Es ist eine der größten Übernahmen in der jüngeren Geschichte der Luxusuhrenbranche: Rolex gab vergangenen Freitag den Kauf der Juwelierskette Bucherer bekannt. Was das für die Uhrenbranche bedeutet, wird derzeit heiß diskutiert. Wir sprachen mit dem Markenexperten Klaus-Dieter Koch, Mitgründer der Nürnberger Managementberatung Brand Trust, der selbst Uhren- (und Rolex-)Sammler ist, über Nutzen und Risiken für die beteiligten Partner und deren Konkurrenten.
Rolex übernimmt Bucherer: Der größte Uhrenhersteller der Welt kauft einen der größten Uhren- und Schmuckhändler. Welche der beiden Marken profitiert von diesem Deal mehr? Zunächst einmal hat Rolex seinen größten Vertriebskanal abgesichert. Und sie bekommen durch diese Akquisition mehr Kontrolle über den Abverkauf. Im Luxusgeschäft ist Kontrolle extrem wichtig. Man darf nicht vergessen, dass Rolex als größter Luxusuhrenhersteller der Welt grundsätzlich auch die größten Probleme mit dem Sekundärmarkt beziehungsweise Graumarkt hat. Wir kennen die Problematik mit Endkunden, die eine Rolex nicht kaufen, um sie zu besitzen, sondern um sie kurz nach dem Kauf zum Graumarkthändler zu tragen und mit Gewinn weiterzuverkaufen. Die Aktivitäten dieser sogenannten Flipper kann Rolex jetzt viel leichter eindämmen. Durch den vollen Zugang auf alle Primärdaten kann Rolex besser auswählen, wer welche Uhr zugeteilt bekommt. Ein weiterer Aspekt in Sachen Kontrolle ist: Rolex kann seine Distributionspolitik bei seinem größten Händler nun zu 100 Prozent selbst bestimmen. Sie können die Customer Journey der Endkunden so gestalten, wie sie es selbst für richtig halten und nicht so, wie es der Konzessionär für richtig hält. Schließlich bringt die Übernahme Rolex auch den vollen Einblick in das, was alle anderen Uhrenmarken bei Bucherer verkaufen. Das ist ein bedeutender strategischer Wettbewerbsvorteil.
Für diese anderen Uhrenmarken ist das keine angenehme Vorstellung. Ich bin sehr gespannt, wie andere Hersteller jetzt reagieren werden. Es kommt ja noch etwas dazu: Uhrenhersteller präsentieren ihren wichtigsten Händlern regelmäßig und frühzeitig ihre Neuvorstellungen, oft deutlich vor den Messen. Künftig kennt Rolex als direkter Konkurrent diese Neuheiten genauso früh.Was bedeutet der Deal aus der Sicht von Bucherer? Auch für Bucherer ergibt das Ganze Sinn: Inhaber Jörg Bucherer ist fast 90 Jahre alt (Jahrgang 1936, Red.) und hat keine Erben. Man wusste schon länger, dass er sein Unternehmen aus diesem Grund verkaufen wollte. Dazu kommt, dass Bucherer seit Jahrzehnten der größte Rolex-Händler der Welt ist (beide arbeiten seit fast 100 Jahren zusammen, Red.) Zudem hat Rolex angekündigt, dass die Bucherer-Geschäfte unter ihrem bisherigen Namen weitergeführt werden, was auch vollkommen richtig und logisch ist.
Dass Bucherer der bevorzugte Händler für Rolex ist, sah man schon Ende 2022, als Rolex sein eigenes CPO (Certified Pre-Owned)-Programm startete, also den Verkauf von zertifizierten Uhren aus Vorbesitz – mit Bucherer als vorerst einzigem Partner. Auch das Thema CPO kann Rolex jetzt noch konsequenter managen und den Graumarkthändlern wirklich etwas entgegensetzen. Bucherer selbst hat schon einige Jahre vor Rolex mit seinen eigenen CPO-Aktivitäten begonnen. Das alles lässt sich jetzt noch stärker vereinen.In letzter Zeit ist im Uhrenfachhandel viel Bewegung, zum Beispiel setzen immer mehr Luxusmarken, gerade die der Richemont-Gruppe, verstärkt auf eigene Boutiquen. Wie reiht sich die Übernahme da ein? Ich sehe derzeit bei den großen Gruppen und Marken drei große Strategien, um ihre Kontrolle über den Vertrieb durchgängiger zu gestalten. Die einen, Patek Philippe, eröffnen Boutiquen zusammen mit Konzessionären – die von Patek selbst geführte Boutique in der Heimatstadt Genf ist eine Ausnahme. Andere, wie Audemars Piguet, kündigen allen Konzessionären und nehmen den gesamten Vertrieb über eigene Boutiquen selbst in die Hand. Was übrigens meiner Meinung nach nicht unproblematisch ist. Rolex wiederum handelt, wie Rolex eben handelt: Wenn sie etwas machen, machen sie es groß und kaufen sich die ganzen Vorteile, über die wir eben gesprochen haben, ein. Die Kleinen wiederum, all die spannenden Mikro-Manufakturen, gehen gar nicht erst in den Handel, sondern setzen ganz auf Online. So erhalten auch sie Kontrolle über ihren Vertrieb. Für die Juweliere, die klassischen Konzessionäre, bleibt das übrig, was dazwischen liegt.
Erwartest du größere Änderungen der Rolex-Vertriebsstrategie? Ich glaube nicht, dass es jetzt gleich viele neue Rolex-Boutiquen bei Bucherer geben wird. Ich kann mir zwar vorstellen, dass Rolex das Netz seiner bisherigen Konzessionäre in den nächsten Jahren etwas ausdünnen wird, aber Rolex braucht bei den geschätzt 1,2 Millionen Uhren, die sie pro Jahr herstellen, auch eine gewisse Breite. Auf jeden Fall wird sich alles nur sehr langsam entwickeln, denn Langsamkeit ist typisch für die Luxuswelt.Carl F. Bucherer ist ab jetzt eine Schwestermarke von Rolex und Tudor. Was bedeutet das für diese kleine, feine Marke? Im Gegensatz etwa zu Wempe, bei denen die Uhren der Eigenmarke die Einstiegspreislage bilden, ist Carl F. Bucherer keine Preiseinstiegsmarke. Im Gegenteil: Carl F. Bucherer setzt seit kurzem auf eine noch höhere Exklusivität, Komplikationen und damit auf den Hochpreisbereich. Vielleicht greift Rolex diesen Ansatz auf und verstärkt diesen Weg. Das würde funktionieren, denn Bucherer hat die nötige Historie, um das glaubwürdig zu tun. Auf der anderen Seite würde aber auch das Thema Preiseinstieg funktionieren.
Wir haben jetzt über all die Vorteile für Rolex gesprochen. Siehst du irgendwo auch Risiken? Nur theoretisch. Eine zu große Vermischung zwischen Bucherer und Rolex, eine zu große Nähe zwischen diesen beiden Marken, der Versuch, Synergien in den Vordergrund zu stellen: Das wäre kontraproduktiv. Auch weil es sich um unterschiedliche Systeme handelt: hier ein Herstellungssystem, dort ein Distributionssystem. Aber das wird nicht passieren, dazu sind die beteiligten Personen zu klug. In der Markenberater-Welt existiert das Bonmot: Marken zerstören sich immer von innen. Bei Rolex sehe ich diese Gefahr nicht. Erinnern wir uns: Rolex hatte in den 1980er Jahren einen schlechteren Ruf als heute, weil die Marke zum Teil die falschen Kunden hatte. Damals war Rolex noch eine gewöhnlichere Marke als heute, sie schauten noch mehr auf Volumen und hatten noch nicht begonnen, gewisse Marktgesetze völlig anders zu interpretieren oder gar außer Kraft zu setzen. Damals begriffen sie sich noch nicht als absoluter Leader der Branche. Meiner Meinung nach hat Rolex erst in den letzten Jahren, vielleicht erst, seitdem Jean-Frédéric Dufour CEO ist, ein völlig eigenes, vom Rest der Branche abgekoppeltes Bewusstsein entwickelt und agiert dementsprechend. Man sieht das allein schon an ihrer Sortimentspolitik: dieser enorme Grad an Selbstähnlichkeit. Diese minimalen Veränderungen, sich immer treu bleiben, nie aufgeben. Wie sie Modelle, die eher am Rand angesiedelt waren, immer weiter pflegen, mit vielen kleinen Schritten, und versuchen, sie wieder in den Mittelpunkt zu rücken. Wie du weißt, hat jede Uhrenmarke ein, zwei Signature-Modelle – die meisten nur eines. Royal Oak, Reverso und so weiter. Bei Rolex gibt es dagegen mittlerweile fast nur noch Signature-Modelle. Das ist einzigartig und bestätigt das, was wir Markenexperten immer predigen: dass sich eine Marke selbstähnlich entwickeln muss. Ohne Brüche, oder wenn, dass diese unmerklich stattfinden. In dieser Hinsicht ist Rolex auch für andere Branchen ein absolutes Vorbild. Und mittlerweile haben sie auch bei Themen wie Kontrolle, Preisstabilität, Eindämmung der Graumärkte und der Fälschungen noch mehr Selbstbewusstsein entwickelt. Abgerundet wird das Ganze schließlich durch diese Rolex-typische Unnahbarkeit, die auch durch eine konsequente Verschwiegenheit gepflegt wird. Rolex schafft die richtige Balance zwischen ihrer typischen Distanz, die für Luxus so wichtig ist, der Perfektion, die sie sich auf die Fahnen schreiben, und der neuen Nähe zum Kunden, die über die Bucherer-Geschäfte entsteht. bucSie wollen mehr starke Meinung von Klaus-Dieter Koch? Dann lesen Sie HIER nach, was er zu Millennials und ihrer Einstellung zu Luxusmarken sagt und schauen Sie sich HIER den kurzen Videoclip an, in dem er über die grundsätzlichen Funktionen von Marken beim Kauf spricht.