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175 Jahre Uhrmacherei in Glashütte: Interview mit dem Glashütter Museumsdirektor

Reinhard Reichel: Leiter des deutschen Uhrenmuseums in Glashütte
© René Gaens
"Hier lebt die Zeit", mit diesem Slogan wirbt die sächsische Uhrenmetropole Glashütte. Ganz besonders trifft dies auf das örtliche Uhrenmuseum zu, das die reiche Geschichte Glashüttes erlebbar macht. Wir haben mit  Museumsleiter Reinhard Reichel über die Glashütte Uhrengeschichte gesprochen.
Herr Reichel, vor 175 Jahren legte Ferdinand Adolph Lange mit Unterstützung der damaligen Regierung den Grundstein für eine Erfolgsgeschichte und einen Qualitätsstandard in der Uhrenindustrie, die ihresgleichen suchen. Was würde er wohl sagen, wenn er das Glashütte der Gegenwart betrachtete? Lange und seine Weggefährten wären sicherlich begeistert über den Verlauf der Glashütter Uhrengeschichte. Er selbst wäre bestimmt stolz, welche Entwicklungen er in Gang gesetzt hat. Sicherlich würde Lange den Erfolg nicht allein in Anspruch nehmen, denn sein Grundgedanke war die Zusammenarbeit von vielen an einer Idee. Er würde seine Mitstreiter Julius Assmann, Adolf Schneider und nicht zuletzt den Begründer der Deutschen Uhrmacherschule Glashütte, Moritz Grossmann, benennen und auch auf all die Schüler hinweisen, die er zu selbständigen Uhrmachern und Feinmechanikern ausgebildet hat. Alle haben zum Erfolg beigetragen. Die Aufgaben auf vielen Schultern verteilen, das war ein glorreicher Gedanke seinerseits. Jeder Einzelne trug mit seinem Fachwissen, Können und Spezialisierung zum Projekt bei, und am Ende wurde eine "runde Sache" daraus. Lange hatte nicht nur die Produktion der Uhren und Uhrenteile im Sinn. Er dachte auch an die Stadt selbst, an die Infrastruktur. Die jungen Männer mussten nur fünf Jahre verpflichtend ihre Arbeit in Glashütte ausführen, anschließend waren sie frei und konnten in die Welt hinausziehen. Das sollte jedoch nicht geschehen, denn jeder Einzelne war ein wichtiges Glied in der Kette und war nur bedingt ersetzbar, zumindest in den Anfangsjahren. Daher war es wichtig, die Stadt auch als Wohnort attraktiver zu gestalten. Nicht zuletzt wäre Lange stolz, dass die Tradition des Glashütter Uhrenbaus über so viele Jahrzehnte bewahrt wurde und heute noch in den Glashütter Uhrwerken wiederzufinden ist.
Historische Rarität: Diese Taschenuhr von Julius Assmann ist nur eines von ungefähr 500 Exponaten des Deutschen Uhrenmuseum Glashütte. © © Rene Gaens
Ihre Vorfahren waren ja auch in der Uhren- und Rechenmaschinenindustrie Glashüttes tätig, Sie haben als Betriebsmittelkonstrukteur der Glashütter Uhrenbetriebe gearbeitet. Wie haben Sie den Wandel zur heutigen Uhrenindustrie erlebt? Es war eine bewegte Zeit. Der Übergang von der Großserienfertigung und der automatisierten Produktion der DDR-Zeit zur heutigen, handwerklich-traditionellen Produktion in Kleinserien für das Luxusuhrensegment waren wechselvolle Zeiten und für die Glashütter nicht einfach. Die Produktion von langlebigen, robusten und dennoch präzisen Armbanduhren zur DDR-Zeit – diese Philosophie war nach der Wiedervereinigung in der globalisierten Marktwirtschaft nicht mehr tragfähig. Dass die Treuhand das Potential des Glashütter Uhrenbetriebs und des Standorts erkannte und auch andere Investoren in Glashütte eine Zukunft als Uhrenstandort sahen, war ein großes Glück für die Stadt. Die Privatisierung des DDR-Uhrenbetriebs zur Manufaktur Glashütte Original, die Neugründung der Lange Uhren GmbH, die Gründung der Firma Nomos in den frühen 1990er-Jahren trugen zum schnellen Erfolg des Standorts bei. Wären erst einige Jahre ohne Förderung ins Land gegangen, wären sicherlich viele Fachkräfte abgewandert und der Standort hätte an Attraktivität verloren. Persönlich war ich ein "Gewinner" der Wendezeit. Auch ich wurde 1992 aus dem VEB Glashütter Uhrenbetriebe entlassen. Aber nur wenige Tage später wurde mir die Leitung des Uhrenmuseums angeboten. In dieser Funktion konnte ich die Entwicklung der Nachwendezeit in Glashütte live miterleben, den Aufstieg der Glashütter Firmen, den Wettbewerb untereinander und das gemeinsame Streben, den Namen "Glashütte/Sa." wieder weltweit als Standort für Präzisions-Uhrmacherkunst bekannt zu machen. Was waren Ihrer Meinung nach die wichtigsten Meilensteine bei der Entwicklung zu einem blühenden Wirtschaftsstandort in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der für Wohlstand der bis dato armen Bevölkerung in der strukturschwachen Region sorgte? Wie schon erwähnt, war es die Idee eines Mannes, aber die Umsetzung vieler. Die Etablierung eines sogenannten Verlagswesens, einer Haus- und Heimindustrie, war maßgeblicher Bestandteil des Erfolgs. Jede Werkstatt spezialisierte sich auf nur ein bestimmtes Einzelteil für die Produktion von Uhren. So gab es eine Werkstatt für Zeiger, eine für Zahnräder, eine für Gehäuse, eine für Lagersteine, eine für feinmechanische Geräte und so weiter. Dies führte zur Perfektion und Präzision in der Einzelteile-Produktion, was wiederum die Ganggenauigkeit der Uhren steigerte. Alle Gewerke, die man für die Produktion von Uhren benötigte – angefangen bei Werkzeugherstellern, über die Teilefertigung, bis zum Uhrmacher – waren an einem Standort angesiedelt. Das führte zu kurzen Kommunikationswegen und dem regen Austausch unter Fachleuten. Innovationen und Weiterentwicklungen konnten dadurch schneller erfolgen.
Im Ortskern befindet sich das Deutsche Uhrenmuseum Glashütte, hier von hinten zu sehen. Der Zeitgarten ist ein Lieblingsort von Reinhard Reichel. © © Rene Gaens
Welche historischen Persönlichkeiten trugen damals neben Lange wesentlich zum Erfolg Glashüttes bei? Wie bereits erwähnt, inspirierte Lange drei andere Uhrmachermeister – Assmann, Schneider und Grossmann – ihre Manufakturen in Glashütte zu gründen und auf die Produkte des Verlagswesens zurückzugreifen. Es waren Wettbewerber, die für die gleiche Vision kämpften, eine perfekte mechanische Präzisions-Taschenuhr zu bauen, aber auch die Belange der Stadt Glashütte als Wohnort zu berücksichtigen. Wirtschaftlicher Erfolg und soziales Engagement gingen Hand in Hand. Was waren die wichtigsten technischen Entwicklungen jener Zeit, mit denen sich die Glashütter Uhr den Ruf erwerben konnte, eine der präzisesten und besten der Welt zu sein? Präzision ist das Schlagwort in der Geschichte der Glashütter Uhrmacherkunst. Darauf basierte alles. Es ging nicht um die Produktion von vielen Uhren, sondern von präzisen Uhren. Genauigkeit bei der Bemessung und Produktion der Einzelteile waren Grundstein für eine präzise gehende Uhr. Die Fertigung von Lagersteinen, Decksteinen, die Vollendung der Zahnräder, die ausgewogene Unruh als Gangregler. Jedes Teil musste nicht nur äußerlich perfekt sein, sondern auch in seiner Form und Funktion. Es durfte kein schwaches Glied in der Kette geben, sonst funktionierte die Uhr am Ende nicht richtig.
Nicht nur historische Exponate machen die Faszination Glashütte für Uhrenfreunde jeden Alters erlebbar, sondern auch Zeitmesser der Gegenwart. © © Holm Helis
Als Leiter des Deutschen Uhrenmuseum Glashütte sind sie von hunderten Bravourstücken sächsischer Uhrmacherkunst umgeben. Welches hat Sie persönlich am meisten beeindruckt? Ich habe rund 500 Lieblingsuhren. Jede einzelne ist für mich etwas Besonderes und mir persönlich wichtig. Denn es ist nicht immer die äußere Gestaltung oder die Kompliziertheit des Uhrwerks eines Exponates – oft ist es auch die Geschichte der Uhr, die sie für mich spannend macht. Von der einmaligen Uhren-Kultur abgesehen ist Glashütte eher beschaulich. Was ist Ihr Lieblingsplatz? Als echter Glashütter schätze ich die verschlafene Schönheit des Ortes. Auf den ersten Blick fehlen die meisten Dinge des täglichen Vergnügens wie Hotels oder zahlreiche Restaurants und Cafés. So meint man neben den Uhrenfirmen, dem Uhrenmuseum und der Stadtkirche nichts weiter sehen zu können. Doch schon eine kleine Pause hinter dem Museum, im Zeitgarten, lohnt sich. Man saugt die gesunde Luft ein, entdeckt die Schönheit der Kleinstadt und den Reiz der erzgebirgschen Tallage. Eine Wanderung auf den Berghöhen bietet reizvolle Aus- und Einblicke in die Stadt Glashütte.

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