Auch die DDR hatte ihre eigene Atomuhr – zumindest beinahe. Unter strenger Geheimhaltung entwickelte man seit den späten 1970er Jahren eine Atomuhr, um ein eigenes Primärnormal zu haben und vom Westen unabhängig zu sein. Die in das Projekt involvierten Wissenschaftler trotzten vielen Widrigkeiten wie der DDR-Mangelwirtschaft und internationalen Lieferrestriktionen. Dennoch wurde die Uhr bis zum Mauerfall im November 1989 nicht ganz fertig und damit obsolet, weil man ab sofort auf die bewährten Cäsiumfontänen der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig zurückgreifen konnte. So gelangte die DDR-Atomuhr nach Bratislava, wo sie 2012 beinahe verschrottet worden wäre. Die Thüringer Professoren Jürgen Müller und Peter Bussemer erfuhren davon und retteten die Uhr.
Das 2,73 Meter lange und 1,20 Meter hohe Stück Zeit-Geschichte ist seit Juli in der Ausstellung „Uhren messen die Zeit“ (kuratiert von Müller und Bussemer) zu bestaunen, und zwar an einem weiteren geschichtsträchtigen Ort: den Uhrenwerken Ruhla. Im 2. Stock des 1929 errichteten Bauhaus-Gebäudes in der Bahnhofstraße 27 finden die Besucher der Ausstellung aber nicht nur die geheime DDR-Atomuhr sowie ausführliche Informationen zu ihr. Ein weiterer Teil widmet sich der Funkuhren-Technologie aus Ruhla. Von der Großuhr, die seit 1987 von Weitem sichtbar an der Stirnseite eines Gebäudes des Fabrikgeländes prangte, bis zu Armbanduhren sind verschiedenste Exponate zu sehen, dazu wird das gesamte Thema Zeitmessung und Zeitübertragung per Funk ausführlich erklärt, bis hin zu den verschiedenen Zeiten, die global genutzt werden: Wer wissen will, was die Unterschiede etwa zwischen GPS, UTC und TAI sind, wird hier fündig. Eine Ausstellung in der Ausstellung bilden die Schwarzweißporträts des Industriefotografen und Mediziners Karl Heinz Rothenberger: Sie zeigen die Menschen, die in Ruhla Uhren fertigen, bei ihrer Tätigkeit.
Uhrenwerke Ruhla: Neustart durch PointtecDie Uhrenwerke Ruhla waren neben Junghans einer von zwei deutschen Herstellern, die Funkuhren in größerer Menge entwickelten und produzierten. Schon vor 150 Jahren, exakt 1861, wurde die Uhrenproduktion in Ruhla von den Brüdern Christian und Georg Thiel begründet. Zu DDR-Zeiten war das Städtchen im Thüringer Wald neben Glashütte und Weimar eines der drei Zentren der staatlichen Uhrenherstellung; 1967 wurden die Uhrenfabriken in Glashütte, Ruhla und Weimar zum VEB Uhrenkombinat Ruhla zusammengefasst. Noch 1990 waren in Ruhla allein 8000 Menschen beschäftigt. Mehr zur Geschichte der Ruhlaer Uhrenfertigung findet man im Uhrenmuseum im Erdgeschoss desselben Gebäudes.
Weiter oben, im vierten Stock, werden nach wie vor Uhren produziert. Dass das auch in Zukunft so bleibt, ist das Verdienst der Firma Pointtec aus Ismaning bei München. Das Unternehmen, zu dem die Marken Zeppelin, Iron Annie und Bauhaus gehören, gründete nach der Insolvenz der Gardé Uhren und Feinmechanik Ruhla GmbH 2019 die Uhrenwerke Ruhla GmbH und übernahm die Produktion einschließlich der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die zum Teil schon seit den 1990er Jahren Uhren für Pointtec bauten, und gewährleistet damit die Weiterführung von Standort und Produktion. Bei so viel Historie und Gegenwart lohnt sich ein Besuch in Ruhla also gleich mehrfach. Die Ausstellung läuft seit dem 16. Juli 2021 für mindestens ein weiteres Jahr, soll danach aber noch mal verlängert werden. buc