Nomos hat sich eine eigene Nische in der Uhrenwelt geschaffen. Das liegt nicht zuletzt an der Kommunikation, die die Nomos-Tochter Berlinerblau von der Hauptstadt aus in die Welt schickt. Ein Beispiel für Markendesign durch kreative, die unkonventionell ans Werk gehen (aus Chronos Special Design, Oktober 2013).
Irgendwie fühlt es sich vertraut an, das Armband der neuen Nomos mit dem Namen Ahoi. Vage Erinnerungen an das Gefühl von geflochtenem Perlongewebe am Arm tauchen auf. Erinnerungen, die mit dem Geruch von Chlor verbunden sind. Der Eindruck täuscht nicht: Die Ahoi bekommt beim Kauf zwei Armbänder mit auf den Weg; eins aus Leder und eins aus dem Material, aus dem die Armbänder der Schwimmbad-Kleiderschrankschlüssel sind.
Die Message ist unmissverständlich: Die Ahoi kann man im Wasser tragen. Doch welche Marke außer Nomos würde die Wassertauglichkeit einer Uhr so signalisieren? Normalerweise gibt es dafür breite drehbare Lünetten, die einen definitiv schnittigeren Appeal haben als simple Textilbänder, bei denen man an tropfende Haare und Gruppenumkleiden denkt.
Allerdings will nicht jeder im Wasser eine Uhr tragen, die nach Extremsport und Lebensgefahr aussieht. Manchem ist die leise Ironie, die in der Schwimmbad-Assoziation liegt, näher. Solche Leute könnte man als die Zielgruppe von Nomos bezeichnen. Nur, dass Nomos nicht so richtig an Zielgruppen glaubt. Der Nomos-Gründer Roland Schwertner ging mit der Idee an den Start, „Uhren für Freunde“ zu bauen und nicht für eine durch Einkommen, Berufsgruppen, gesellschaftlichen Hintergrund definierte Zielgruppe.
Das war vor gut zwanzig Jahren. Den Verkaufszahlen der Nomos-Uhren nach zu urteilen, ist Roland Schwertners Freundeskreis inzwischen ziemlich groß. Es dürfte ihm kaum noch möglich sein, alle seine Freunde mit Namen zu kennen. Dafür erkennen die Juweliere sie gleich, wenn sie das Geschäft betreten. Denn das bekommt Nomos immer wieder von den Uhrenhändlern zu hören: Einen Nomos-Kunden könnten sie auf den ersten Blick als solchen identifizieren.
Es scheint also doch eine Nomos-Zielgruppe zu geben. Eine, die sich von der typischen Uhrenklientel unterscheidet und trotzdem gern eine feine Mechanikuhr möchte. Die genug Geld für eine solche Uhr hat – wobei Nomos-Uhren zu den erschwinglicheren gehören –, aber damit lieber etwas Schlichtes als ein offensives Statussymbol kaufen möchte. Eine Zielgruppe, die sich nicht mit prominenten Testimonials einfangen lässt, nicht mit Verheißungen von Abenteuern oder großbürgerlichen Inszenierungen, sondern eher mit Sprachwitz, Nachdenklichkeit und Ironie.
Es scheint da eine gemeinsame Wellenlänge zu geben zwischen den Leuten von Nomos und denen, die ihre Uhren kaufen. Eine Mentalität, die das ausmacht, was man andernorts Zielgruppe nennt. Doch um die Personen zu finden, denen sie entspricht, braucht man außer den Produkten eine Kommunikation, die diese Wellenlänge definiert.
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Während die Nomos-Uhren in Glashütte gemacht werden, kommen ihr Design und die gesamte Markenkommunikation aus Berlin. Die Agentur Berlinerblau, eine hundertprozentige Tochter von Nomos, konzipiert alles, was von der Marke nach außen dringt: Anzeigen, Broschüren, Fotos, Logos, Verpackungen, Giveaways. Kopf der Agentur ist Judith Borowski, die zusammen mit Schwertner und Uwe Arendt die Geschäftsleitung von Nomos bildet. Judith Borowski ist eine Kreative mit Wurzeln im Journalismus. Der freundlich-ironische Tonfall, der sämtliche Nomos-Texte prägt, entstammt ihrer Feder. Zwar hat Berlinerblau heute eine Textabteilung, aber die meisten Texte schreibt Judith Borowski nach wie vor selbst, und durch sie hat sie der Marke eine unverwechselbare Stimme gegeben. Mit den Worten „Nomos macht blau“ wird ein blaues Zifferblatt vorgestellt. Auf der Broschüre einer Sonderedition des Uhrenmodells Tetra steht: „Tetra2. 16 Uhren für die tollsten Frauen der Stadt.“ Ein hanseatisch-hellblaues Uhrenpaar heißt „Hans und Hanseat“, eine andere Kollektion trägt die Namen von Pilzen und Beeren, die rund um Glashütte wachsen. Darunter ist eine mit dem Namen „Blasser Zonenmilchling“.
Die Uhren werden in dunklen Holzschatullen mit dem Schriftzug „Nomos Glashütte“ in puristischer Typografie ausgeliefert. Anzeigen, Mappen, Broschüren und Tüten kommen mit Vorliebe in unaufdringlichem Himmelblau und Grau daher. Wenn Nomos jemanden beschenkt, dann gerne mit leicht nostalgisch anmutenden Schreibutensilien. Oder mit einer Sonnenuhr im Postkartenformat zum Selber-Aufstellen. Pressefotos zeigen die Nomos-Uhren meist sachlich, manchmal aber auch eingebettet in kuriose Stillleben.
„An der Kommunikation wollen wir selbst Freude haben“, sagt Judith Borowski. Und: „Wir wollen uns nicht zu ernst nehmen, sondern immer im Kopf behalten, dass es Wichtigeres gibt als Uhren.“ Mit dieser Tatsache setzt sie sich anlässlich einer Kooperation zwischen Nomos und der Organisation Ärzte ohne Grenzen intensiv auseinander – in Texten, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Fazit, wie es in einer Nomos-Broschüre steht: „Mit Uhren die Welt retten – das ist, ja, schwierig. Doch ohne Uhren damit noch nicht einmal anzufangen – das ist mitnichten besser.“ Solche unprätentiösen, nachdenklichen und immer von einer feinen Lakonie grundierten Sätze vermitteln zum einen Glaubwürdigkeit, zum anderen ziehen sie den Leser durch kleine Gedankensprünge, Pointen und die direkte Anrede in die Texte hinein und machen ihn zum Partner – fast so, als würde man wirklich als Freund angesprochen.
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So etwas muss gekonnt sein, aber um Erfolg zu haben, muss es auch einen Nerv treffen. Und das tut es. Judith Borowski und ihre Kollegen bringen eine Stimmung auf den Punkt, die in der Luft liegt – nicht überall, aber doch dort, wo sich viele der intellektuelleren Vertreter der Generation X aufhalten. Mit dem Ergebnis, dass es eine ganze Menge Personen gibt, die noch nie über den Kauf einer Uhr nachgedacht haben, aber dennoch positiv auf den Markennamen Nomos reagieren. Die unkonventionelle Nomos-Kommunikation funktioniert nach Meinung Judith Borowskis nicht zuletzt, weil sie und die anderen beiden Geschäftsführer gut miteinander befreundet sind und viele Anschauungen teilen. „Oft kommen wir auf unterschiedlichen Wegen zu ähnlichen Ergebnissen“, sagt sie. Doch zu dem, was sich so sympathisch-selbstgestrickt anhört, würde jeder Marken-Experte Nomos gratulieren. Wenn es um die Bedeutung von Marken geht, betonen Fachleute heute zweierlei: Grundvoraussetzung des Erfolgs sei, dass eine Marke eine Geschichte zu erzählen habe. Das hat Nomos. Eine Geschichte von Leuten, die in einem der „Orte, an die niemand reisen mag“ – so Nomos in einer Publikation über Glashütte – sitzen und sich ziemlich wohlfühlen in der sächsischen Provinz. Sie konstruieren mit Erfindergeist Uhren oder bauen sie mit Passion zusammen, damit sich andernorts Leute beim Zeitablesen an ihnen erfreuen können. Damit sind sie ein Symbol dafür, dass auch im Kleinen eine Menge Sinn liegt, wenn man ihn nur wahrzunehmen weiß. Womit man beim zweiten Lieblingsthema von Marken-Experten wäre: Wenn eine Marke in der Lage sei, eine Haltung zu verkörpern, habe sie eine Höchstleistung erreicht, meinen Branding-Profis. Gerade in einer gewissen Haltung, die sich nicht zuletzt im ironischen Kontrast zu den üblichen großen Gesten der Uhrenwelt äußert, liegt der gemeinsame Nenner von Nomos und seinen Kunden.
Gerne unprätentiös
Herzstück des Ganzen sind natürlich die Uhren, die Nomos herstellt. Understatement, Klarheit, durchdachte Raffinesse im Detail sind die Charakteristika einer Kollektion, die viele designbegeisterte Menschen anspricht, ohne „designig“-extravagant daherzukommen. Damit solche Uhren entstehen können, arbeitet man intensiv an jeder noch so kleinen Einzelheit. Thomas Höhnel, der Designer der Ahoi, zeigt Mappen voller Zeiger-Muster, die man beim Design der Sportuhr ausprobiert habe. Oho, denkt man unwillkürlich; sieht die Neue nicht aus wie eine typische Nomos, nur mit einer lässigen kleinen Prise sportlicher Robustheit? Tut sie. Aber genau das war die Herausforderung für Thomas Höhnel. Über eine Sportuhr hat man bei Nomos seit vielen Jahren nachgedacht, doch die Verbindung aus sportlichem Look und der ansonsten üblichen zurückhaltenden Eleganz musste mühsam erarbeitet werden. Zwar wollte man Robustheit, aber man wollte nicht den Instrumentencharakter, der viele Sportuhren auszeichnet. Die Designentscheidungen lagen im Detail: Mit Superluminova ausgelegte Zeiger leuchten bei Nomos wasserblau statt in den bekannten Signalfarben. Der rote Sekundenzeiger sorgt für den munteren Farbkontrast, der der Uhr ihre Ausstrahlung gibt. Außer der kleinen Sekunde und – bei einigen Modellen – dem großen Datum gibt es keine weiteren Anzeigen. Die Typografie ist die der Tangente, in ihren Proportionen allerdings subtil überarbeitet. Die technische Robustheit äußert sich in den 200 Metern Wasserdichte, der verschraubten Krone mit Flankenschutz sowie dem ebenfalls verschraubten Saphirglasboden. Das Textilarmband ist wasserfest, das Lederarmband einfach auszuwechseln. Tauchgänge macht die Ahoi mühelos mit, aber eine drehbare Lünette oder Tachymeterskala, die professionelle Tauchabenteuer signalisieren, braucht sie nicht – denn wer benötigt die in der Realität schon wirklich? Oder, wie es Thomas Höhnel formuliert: „Sie soll keine Taucheruhr sein, die mit irgendwelchen Attributen angibt, aber sie soll sportlich, robust und für den Alltag sein.“ Eher als einen Extremsportler hatte Höhnel einen Träger im Kopf, der im Sommer auf dem Hausboot lebt. Eben einen von denen, die Judith Borowski in ihren Texten anspricht und die der Uhrenhändler auf den ersten Blick erkennt.
Standortvorteil Berlin
Daran, dass der Hausbootbesitzer die richtige Uhr für sich findet, arbeitet Berlinerblau – seit kurzem auch zusammen mit Sarah Illenberger. Die Berliner Künstlerin, die sich mit überraschend inszenierten Objektfotos einen Namen gemacht hat, hat die Ahoi in ein Modellschwimmbad gesetzt, in dem sie Kunststücke vollführt. Dass Berlinerblau für seine kreativen Unternehmungen in der Hauptstadt sitzt, ist ein großer Vorteil – zum einen, weil die Stadt viele kulturelle Anregungen bietet, zum anderen, weil sich hier die Grafiker finden, die Designer und die anderen Kreativen, die Berlinerblau braucht. Judith Borowski spricht vom „kreativen Grundrauschen“ Berlins. Dass Nomos als Uhrenmarke hier mitrauscht, macht das Besondere der Uhrenmarke aus.
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