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Wie entstehen Zifferblätter?

Endkontrolle in der Zifferblatt-Herstellung von Glashütte Original in Pforzheim
© René Gaens
Das Zifferblatt ist der Teil einer jeden Uhr, den man als Erstes wahrnimmt – und doch auch wieder nicht. Denn seine kunsthandwerkliche Ausarbeitung erfährt nur selten angemessene Beachtung. Dabei ist seine Anfertigung ein aufwändiger Prozess, und es lohnt sich nicht nur beim Uhrenkauf, den Aufwand einschätzen zu können. Das UHREN-MAGAZIN Extra Wissen 2015 informiert über die spannenden Details der Zifferblatt-Herstellung.
Setzen der Indexe: Jede Applik hat zwei Füßchen, die von Hand in die Bohrungen im Zifferblatt eingeführt werden müssen © René Gaens
Das Zifferblatt ist der Teil des Zeitanzeigers, der einen im Schaufenster eines Juweliers zuerst ansieht. Und dennoch wenden sich Artikel und technische Angaben häufig vor allem dem Inneren einer Uhr zu. Dabei verliert sich die Bedeutung des Zifferblatts schnell. Es wird als selbstverständlich hingenommen, was eigentlich ein Trugschluss ist. Denn das Zifferblatt hat eine wirklich wichtige Bedeutung. So ist es nicht nur das Gesicht der Uhr, sondern zeigt in Ziffern, Indexen, Hilfszifferblättern und anderen Bearbeitungen, was der Träger von seiner Uhr so alles erwarten kann.

Was eine Uhr kann, zeigt ihr Zifferblatt

Das Zifferblatt leistet also mehr als nur die Zeitanzeige. Es präsentiert die Uhr im Gesamten. Diese herausragende Funktion unterstreicht Glashütte Original mit einer besonders sorgfältigen und teils sehr aufwändigen Zifferblattherstellung. Die heute firmeneigene Zifferblattmanufaktur wurde 1922 in Pforzheim von Kurt Müller gegründet und 2000 von der Swatch Group übernommen. Seit 2012 firmiert das Unternehmen als Niederlassung von Glashütte Original und trägt die Marke auch im Firmennamen. So bleibt die mittlerweile 90 Jahre alte Fertigungstradition nicht nur erhalten, sondern wird auch stets weiterentwickelt.
Rohlinge und fertige Zifferblätter nebeneinander geben einen Eindruck von dem Aufwand, der im Gesicht einer Uhr steckt © 2013 Getty Images
Zu diesem Zweck siedelte die Manufaktur innerhalb Pforzheims um. In dem neuen Gebäude in der Stuttgarter Straße ist es nun möglich, den hohen Ansprüchen der Haute Horlogerie entsprechend Zifferblätter herzustellen. Dabei hat man gleich so geplant und gebaut, dass die Firma noch weiterwachsen kann. Lediglich das Erdgeschoss wird derzeit für die Produktion genutzt. Hier arbeiten 54 Mitarbeiter an den zahlreichen Zifferblättern Glashütte Originals. Der Großteil der Arbeitsschritte erfolgt von Hand. Dies ermöglicht die Sorgfalt und Präzision, die bei der Herstellung zwingend notwendig ist. Denn schon kleinste Ungenauigkeiten führen dazu, dass das Zifferblatt nicht mehr auf das Werk oder gar in das Gehäuse passt. Daher spielt auch die Qualitätskontrolle eine wichtige Rolle im Herstellungsprozess.
Diamantierte Indexe: Ein Diamantschleifer fräst die Indexe in das Zifferblatt hinein © René Gaens
Alles beginnt jedoch zunächst mit den Zifferblattrohlingen. Je nachdem, welche Farbe das Blatt am Ende haben soll, wird das entsprechende Material ausgewählt: Neusilber, Bronze oder Messing. In besonderen Fällen gibt es auch Streifen aus Silber oder Gold. Glashütte Original hat zum Beispiel in der Sixties-Kollektion farbig galvanisierte Zifferblätter mit sogenannten diamantierten Indexen. Diese offenbaren, welches Material verwendet wird. Denn nach der Galvanisierung werden die Indexe mit einem Diamanten hineingefräst, an dieser Stelle die Farbe also wieder abgetragen, und das ursprüngliche Material des Blattes sichtbar gemacht. Nach dem Ausstanzen der Rohlinge, die noch nicht den endgültigen Durchmesser des Zifferblatts haben, werden diese mit so genannten Nocken versehen. Ein Mitarbeiter erklärt, dass diese Nocken während des Fertigungsprozesses das präzise Auflegen der Blätter auf die Maschinen unterstützen. So stimmen alle weiteren Bearbeitungen am Blatt mit den Funktionen des Werkes überein. Gibt es hier nämlich Abweichungen, wird das Zifferblatt am Ende nicht auf das Werk passen, oder Anzeigen werden auf dem Zifferblatt verschoben dargestellt.

Die Zifferblatt-Herstellung erfordert hohe Präzision

In einem nächsten Schritt fräsen CNC-Maschinen die Löcher und Aussparungen für die Zeiger, aufzusetzende Indexe oder zum Beispiel die Mondphasenanzeige hinein. Auch feine Skelettierungen werden bei diesem Arbeitsschritt ausgefräst. Für ein Zifferblatt braucht die Maschine, je nach Aufwand etwa zehn Minuten. Hierbei bekommt das Zifferblatt auch seinen finalen Durchmesser, und die Nocken verschwinden. Und nach einer ersten Reinigung wandern die Blätter weiter an Mitarbeiter, die den Zifferblättern ihre Füße verleihen. Diese werden mit einem Laser angeschweißt, exakt an der Position auf der Rückseite des Zifferblatts, die das später einzubauende Uhrwerk vorgibt, denn mithilfe der Füße wird das Blatt auf das Werk gesetzt. Am gleichen Arbeitsplatz werden die Zifferblätter der Vintage-Kollektion von Glashütte Original ihren Vorbildern aus früheren Jahrzehnten entsprechend gewölbt.
Paradebeispiel für eine Uhr mit gewölbtem Zifferblatt: Sixties von Glashütte Original © PR
Damals verstecken bombierte Zifferblätter die hohen Werke, damit das Gehäuse nicht zu hoch gebaut werden muss. So ragen die Werke faktisch zwar etwas aus dem Gehäuse heraus, das gewölbte Blatt und ein leicht gewölbtes Glas kaschieren dies aber. Heute sind die Werke so flach, dass ein gewölbtes Zifferblatt keine Funktion mehr hat. Aber es zeugt von Eleganz und erinnert an die bunte Zeit der 1960er- und 1970er-Jahre. Auch die Wölbung wird vollständig von Hand durchgeführt, da hier ein feinfühliger Umgang mit dem Material sehr wichtig ist. Abschließend werden die Rohlinge zum Teil vorpoliert. Eine Diamantenflüssigkeit bearbeitet die Blätter auf einer großen Steinplatte. Den entsprechenden Poliergrad stellt man mithilfe von Gewichten ein. Für eine Platte, die zehn bis dreißig Blätter gleichzeitig bearbeiten kann, braucht es mindestens 15 Minuten. Je glänzender das Blatt erscheinen soll, desto länger liegt es auf der Poliermaschine. Nach einer weiteren Zwischenreinigung in mehreren Bädern geht es dann zum nächsten Produktionsschritt.
Bei der Zifferblatt-Gestaltung im Tampondruck überträgt ein Stempel den Schriftzug auf das Blatt © Ren√© Gaens
Den sogenannten mechanischen Bereich durchlaufen alle Zifferblätter von Glashütte Original in etwa gleich. Danach hängt die weitere Verarbeitung stark vom Zifferblatt selbst ab. Trägt es einen Sonnenschliff, eine Farbe oder Perlmutteinlagen, durchläuft es unterschiedliche Abteilungen. Sämtliche Arbeitsschritte führen einzelne Mitarbeiter aus, denn lediglich das Ausstanzen der Rohlinge und das Fräsen erfolgen vollautomatisch. Mit einer sich drehenden runden Bürste und einem Gemisch aus Korund, Bims und Weinstein trägt eine Fachkraft den Sonnenschliff auf.

Wie kommt die Farbe auf das Zifferblatt?

Das Galvanisieren und Lackieren erfolgt in Reinräumen, das heißt, man kommt nur durch Staub und Schmutz absorbierende Schleusen hinein. So können unerwünschte Ablagerungen und Einschlüsse von feinsten Partikeln vermieden werden. Nach beiden Vorgängen erfolgt stets eine Zwischenkontrolle, welche die Mitarbeiter mithilfe einer Lupe vornehmen. Perlmutteinlagen werden mit feinen Pinseln unter dem Mikroskop aufgetragen. Für ein Zifferblatt braucht eine Mitarbeiterin mehrere Stunden. Alle Zifferblätter kommen jedoch früher oder später zum Druckverfahren. Denn den Markennamen trägt jedes Blatt auf seiner Oberfläche. Dabei hängt über jedem Arbeitsplatz der Mitarbeiter ein gläserner Schacht, aus dem Luft mit Überdruck geblasen wird. So bleiben selbst feinste Staubpartikel dem Blatt fern. Denn einmal beim Druck eingeschlossen, kann der Staub nicht mehr entfernt werden und das Blatt ist unbrauchbar. Beim so genannten Tampondruckverfahren wird jedes Blatt einzeln auf einem Sockel aufgesetzt; hier helfen wieder die Füße des Blattes bei der Ausrichtung. Dann setzt der Drucker mittels eines Fußpedals eine Maschine in Gang, die mehrere Arbeitsschritte scheinbar parallel durchführt: Zuerst das Auftragen der Druckerfarbe auf eine Metallplatte. Diese hat Aussparungen entsprechend des Schriftzugs, der Zahlen oder andere Details, je nachdem, was aufgedruckt werden soll. Dann wird mit einem Spatel überschüssige Farbe abgezogen und ein großer Tampon, ein mit Luft gefüllter kleiner Ballon, drückt sich auf die mit Farbe gefüllte Platte, nimmt die Farbe auf und drückt sie dann auf das Zifferblatt. Dieser Vorgang wird mindestens zweimal wiederholt. Danach überprüft der Drucker mit einer Lupe, ob die Maschine sorgfältig gearbeitet hat.
Zusätzlich gibt es auch noch eine Endkontrolle, wenn das Zifferblatt fertig ist. Hierbei wandert jedes Zifferblatt nacheinander durch die Hände zweier Mitarbeiter. Diese befreien die Scheibe von feinsten Staubpartikeln und betrachten das Zifferblatt gründlich durch eine Lupe. Erst wenn es beide Qualitätsprüfungen bestanden hat, wird es vakuumverschweißt, sicher eingepackt und schließlich nach Glashütte verschickt. mg

Dieser Beitrag stammt aus dem UHREN-MAGAZIN Extra Wissen 2015, das am 14. November 2014 erschienen ist.

Um zu wissen, wie viel eine Uhr kostet, genügt es, den Preis zu kennen. Um ihren Wert beurteilen zu können, braucht es profundes Wissen. Dieser Erkenntnis hat sich das UHREN-MAGAZIN Extra Wissen 2015 verschrieben. Die Sonderausgabe widmet sich allen Komponenten, die zur Fertigung einer Uhr hergestellt werden müssen. Das ganze UHREN-MAGAZIN Extra Wissen finden Sie in unserem Shop auf shop.watchtime.net: Lassen Sie sich die gedruckte Ausgabe versandkostenfrei für 14,90 Euro nach Hause liefern.

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