Das kleine Städtchen Glashütte im Osterzgebirge steht seit dem 19. Jahrhundert für den Bau besonders feiner Uhren. Werkbestandteile wie die Dreiviertelplatine, der handgravierte Unruhkloben oder die verschraubten Goldchatons haben sich als typische Merkmale des Glashütter Uhrenbaus etabliert und werden von Kennern rund um den Globus hochgeschätzt. Seit mehr als zwei Jahren ist die Herkunftsbezeichnung „Glashütte“ sogar durch eine besondere Verordnung geschützt. Wer ein Faible für mechanische Uhren hat, muss also einmal im Leben in Glashütte und den wichtigen Uhrenstätten in Dresden und Umgebung gewesen sein.
Und so waren Glashütte und Dresden auch in diesem Jahr wieder die ausgemachten Ziele einer unserer beliebten Uhrenreisen. Vom 12. bis 14. September 2023 besuchten wir dabei mit Lang & Heyne, Moritz Grossmann oder Wempe und Mühle-Glashütte nicht nur gute alte Bekannte, sondern erstmals auch Union Glashütte, eine Marke, die in diesem Jahr 130-jähriges Bestehen feiert, und mit der Sächsischen Uhrentechnologie GmbH eine renommierte Gehäusefabrik. In Dresden waren wir in der Boutique von Glashütte Original und der neuen Niederlassung von Sinn Spezialuhren zu Gast.Es ist schon eine gute alte Tradition, dass man sich bereits am Vorabend voller Vorfreude und bei bester Laune in lockerer Runde zum „Vorglühen“, wie die jungen Leute das heute nennen würden, trifft.
Das Restaurant „Lila Soße“ in einem Dresdner Kunsthof lieferte mit junger Küche und u(h)riger Kneipenatmosphäre genau das richtige Ambiente, um sich auf eine Zeitreise zu begeben und die kommenden Begegnungen einzustellen. Es kann also losgehen.
Erste Station: Lang & Heyne
Vor mehr als 20 Jahren von den Uhrmachermeistern Marco Lang und Mirko Heyne (daher der Name), die mittlerweile das Unternehmen verlassen haben, gegründet, schreibt die Manufaktur doch schon eine bewegte Geschichte.
Mit Sitz in der Ullersdorfer Mühle 2 in Radeberg, gehört das Unternehmen heute zur Tempus Arte-Gruppe, zu der auch die Uhren-Werke-Dresden sowie mittlerweile Blaken und Stowa zählen. Uns begrüßt CEO Alexander Gutierrez Diaz höchstpersönlich, Jens Schneider und Dominique Jahn führen durch die eigenwilligen Räumlichkeiten der Manufaktur, die unter Denkmalschutz stehen und gerade wieder etwas umgestaltet werden. Inzwischen verrichten 35 Mitarbeiter hier ihren Dienst und legen dabei ganz besonderen Wert auf Handwerk und uhrmacherische Traditionen, was nicht zuletzt die Uhren reflektieren, die gründlich in Augenschein genommen werden. Zwischen 100 und 200 Stück werden pro Jahr ausgeliefert, angetrieben von nunmehr neun Manufakturkalibern. Die Fertigungstiefe liegt bei über 90 Prozent, nur wenige Einzelteile werden zugekauft, zudem Gehäuse, Bänder und Schließen.
Nach eingehender Besichtigung lädt das Unternehmen zum Lunch in den nahegelegenen Golfclub ein, wo man auch nochmal mit dem Chef des Hauses ins Gespräch kommen kann.
Zweite Station: Sinn Spezialuhren, Niederlassung Dresden
Seit Mai 2022 betreibt Sinn Spezialuhren zu Frankfurt am Main eine Service Niederlassung in Dresden. Vom Erfolg der Unternehmung war Sinn Spezialuhren genauso überrascht wie die Teilnehmer der Leserreise von der Niederlassung in Dresden begeistert.
Diese wuchs rasch von anfänglich drei Mitarbeitern auf ein junges Team mit elf Uhrmacherinnen und Uhrmachern, die hinter einer großzügigen Fensterfront mit inspirierendem Blick auf Zwinger und Semperoper hochmotiviert an ihre Service-Arbeiten gehen. Sie erklären uns auch die speziellen Sinn-Technologien wie die Schmierstoff-freie Ankerhemmung Diapal oder die Trockenhalte-Technik, zeigen uns die Wasserdichtheitsprüfgeräte und die Service-Arbeitsplätze. Eigens für diesen Termin ist Marketing-Mitarbeiterin Sabine Kleiter aus Frankfurt am Main angereist. Mit im Gepäck hatte sie einen edlen Tropfen des hauseigenen Sinn-Sekts sowie eine umfangreiche Uhrenauswahl aus der aktuellen Kollektion, darunter auch die neuen Modelle der 356 Flieger Klassik zum 35-jährigen Jubiläum dieser Serie.
Dritte Station: Glashütte Original, Boutique Dresden
Nach ein paar erholsamen Schritten durch die Dresdner Altstadt-Gassen – Szenenwechsel zu Glashütte Original und damit zu einer ganz anderen Uhrenkollektion. Quasi mit ihrer Lancierung legt uns PR-Chefin Ulrike Kranz eine nagelneue Jahres-Edition des Sixties Chronographen vor.
Begeisterung macht sich breit über das im eleganten Grau gestaltete Verlaufszifferblatt. In diesem Zusammenhang erzählt uns die Kollegin aus Glashütte, dass die hauseigene Zifferblattmanufaktur von Pforzheim gerade dahin umzieht, wo sie hingehört, nach Glashütte. Und wer weiß, vielleicht führt uns ja die nächste Leserreise in deren „heilige Hallen“ und auch wieder in die Manufaktur von Glashütte Original. Ansonsten zeigen uns die Mitarbeiter vor Ort alles, was das Herz begehrt – von der komplexen Senator, über die technische Pano bis hin zur sportlichen SeaQ.
Der zweite Abend klingt in der Weinzentrale mit leckeren Speisen und auserwählten Tropfen aus der Gegend von Radebeul, Meißen und Dresden aus. Wie die Uhren – ein Hochgenuss.
Vierte Station: Union Glashütte
Premiere bei Union Glashütte: Wir sind die erste Gruppe von Uhrenenthusiasten überhaupt, die die Räumlichkeiten der Uhrenfabrik betreten dürfen, lässt uns Verkaufsleiter Armin Graeser wissen. Hochmotiviert führt er uns durch die Produktionsräume, wo in der Teilefertigung, Werk- und sogenannter Uhrenkopfmontage und mit einem umfangreichen Qualitätsmanagement die anspruchsvollen Anforderungen an die Glashütter Wertschöpfung erfüllt werden.
Davon sichtlich überrascht und begeistert, legen die Teilnehmer der Uhrenreise zahlreiche Modelle ans Handgelenk, bekommen die historische Taschenuhr zu sehen, nach der der Jubiläums-Chronograph zum 130-jährigen Bestehen der Marke gestaltet wurde, dürfen natürlich auch diesen noch vor seiner Veröffentlichung begutachten und sehen so manches Modell, das erst in den kommenden Monaten vorgestellt wird. In diesem Zusammenhang lässt Armin Graeser wissen, dass künftig alle Uhrwerke der Union-Uhren mit Silizium-Spiralen und damit einer neuen Reglage ausgestattet werde, was eine deutliche Qualitätssteigerung der zumeist sportlich ambitionierten Union-Uhren darstellt.
Fünfte Station: Wempe Glashütte i/SA
Steil hinauf geht es zum Domizil von Wempe Glashütte i/SA in und an der alten Sternwarte des Osterzgebirgsstädtchens.
Luft anhalten. Links ein Bagger. Rechts ein aufgerissener Abhang. Bereits im letzten Jahr ließ Gunter Teuscher, der Geschäftsführer von Wempe Glashütte i/SA, die Reiseteilnehmer wissen, dass sich Wempe Glashütte i/SA noch einmal vergrößern wird – wegen der Lehrlingsausbildung, auf die das Unternehmen besonders stolz ist. Und so beläuft sich ein Teil des Rundgangs durch die Manufaktur auch auf den Ausbildungsbereich. Die jungen Leute erzählen gern von ihren Motivationen für den Uhrmacherberuf. Bei dem einen ist es die Technik, bei einem anderen das Handwerk. Bis zu 24 Azubis will Wempe künftig in Glashütte ausbilden, für die alle auch eine Perspektive im Unternehmen geboten wird.
In der Fertigung geht es wegen der Bauarbeiten gerade eng zu. Respekt, dass wir trotz der Umstände einen Blick in die Räume werfen durften, die gesamte Kollektion und im Gebäude der Sternwarte, wo die Zeitmesser der Wempe-Chronometerwerke-Linie gefertigt werden, sogar die beeindruckenden Marine Chronometer Coco de Mer und Cube by Tim Heywood betrachten durften. Während in der Chronometerprüfstelle alles seinen geregelten Gang geht, sagen wir danke für den opulenten Mittagstisch, den Wempe Glashütte i/SA in jedem Jahr liebevoll für uns deckt.
Sechste Station: Moritz Grossmann
Als wir – den steilen Abhang wieder hinab – bei Moritz Grossmann ankommen, ist die Zeit schon fortgeschritten. Uhrmacher sind Frühaufsteher, und damit wir sie nachmittags noch erwischen, starten wir sofort zu einem Rundgang durch die Manufaktur.
Wir begegnen der Teilefertigung mit modernen CNC- und Erodier-Maschinen ebenso wie der aufwändigen Finissage und der Herstellung der einzigartigen Zeiger, des ausgefallenen Unruhreifs oder der außergewöhnlichen Hammerautomatik der Linie Benu Hamatic. Allein die ausschweifenden Erklärungen, wie ein Zeiger poliert, ein Unruhreif gerichtet oder dessen Kloben bearbeitet wird, lassen erahnen, mit wieviel Aufwand und Leidenschaft die Uhren von Moritz Grossmann gefertigt werden. Davon berichtet dann auch noch Christine Hutter, Founder und CEO der Marke. Sie erzählt von dem eigentlich noch kurzen Weg der Marke Moritz Grossmann zur Manufaktur, der vor etwa 15 Jahren mit einem Briefkasten und einer kleinen Wohnung in Glashütte begann, von den Höhen und Tiefen nicht nur beim Bau des architektonisch anspruchsvollen Gebäudes am Berghang und von ihrer Vision, schöne und mechanisch vollkommene Uhren zu bauen. Natürlich dürfen wir uns die schönen Produkte auch noch ans Handgelenk legen und genießen dabei ein Stück sächsischen Kuchen und eine gute Tasse Kaffee.
Siebte Station: Sächsische Uhrentechnologie Glashütte (SUG)
Der dritte Tag der Reise beginnt mit einem Termin, der sowohl für uns als auch für den Gastgeber die absolute Ausnahme und damit etwas ganz Besonderes ist. Wann hat man schon einmal die Gelegenheit, in einer höchst verschwiegenen Branche einen hochspezialisierten Zulieferer zu besuchen? Das geht im Falle des Gehäusespezialisten SUG nur deshalb, weil der größte Kunde, Sinn Spezialuhren, eng mit dem Unternehmen verbunden, sein größter Kunde und darüber hinaus sehr offen ist, was die fruchtbare Zusammenarbeit angeht: Sinn-Inhaber Lothar Schmidt ist zusammen mit SUG-Geschäftsführer Daniel Boldt Eigentümer der SUG.
In dem historischen Gebäude im Ortskern von Glashütte arbeiten rund 35 Menschen daran, überwiegend technisch spezialisierte Gehäuse für Sinn sowie meist elegante Uhrenschalen für andere Kunden zu fräsen, bohren, schleifen, polieren, satinieren, bürsten, gravieren und montieren. Die dafür nötigen Fertigungswerkzeuge entstehen teilweise im eigenen Haus, bis hin zu Werkstückhalterungen, die die SUG in einem eigenen 3D-Drucker anfertigt. Hier scheint nichts unmöglich, und wir sind überrascht von der Komplexität und Vielseitigkeit der Gehäusefertigung sowie von dem hohen Grad an Handarbeit, der im obersten Stock des Unternehmens geleistet wird.
Achte Station: Mühle-Glashütte
Aus Glashütte nicht wegzudenken ist das Familienunternehmen Nautische Instrumente Mühle-Glashütte, das in fünfter Generation von Thilo Mühle geleitet wird. Der Name ist Programm, denn groß geworden ist der Betrieb durch die Herstellung von Marinechronometern und Schiffsuhrenanlagen. Eine Geschichte, die uns "der Senior" Hans-Jürgen Mühle beim ausgedehnten Firmenrundgang mit vielen spannenden Details und auch ein paar unverblümt dargereichten Anekdoten nahebringt.
Uns interessieren nach den vielen überraschenden Erkenntnissen über Mutteruhren und die Besonderheiten beim Passieren von Zeitzonengrenzen natürlich auch die Armbanduhren. Hier sehen wir nicht nur die Fertigung und das moderne Uhrmacheratelier, sondern lassen uns auch die vielen konstruktiven Besonderheiten erklären, dank derer die Uhrenmarke die Glashütter Regel - 50 Prozent der Wertschöpfung am Werk müssen in und um Glashütte stattfinden - mehr als erfüllt. Highlight ist das übergroße Funktionsmodell der Spechthalsregulierung, die gleichzeitig eine feine Einstellung des Gangs ermöglicht und andererseits besonders gut vor schweren Stößen geschützt ist. Vor einem entspannten Mittagessen im Showroom von Mühle-Glashütte begutachten wir ausführlich die aktuelle Armbanduhrenkollektion, garniert mit weiteren Details aus der wechselhaften Firmengeschichte.
Neunte Station: Deutsches Uhrenmuseum Glashütte
Den Abschluss der Reise bildet eine Station, die auch gut als ihr Startpunkt hätte dienen können: Das Glashütter Uhrenmuseum präsentiert die reichhaltige Geschichte des Erzgebirgsstädtchen anhand Tausender von Ausstellungsstücken. Nicht nur, aber vor allem die Historie seit der Ansiedlung der Uhrenindustrie ab 1845 wird hier in erstaunlicher Ausführlichkeit dargestellt.
Wir erhalten eine sachkundige und pointierte Führung, die die historischen Schwerpunkte hervorhebt, aber auch Technik, Politik und sogar Philosophie nicht außen vor lässt. Was wir hier erfahren, dient als Ergänzung und Abrundung der zahlreichen Eindrücke aus den letzten drei Tagen. Derart intellektuell gestärkt, erreichen wir das Ende einer Reise, die selbst für Kenner der Glashütter Uhrmacherei noch Neues und Überraschendes bot. MaRi/ak