Bei der neuen Ingenieur Automatic 40 besinnt sich IWC wieder auf das ikonische historische Design von Gérald Genta und formt aus dem Modell eine Uhr mit starker Persönlichkeit. Schon jetzt ist sie eine der besten Uhren des Jahres.
Bereits im Vorfeld war ich äußerst neugierig gewesen. Als IWC mich zur Präsentation der neuen Ingenieur Mitte Februar nach London einlud, fragte ich mich, welchen Weg die Marke aus Schaffhausen wohl diesmal einschlagen würde. Denn während die „P-Linien“ – Pilot, Portugieser und Portofino – äußerst erfolgreich sind, hatte sich die Ingenieur über die Jahre nicht unbedingt geradlinig nach oben entwickelt. Die Herausforderung, nach einigem Hin und Her in den 2010er Jahren wieder einen großen Wurf in Sachen Ingenieur hinzulegen, war immens. Im Vorfeld der Präsentation war zu hören, dass die Neue wieder dem ikonenhaften Design folgen sollte, das der legendäre Uhrendesigner Gérald Genta 1976 für die Ingenieur SL erdacht hatte. Sicher nicht die schlechteste Vorbedingung. Doch das heißt ja noch nicht viel: Wie nah würde sie am Vorbild sein? Und wie sehr würde sie den heutigen Seh- und Tragebedürfnissen Rechnung tragen?Als ich die neue Ingenieur schließlich im London Science Museum zum ersten Mal in den Händen hielt, war ich schnell überzeugt. Ja, mehr noch: Ich war begeistert. Die Uhr sieht ihrem Vorbild ähnlich und atmet damit Tradition, doch sie ist weit davon entfernt, eine bloße Kopie zu sein. Die Proportionen stimmen, und zwar so exakt, dass es auffällt. Die Ingenieur ist weder zu groß noch zu klein, die 40 Millimeter Durchmesser stehen ihr gut. Sie zitiert die Stilelemente des Genta-Designs – die fünf Vertiefungen auf der Lünette, das integrierte Stahlband, die schachbrettartige Zifferblattstruktur –, aber auf zeitgemäße Weise. IWC-Designchef Christian Knoop und sein Team haben sich jedes Detail vorgenommen und herausgekommen, ist eine Uhr, an der – für mich zumindest – alles stimmt.
Doch werfen wir, bevor es in die Details geht, einen kurzen Blick in die Historie. Die IWC Ingenieur hat eine recht bewegte Geschichte hinter sich. Anders als die Fliegeruhren der Marke, die sich über Jahrzehnte hinweg kontinuierlich entwickelt haben, war das Bild der Ingenieur nicht immer einheitlich. Die 1976 auf den Markt gebrachte, vom berühmten Uhrendesigner Gérald Genta (1931–2011) gestaltete Ingenieur SL mit der Referenznummer 1832 wurde im Laufe der Jahre und Jahrzehnte zur Kultuhr. Ihre Erkennungszeichen waren eine verschraubte Lünette mit fünf auffälligen kreisförmigen Aussparungen, ein breites, integriertes Stahlband und ein schachbrettmusterartiges Zifferblatt. Eine markante, sportliche Luxusuhr, die im selben Jahr eingeführt wurde wie die Patek Philippe Nautilus, deren Design ebenfalls aus der Hand von Genta stammte. Ähnlich wie die Nautilus und die schon 1972 vorgestellte Luxusstahluhr Royal Oak von Audemars Piguet (Design: Gérald Genta) wurde die Ingenieur SL anfangs von vielen Zeitgenossen verkannt, doch später hoch geschätzt. Heutzutage muss man über 20.000 Euro bereithalten, wenn man das Glück hat, eine Referenz 1832 irgendwo auf dem Second-Hand-Markt zu finden.
Dabei beginnt die Geschichte der Ingenieur viel früher, nämlich 1955. Das Besondere der Referenz 666 war nicht ihr Äußeres – als schlichtes, rundes Dreizeigermodell mit Datumsanzeige hob sie sich äußerlich kaum von der damaligen Masse ab –, sondern ihr technisch hochwertiges Innenleben: Ein Innengehäuse aus Weicheisen schirmte das von Albert Pellaton entwickelte Automatikkaliber 85x gegen Magnetfelder ab. Das Thema Weicheisen-Innengehäuse war für IWC nicht ganz neu: Bereits die für die britische Royal Air Force ab 1948 gebaute Fliegeruhr Mark 11 war damit ausgestattet gewesen. Doch mit der Ingenieur weitete IWC diese Technologie auf den zivilen Bereich aus. Zielgruppe waren tatsächlich Ingenieure, also Menschen, die in Arbeitsfeldern wie Elektrotechnik, Maschinenbau, Kommunikation oder Transportwesen tätig waren und mit der in der Nachkriegszeit stetig zunehmenden Dichte an magnetischen Feldern direkt konfrontiert waren. Gleichzeitig sprach die Thematik darüber hinaus technik- und zukunftsbegeisterte Menschen an und verkörperte bis weit in die sechziger Jahre hinein die damals vorherrschende Fortschrittsgläubigkeit.
Doch gerade im weiteren Verlauf der Sechziger schien die brav-konservative Hülle der Referenz 666 und ihrer 1968 eingeführten Nachfolgerin 866 nicht mehr zeitgemäß. Schon 1969 begann man mit dem Projekt einer neuen Ingenieur, die durch den Einbau einer Stoßsicherung noch robuster werden und ein deutlich markanteres Gehäuse haben sollte. 1970 und 1971 wurden die ersten Prototypen hergestellt; sie fielen allerdings bei den Stoßtests durch. An dieser Stelle kam IWCs damaliger Marketingleiter Alexandre Ott ins Spiel: Er ging 1972 auf die Suche nach einem externen Designer, angetrieben von dem Wunsch nach einer Kollektion von robusten und gleichzeitig eleganten Sportuhren mit einem durchaus avantgardistischen Design. Ob Ott so etwas wie die im gleichen Jahr eingeführte Royal Oak von Audemars Piguet vorschwebte, wissen wir nicht, auf jeden Fall erwies er sich als weitsichtiger als andere Mitglieder der Geschäftsleitung, die IWC eher in Richtung hochwertige Schmuckuhren entwickeln wollten. Ott kannte Gérald Genta, weil dieser 1967 bereits einen Stahlchronographen für IWC entworfen hatte (der allerdings nie auf den Markt kam) und beauftragte ihn mit dem Entwurf für eine neue Ingenieur.
1974 präsentiert Genta der IWC-Geschäftsleitung das Ergebnis seiner Arbeit: eine markante Uhr mit integriertem Stahlband, strukturiertem Zifferblatt sowie einer verschraubten Lünette mit fünf kleinen kreisförmigen Aussparungen. Es dauert aber noch bis Ende 1975, bis der Designer zusammen mit dem Gehäusehersteller Piquerez in Bassecourt den entsprechenden Prototypen fertigstellen kann. Die IWC-Chefs sind begeistert. Ott lässt 1976 die ersten 300 Modelle produzieren, in Edelstahl, 1977 sollen weitere 200 folgen. Gleichzeitig macht sich Hannes Pantli, IWC-Verkaufsdirektor für Europa und den Mittleren Osten, daran das Angebot an IWC-Stahluhren zu erweitern. So schafft er eine neue Kollektion, SL genannt, die aus Stahl-Luxusmodellen besteht. Es gibt eine Polo Club SL, eine Golf Club SL, eine Da Vinci SL – das Highlight ist aber Gentas Ingenieur SL. (Es ist übrigens bis heute nicht geklärt, wofür die Buchstaben „SL“ stehen, ob sie eine Bedeutung wie Sport Line, Steel Line oder sportlicher Luxus haben oder nur Pantlis Begeisterung für den Mercedes SL ausdrücken.) Die Ingenieur SL kostet bei ihrem Start 1976 den stolzen Preis von 2000 Franken und erhält wegen ihrer Größe von 40 Millimetern den Beinamen „Jumbo“. Wie beim Vorgängermodell gibt es wieder einen Magnetfeldschutz bis 80000 A/m dank Weicheisen-Innengehäuse, das Automatikkaliber 8541 ist auf Kautschukpuffern gelagert.
Genta befindet sich in dieser Zeit auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Nach der Royal Oak hat er für Patek Philippe die Nautilus gezeichnet, ebenfalls eine sportliche Luxusuhr aus Stahl, die im gleichen Jahr auf den Markt kommt wie die Ingenieur SL. Für das plötzliche Interesse einiger Hersteller an hochwertigen Stahluhren gab es neben einer gewissen Zukunftsvision auch noch einen handfesten Grund: Der Dollarkurs brach ein, gleichzeitig kletterte der Goldpreis in immer neue Höhen. Für Marken wie IWC, die vor allem Golduhren im Sortiment hatten, bedeutete das eine Teuerung um den Faktor drei bis fünf – und das in einer Situation, wo die traditionellen Schweizer Hersteller ohnehin mit der Konkurrenz durch billige Quarzuhren aus Fernost zu kämpfen hatte. So innovativ uns die Ingenieur SL heute erscheinen mag, in den späten Siebzigern war ihr noch kein großer Erfolg beschieden, zwischen 1976 und 1983 wurden gerade einmal gut 1000 Stück verkauft. Erst im Laufe der 1990er Jahre wurden Sammler wieder auf den IWC-Jumbo aufmerksam.
Dennoch brachten die Schaffhauser im Laufe der Achtziger immer wieder abgewandelte Modelle heraus. Die Ingenieur wurde flacher und eleganter, wozu auch das neue Zifferblattdesign im Millimeterpapier-Design passte. Sie kam mit Quarzwerken und sogar als Taschen- und Damenuhr. Es gab sie dann auch in Gold und Bicolor, damals „Mixte“ genannt. 1989 stellte IWC schließlich ein spektakuläres technisches Highlight vor: die Ingenieur 500.000 A/m mit der Referenznummer 3508. Sie widerstand dank ihrer Spirale aus einer Niob-Zirkon-Legierung offiziell Magnetfeldern bis zu 500.000 A/m (6.283 Gauss), hielt aber laut IWC in einem Test im Kernspintotgraphen sogar 3,7 Millionen A/m (46.496 Gauss) aus. Das war damals Weltrekord.
2005 griff der damalige IWC-Chef Georges Kern das Genta-Design wieder auf, um eine komplette Ingenieur-Kollektion vorzustellen. Neben der 42,5 Millimeter großen Automatikuhr mit Kaliber 80110 für 5.750 Euro wurden unter anderem ein AMG- und ein Midsize-Modell sowie ein Chronograph angeboten. Mit den fünf „Löchern“ auf der Lünette, dem strukturierten Zifferblatt und dem integrierten Stahlband nahm sie die Kernelemente des Genta’schen Designs auf.
2013 wurde die Ingenieur-Kollektion vollständig überarbeitet: Das Genta-Vorbild war nach wie vor erkennbar; durch den Verzicht auf die 2005 eingeführten arabischen Ziffern für 6 und 12 Uhr näherte sie sich dem Vorbild an dieser Stelle sogar wieder an, erhielt dafür aber erstmals einen Flankenschutz für die Krone. Außerdem veränderte IWC das Band und brachte das Automatikmodell (5.850 Euro) mit glattem Zifferblatt heraus. Und die Ingenieur wurde diesmal so richtig kompliziert: Star der Linie war das Constant-Force Tourbillon mit patentiertem Konstantkraftmechanismus, kaum weniger aufregend war er digitale ewige Kalender, bei dem bis zu fünf Anzeigescheiben synchron bewegt werden konnte.
Umso überraschender war es, dass schon 2017 eine Kehrtwende folgte: IWC lancierte neue Modelle, die mit ihrem kreisrunden Gehäuse eindeutig von der ersten Ingenieur von 1955, der Referenz 666, inspiriert waren. Das Automatikmodell war kleiner und flacher als das 2013er-Modell. Ausgestattet mit einem Sellita SW 300, präsentierte sie sich nicht mehr als Toolwatch, sondern als sportlich-klassisch-elegant und wurde für 4.950 Euro angeboten.
Jetzt also wieder Genta. IWC-Designchef Christian Knoop, der schon die 2013er-Modelle gestaltet hatte, hat nicht etwa diese weiterentwickelt, sondern sich die erste Genta-Uhr von 1976 vorgenommen und das neue Design von ihr ausgehend entworfen. Die maßgeblichen Merkmale finden sich alle wieder, wurden aber angepasst. Die Lünette des dreiteiligen Gehäuses ist von vorn verschraubt, und zwar diesmal so, dass sich in den fünf Aussparungen sechseckige Inbusschrauben befinden. Durch sie wird die Lünette befestigt. Beim Zifferblatt des Stahlmodells – es gibt zudem eine Titanversion –, kann man zwischen den Farben Schwarz, Silber und Aqua (ein bläuliches Grün) wählen.
Das Uhrengesicht zeigt ein Schachbrettmuster, dessen Oberfläche einen zusätzlichen Schliff erhält, sodass sich bei der Reflexion des Lichts ein sogenannter Propeller-Effekt ergibt. Zusammen mit den verkürzten Hörnern, dem abgerundeten Kronenschutz und dem weicher gestalteten Bandgliedern ergibt sich für die 40 Millimeter große Ingenieur so eine Optik, die noch sportlich, aber gleichzeitig viel eleganter ist als beim historischen Vorbild, zumal sie mit 10,8 Millimetern recht flach gebaut ist. Auch den Tragekomfort haben Knoop und sein Team erhöht: War bei Genta das erste Mittelteil des Bandes noch fest mit dem Gehäuse verbunden, ist es jetzt beweglich, sodass sich die Uhr besser ums Handgelenk schmiegt.
Der Historie getreu ist auch die Ingenieur von 2023 durch ein Weicheisen-Innengehäuse gegen Magnetfelder geschützt, allerdings nur bis 40.000 A/M, was 503 Gauß entspricht. So gibt es keinen Glasboden, durch den man das Kaliber 32111 sehen könnte. Dieses Automatikwerk, das IWC zusammen mit dem Werkespezialisten der Richemont-Gruppe, Valfleurier, entwickelt hat, wird nach Aussagen von IWC komplett in Schafhausen gebaut. Es bietet 120 Stunden Gangreserve und wird auch in der Mark XX verwendet.
Mir persönlich fiel es schwer, die Ingenieur nach dem Tragen in London wieder abgeben zu müssen. Sie ist optisch wie haptisch stimmig und eine echte Persönlichkeit. Daher finde ich es auch gut, dass IWC kein Band zum Austausch mit Schnellwechselsystem vorgesehen hat, sondern die Uhr nur mit dem Stahlband erhältlich ist, das mit einer Schmetterlings-Faltschließe geschlossen wird. Bedauern muss ich einzig den Preis, der jetzt erstmals über 10.000 Euro liegt (12.900 für die Stahluhr und 15.900 Euro für das Titanmodell) und die Tatsache, dass man die Uhr nur in den IWC-Boutiquen kaufen kann. Gemessen an der Audemars Piguet Royal Oak und der Patek Philippe Nautilus – denn als Alternative zu denen tritt sie an – ist die Ingenieur aber fair bepreist und vor allem: erhältlich. Ich bin gespannt, wie sie sich nach ihrer Markteinführung im Frühjahr schlagen wird. buc