Einfache Idee, geniale Umsetzung: Die Spring-Drive-Technik von Grand Seiko vereint die Präzision eines Quarzwerks mit der energetischen Unabhängigkeit einer Mechanikuhr.
Einen Quarzuhr läuft hochpräzise, hat aber den Nachteil, dass sie eine Stromquelle benötigt. Das macht umständliche Batteriewechsel nötig beziehungsweise, bei Solaruhren, regelmäßige Lichteinstrahlung. Wie wäre es nun, wenn man eine Uhr hätte, die mechanisch aufgezogen wird und die so gewonnene Energie zur Versorgung einer Quarzsteuerung nutzt? Genau das schafft die Spring-DriveTechnik, die die japanische Manufaktur Seiko entwickelt hat und als einziger Uhrenhersteller weltweit nutzt. Der Name bedeutet „Federantrieb“ und beschreibt das wesentliche Element der Energieversorgung: Eine traditionelle Aufzugsfeder – allerdings aus einer verbesserten, patentierten Legierung – wird von Hand oder über einen Automatikrotor gespannt und gibt ihre Kraft beim Entspannen an das Räderwerk ab. Tatsächlich besitzen Spring-Drive-Uhren ein klassisches Räderwerk: Rund 80 Prozent der Bauteile entsprechen denjenigen, die sich in einer Mechanikuhr finden. Den Unterschied macht einzig und allein die Reguliereinheit. Hierbei handelt es sich um den sogenannten Tri-Synchro-Regulator (siehe Abbildung auf der nächsten Doppelseite). Der Name deutet an, dass drei Energieformen – mechanische, elektrische und elektromagnetische – genutzt werden, um dem Werk zu einem möglichst präzisen Gang zu verhelfen.
Spring Drive im Detail
Die spezielle Technik lässt sich am leichtesten nachvollziehen, wenn man den Weg der Energie von der Aufzugsfeder über das Räderwerk bis zur Hemmung verfolgt: Die Zugfeder gibt ihre Energie an das Räderwerk weiter, dessen Geschwindigkeit statt von einer Ankerhemmung von einem sogenannten Gleitrad reguliert wird: Ein Magnet am unteren Ende der Gleitradwelle erzeugt durch Polarisation des angrenzenden Spulenkörpers induktiv Spannung; aus mechanischer entsteht elektrische Energie. Diese wird an einen integrierten Schaltkreis und an die Quarzeinheit geleitet, sodass der Kristall zu schwingen beginnt. Anhand der Schwingungen definiert der integrierte Schaltkreis die Stärke für einen elektromagnetischen Impuls, der in einem zweiten Spulenkörper aufgebaut wird. Der Impuls bremst das Gleitrad. Durch das kontinuierliche Bremsen dreht sich das Gleitrad exakt achtmal pro Sekunde.
Das Räderwerk und damit die Zeiger laufen sehr gleichmäßig, weil das Gleitrad nicht wie ein Ankerrad schrittweise gebremst und wieder freigegeben wird, sondern ständig „im Eingriff" ist. Die 28800 Umdrehungen, die das Gleitrad pro Stunde ausführt, entsprechen der Zahl der Halbschwingungen, die die Unruh moderner Mechanikuhren üblicherweise vollzieht. Das Funktionsprinzip hat einen immensen Vorteil: Die Reibung, die bei rein mechanischen Uhren Verschleiß und gegebenenfalls Abweichungen bedingt, verringert sich deutlich. Eines der ältesten Probleme der mechanischen Uhr, die schwierige Ölhaltung an den aufeinanderschlagenden Ankerpaletten und Hemmungsradzähnen, wird damit umgangen. Außerdem bieten Spring-Drive-Uhren eine einzigartige ästhetische Besonderheit: Der Sekundenzeiger bewegt sich fließend über das Zifferblatt, statt die von Mechanikuhren bekannten Trippelschritte zu vollziehen. Damit macht Spring Drive das gleichmäßige Verstreichen der Zeit auch optisch erlebbar.
Die Geschichte einer Innovation
Die Idee zur Spring-Drive-Technik hatte ein junger Ingenieur bei Seiko bereits im Jahr 1971: Yoshikazu Akahane begann seine Arbeit für die Manufaktur kurz nach der Vorstellung der Seiko Quartz Astron als weltweit erste Quarzuhr im Dezember 1969. Schnell erkannte er die Vorteile sowohl der Quarztechnik als auch der Mechanik und träumte davon, eines Tages eine quarzgenaue und dabei von äußeren Energiequellen unabhängige Armbanduhr zu bauen. Für Akahanes Idee meldete Seiko im Jahr 1978 ein Patent an, aber die Umsetzung bereitete dem Entwicklungsteam Schwierigkeiten. 1982 entstand der erste Prototyp eines SpringDrive-Werkes mit Handaufzug, der aber nach Vollaufzug nur etwa drei Stunden lief. Das Hauptproblem lag in der zu geringen Effizienz der mechanischen Energieerzeugung und im zu hohen Energieverbrauch des integrierten Schaltkreises. Erst durch technische Fortschritte in anderen Sparten der Seiko Uhrenentwicklung – wie zum Beispiel die Erfindung des KineticAntriebs im Jahr 1988 – rückte das ambitionierte Ziel allmählich näher. 1993 präsentierten Akahane und sein Team einen zweiten Prototyp, der aber trotz einer übergroßen Spule nicht über eine Gangreserve von zehn Stunden hinauskam.Handaufzug und Automatik
Da die bisherige Entwicklung zeigte, dass die Grundidee realisierbar war, investierte das Unternehmen nun verstärkt in das Projekt, sodass im Jahr 1999 schließlich eine Uhr namens Seiko Spring Drive vorgestellt werden konnte. 7R68 hieß das Handaufzugskaliber, das in der Weltneuheit arbeitete. Durch den Saphirglasboden sah man neben zwei großflächigen Brücken das Federhaus sowie das Gleitrad, das mit seiner regelmäßigen Drehung den fließenden Sekundenzeiger antrieb. Yoshikazu Akahane hat diesen großen Schritt in der Firmengeschichte nicht mehr miterlebt: Er verstarb, kurz bevor seine Vision nach 28 Jahren endlich Wirklichkeit wurde. Noch bevor die erste Spring-Drive-Uhr unter dem Markennamen Seiko vorgestellt wurde, hatten die Produktverantwortlichen begonnen, ein Spring-Drive-Kaliber mit Automatikaufzug zu entwickeln. 2002 fiel die Entscheidung, das Werk exklusiv für Grand Seiko zu verwenden, was weitere Verbesserungen in Sachen Ganggenauigkeit, Gangreserve und Veredelung nach sich zog.
Im September 2004 erschien schließlich die Grand Seiko Spring Drive: Auf ihrem schwarzen oder champagnerfarbenen Zifferblatt wurden neben der Uhrzeit noch das Datum und die verbleibende Gangreserve angezeigt. Letzteres war eine besonders sinnvolle und hilfreiche Indikation, denn die Entwickler hatten es geschafft, einen so energiesparenden integrierten Schaltkreis zu realisieren, dass die Uhr mit nur einem Federhaus eine Kraftreserve von 72 Stunden aufbauen konnte. Das automatisch aufziehende Kaliber trug den Namen 9R65 – und trägt ihn noch heute, denn es findet neben später hinzugekommenen Spring-Drive-Werken nach wie vor Verwendung.
Der erste Chronograph
Zu den weiteren Meilensteinen der einzigartigen Technologie gehört die Entwicklung eines Chronographen. Diese wurde direkt nach der Vorstellung des ersten Spring-Drive-Kalibers in Angriff genommen – mit dem erklärten Ziel, den weltweit präzisesten Kurzzeitmesser mit Federantrieb zu schaffen. Dieser erschien im Jahr 2007 als erster Grand-Seiko-Chronograph überhaupt. Die Markenverantwortlichen hatten entschieden, dass nur ein Spring-Drive-Modell die nötige Präzision und Funktionalität mitbringe, die einem Chronographen mit dem Label „Grand Seiko“ würdig sei. Die selbst formulierten Ansprüche erfüllte die Referenz SBGC003 voll und ganz: Sie wich pro Tag höchstens eine Sekunde von der Normalzeit ab, erreichte die hohe Gangreserve von 72 Stunden auch bei eingeschaltetem Chronographen und ermöglichte dank der fließenden Bewegung des Sekundenzeigers eine vollkommen präzise Zeitmessung, die sich nicht mit der herkömmlichen Achtelsekunden-Genauigkeit zufrieden gab.
Die verbleibende Gangreserve wurde nach wie vor bei sieben Uhr angezeigt, und die Stunden- und Minutenzähler waren zugunsten einer guten Ablesbarkeit direkt übereinander angeordnet. Das schon vom Basiskaliber 9R65 bekannte Datum trat auch hier bei drei Uhr in Erscheinung. Das Werk versieht bis heute unter dem Namen 9R86 seinen Präzisionsdienst in den Chronographen von Grand Seiko.
Acht Tage Gangreserve
Den nächsten großen Entwicklungssprung machte Grand Seiko im Jahr 2016, als es gelang, drei Federhäuser für eine achttägige Gangreserve in ein Spring-Drive-Werk zu integrieren. Acht Tage – das ist mehr, als je zuvor eine Grand Seiko vorweisen konnte. Die Federhäuser des Ausnahmekalibers 9R01 sind in Serie geschaltet und liegen teils neben-, teils übereinander.
Auf der Werkrückseite informiert ein kleiner Zeiger über die verbleibende Kraftreserve. Trotz der hohen Gangdauer erfüllte das Kaliber die hauseigenen Genauigkeitsvorgaben mit einer maximalen Abweichung von zehn Sekunden pro Monat. Grand Seiko verbaute das Werk in der limitierten Referenz SBDG201 – einer reduziert und betont elegant gestalteten Dreizeigeruhr aus kaltgeschmiedetem Platin mit gekörntem „Snowflake“-Zifferblatt.
Eine neue Generation
Im Jubiläumsjahr 2020 startet Grand Seiko mit einem völlig neuen Spring-Drive-Werk in die Zukunft: Das Kaliber 9RA5 ist nicht nur flacher, sondern dabei auch ausdauernder als seine automatisch aufziehenden Vorgänger: Die Werkhöhe beträgt bei gleichbleibender Stoßfestigkeit 5,0 statt 5,8 Millimeter und die Gangreserve dank zweier (verschieden großer) Federhäuser fünf statt drei Tage. Grand Seiko präsentiert das Werk in einer neuen Taucheruhr, deren äußerliche Fähigkeiten zu ihrem leistungsstarken Antrieb passen: Das leichte, aber stabile Gehäuse aus High-Intensity-Titan hält bis 600 Meter Wassertiefe dicht, und das Saphirglas bildet mit der Keramiklünette eine kratzfeste Front. Bis heute wird jedes Spring-Drive-Modell im Shinshu-Uhrenstudio in der Präfektur Nagano von Hand montiert. Hier sorgen die talentiertesten Uhrmacher dafür, dass die Zeitmesser die hohen Ansprüche erfüllen, die Yoshikazu Akahane einst an die Uhr seiner Träume stellte. akSie wollen mehr über Grand Seiko erfahren? Wir informieren Sie in weiteren Artikeln über folgende Themen:- Die Werte von Grand Seiko
- Die Kollektionen von Grand Seiko
- Das Design
- Interview mit den Grand-Seiko-Verantwortlichen Akio Naito und Frédéric Bondoux
- Die Mechanik-Highlights
- Die Entstehung von Grand Seiko
- Inspiration aus der japanischen Natur und Kultur
- Die zwei Standorte: Shinshu und Shizukuishi
- Der Flagship-Store in Paris
- Die Quarztechnik