Im Herzen der Zeit: Ein Besuch bei Longines in Saint-Imier
Inmitten der idyllischen Landschaft der Schweizer Berge liegt Saint-Imier, ein beschauliches Örtchen, das sich seit fast 200 Jahren als Mekka der Uhrmacherkunst etabliert hat. Hier, in der Heimat der traditionsreichen Marke Longines, wird die Zeit nicht nur gemessen, sondern mit Hingabe und Präzision gestaltet.
Beim Betreten des Longines-Komplexes spürt man sofort die Geschichte und den Stolz, der in diesen Hallen lebt. Seit der Gründung im Jahr 1832 hat sich Longines einen Namen gemacht, der für Exzellenz und Innovation steht. Mit einer beeindruckenden Produktion von rund einer Million Uhren pro Jahr und 800 engagierten Mitarbeitern in Saint-Imier sowie 150 weiteren in der benachbarten Eta-Uhrenwerke-Manufaktur ist Longines ein wahrhaftiger Gigant in der Welt der Uhrmacherei. (Lesen Sie auch: Longines CEO Matthias Breschan im Interview)
Nach einer Einführung von Head of Heritage & Branding Daniel Hug zur Marke und einigen ikonischen Modellen führt der erste Stopp unserer Reise in das Archiv und Uhren-Museum der Marke. Seit 1867 führt Longines ein lückenloses Archiv, das mittlerweile digitalisiert wurde und eine unschätzbare Sammlung von über zwei Millionen Einzelteilen umfasst. Es ist ein faszinierendes Erlebnis, durch die Reihen historischer Uhren zu wandeln und Modelle wie die Longines Zulu Time von 1925 zu bewundern. Diese Uhr, mit ihren markanten roten Keilen auf dem Zifferblatt, ist ein stiller Zeuge einer Epoche, die nach der Titanic-Katastrophe eine viermal stündliche, dreiminütige Funkstille für Notrufe einführte.
Von den Wurzeln zur Moderne
Die Geschichte von Longines ist durchzogen von Pioniergeist, dem Streben nach Präzision und einer zeitlosen Vision von Eleganz. Alles begann im Jahr 1832, als Auguste Agassiz mit einigen Uhrmacherkollegen ein Uhrenatelier im Schweizer Dorf Saint-Imier gründete. Zu dieser Zeit wurden die Komponenten noch zu Hause von den Uhrmachern hergestellt und im Atelier zusammengebaut.
1852 übernahm Agassiz’ Neffe Ernest Francillon den Betrieb und bewies sich als Visionär, indem er eine Fabrik gründete, die alle talentierten Kunsthandwerker unter einem Dach zusammenführte. Diese Fabrik, errichtet 1867 auf einem Feld, das als „Es Longines“ bekannt war, legte den Grundstein für die Marke Longines. Francillon führte mechanisierte Produktionssysteme ein, die höchste Qualität und Präzision garantierten. Er war auch ein Pionier im Schutz seiner Produkte gegen Fälschungen und sorgte dafür, dass alle Zeitmesser, die die Fabrik verließen, mit einer Seriennummer, dem Markennamen Longines und der geflügelten Sanduhr graviert waren. Die Sanduhr steht als Symbol für das Verstreichen der Zeit, und die geflügelte Sanduhr von Longines repräsentiert die Zeit, die wie im Flug vergeht.
1889, ein paar Jahre nachdem das Schweizer Gesetz zum Schutz von Marken eingeführt wurde, registrierte Francillon seine Marke beim Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum (IGE). Longines ist heute die älteste Uhrenmarke, die im internationalen Register der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) eingetragen ist. Um seine geschätzten Uhren vor Fälschungen zu schützen, ließ Ernest Francillon die geflügelte Sanduhr als Signatur der Echtheit in das Werkinnere gravieren. 1893 wurde das Logo international geschützt. Bis in die 1950er Jahre blieb die Sanduhr im Inneren der Uhr verborgen, erst in den Nachkriegsjahren gelangte sie zusammen mit dem Longines-Schriftzug auf die Zifferblätter der Armbanduhren.
Innovation und Präzision
Im Laufe der Jahrzehnte hat Longines eine Vielzahl hochpräziser Stoppuhren, Chronographen, Chronometer und eleganter Uhren entwickelt. Ein herausragendes Beispiel ist das Kaliber 20H von 1878, der erste von Longines produzierte Mechanismus für genaue Zeitmessung. Diese Stoppuhren waren in den 1880er Jahren auf amerikanischen Pferderennbahnen zu sehen. 1925 folgte die erste Armbanduhr mit zweiter Zeitzone sowie der erste Armbandchronograph mit zwei unabhängigen Drückern und Flyback-Funktion, eine Innovation, die besonders für Piloten von großer Bedeutung war.
Eines der technologisch fortschrittlichsten Chronographenwerke seiner Zeit war das Kaliber 13ZN, das 1936 vorgestellt wurde und Longines 1935 ein Patent für den Flyback-Mechanismus einbrachte. Der erste wirklich wasserdichte Chronograph wurde 1937 eingeführt und war mit einzigartigen pilzförmigen Drückern versehen. Eine 13ZN Mushroom, brachte bei einer Auktion im Jahr 2022 stolze 182.000 Schweizer Franken ein. Solche Momente unterstreichen den immensen Wert und die anhaltende Begehrlichkeit historischer Longines-Uhren auf dem Markt.
Das Erbe der Zeitmessung
Seit den Anfängen hat Longines auch bedeutend zur Weiterentwicklung der Sportzeitmessung beigetragen. 1912 stellte die Marke das erste elektromechanische Sportzeitmesssystem für Start- und Ziellinien vor. In den 1950er Jahren entwickelte Longines ein innovatives System namens Chronocinégines, das mit einer 16-mm-Kamera ausgestattet war und Bilder der Athleten an der Ziellinie im Abstand von Hundertstelsekunden aufnahm. Diese und viele weitere Innovationen zeugen vom unermüdlichen Streben nach Präzision und Zuverlässigkeit.
Restaurierung alter Modelle
Im Heritage Workshop von Longines, der die Zeitspanne von 1867 bis 1984 abdeckt, werden alte Uhrwerke detailgetreu restauriert. Die zehn Uhrmacher und zwei Goldschmiede des Teams, unter der Leitung eines erfahrenen Uhrmachers, widmen sich mit Hingabe der Wiederbelebung antiker Zeitmesser. Jährlich werden hier etwa 3000 Kundenanfragen bearbeitet, von denen ca. 1700 Uhren tatsächlich restauriert werden. Die Kosten für eine Restaurierung belaufen sich auf 120 Schweizer Franken pro Stunde, ein fairer Preis für die exzellente Arbeit, die hier geleistet wird. Die „neueste“ Uhr, die jemals restauriert wurde, stammt aus dem Jahr 1989, was zeigt, dass selbst relativ junge Stücke einen Platz in der langen Geschichte der Marke haben.
Besonders beeindruckend ist der Umstand, dass alle Uhren, die restauriert werden sollen, nach Saint-Imier geschickt werden müssen. Wenn alte Teile nicht mehr direkt verfügbar sind, können sie entweder von Longines selbst oder durch das Netzwerk der Swatch Group nachproduziert werden. Dieses Streben, so viele Ersatzteile wie möglich herzustellen, um lange Laufzeiten zu garantieren, zeigt den unermüdlichen Einsatz der Marke.
Jede Uhr, die in Saint-Imier das Licht der Welt erblickt, trägt ein Stück der Seele von Longines in sich und erinnert an die unermüdliche Leidenschaft und das handwerkliche Können, das diese Marke seit über bald zwei Jahrhunderten prägt.