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175 Jahre Uhrmacherei in Glashütte: Wie alles begann

Glashuetter Uhrenbetriebe Werk: Spezimatic-1964
© PR
Es sind nicht ausschließlich die Eidgenossen, die auf der Bühne der Haute Horlogerie im Rampenlicht stehen. Auch das sächsische Glashütte spielt eine nicht unbedeutende Rolle in der Uhrmacherei – und das seit 175 Jahren. Wir werfen zum Jubiläum ein Blick hinter die Kulissen der kleinen Stadt, die nicht nur für ihre Uhren berühmt ist, sondern auch als Wirtschaftschauplatz für erfolgreiche Standortentwicklung – und das gleich zwei Mal.
Glashütte um 1850 : Landschaftlich hat sich wenig verändert und auch der Ruf des Erzgebirgsstädtchens, der damals seinen Anfang nahm, ist gleichgeblieben. © PR
Inhalt:

Made in Glashütte

Es gibt Orte, die mit einem einzigen Produkt weltberühmt wurden: Bordeaux für erlesene Weine, Parma für erstklassigen Schinken, das Piemont für die schmackhaftesten Speisetrüffel. Wenn die Rede von Glashütte ist, geht es nicht um Gaumenfreuden oder von der Sonne verwöhnte Hanglagen, sondern um handwerklich exquisite und technisch raffinierte Zeitmesser, die großes Savoir-faire auf kleinem Raum widerspiegeln. In der Welt der Feinuhrmacherei ist der Schriftzug 'Glashütte' heute wie vor 175 Jahren ein Garant für feinmechanische Exzellenz. Von New York über Paris bis Tokio: Die edlen Zeitmesser sächsischer Provenienz werden an den besten Einkaufslagen angeboten. Auf den ersten Blick ist vor Ort wenig von diesem Glanz zu erkennen. Das ländliche Glashütte, idyllisch ins erzgebirgische Müglitztal eingebettet, mutet pittoresk, aber auch ein wenig verschlafen an. Doch wer hier auf dem Platz vor dem Hauptbahnhof steht oder vom Berg ins Tal hinunter blickt, genießt ein Panorama auf eine Konzentration von Uhrenmarken, das seinesgleichen sucht. Wie in der Miniaturwelt einer Schneekugel bieten die Glashütter alles, was Liebhabern das Herz höher schlagen lässt: Fans großer und kleiner Komplikationen sowie eleganter und sportlicher Zeitmesser aus verschiedenen Preissegmenten werden fündig. Hier versteht man sich auf uhrmacherische Spezialitäten, die selbst die eidgenössischen Kollegen in dieser Raffinesse nicht kennen: Dreiviertelplatine, Glashütter Wölkchen- und Sonnenschliff, Spechthalsfeinregulierung, um nur einige zu nennen. Aus Tradition gehören sie bei den sächsischen Uhrmachern zum guten Ton und bringen Kenner zum Schwärmen. Dabei verbindet fast jede Glashütter Uhr über Generationen hinweg erworbenes und weitergegebenes Know-how mit Innovationen aus der Gegenwart und eine ausgeprägte Stilsicherheit. Hinter vielen steckt eine ganz eigene Geschichte. Im Gegensatz zu Prädikatsweinen erster Güte und Zutaten der Haute Cuisine beruht das Kulturgut Glashütter Präzisionsuhr weder auf speziellen klimatischen Bedingungen noch der Beschaffenheit des Bodens, sondern dem Fleiß und der Expertise der Einwohner. Ob es an der guten Luft des Erzgebirges oder an einem geheimen, noch nicht entdeckten Glashütter Gen liegt, sei dahin gestellt. Fest steht, dass die Uhrenmetropole ihr Renommee Ferdinand Adolph Lange zu verdanken hat.
Ferdinand Adolph Lange -1845 © PR

Uhrmacher mit großen Visionen: Ferdinand Adolph Lange

Zu Lebzeiten des U(h)rvaters der feinmechanischen Industrie in Glashütte herrschte große Not in dem strukturschwachen Gebiet. Lange, Sohn eines Büchsenmachers aus dem nahen Dresden, hatte die 1828 gegründete, hoch angesehene Technische Bildungsanstalt der mondänen Elbmetropole besucht und beim Hofuhrmacher Johann Christian Friedrich Gutkaes, Schöpfer der berühmten Fünf-Minuten-Uhr der SemperOper, sein Handwerk von der Pike auf gelernt. Nach ausgiebigen Wanderjahren, während denen er seine uhrmacherischen Kenntnisse in der Schweiz verfeinerte sowie Astronomie und Physik in Frankreich studierte, kehrte er 1841 mit der Vision in die Heimat zurück, die Präzisionsuhrmacherei im Erzgebirge anzusiedeln. Die fortschreitende Industrialisierung, die Einführung des Zugverkehrs und die zunehmende Bedeutung wissenschaftlicher Forschungen verlangten nach exakt gehenden Uhren, die das rasante Tempo des neuen Zeitalters regelten. Lange schwebte eine "einfache, aber mechanisch vollkommene Taschenuhr" vor. Zu jener Zeit rief der Landesfürst, König Friedrich August II, dazu auf, Industriebetriebe in den strukturschwachen und verarmten ländlichen Gebieten seines Landes anzusiedeln und stellte dafür großzügige staatliche Unterstützung in Aussicht. Der Uhrmachermeister erkannte die Chance, die sich damit sowohl seinem Handwerk als auch dem nach der Erschöpfung der Erzvorkommen bitter armen Bergbaustädtchen bot und beantragte die Gründung einer Ausbildungsstätte. Mit Erfolg: Man gewährte ihm ein Darlehen von 5.580 Talern und subventionierte mit weiteren 1.120 die Anschaffung von Werkzeug . Damit war der Grundstein für die sächsische Feinuhrmacherei gelegt.
Der Meisteruhrmacher und Lehrer an der Uhrmacherschule Alfred Helwig (1886 bis 1974) erfindet das fliegend gelagerte Tourbillon und fertigt es gemeinsam mit seinen Schülern. © PR
1845 gründete Lange die Firma A. Lange & Cie und bildete mit seinem geschätzten Gehilfen Adolf Schneider, der später eine eigene Uhrenfabrik aufbauen sollte, den ersten Lehrlingsjahrgang aus. Die jungen Leute verpflichteten sich, nach der Ausbildung fünf Jahre für ihren Meister zu arbeiten. Danach wurden sie ausdrücklich zur Selbstständigkeit ermutigt. Der Clou dabei: Nach der Grundausbildung wurde jeder Geselle in spezielle Teilbereiche eingewiesen, damit er sich früh spezialisieren konnte. Fortschrittlich war auch, dass von Anfang an das metrische Maßsystem statt der französischen Linien oder des englischen Zolls verwendet wurde – auch damit war Lange seiner Zeit weit voraus. Die wohl wichtigste Neuerung war jedoch das Verlagssystem auf Basis von Zulieferern, welches Lange aus seiner Schweizer Zeit kannte. Statt aufwändig alles aus einer Hand zu produzieren, bezog man bei dieser arbeitsteiligen Herstellung einzelne Komponenten und Messwerkzeuge von anderen Werkstätten. In der eigenen Firma wurden die Teilstücke vom Repasseur zusammengesetzt und vom Finisseur komplettiert. In der Schweiz wurden in diesem rationalisierten Verfahren jährlich tausende preiswerte Taschenuhren hergestellt und vom "Verleger" verkauft. Sie mussten dann allerdings noch durch einen fachkundigen Uhrmacher reguliert werden. Im Gegensatz zu den Schweizern, die auf Zylinderuhren setzten, fokussierte man in Glashütte die hochwertigeren Ankeruhren. Mit dem ihm eigenen Streben nach höchstmöglicher Präzision legte der Perfektionist Lange zudem größten Wert darauf, dass seine Uhren bereits vor dem Verkauf exakt reguliert wurden. Nicht nur diese Akribie, sondern viele weitere, die Produktion steigernde Erfindungen wie Drehmaschinen mit Fußantrieb und besonders auch seine wohlwollende Personalpolitik sorgten dafür, dass sein Projekt nach anfänglichen Schwierigkeiten relativ rasch zum Erfolg führte.
Robert Mühle (1841 bis 1921), ein ehemaliger Lehrling Grossmanns, gründet die gleichnamige Firma, die Messinstrumente im fortschrittlichen metrischen System für die heimische Uhrenindustrie herstellt. Heute fertigt Mühle-Glashütte mechanische Armbanduhren, Schiffsuhrenanlagen und Marinechronometer. © René Gaens
Von der Weltausstellung 1851 in London kehrte der Uhrmacher mit einem vollen Auftragsbuch zurück. Wohlhabende Liebhaber, Wissenschaftler und Akademiker in Nah und Fern, ja bis nach Übersee bestellten Uhren aus Glashütte. Und nicht nur seine Firma florierte. Lange gelang es, einige talentierte Kollegen in dem kleinen Städtchen anzusiedeln. Wie zum Beispiel Julius Assmann, dessen preisgekrönte Taschenuhren Maßstäbe bei Präzision und Schönheit setzten, oder Moritz Grossmann, ein enger Freund, der sich 1854 in Glashütte niederließ und auf die Herstellung von Werkzeugen, Gangmodellen, Präzisionspendeluhren und Chronometern spezialisierte. Beide waren später maßgeblich an der Gründung der örtlichen Uhrmacherschule beteiligt. Ihre hohe fachliche Kompetenz, ihr unermüdlicher Fleiß und das Zusammenwirken zum Gemeinwohl bestellten den Boden für den Aufschwung der Glashütter Feinuhrmacherei. Auch hatte es sich inzwischen herumgesprochen, dass man in diesem Winkel Sachsens sein Glück als Uhrmacher finden konnte, und Handwerker und Kaufleute, der berühmteste davon der Branchenexperte Johannes Dürrstein, siedelten sich an.
Zur Glashütter Erfolgsgeschichte trägt auch Julius Assmann (1827 bis 1886) bei, der mit Unterstützung Langes in diesem Jahr die gleichnamige Uhrenfabrik gründet, die bald auch international einen hervorragenden Ruf genießt. © PR

Glashütte erlangt Weltruhm

So erhielt Langes Vision eine ganz eigene Dynamik. Gleich einem frühen "Silicon Valley" entstanden in den folgenden Jahrzehnten Manufakturen und spezialisierte Zuliefererbetriebe. Dadurch wurden fast alle Komponenten der Habillage als auch der Werktechnik für Taschenuhren, Großuhren und Marinechronometer vor Ort hergestellt – von den Zeigern über die Steine, die Unruh bis hin zur Hemmung. Die wesentlichen Merkmale der Taschenuhr waren die Konstruktion mit zwei Platinen, von denen die obere als Dreiviertelplatine gefertigt war, die mit Sonnenschliff verzierten Aufzugsräder, der abgerundete Unruhkloben mit Schwanenhals-Feinreglage und die Glashütter Kompensationsunruh mit goldenen Gewichtsschrauben sowie der goldene Anker. 80 Jahre lang wurde diese nahezu unverändert hergestellt und hatte, wie auch die Glashütter Präzisionspendeluhr, den Ruf als exaktestes Instrument ihrer Zeit. Sie kam in Forschung, Wissenschaft und bei Expeditionen zum Einsatz. Der Name Glashütte war Wissenschaftlern und Akademikern in aller Welt ein Begriff. Nicht vergessen werden darf dabei, dass die Feinmechanik mit der Fertigung von Messgeräten und Werkzeugen wesentlich zum Erfolg beitrug. Die folgenden Jahrzehnte waren nicht ganz so glorreich. Der Erste Weltkrieg warf seine Schatten voraus, und wie allerorts kam es zu Entlassungen und Umstellung auf Kriegsproduktion. Auch die wilden Zwanziger brachten Unruhe: Inflation, die Armbanduhr, der man mit den 1926 gegründeten Betrieben Urofa und Ufag verspätet Rechnung trug, und die Weltwirtschaftskrise beutelten die Glashütter. Die Machtübernahme durch das Nazi-Regime 1933 brachte zunächst Aufschwung durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für die Rüstungsindustrie und den erhöhten Bedarf an Marinechronometern sowie Beobachtungsuhren. Da jedoch immer mehr Fachkräfte für den Krieg abgezogen wurden, kam die Produktion bald fast zum Erliegen. Zudem wurde der Ort kurz vor Kriegsende sinnlos zerbombt und die Alliierten demontierten, was davon übrig geblieben war.

Nachkriegszeit und DDR-Regime – Zeit des Ab- und Aufbaus in Glashütte

Doch die Glashütter krempelten die Ärmel hoch und bauten ihr Imperium mit wenigen Mitteln und viel Improvisation rasch wieder auf. So initiierte Hans Mühle noch im Dezember 1945 den Neustart. Unter "Ing. Hans Mühle" fertigte das Familienunternehmen verschiedene Arten von Messtechnik, wie Lauf- und Hemmwerke für die Foto- und Kinoindustrie sowie Zeigerwerke für Druck- und Temperaturmessgeräte. Schnell wuchs die Anzahl der Mitarbeiter von drei auf 60 an. Trotz der politischen Umstände in Ostdeutschland befand sich das Unternehmen bis zur Enteignung und Umwandlung in den "VEB Feinmechanik Glashütte" im Jahr 1972 in Privatbesitz. Damit nahm Mühle eine Sonderstellung ein, denn wie überall in der sowjetischen Besatzungszone wurden die Betriebe enteignet und dann verstaatlicht. Dazu zählten Lange, Urofa, Ufag und das Ausbildungswerk "Makarenko". Sie wurden im volkseigenen Betrieb 'Glashütter Uhrenbetriebe', kurz GUB, zusammengeführt. Von 1951 bis 1990 war er der größte Arbeitgeber der Region. Die Belegschaft – Konstrukteure, Uhrmacher, Werkzeugmacher und Feinmechaniker – umfasste über 1.000 Mitarbeiter, die Marinechronometer, Armbanduhren und Zeitmesser aller Art fertigten. Sie wurden vorwiegend ins sozialistische Ausland aber auch in die BRD exportiert. Ein bekanntes Modell jener Zeit ist die Spezimatic, die 1964 auf den Markt kam. Insgesamt 3,6 Millionen Stück wurden zwischen 1964 und 1978 verkauft, unter anderem als "Meister-Anker" über das Versandhaus Quelle. Ein weiterer devisenstarker Exportschlager waren Marinechronometer.
Die Entwicklung der Quarzuhr geht auch an Glashütte nicht vorbei. Dem quarzgesteuerten Marinechronometer folgen Wand- und Tischuhren und 1979 die erste Quarz-Armbanduhr namens Quarz-Hybrid Kaliber 1-18. © René Gaens
Man verstand sich auch auf den Bau elektronischer Uhren. Während die Schweizer Uhrenindustrie von der Quarzkrise beinahe hinweggefegt wurde, konnte sie sich in der ostdeutschen Planwirtschaft souverän behaupten.

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