Zur Optimierung des Werkstoffs Silizium und zur Entwicklung einer praktikablen Verfahrenstechnik für die Serienproduktion von Ankerhemmungen und Spiralfedern starteten Patek Philippe, die Swatch Group und Rolex 2003 mit dem CESM, an dem die Swatch Group beteiligt ist, ein durchaus ehrgeiziges Projekt. Ziel war es, ein Silizium-Material mit stabilen Elastizitätswerten in einem breiten Temperaturspektrum zu schaffen. Dass es sich um den Werkstoff der Zukunft handelt, mochte der zwischenzeitlich verstorbene Nicolas G. Hayek damals noch nicht bestätigen: „Es ist ein Material, das wir künftig überall dort benutzen werden, wo es der Schönheit und der Qualität dienen wird.“
Den ersten Wurf machte Patek Philippe im Genfer Stadtteil Plan-les-Ouates. 2005 präsentierte die Manufaktur ihre neue Referenz 5250 „Advanced Research“ mit Jahreskalender und klassischer Schweizer Ankerhemmung. Lediglich 100 Exemplare standen den internationalen Märkten zur Verfügung (von der 2006 vorgestellten Referenz 5350 gab es bereits 300 Exemplare). Die Besonderheiten des Automatikkalibers 324 S IRM QA LU bestanden im Ankerrad aus monokristallinem Silizium und der neuen Spiromax-Spirale aus Silinvar.
Die Spiromax mit selbst zentrierender Spiralrolle und integrierter Spiralklötzchenbefestigung bietet gegenüber dem bislang Gebräuchlichen handfeste Vorteile: die aktive Länge der Spirale muss nicht für jedes Werk justiert werden, die Schwingungen erfolgen auch bei flacher Bauweise weitestgehend konzentrisch. Hinzu kommen positive Werte in Punkto Temperaturkompensation und Resistenz gegenüber Magnetfeldern. Ähnliches gilt für die Empfindlichkeit gegenüber Zentrifugal- und Gravitationskräften, da Spiromax-Spiralen drei Mal weniger wiegen als herkömmliche.
Im gleichen Jahr wartete Breguet in der Referenz 5197 mit einem modifizierten Zwei-Federhaus-Kaliber 591 A auf. Das Automatikwerk basiert auf dem legendären Longines-Kaliber L 990 und verlangt aus konstruktiven Gründen nach einer Spirale ohne hochgebogene Endkurve. Hier konnte Silizium seine Vorteile erstmals in der Uhrengeschichte bei einem klassisch konstruierten Kaliber voll und ganz ausspielen. Zum Silizium-Ankerrad und -Anker gesellte sich eine flache Unruhspirale aus dem gleichen Werkstoff, welche trotz ihrer flachen Ausformung ähnliche Eigenschaften wie die Breguetspirale aufwies.
2008 war einmal mehr Patek Philippe am Zuge: In der Referenz 5450 rundete die von Grund auf neu konstruierte und effizient arbeitende Pulsomax-Hemmung das Silizium-Spektrum ab. In den wiederum nur 300 Exemplaren bestand das gesamte Schwing- und Hemmungssystem aus dem viel diskutierten Werkstoff.
Dank ausgeklügelter Geometrie mit großdimensionierten und individuell geformten Ankerpaletten liegt die Energieübertragung vom Räderwerk zur Unruh 15 bis 20 Prozent über jener der klassischen Schweizer Ankerhemmung. Beim Anker handelt es sich um ein Monoblock-Gebilde ohne eingelackte Rubinpaletten. Die Integration der Paletten macht die Justage der Eingriffstiefe ins Ankerrad entbehrlich. Die zweite Pulsomax-Innovation bezieht sich ebenfalls auf die Ankerpaletten. Bekanntlich verlangt die klassische Schweizer Ankerhemmung nach Begrenzungen für die Winkelbewegung des Ankers. Das ist bei der Pulsomax-Hemmung nicht der Fall, denn der Anker steckt sich seine Grenzen allein durch die Form der Paletten mit zusätzlicher Funktionsfläche. Die dritte technische Innovation gilt der Funktion des zwischen der hinteren Ankergabel befestigten Sicherheitsstifts. Dank DRIE (Deep Reactive Ion Etching) übernimmt diese Aufgabe eine kleine, auf einer zweiten Horizontalebene angebrachte Brücke zwischen den Gabelenden des Ankers. Zur Steigerung des Wirkungsgrads hat das Team um Jean-Pierre Musy die integrierten Ankerpaletten vergrößert. Das wiederum bedingte zwangsläufig eine modifizierte Gestalt des Silinvar-Ankerrads: Die Zahl der Zähne reduzierte sich von 20 auf 16.
|
|
Bei der Unruh selbst gab es keine Veränderungen. Hier blieb Patek Philippe vorerst der bereits 1949 angedachten Glucydur-Unruh mit variablem Trägheitsmoment treu. Damals hatten Techniker im Hause Patek Philippe erkannt, dass die Eliminierung der radial eingesetzten Masse- und Regulierschrauben bei herkömmlichen Glucydur-Unruhn eine Vergrößerung des Radius und damit eine Steigerung ihres Trägheitsmoments bei annähernd gleichem Gewicht und in letzter Konsequenz bessere Gangleistungen nach sich ziehen würden. Die 1951 patentierte Unruh mit acht geschlitzten und auf axial angeordneten Stiften drehbar gelagerten Regulierelementen hielt über die Jahrzehnte hinweg, was sich die Erfinder von ihr versprochen hatten.
Aber bekanntlich ist das Bessere immer des Guten Feind. So auch im Falle von Patek Philippe. Die neueste, 2011 vorgestellte, Unruh-Kreation nennt sich GyromaxSi. Ihr Name ist Botschaft, denn sie vereint die altbekannten und bewährten Vorzüge der Gyromax-Unruh mit den unbestreitbaren Vorteilen des Silinvar. Um ein höheres Gewicht zu erreichen, fügte die Manufaktur noch massives Gold hinzu.
In diesem Zusammenhang hieß es bei Patek Philippe zunächst einmal Abschied nehmen vom üblichen kreisförmigen Unruhgebilde. Dies resultiert aus der Tatsache, dass eine Unruh klar definierte Eigenschaften besitzen muss. Dazu gehört ein möglichst geringes Gesamtgewicht bei gleichzeitig hohem Trägheitsmoment. Diesem scheinbaren Widerspruch begegnet die Unruh mit dem bekannten Reif. Auch die Reibungswiderstände dürfen nicht aus den Augen verloren werden, denn rund 60 Prozent der Energieverluste bei oszillierenden Unruhn sind dem Luftwiderstand geschuldet. Bei der GyromaxSi-Unruh wurde möglichst viel Masse an die Peripherie verlagert: durch eine extrem leichte, aber feste Struktur aus Silinvar mit Goldkörpern an beiden Enden. Die verglichen mit herkömmlichen Materialien 3,6 Mal geringere Dichte von Silinvar reduziert die Masse an der Welle um fast zwei Drittel. Hinzu gesellen sich eine hohe Homogenität bei der Massenverteilung, Korrosionsbeständigkeit und die Resistenz gegenüber magnetischen Einflüssen. Durch die Befüllung kleiner Wannen mit 24-karätigem Gold kann Patek Philippe das Volumen deutlich reduzieren und das wiederum mindert den Luftwiderstand. Dynamische Messungen bescheinigen der GyromaxSi einen Energiegewinn von mehr als 20 Prozent. Natürlich muss sich auch eine neuartige Unruh wie diese regulieren lassen. Patek Philippe hat die kleinen Masselots zur Veränderung des Trägheitsmoments aerodynamisch günstig neben den Goldkörpern positioniert.
Die Summe aller Bemühungen zeigt sich im Mikrorotor-Kaliber 240, welches die limitierte Referenz 5550P mit ewigem Kalender beseelt. Die Ausstattung mit einem Silinvar-Assortiment lässt die Gangautonomie von 48 auf 70 Stunden steigen.
Dass der neue Werkstoff allen Unkenrufen zum Trotz eine große Zukunft vor sich hat, geht aus der zunehmenden Verwendung in gängigen Patek-Philippe-Kalibern hervor. Inzwischen findet sich die Spiromax-Spirale in nahezu allen Kalibern 324 und CH 28-520 PS. Die Werke 215 und 240 werden nach und nach folgen.
Auch andere Pioniermarken sind nicht untätig. Omega verbaut in der koaxialen Ankerhemmung nach Georges Daniels moderne Silizium-Komponenten. Und Breguet steht dem kaum nach. De Bethune, Frédérique Constant, Hublot, Jaeger-LeCoultre oder Zenith sind weitere Manufakturbeispiele, deren Namen sich mittlerweile mehr oder minder stark mit Silizium verknüpfen. glb