Die Uhren von Urwerk sind Faszination pur: Mit innovativen Zeitanzeigesystemen und kreativer Schöpfungskraft beweisen Felix Baumgartner und Martin Frei, wie viel Moderne in der alten Kunst der Uhrmacherei schlummert.
Ein bisschen Erklärung tut schon Not: Erblickt man die Kreationen von Urwerk zum ersten Mal, bedarf es ein wenig Nachhilfe, um die ungewöhnlichen Systeme der Zeitanzeige zu entschlüsseln. Denn mit normalen Zeigern oder konventionellen Zifferblättern haben es die Herren von Urwerk überhaupt nicht. Felix Baumgartner und Martin Frei erwecken Uhren zum Leben, wie die Welt sie noch nicht gesehen hat. Mit drehenden, durchnummerierten Klötzchen, mit wandernden Ausschnitten oder kreisenden Satelliten. „Wir wollen neue Wege beschreiten", sagt Felix Baumgartner. Der 33-Jährige ist der uhrmacherische Kopf des Duos und erklärt die Motivation, die ihn und Kompagnon Martin Frei, den 41-jährigen Designer der Uhren, antreibt: „Wenn man in ein Uhrenmuseum geht, müsste man als Uhrmacher eigentlich depressiv werden. Denn dort sieht man, dass alles schon einmal gemacht wurde und das meist besser." Deshalb wolle Urwerk die Geschichte der Uhrmacherei würdigen, indem man sie fortschreibe.
Die hohen Ziele ruhen auf einem soliden Fundament: Felix Baumgartner kommt aus einer Familie, in der die Uhrmacherei sich vom Großvater auf den Vater und schließlich auf den Sohn vererbt hat. Schon als Kind ist er fasziniert von der Mechanik in Vaters Werkstatt und entrostet als vierjähriger Steppke mit Feuereifer Pendel und Zahnräder. Zwar will er damals noch Kapitän werden, doch bald ist klar, dass er doch in die Fußstapfen des Vaters treten wird. Zielstrebig absolviert er seine Ausbildung und macht sich 20-jährig in Genf als Uhrmacher selbstständig. Er arbeitet für Svend Andersen, für Patek Philippe, für Vacheron Constantin und löst Probleme, an denen erfahrenere Kollegen kläglich gescheitert sind.
Gleichzeitig beherrscht ihn die fixe Idee, selbst eine interessante, ganz andere Uhr zu erschaffen. Durch seinen Bruder lernt er schließlich Martin Frei kennen, der ausgebildeter Grafiker ist und die Hochschule für Gestaltung und Kunst in Luzern besucht hat. Zwischen den beiden entspinnt sich ein kreatives Pingpong-Spiel. Dabei kommt dem Team die unvoreingenommene Frische Martin Freis zugute, der sagt: „Ich komme aus einer Welt grenzenloser Kreativität und nicht aus der Uhrmacherei. So dient mir mein gesamter kultureller Hintergrund als Inspirationsquelle." Die Ideen fliegen hin und her, technische Lösungen werden erarbeitet, ein unkonventionelles Design entwickelt und schließlich präsentiert das Duo 1997 eine Uhr mit einem vollkommen neuen Zeitablesemodus: Das Zifferblatt der Modelle 101 und 102 ist fast völlig von einer Metallplatte verdeckt, ein rundes Fensterchen durchwandert den oberen Halbkreis. Die darin sichtbare Zahl steht für die Stunde, die Position des Kreises gibt Auskunft über die Minute. Verschwindet die aktuelle Stunde am rechten Ende des Halbkreises, taucht gegenüber die nächste auf. Die Viertelstunden lassen sich noch relativ gut ablesen, mehr Genauigkeit ist schwierig. „Zeit muss man doch nicht auf die Sekunde wissen", sagt Felix Baumgartner zum kühnen Premierenmodell.
Dennoch setzt man bei den späteren Modellen auf deutliche Sichtbarkeit der Minuten: 2003 präsentieren die Macher von Urwerk das Modell 103 auf Basis des modifizierten Kalibers Peseux 7001. In dieser Uhr erfolgt die Zeitanzeige durch vier Scheibensegmente, Satelliten genannt. Die mit jeweils drei Zahlen bedruckten Scheiben wandern an der Minutenskala vorbei und zeigen mit der Stundenziffer auf die aktuelle Minute. Innerhalb von vier Stunden nehmen die Satelliten eine ganze Drehung um das Zifferblatt sowie eine Drehung um 120 Grad um die eigene Achse vor. Die Realisation dieser Bewegungen bedarf viel Konstruktionsarbeit. Die größten Schwierigkeiten sind das Gewicht der Satelliten, die im Gleichgewicht zu halten sind, sowie die Reibung, die minimiert werden muss, um Energie zu sparen. Dabei helfen moderne Materialien: Aluminium, Titan und ARCAP, eine rost und magnetfreie Legierung.
Bis zur Präsentation des Modells 103 ist Urwerk eher ein idealistisches Unterfangen: „Es ist schwierig, Uhren zu bauen, die nicht der herkömmlichen Technik entsprechen. Man muss alles selbst erfinden und hat keine Anhaltspunkte", erklärt Felix Baumgartner. Doch 2003 nimmt endlich ein großer Kreis von Uhrenliebhabern Notiz von den ungewöhnlichen Uhren. Das Duo verkauft 24 Uhren.
Heute arbeiten zusammen mit Baumgartner in Genf fünf Angestellte in der Produktion und Verwaltung, Martin Frei ist in Zürich mit fünf Mitarbeitern für Design, Konstruktion und ebenfalls Produktion zuständig. 2007 werden 200 Uhren gefertigt und verkauft, 2008 werden es 240 Uhren sein. „Mehr wird es von Urwerk nicht geben", sagt Felix Baumgartner. „Damit haben wir unsere gewünschte Größe erreicht."
Allerdings gibt es Interessenten aus der ganzen Welt, die an zehn internationale Partner verwiesen und häufig vertröstet werden müssen. Denn nach der 103 erschaffen Baumgartner und Frei ein weiteres Objekt der Begierde: 2007 wird die Kollektion 201, eine Variation der Opus 5, die Baumgartner für Harry Winston kreiert hat, vorgestellt. Hier wird die Stunde von drehenden Würfeln abgelesen, die auf teleskopischen Minutenzeigern sitzen. Das gleiche Prinzip findet sich in der 2008 vorgestellten Kollektion 202 auf Basis eines Sowind-Automatikkalibers. Als besonderer Clou ist der Rotor dieser Uhr mit zwei Miniturbinen auf der Unterseite verbunden, die ihn mit Hilfe des Reibungswiderstandes der Luft steuern und zum Beispiel bei Sport vor zu großer Beanspruchung schützen.
Solche überraschende Ideen will Urwerk künftig auf eigener Basis bieten. „Derzeit entwickeln wir ein spezielles Grundwerk für uns", gibt Baumgartner preis und verrät: „Und im Januar wird es eine neue Uhr geben, die aus der Reihe tanzt - mit einem ganz neuen System einer ungewöhnlichen Zeitanzeige."
Text: Iris Wimmer-Olbort; aus Uhren-Magazin 11-0082