Die Unruh taktet den Gang der Uhr. Zwei Feinreglage-Systeme sind verbreitet: Rücker und frei schwingende Spirale. Ihre Vor- und Nachteile zeigt der folgende Artikel.
Dafür, dass die mechanische Uhr möglichst genau geht, sorgt der Uhrmacher, wenn er das Werk reguliert. Werkskonstruktionen bieten hier zwei unterschiedliche Möglichkeiten der Feinreglage: Systeme mit Rücker sind weit verbreitet, doch bei neuen Werken setzt sich auch die frei schwingende Spirale der Unruh immer mehr durch. Bei mechanischen Armbanduhren bewirkt jede Abweichung von der exakten Unruh-Frequenz, dass das Uhrwerk vor- beziehungsweise nachgeht. Also besteht die Kunst der Uhrmacher beim Regulieren darin, dem Erzeugnis einen – im Rahmen der jeweiligen Vorgaben und Möglichkeiten – optimalen Gang zu verschaffen. Dabei soll, ja muss, die Unruh tunlichst isochron schwingen.
»Für den Uhrmacher«, lehrt der einstige Direktor der Bieler Uhrmacherschule, G. A. Berner, »sind die Schwingungen isochron, wenn deren Dauer von der Schwingungsweite unabhängig ist.« Die wissenschaftliche Untermauerung der weit reichenden Problematik von Unruh und Spirale als Gang regelnde Komponenten hatte der französische Ingenieur Eduard Phillips schon 1860 vorgenommen. Zu seiner grundlegenden Theorie gehörte folgende Erkenntnis: »Jede Spirale besitzt – in Verbindung mit der dazugehörigen Unruh – eine bestimmte Länge, bei der alle Schwingungen, egal ob groß oder klein, gleich lange dauern. Wurde diese richtige Länge einmal gefunden, wirkt sich jede Veränderung auf das Schwingungstempo aus. Bei Verkürzung vollziehen sich die großen Schwingungen schneller, bei Verlängerung die kleinen. Geht ein Uhrwerk bei großen Amplituden nach, muss die Spirale logischerweise verkürzt werden. Eilt es bei großen Amplituden vor, ist eine Verlängerung geboten.«
Unruh-Schwingungen sind immer nur annähernd isochron
»Die ganze Kunst des Feinstellens beruht darin«, um noch einmal Berner zu zitieren, »beim Regulierorgan der Zeitmessinstrumente den Isochronismus der Schwingungen zu erreichen. Die Hauptfaktoren, die den Isochronismus der Unruh-Spiralfeder zerstören, sind: die Hemmung, die Gleichgewichtsfehler der Unruh und der Spiralfeder, der Einfluss des Befestigungspunktes der Spiralfeder an der Spiralrolle, das Spiel der Spiralfeder zwischen den Rückerstiften, die Zentrifugalkraft, das Magnetfeld etc.« Damit wird klar, dass in der Praxis die Schwingungen immer nur annähernd isochron sein können. Die Summe aller schädlichen Einflüsse lässt sich nämlich auch bei größter Sorgfalt niemals eliminieren. Hier geht es weiter mit der Frage: Feinreglage – Rücker oder frei schwingende Unruh? Bei allen mechanischen Uhrwerken ist das äußere Ende der Unruhspirale mithilfe des Spiralklötzchens am Unruhkloben befestigt. Das innere Spiralende steht über die – möglichst kleine – Spiralrolle mit der Unruhwelle in Verbindung. Der dazwischen liegende Teil, die aktive Länge der Spirale, bewirkt im Zusammenspiel mit dem Trägheitsmoment des Unruhreifs die gewünschte Unruhfrequenz. Daraus ergeben sich zwei Möglichkeiten, die Unruhfrequenz zu verändern: Erstens durch Variation der aktiven Spirallänge und/oder zweitens durch Modifikation des Trägheitsmoments der Unruh.
Erstere findet sich in der überwiegenden Mehrheit aller mechanischen Uhrwerke. Hilfsmittel ist der sogenannte Rücker. Dabei läuft die Spiralfeder zwischen zwei parallel und senkrecht nach unten stehenden Stiften hindurch, die sich am hinteren Ende des Rückers befinden. »Ein fehlerhaftes Einpassen der Spiralfeder zwischen diesen Stiften ist in achtzig Prozent aller Fälle die Ursache eines schlechten Gangs der Uhr und vor allem der Unbeständigkeit in der Regulierung«, konstatiert Berner. Mit anderen Worten: Stimmt der Abstand der Stifte nicht exakt, wirkt die Spiralfeder bei kleinen Amplituden – ausgehend vom Spiralklötzchen – in ihrer gesamten Ausdehnung. Im Falle großer Schwingungsweiten arbeitet sie mit verkürzter Länge, das heißt ab der Begrenzung durch die Stifte.
Die Länge der Unruh-Spiralfeder spielt eine große Rolle
Die Bedeutung der richtigen aktiven Länge einer Spiralfeder ergibt sich aus der Tatsache, dass bei Armbanduhren schon eine Veränderung um einen Millimeter den täglichen Gang um eine Minute beschleunigen oder verlangsamen kann. Die Spiralfeder darf im Rückerschlüssel keinen Spielraum besitzen, muss aber trotzdem frei zwischen den beiden Stiften hindurch laufen. Außerdem darf ihre äußerste Windung beim Verstellen des Rückers ihre Lage nicht verändern. Und das ist fürwahr immer wieder eine echte Gratwanderung, welche viel Fingerspitzengefühl, Kunstfertigkeit und Präzision verlangt.
Zum fein dosierten Bewegen und Stabilisieren des Rückerzeigers wurden im Laufe der Jahrhunderte ganz unterschiedliche Konstruktionen ersonnen. Besonders elegant tritt die Schwanenhalsfeder in Erscheinung. Am weitesten verbreitet sind dagegen die von der Eta entwickelten Exzenterschrauben. Hierbei umschließt ein gabelförmiges Ende des Rückerzeigers einen Schraubenkopf. Der Vorteil dieser als »Etachron« bezeichneten Vorrichtung besteht darin, dass die Justierung auf automatisiertem Wege erfolgen kann. Beim »Triovis«-System wirkt eine Schraube mit Mikrogewinde auf die Außenverzahnung der Rückerscheibe. Das gestattet ebenfalls ein exaktes Verstellen des Rückers. »Incastar« kommt ohne Rücker aus. Stattdessen ist das äußere Ende der Unruhspirale zwischen zwei federnden Rollen eingeklemmt, wovon sich eine zur Beeinflussung der wirksamen Spirallänge verstellen lässt.
Hier geht es weiter mit der Frage: Feinreglage – Rücker oder frei schwingende Unruh?
Die alternative Reguliermethode besteht in der Veränderung des Trägheitsmoments der Unruh − entweder über das Gewicht oder den Durchmesser der Unruh. Bereits Ende der 1940er-Jahre erkannten Uhrmacher im Hause Patek Philippe, dass die Eliminierung der radial eingesetzten Masse- und Regulierschrauben einen größeren Unruhreif und damit ein höheres Trägheitsmoment bei annähernd gleichem Gewicht bewirken würden. Aus dieser Entdeckung heraus leitete sich die 1949 patentierte »Gyromax«-Unruh ab, bei der – je nach Ausführung – vier oder acht asymmetrisch geformte und geschlitzte Reguliermassen drehbar auf axial angeordneten Stiften gelagert sind. Der Frequenzabgleich erfolgt durch ausgewogenes Verstellen der exzentrisch geformten Reguliermassen, was den Rücker schließlich entbehrlich macht und die Unruhspirale völlig frei schwingen lässt. Im Gegensatz zum Rücker besitzt dieses Prinzip den Vorteil, dass bei der Regulierung die Spirale nicht verändert und damit der Isochronismus der Unruh nicht gestört wird.
Silizium definiert das Thema Feinreglage neu
Auch die mechanischen Armbanduhren von Rolex kommen ohne Rücker aus. Die renommierte Genfer Manufaktur verwendet so genannte »Microstella«-Schrauben zur Veränderung des Trägheitsmoments der Unruh. Diesen Beispielen sind mittlerweile zahlreiche Uhrenhersteller gefolgt.
Ganz ohne Nachteile sind allerdings auch die »Freischwinger« nicht. Sie lassen Selbst-Regulierern ohne entsprechendes Spezialwerkzeug nur wenig oder gar keinen Handlungsspielraum. Für Rückersysteme ist dagegen in jedem Fall guter Service garantiert. Sie sind einfach und ohne spezielle Werkzeuge sicher einstellbar, man kommt schnell zu guten Gangergebnissen und jeder Uhrmacher kennt sich mit ihnen aus.
Das synchrone Verstellen von Reguliergewichten stellt da schon eine ganz andere Herausforderung dar. Aber einmal präzise reguliert, werden mit rückerlosen Systemen langzeitstabile Gangwerte erreicht. Für kleine Kaliber, die in der Regel eine Unruh von geringem Durchmesser besitzen, ist der Rücker besser geeignet. Eine frei schwingende Unruh ließe sich hier kaum regulieren und brächte keine Vorteile. Der Rücker hat allerdings einen entscheidenden Nachteil: Kaum ein anderes Bauteil stört den Isochronismus der Unruhschwingungen so stark wie dieser.
Text von Gisbert L. Brunner/Martina Richter
Fortlaufend aktualisierter Artikel, ursprünglich online gestellt im Mai 2015