Sommerwetter im Oktober, spannende Blicke hinter die Kulissen und Uhren, wie man sie noch nie gesehen hat: Die diesjährige Uhrenreise nach Genf wurde für uns alle zu einem unvergesslichen Erlebnis. Nicht weniger als sieben verschiedene Marken standen diesmal auf dem Programm.
Erster Besuch: Urwerk
Zu Beginn heißt es Köpfe einziehen: Unsere Reise startet in der Genfer Altstadt in einem historischen Gebäude mit niedrigem Eingang, der uns in verwinkelte Ateliers auf verschiedenen Etagen führt. Hier ist Urwerk beheimatet, die Marke, mit der Uhrmacher Felix Baumgartner und Designer Martin Frei schon seit 1997 die einst sehr klassische Uhrenwelt mit ungewöhnlichen Kreationen herausfordern. Urwerk steht im Design für raumschiffartige Zeitmesser und in der Mechanik für eine Stundenanzeige über rotierende Satelliten, auf denen je vier Stundenkuben sitzen. Von diesen fährt jeweils einem Kreissegment mit den Minuten von null bis 60 vorbei, um danach vom nächsten abgelöst zu werden.
Im Atelier sehen wir nicht nur jede Menge Uhren mit dieser immer wieder abgewandelten und neu interpretierten Technik, sondern erfahren auch viel über die Geschichte und Motivation dahinter. Mitgründer Felix Baumgartner betont, wie sehr die futuristischen Kreationen der Marke von der jahrhundertealten Uhrmacherkunst beeinflusst sind und zeigt uns die Inspiration für seine erste Uhr von 1997: eine italienische Nachtuhr aus dem 17. Jahrhundert, bei der eine Stundenziffer in einem halbkreisförmigen Ausschnitt an Viertelstundenindexen entlangwanderte. Das andere Extrem ist die 2017 vorgestellte Atomuhr AMC ("Atomic Mechanical Control"), die als Mutteruhr zum Stellen, Aufziehen und Regulieren einer mechanischen Armbanduhr dient. Die Idee zu diesem sensationellen Stück stammt von der Pendule Sympathique von Abraham-Louis Breguet.
Zweiter Besuch: Breitling Boutique und Breitling Kitchen
Zum Mittagessen steuern wir nach dem Besuch bei Urwerk die neue Breitling Kitchen am Seeufer an. Sie wurde in diesem Jahr eröffnet und befindet sich direkt neben der Breitling Boutique. In sie gehen wir zuerst und haben dort die Gelegenheit, uns die neuesten Uhren anzuschauen (und zu kaufen). Vor allem die vielen Farbvarianten von Navitimer, Premier & Co. werden ausgiebig probiert und mit den Farben der Kleidung verglichen. Somit dauert unser Besuch etwas länger als geplant, aber schließlich landen wir im markeneigenen Restaurant nebenan, wo wir bei 23 Grad Sonne und Seeblick den Breitling Burger genießen und uns weiter über unser Lieblingsthema austauschen.
Das Konzept der Breitling Kitchen begann mit einem Breitling-Café in Seoul, wo die größte Breitling-Boutique der Marke steht. Es wird jetzt langsam auf weitere Standorte übertragen. Hier kann jeder ungezwungen zum Essen und Trinken kommen und in cooler Retro-Atmosphäre entspannen, ohne dass es irgendeinen psychologischen Zwang zum Betrachten oder gar Kaufen von Uhren gibt. Breitling setzt auf Kunden, die sich wohlfühlen und die Marke mit einer angenehmen, relaxten Stimmung assoziieren. Ein Konzept, das in dieser Form noch einzigartig in der Uhrenindustrie ist, aber vielleicht nicht mehr lange.
Dritter Besuch: Akrivia
Rexhep Rexhepi ist einer der Shootingstars der Schweizer Uhrenszene. Mit seiner Liebe zur klassischen Uhrmacherei hat der gebürtige Kosovo-Albaner die Herzen von Kennern und Sammlern im Sturm erobert. Bei gerade einmal 50 bis 70 gefertigten Uhren pro Jahr war er noch vor kurzem ein absoluter Geheimtipp, doch damit ist es spätestens seit dem Tag Anfang Oktober 2023 vorbei, als Louis Vuitton eine spektakuläre Co-Produktion mit Akrivia, der Marke des begnadeten Uhrmachers, bekanntgab. Die Präsentation fand am Tag vor unserem Besuch in Los Angeles statt, sodass der Meister persönlich nicht in Genf sein konnte. Nichtsdestotrotz konnten wir die Ateliers in der Genfer Altstadt besuchen, in denen jeder Uhrmacher beziehungsweise Uhrmacherin jede Uhr von A bis Z von Hand fertigt. Und nicht nur das: Im Zentrum der Markenphilosophie steht das Ethos, möglichst jeden Bestandteil der Uhren selbst zu produzieren, auch die Spiralfedern – Siliziumfedern lehnt man ab, da sie nicht der altherbrachten Handwerkstradition entsprechen.
Zu den wenigen Ausnahmen gehören Rubinlagersteine. An vielen Vormittagen trifft man in einer der Werkstätten – es gibt derzeit zwei, eine weitere ist in Planung – auch den für Uhrenkenner legendären Gehäusespezialisten Jean-Pierre Hagmann an, der für Akrivia die Gehäuse ebenfalls ganz in traditioneller Handarbeit, unter völligem Verzicht auf jegliche digitalen Hilfsmittel, herstellt. Wir sind froh, dass wir angesichts der extrem limitierten Produktion doch zwei Uhren in die Hand nehmen – allerdings nicht fotografieren – dürfen: die AK-02 (Zweizeigeruhr mit Tourbillon) und die AK-06, Rexhepis erstes Modell ohne Tourbillon.
Vierter Besuch: Hublot
Eine ganz andere Hausnummer erwartet uns am zweiten Tag: Hublot produziert rund 1000-mal so viele Uhren wie Akrivia, nämlich 70.000, Tendenz steigend. CEO Ricardo Guadalupe plant deswegen schon seit Jahren die Errichtung eines neuen, dritten Manufakturgebäudes. Bei unserem Besuch in Nyon konnten wir auf unserem Fußweg vom ersten zum zweiten Gebäude bereits die beginnenden Bauarbeiten sehen. Die Führung, die der ehemalige Produktionsleiter Jean-Pierre Kohler so emphatisch wie kenntnisreich für uns hält, beginnt in "Hublot 2", weil dort die Arbeit an den Basics stattfindet: Er zeigt uns, wie aus Messing-, Stahl- und Goldstangen auf einer Vielzahl von Drehmaschinen die Ausgangsformen für Platinen, Brücken und andere Werk-, aber auch Gehäuseteile geschnitten werden und wie diese Teile auf CNC- und Elektroerosionsmaschinen weiter bearbeitet werden. Insgesamt fertigt Hublot in Nyon jährlich zwischen 20.000 und 30.000 eigene Werke. Die einzelnen Komponenten werden zum Teil maschinell, zum Teil von Hand veredelt.
Wir sehen Abteilungen für Steinesetzen und Galvanik, bevor Jean-Pierre Kohler uns im Stammhaus "Hublot 1" alle Hintergründe zum kratzfesten Magic Gold und zur Keramik in leuchtenden Farben erläutert. Dort dürfen wir auch den Uhrmacherinnen und Uhrmachern über die Schultern schauen. Wie bei vielen großen Manufakturen unterscheidet sich die Produktion der Komplikationsuhren, die von Anfang bis Ende von derselben uhrmacherischen Hand zusammengebaut werden, von den sportlicheren Modellen, bei denen ein Arbeitsschritt nacheinander für 50 gleiche Uhren erfolgt, bevor man sich dem nächsten zuwendet. Bei der abschließenden Vorlage finden die schlichteren Modelle, vor allem Classic Fusions mit Stahl- und Titangehäusen, großen Zuspruch, wir sehen aber auch extravagante Uhren wie die diamantbesetze blaue Sang Bleu II in King Gold für 72.500 Euro.
Fünfter Besuch: Artya
Artya lässt seine Uhren in zwei Ateliers im Schweizer Jura fertigen, aber alle Ideen entstehen in einem von außen unscheinbaren Haus im Örtchen Meinier, das an der südlichen Ostseite des Genfer Sees liegt – dort, wohin es reisende Uhrenfans normalerweise nicht verschlägt. Hier kommt Artya-Gründer Yvan Arpa auf seine außergewöhnlichen Ideen: Uhren mit Schmetterlingen als Zifferblättern, Uhren, die wie Gitarren aussehen und den Union Jack zeigen, Uhren mit Gehäusen, in die er künstliche Blitze einschlagen lässt, und Ähnliches. In dem Haus befand sich vor Jahren eine Raiffeisenbankfiliale, und so sitzen wir im ehemaligen Tresorraum, deren vielleicht einen halben Meter dicke Tür gottseidank offen stehen bleibt. Mit seinen Uhren und seiner Marke verbinden sich unglaubliche Geschichten; sie erzählt uns Yvan Arpa, während wir eine Unmenge von Modellen anschauen – sieben der insgesamt zehn Kollektionen wandern durch unsere Hände.
Der sympathische Schweizer und studierte Mathematiker arbeitete einst für Richemont, Hublot und Romain Jerome, bevor er seine eigene Marke gründete, der Name ist eine Kombination aus "Art" und seinen Initialen. Es gibt Tourbillons und Minutenrepetitionen zu sehen, aber was uns am meisten begeistert, sind die Saphirglasgehäuse: die zweifarbigen mit der exakten Trennlinie und die, die beim Wechsel von künstlichem zu natürlichem Licht ihre Farbe wechseln. Nach dem beeindruckenden Besuch fahren wir zurück nach Genf in die Artya-Boutique, die Yvans Frau Dominique leitet, bevor der Abend bei einem gemeinsamen Essen am See ausklingt.
Sechster Besuch: Frederique Constant und Alpina
2023 ist das Jubiläumsjahr von Alpina: Die Marke wurde 1883 gegründet. Daher stand sie diesmal im Vergleich zur großen Schwester Frederique Constant stärker im Fokus als bei unseren Besuchen in den Vorjahren. Doch auch Frederique Constant feiert 35 Jahre nach seiner Gründung durch Peter und Aletta Stas einen kleinen Geburtstag, und dementsprechend präsentiert sich das Manufakturgebäude in Plan-les-Ouates im Kanton Genf herausgeputzt: mit neuer, schöner Empfangstheke und einem ebenfalls neuen Corner, der ganz Alpina gewidmet ist. Das aparte Museum bildet wie stets Ausgangs- und Mittelpunkt unserer Tour: Hier erfährt man alles über Markengeschichte, Produktion und Philosophie, hier sieht man die wichtigsten Modelle und die dahinterstehende Technik, und hier plaudern wir mit dem Deutschland-Verantwortlichen Markus Rettig, der uns zu allen Fragen Rede und Antwort steht.
Im ersten Stock können wir zum ersten Mal die Uhrmacher nicht nur von außen beobachten, sondern auch das Innerste der Fertigung betreten und mit einem der Uhrmacher fachsimpeln. Und im obersten Stock haben wir ausgiebig Gelegenheit, uns die aktuellen Uhren der beiden Marken anzusehen, darunter auch die rechteckige Alpina Heritage Carrée mit dem historischen Kaliber und das ein oder andere Modell, das erst in den nächsten Monaten vorgestellt wird und wir hier noch nicht zeigen dürfen.Beim abschließenden Essen mit Alpina-CEO Oliver van Lanschot Hubrecht sind wir uns einig: Sieben höchst unterschiedliche Marken mit so viel Kreativität, Handwerkskunst, Begeisterung, Innovation und Emotion: Es war diesmal eine ganz besondere Uhrenreise. buc