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6 Minuten

Wie entsteht der Rotor einer Automatikuhr?

Nomos Glashütte DUW 3001
© PR
Es ist ein uralter Menschheitstraum: eine Maschine, die sich selbst bewegt, die ohne Energie von außen ihre Arbeit verrichtet. Nichts kommt der Utopie des Perpetuum mobile so nahe wie eine Automatikuhr, bei der allein die Bewegung des Trägers das Werk mit Energie versorgt. Hauptverantwortlich dafür ist der Rotor der Uhr. Diesen führte Hans Wilsdorf 1931 bei Armbanduhren ein. Wie der Rotor hergestellt wird, zeigt dieser Artikel.
Das neue Nomos-Kaliber DUW 3001 ist nur 3,2 Millimeter hoch.
Das Nomos-Kaliber DUW 3001 ist nur 3,2 Millimeter hoch. © PR
Die Idee bewegt bereits die Taschenuhr: Abraham-Louis Perrelet gelingt es im 18. Jahrhundert erstmals, einen Mechanismus zu konstruieren, bei dem ein pendelartiges Gewicht der Zugfeder Kraft zuführt, sobald die Uhr bewegt wird. Noch macht das relativ wenig Sinn: Die Uhren ruhen viel zu gemütlich in den Taschen der Träger, um genügend Energie zugeführt zu bekommen. Das ändert sich erst mit dem Aufkommen der Armbanduhr zu Beginn des 20. Jahrhunderts. 1923 entwickelt der englische Uhrmacher John Harwood die Armbanduhr »Rolls«, bei der das gesamte Werk auf Kugeln in einem Rahmen hin- und hergleitet und damit die Uhr aufzieht. Das offizielle Video von Nomos Glashütte zeigt das Automatikkaliber DUW 3001 im Detail: [HTML1]

So arbeitet der Rotor in einer Automatikuhr

Das heutige Automatikwerk funktioniert durch ein separates Gewicht – eine meist als Kreisausschnitt gearbeitete Platte. Dieser Rotor – auch Schwing- oder Schwungmasse genannt – kreist zentral gelagert über dem Werk und wird 1931 von Rolex-Gründer Hans Wilsdorf eingeführt. Zwar kann sich der Rotor dieses Werks in beide Richtungen drehen, allerdings wird die Zugfeder nur bei der Bewegung in eine Richtung gespannt. 1942 bringt die Ebauches-Firma Felsa mit dem »Bidynator« einen Zentralrotor auf den Markt, der beide Drehrichtungen zum Spannen der Zugfeder nutzt. Er verfügt über einen sogenannten Wechsler – eine Getriebeanordnung, mit der Drehungen in zwei Richtungen in solche von nur einer Richtung umgewandelt werden. Ob rechts oder links herum, ob beidseitig oder einseitig aufziehend – das Prinzip ist stets das gleiche: Physikalische Grundlage für den automatischen Aufzug ist die Erdanziehung. Die Schwungmasse wird durch ihr Gewicht nach unten gezogen, was den Rotor zum Drehen bringt. Aufbau und Material des Rotors sind entscheidend für die Wirksamkeit eines automatischen Aufzugs: Ein hohes spezifisches Gewicht sorgt für entsprechend viel Energie. Außerdem ist es bei der Konstruktion wichtig, dass das Trägheitsmoment des Rotors möglichst weit außen liegt. Gleichzeitig darf das Trägheitsmoment nicht zu groß sein, da sonst der Aufzugsmechanismus zu schnell arbeitet und die Zugfeder und die Reduktionsräder unnötig stark belastet. Spezialist in Sachen Rotor ist die Firma Zürcher Frères aus Les Bois. Das Schweizer Unternehmen wurde 1948 als Hersteller für kleine, mechanische Teile gegründet. Heute ist Zürcher Frères der wichtigste Produzent von Schwungmassen für verschiedene Uhrenmarken – vom Hersteller hochwertiger Luxusuhren bis hin zum Produzenten einfacherer mechanischer Zeitmesser. Da es beim Rotor also um ein hohes spezifisches Gewicht geht, sind Schwungmassen oft aus Wolframlegierungen gefertigt. Wolfram ist ein weißglänzendes, als Pulver mattgraues Schwermetall, das mit über 3.400 Grad einen hohen Schmelzpunkt besitzt. Das spezifische Gewicht ist mit 19,3 Gramm pro Kubikzentimeter so hoch wie das von Gold. Neben Wolfram werden auch Legierungen der Edelmetalle Platin und Gold für Luxusuhren zu Schwungmassen verarbeitet. In einigen günstigen Uhrwerken findet man hingegen Rotoren aus Kupferlegierungen. Da es kaum möglich ist, aus Wolfram Profile oder Stangen zu erstellen oder es durch Stanzen und Drehen zu bearbeiten, beginnt der Siegeszug der Wolfram-Schwungmassen erst Anfang der 1950er-Jahre mit der Entwicklung von Hochtemperaturvakuumöfen und des Sinterns.
Audemars Piguet Kaliber 3123
Kaliber 3123: Das leistungsstarke Kaliber von Audemars Piguet mit einem kunstvoll gravierten Rotor. © PR
Das Sintern verdichtet pulverförmige oder feinkörnige Stoffe durch Druck und Hitze. Bei Zürcher Frères besteht das Ausgangsmaterial zu etwa 95 Prozent aus Wolfram, dem Kupfer, Nickel und weitere nichtmagnetische Metalle beigemischt werden. Es gibt auch Legierungen aus dem Schwermetall Molybdän. Die genaue Zusammensetzung der Legierungen ist jedoch streng geheim. Nicht aber der Aufbau: Es gibt Schwungmassen, bei denen nur das Außensegment aus Molybdän und die innere Partie aus Nichteisenmetallen besteht. Andere Schwungmassen sind durch und durch aus Wolfram-Legierungen. Zunächst wird die Pulvermischung erstellt. Um ein optimales Ergebnis – hohe spezifische Dichte, Stabilität und gutes galvanisches Haftvermögen – zu erzielen, wird die Korngröße der Metallelemente exakt berechnet. Zur Auswahl stehen Metallpulver mit Korngrößen von ein bis zehn Mikrometer Durchmesser. Mit Hilfe eines Dosierungsgeräts wird die richtige Mischung auf 0,05 Gramm genau in Matrizeformen gefüllt, die denen der späteren Rotoren entsprechen. Die Erstellung dieser Matrizeformen erfolgt – ebenso wie die von Bearbeitungsformen oder Stempeln – direkt bei Zürcher Frères. In den Matrizeformen wird das Metallpulver mit einer hydraulischen Presse zweiseitig komprimiert. Dabei wirken Kräfte von mehr als 8.000 Kilogramm pro Quadratzentimeter.

Auf 8.000 Kilo pro Quadratzentimeter folgen 1.600 Grad Celsius

Darauf folgt eine zwölfstündige thermische Behandlung im Hochvakuumofen. Die Sintertemperatur beträgt dabei bis zu 1.600 Grad. Meist steht nach dem Sintern bei den Rohteilen Material von einigen Zehntel Millimetern über. Also müssen die Schwungmassen durch spanabhebende Verfahren wie zum Beispiel durch CNC-Drehautomaten kalibriert, bearbeitet und veredelt werden. Um das Werkstück spannungsfrei, korrosionsfest und antimagnetisch zu machen, wird es abschließend thermisch behandelt. Nun geht es an die optische Verschönerung der Schwungmasse: In galvanischen Bädern wird rhodiniert oder vergoldet, in der Werkstatt wird poliert, dekoriert, verziert und graviert. Dass der mittig befestigte Zentralrotor, der den gesamten Werkdurchmesser einnimmt, für den Aufzug der Zugfeder genügend Kraft hat, ist einleuchtend. Doch wie ist es mit den kleineren, dezentralen Rotoren? Diese werden 1954 und 1955 von den Firmen Büren und Universal entwickelt und patentiert. Bei Büren nennt man sie »Planetenrotor«, bei Universal »Microrotor«. Automatikwerke mit Mikrorotoren sind relativ flach, da sich Federhaus, Unruh und Schwungmasse auf einer Ebene befinden. Natürlich hat der kleine Rotor den Nachteil eines etwas geringeren Wirkungsgrades, da das Drehmoment geringer ist. Um das auszugleichen, ist das Gewicht der Schwungmasse erhöht.
Glashütte Original Kaliber 90
Kaliber 90: Das Automatikwerk von Glashütte Original verfügt über einen Mikrorotor. © PR
Der Rotor ist es jedoch nicht allein, der die Uhr zum Laufen bringt. Die Schwungmasse dreht sich meist in einem Kugellager. Winzige Stahlkügelchen mit einem Durchmesser von lediglich 0,65 Millimetern und einem Gewicht von einem Tausendstel Gramm sorgen dafür, dass sich der Rotor bei der kleinsten Bewegung der Uhr dreht. Mittlerweile nutzen Uhrenfirmen auch Kugellager mit Kugeln aus keramischem Zirkoniumoxid. Diese Kugellager müssen nicht geschmiert werden und erzielen durch die verminderte Reibung sogar eine höhere Aufzugsgeschwindigkeit und damit eine verbesserte Leistung. Das kommt dem ganzen Werk zugute – nicht umsonst überzeugen automatische Uhrwerke durch ihre Präzision. Das Geheimnis: Da ihre Zugfeder fast ständig auf dem gleichen Niveau gespannt ist, schwingt die Unruh relativ konstant und die Zeit wird präzise angezeigt. Fortlaufend aktualisierter Artikel, ursprünglich online gestellt im Mai 2016.
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