des Charles-Eugène kokettierte stets mit der Feststellung, kein guter Schüler gewesen zu sein. Schlimmer noch: Als er 15 war, erklärte er seinen Eltern, dass er die Oberschule abbrechen würde. Stattdessen ließ er sich auf einer technischen Schule zum Elektrotechniker oder -ingenieur ausbilden. Vier Jahre später wandte er sich der Uhrmacherei zu: In La Chaux-de-Fonds belegte er einen entsprechenden Grundkurs, der ihn allerdings nur kurze Zeit in seinen Bann zog. Pierre-Alain Blum besaß andere Vorstellungen von beruflicher Perspektive. Der junge Mann, der stets in größeren Dimensionen dachte, ging nach Amerika. Bei Lucien Piccard in New York, einer Importfirma für eidgenössische Erzeugnisse, spezialisierte er sich auf den Uhrenverkauf und arbeitete sich konsequent nach oben. Er war überall, wo man ihn brauchte. Fiel ein Kollege aus, erledigte Pierre-Alain seine Arbeit mit; galt es, neue Kunden zu gewinnen, setzte er seine kommunikativen Fähigkeiten mit größtem Engagement ein. Nach fünf Jahren bei Piccard war der Umsatz von drei auf 21 Millionen Dollar geklettert. 1969 offerierte ihm der Arbeitgeber ein besonderes Geschenk: die Teilhaberschaft. Voller Stolz teilte der 24-Jährige dies seinem Vater mit. Zurück kam jedoch kein Glückwunschtelegramm, sondern die dringende Bitte, endlich nach La Chaux-de-Fonds zurückzukehren und ins Management des Familienunternehmens einzusteigen. Der Hilferuf entbehrte nichts an Deutlichkeit: „Komm heim, sonst verkaufe ich!“ „Verkauf doch!“ protestierte der Sohn entrüstet. Darauf erreichte ihn aus Europa nur noch ein Satz: „Blut ist dicker als Wasser.“ Und der führte bei Pierre-Alain zu der Erkenntnis, dass es keine Alternative gab.
Als Sohn des Firmeninhabers hatte er es nicht leicht. Im Betrieb regierte die eiserne Hand des Vaters. Pierre-Alain konnte Tag und Nacht arbeiten, einen dicken Auftrag aus den USA an Land ziehen – die letzte Entscheidung traf stets der Vater. Erst Anfang der siebziger Jahre eröffnete sich vor wenig erfreulichem Hintergrund die Chance schlechthin: 1971 erlitt Charles Blum einen Bootsunfall, zwei Jahre später setzte ihn ein schwerer Autounfall für längere Zeit außer Gefecht. Nun zeigte Pierre-Alain sein Talent, stellte er sein Organisationsgeschick, seine Marketingkenntnisse, seine kommunikativen Fähigkeiten und seine Kreativität unter Beweis. Zunächst entwickelte er eine klare Zukunftsphilosophie. Dann realisierte er sie Zug um Zug.
Die Bilanz konnte sich sehen lassen: Im ersten Jahr eigenverantwortlichen Handelns stieg der Umsatz um 30 Prozent, im folgenden nochmals um den gleichen Wert, und weitere zwölf Monate später hatte sich die Zahl verdoppelt. 1973 kaufte Pierre-Alain seinem Vater 70 Prozent des Unternehmens ab, 1975 gehörte ihm Ebel komplett. Trotz der sich immer deutlicher abzeichnenden „Quarzkrise“ ging es steil nach oben. Von 1970 bis 1988 explodierte die Mitarbeiterzahl von 40 auf 700, der Umsatz vervielfachte sich innerhalb von 15 Jahren gar um den Faktor 61.
Diese märchenhafte Erfolgsstory besitzt mehrere Kapitel, deren Wurzeln tief in die Vergangenheit des Familienunternehmens zurückreichen. Hinter dem kometenhaften Aufstieg von Ebel stand nicht nur der untrügliche Geschäftssinn Pierre-Alain Blums, der schnell mal nach Hongkong und Singapur reiste, um dort eigene Vertriebsniederlassungen zu gründen. Qualitätspflege spielte für Ebel immer eine entscheidende Rolle. Eine (teilweise) Produktion in Fernost wäre für Pierre-Alain Blum undenkbar gewesen. Selbst die außerschweizerische Fertigung von Bestandteilen wie Zifferblättern, Gehäusen oder Bändern lehnte er kategorisch ab.
Dieses eiserne Festhalten an tradierten Normen ließ Pierre-Alain, der den Betrieb wie seine Vorfahren zweigleisig führte, 1975 eine absolute Sternstunde erleben. Cartier suchte im Zuge seiner Renaissance einen erfahrenen Luxusuhren-Produzenten. In Betracht kam nur ein über jeden Qualitätszweifel erhabener Private-Label-Fabrikant. Nach einigen Verhandlungen erteilte Cartier Ebel den Auftrag zur Uhrenfertigung.
Dieses Geschäft trieb die Umsätze sprunghaft in die Höhe. Doch auf dem Gesicht Pierre-Alain Blums zeichneten sich nach Unterzeichnung des Vertrags und Aufnahme der Produktion auch Sorgenfalten ab. Die daraus rsultierende Abhängigkeit suchte er bald auszugleichen: durch einen neuen Auftritt der eigenen Marke. Er wollte „die typische Ebel“ mit einem hohen Wiederkennungswert. So etwas konnte seine Kollektion bis dahin nicht vorweisen. Die existierenden Modelle waren zwar klassisch schön und von hoher Qualität, außergewöhnliche Merkmale besaßen sie nicht. Blum beauftragte den Schweizer Uhrendesigner Eddy Schoepfer damit, eine echte, unverkennbare Ebel zu kreieren. Schoepfer präsentierte daraufhin jene elegante Sportuhr, welche den signifikanten Ebel-Look begründete. Ihre Erkennungsmerkmale: fließender Übergang vom sogenannten Wellenband zum Gehäuse, Arretierung des Glasrands mithilfe von fünf Goldschrauben. Blum nannte das Modell zunächst durchaus passend „Leader“, bekannt wurde sie später als „Sport Classic“. Nun musste Blum nur noch die entsprechenden Kundenkreise für die preislich im unteren Segment der Luxusklasse angesiedelte Armbanduhr finden.
Boris Becker & Co.
Der Ebel-Chef wurde rasch fündig. Als der mit ihm befreundete Formel-1-Rennfahrer Alain Prost den Grand Prix von Frankreich mit einer Ebel am Handgelenk gewann, stand für Blum die Zukunftsstrategie fest. Das Sport-Sponsoring entwickelte sich zum Zugpferd des neuen Markenauftritts. Autorennen, Golfturniere, Segelregatten und Tennis- Championate fanden künftig unter finanzieller Beteiligung von Ebel statt. Blum nahm Stars wie Boris Becker, Yannick Noah, Sandy Lyle, Markus Ryfel und Valérie Brisco- Hooks unter Vertrag. Um nicht einseitig zu werden, widmete sich die Marke alsbald auch der „Kulturförderung“. Konzerte mit Stardirigent Leonard Bernstein, Barbara Hendricks und anderen Spitzenkünstlern aus dem Bereich Oper und Ballett trugen den Namen in die entsprechenden Kreise.
„Das Erbe der Ahnen ist mir heilig“, proklamierte Charles Blum noch kurz vor seinem Tod. Die Turbulenzen und ständig wechselnde Besitzer hatten den alten Herrn gebrochen. Seine nicht mehr aus der Familie stammenden Nachfolger sollten an diesem Prinzip nicht zu sehr rütteln. Es hat sich bewährt, wie das Studium der Archive belegt. glb