Ein weißes, fein strukturiertes Zifferblatt, facettierte Zeiger, aufgesetzte Indexe und ein fast durchgehend poliertes Gehäuse: Diese Merkmale kennt man von hocheleganten Dresswatches, die gut aussehen, aber neben der Zeitanzeige nicht allzu viel leisten müssen. Was nun, wenn eine Uhrenmanufaktur solch klassische Eigenschaften mit betont funktionalen Features kombinieren will? Wenn sie für ihre neue Kreation nützliche Zusatzfunktionen und ein widerstandsfähiges Äußeres vorgesehen hat? Kann das gut gehen – und sowohl das Auge als auchdie Ansprüche des Kunden an eine hohe Alltagstauglichkeit erfüllen?
Es kann – wenn man es richtig macht. Und genau das hat Grand Seiko mit seiner im Januar lancierten Hi-Beat 36.000 GMT 44GS 55th Anniversary Limited Edition getan. Der Name bezieht sich auf das vor 55 Jahren lancierte Modell 44GS, dessen formenreiches Gehäuse als Vorbild für das heutige Grand-Seiko-Design dient. Die neue Uhr sieht nicht nur elegant aus, sondern bietet zudem eine hohe Alltagstauglichkeit. So hat die japanische Manufaktur außer dem perfekt platzierten Datum noch einen 24-Stunden-Zeiger mit korrespondierender Skala am Zifferblattrand hinzugefügt.Die Zusatzfunktion ist so gelungen integriert, dass man sich den Zeitmesser gar nicht ohne sie vorstellen will. Von ihrem Nutzen ganz zu schweigen: Überfliegt der Träger eine Zeitzonengrenze, so zieht er einfach die Krone auf die erste Position und stellt den Hauptstundenzeiger in Stundenschritten vor oder zurück. Um Mitternacht springt das Datum in beiden Richtungen mit, wie man es von einer echten Reiseuhr erwartet. Der blaue Zeiger bleibt stoisch auf seiner ursprünglichen Position, um während des Trips über die Zeit am Heimatort zu informieren. Daheimgebliebene werden die Stundenschnellverstellung beim Wechsel von Sommer- auf Winterzeit und umgekehrt zu schätzen wissen, denn auf diese Weise wird das Werk nicht gestoppt, und die Präzision bleibt erhalten.
Die Sonderedition der Grand Seiko Hi-Beat punktet mit Funktionalität
Doch damit nicht genug der funktionalen Eigenschaften: Außerdem bringt Grand Seiko seine hauseigene Leuchtmasse namens Lumibrite an den Start, die bei Tag so gut wie gar nicht auffällt, nachts aber effektiv drei Zeiger und elf Stundenindexe zum Leuchten bringt.
Und dann ist da noch das das Material Titan, das die neue Grand Seiko reinen Dresswatches voraus hat. Aus dem robusten, aber leichten Metall bestehen Gehäuse und Armband – wobei man an allen polierten Stellen eher meint, Edelstahl vor Augen zu haben. Und das ist so gewollt. Dafür hat die Manufaktur einst die eigene Legierung High-Intensity-Titanium kreiert. Ihre besondere Härte, die noch über herkömmliches Titan hinausgeht, ermöglicht die Grand-Seiko-typische Zaratsu-Politur, die besonders gleichmäßige, verzerrungsfrei spiegelnde Oberflächen erzeugen soll, und lässt die so behandelten Flächen anschließend hell wie Edelstahl glänzen.Die Gewichtsersparnis durch die Verwendung von Titan ist ebenfalls nicht zu unterschätzen: Noch vor dem Kürzen des Armbands wog die Uhr lediglich 105 Gramm. Somit legt sich nicht nur das geschmeidige Gliederband angenehm an den Arm, sondern auch das Gehäuse, das mit seinen 14 Millimetern und der für Grand Seiko typischen komplexen Form nicht versucht, sich besonders flach zu machen.
Ein Zifferblatt wie Papier
Zur japanischen Designtradition im Allgemeinen und der Markenphilosophie von Grand Seiko im Speziellen gehört es, Elemente der heimischen Kultur und Natur aufzugreifen und in die Gestaltung neuer Produkte einzubinden. Es gibt Zifferblätter, die an die Farben von herbstlichem Ahornlaub, die Struktur von Birkenrinde, die Körnung von Schnee oder die Spuren im Kies von Zen-Gärten erinnern. Außerdem haben Werkbrücken von Grand Seiko bereits die Formen des berühmten Vulkans Fuji oder des Berges Iwate nachgezeichnet. Dabei geht es nie um eine konkrete Darstellung, sondern immer um das Erzeugen subtiler Eindrücke.Bei der getesteten Neuheit erinnert das Zifferblatt an traditionelle japanische Schiebetüren, die mit Papier bespannt werden, um einfallendes Licht zu streuen und ihm so seine Härte zu nehmen. Die luftig-leichte, papierartige Struktur ist für den aufmerksamen Betrachter erkennbar, wenn er mit dem Auge nah genug herankommt; schon bei einer Armlänge Abstand wirkt das Uhrengesicht weiß und glatt. Das entspricht der japanischen Tradition von Subtilität und Zurückhaltung und ist ein Ausdruck von bescheidenem Luxus, denn schon für das Gegenüber ist der spezielle Reiz des Zifferblatts nicht mehr zu erkennen.Das Manufakturkaliber tickt mit hoher Frequenz
Apropos Luxus: Die Uhr kostet 8.500 Euro und gehört damit nicht zu den Modellen, die man im Vorbeigehen mitnimmt. Zum genannten Preis gibt es das beschriebene harmonische Miteinander von elegantem Design und vielseitiger Funktionalität. Aber nicht nur das. Dreht man den Zeitmesser um, so erhält man Einblick in ein Manufakturwerk mit zahlreichen technischen Vorzügen: Das bewährte Grand-Seiko-Kaliber 9S86 läuft – wenn es von dem beidseitig wirkenden Rotor mit effektivem Doppelklinkensystem namens Magic Lever voll aufgezogen wurde – 55 Stunden am Stück, und das nach den internen Vorgaben von Grand Seiko mit einer Präzision zwischen –3 und +5 Sekunden. Zum genauen Gang trägt unter anderem die hohe Unruhfrequenz von 36.000 statt der gängigen 28.800 Halbschwingungen pro Stunde bei. Das heißt, der Sekundenzeiger macht zehn Schritte pro Sekunde und nicht nur acht. Eine höhere Frequenz bedeutet ganz allgemein eine höhere (Chance auf) Präzision, denn die Abweichungen bewegen sich, vereinfacht gesprochen, in einem engeren Rahmen um das Optimum herum.
Beim Test auf der elektronischen Zeitwaage, einer modernen Witschi Chronoscope X1, blieb die Testuhr mit –2,3 Sekunden in dem von Grand Seiko gesteckten Rahmen, und im mehrwöchigen Tragetest pendelte sie sich an der unteren Grenze des Geforderten, bei –3 Sekunden, ein. Ein Nachgang ist im Allgemeinen nicht gern gesehen, in diesem leichten Ausmaß aber verschmerzbar, zumal die sechs Lagen nur maximal vier Sekunden auseinander liegen.