Alfred Helwig war einer der größten deutschen Uhrmacher und einer der besten Lehrer an der Deutschen Uhrmacherschule Glashütte. Er widmete sein Leben ganz der Uhrmacherkunst und der Präzision. Begabung, Ausdauer und Kreativität waren ihm in die Wiege gelegt – was er daraus machte, ist bis heute faszinierend.
Der deutsche Uhrmacher Alfred Helwig
Der Glashütter Meisteruhrmacher Alfred Helwig ist bis heute bekannt für seine unglaubliche Begabung – eine Synthese aus handwerklicher Fertigkeit in künstlerischer Vollendung und höchster Kreativität bei der technischen Weiterentwicklung mechanischer Uhren. Sein ganzes Leben widmet er der Annäherung an größtmögliche Genauigkeit. Dafür steht seine geniale Entwicklung: das Fliegende Tourbillon. Alfred Helwig kommt am Montag, dem 5. Juli 1886, auf die Welt. Im Jahr seiner Geburt fährt zum ersten Mal ein Auto mit Benzinmotor, Ottmar Mergenthaler erfindet die Linotype-Setzmaschine und der erste Zug durchquert den Gotthard-Eisenbahntunnel. Obwohl der junge Alfred fernab von den pulsierenden Großstädten lebt – sein Vater ist Pächter der Badeanstalt Sorau –, keimt in ihm der Wunsch, selbst etwas Fortschrittliches zu tun: Er möchte die Uhrmacherkunst erlernen, denn Uhrmacher sind Mitte des 19. Jahrhunderts die Pioniere der Feinmechanik und Glashütte ist ihr Mekka. Später, als Lehrer, trägt Alfred Helwig selbst mit dazu bei, dass Glashütte über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt wird. Das Fliegende Tourbillon sowie die pädagogische und wissenschaftliche Arbeit an der Deutschen Uhrmacherschule Glashütte leben in modernen Uhren und in den Köpfen uhrenbegeisterter Menschen weiter. Alfred Helwig liegt die Uhrmacherei im Blut. Gustav Dunkel, bei dem er ab 1900 die Grundlagen des Handwerks erlernt, beobachtet, wie durchdacht und präzise sein Schüler die ihm aufgetragenen Arbeiten erledigt. Er rät dem Lehrling, sein Können an der schon damals renommierten Deutschen Uhrmacherschule Glashütte zu verfeinern. Dort wird Alfred Helwig im Oktober 1904 als Schüler mit der Nummer 729 aufgenommen. Da es noch kein Schülerinternat gibt, wohnt er bei Malermeister Theden auf der heutigen Dresdner Straße 17. Zwei Uhren entstehen während der Ausbildung in Glashütte: eine Herren-Ankertaschenuhr mit Bügelaufzug und eine Damen-Ankertaschenuhr, die Alfred Helwig seiner Mutter Pauline widmet. Teile dieser Uhr hat er selbst konstruiert. Der Rückdeckel ist guillochiert, das heißt mit einem Muster aus mehreren ineinander verwickelten Linien versehen. Er trägt das Monogramm PH. Das Uhrwerk mit Schwanenhalsfeinreglage ist in ein 18-Karat-Goldgehäuse ohne Sprungdeckel eingesetzt.
Die Deutsche Uhrmacherschule Glashütte entlässt Alfred Helwig 1905 mit Bestnoten und einer außerordentlich guten Empfehlung an künftige Arbeitgeber. Das Abgangszeugnis beschreibt ihn als herausragenden, fleißigen und disziplinierten Schüler. Nach seiner Ausbildung geht Alfred Helwig auf Wanderschaft. Zunächst zieht es ihn nach Hof zu Georg Braun. Kurze Zeit danach arbeitet er in der Glashütter Präzisions-Uhrenfabrik AG unter Leitung von Ernst Kasiske. Mit dessen Hilfe vertieft er sich in die Königsdisziplin der Uhrmacherei: den Chronometerbau, bei dem es auf höchste Präzision ankommt. Von 1908 bis 1910 vervollkommnet er bei William Meyer in den Chronometerwerken Hamburg sein Wissen. Ein Jahr später meldet Alfred Helwig in Glashütte seine eigene Werkstatt an.
Alfred Helwig und die Deutsche Uhrmacherschule Glashütte
Als Alfred Helwig gebeten wird, einen Lehrer-Engpass an der Deutschen Uhrmacherschule Glashütte zu überbrücken, sagt er zu. Er ahnt nicht, dass dies der Beginn einer 41-jährigen Lehrerlaufbahn ist. Die Schüler schätzen ihren neuen Lehrer sehr. Er besitzt die Gabe, sein Fachwissen spannend zu verpacken und so seine jungen Zuhörer für den Unterricht zu begeistern. Die angehenden Uhrmacher bedanken sich zu Alfred Helwigs 25. Lehrerjubiläum am 1. April 1938 mit einem liebevollen Scherz und schenken ihrem Lehrer eine echte Schwarzwälder Kuckucksuhr. Alfred Helwig ist als praktischer Lehrer hauptsächlich dafür zuständig, dass die Schüler den Umgang mit Werkzeugen wie Lupe, Pinzette und Schraubendreher lernen. Sein erster Unterrichtstag als Pädagoge ist der 1. April 1913. Schon 20 Monate später wird er zum Wehrdienst eingezogen – der Erste Weltkrieg ist ausgebrochen. In Berlin ist er Kraftfahrer, bis ihn 1917 eine Explosion verletzt. Zum Glück kommt Alfred Helwig schnell wieder auf die Beine und tritt, vom Kriegsdienst beurlaubt, seinen Lehrerposten wieder an. Im Jahr 1923 wird er zum Oberlehrer, zehn Jahre später zum Gewerbestudienrat ernannt.
Beim Bau der äußerst komplizierten astronomischen Kunstuhr unterstützt Alfred Helwig seinen Freund Hermann Goertz (1862–1944) mit der Berechnung aller astronomischen Anzeigen. Als Goertz im Jahr 1936 in ein Pflegeheim umzieht, kümmert sich Alfred Helwig um die Wartung der Kunstuhr und leitet 1956 ihre erste umfangreiche Restaurierung. Die Uhr besteht aus 1.765 Einzelteilen, liefert bis heute exakte Daten und die Datumsschaltung ist bis in das Jahr 2899 vorprogrammiert. Die Kunstuhr steht heute im Deutschen Uhrenmuseum Glashütte.
Alfred Helwig und Hermann Goertz sind leidenschaftliche Konstrukteure. Sie testen Ideen zur besseren Ölhaltung unter anderem an einer Präzisionspendeluhr. Alfred Helwig hat sie mit Ölkammern an den Innenseiten der Radlagerstellen und großen Zapfenansätze ausgestattet. Der Langzeittest ist nachgewiesenermaßen erfolgreich: Die Uhr läuft bis heute exakt. Ab 1935 erhält auch die Deutsche Uhrmacherschule Glashütte Aufträge aus der militärischen Luft- und Schifffahrt.
Die Entstehung des fliegenden Tourbillons
Im Jahr 1917 kehrt Alfred Helwig aus dem Ersten Weltkrieg an die Deutsche Uhrmacherschule Glashütte zurück. Er möchte seine Uhren immer präziser konstruieren. Das ist besonders bei tragbaren mechanischen Uhren schwierig – Bewegungen und Temperaturunterschiede beeinflussen ihre Genauigkeit. Er beschäftigt sich deshalb intensiv mit dem Tourbillon, auf Deutsch Wirbelwind, von Abraham Louis Breguet (1747–1823). Dieser montiert Unruh, Spiralfeder und Hemmung in ein offenes Gestell, das um sich selbst rotiert und so die Erdanziehungskraft ausgleicht. In Alfred Helwigs Kopf entsteht die Idee eines "fliegenden Tourbillons", das noch bessere Gangergebnisse erzielen soll als das Modell von Breguet. Noch weiß Alfred Helwig nicht, wie er seine Vorstellungen umsetzen kann.
Erste Skizzen entstehen und Schritt für Schritt reift das fliegende Tourbillon. Das Drehgestell wiegt mit Goldfutter, Steinen und Schrauben weniger als ein halbes Gramm. Die Gangfeder ist an der dünnsten Stelle 0,025 Millimeter stark. Alfred Helwig lagert sein Tourbillon auf nur einer Seite, zwei Lager in geringem Abstand führen die Räderwelle. So kann er Drehgestell und Hemmung ohne oberen Kloben einsetzen. Damit ist der Blick auf das Tourbillon frei, es scheint zu fliegen. Außerdem ist das Drehgestell von Druck entlastet und kann sehr zart ausgeführt werden. Das fliegende Tourbillon kommt mit weniger Material aus, ist leichter und weniger träge – es erzielt zu seiner Zeit die besten Gangergebnisse für tragbare Präzisionsuhren.
Alfred Helwig legt 1922 die Meisterprüfung ab. Sein Meisterstück: eine komplizierte und dezent gearbeitete Taschenuhr mit fliegendem Tourbillon. Sie hat eine Umlaufzeit von fünf Minuten, eine Ankerhemmung und zwei hintereinander geschaltete Federhäuser. Das Rohwerk stellt sein Schüler Edgar Simmchen her. Alfred Helwig verkauft die Uhr kurz vor dem Zweiten Weltkrieg an einen Sammler, heute ist sie verschollen. Eine dem Meisterstück von Alfred Helwig nahezu identische Uhr ist das Anker-Tourbillon seines Schülers Walter Fleischhauer, der die Deutsche Uhrmacherschule Glashütte vom 1919 bis 1922 besucht.
Uhren mit fliegendem Tourbillon
Ein fliegendes Tourbillon fertigt Wilhelm Kohler, der 1926 an der Deutschen Uhrmacherschule Glashütte lernt. Seine Uhr mit Chronometerhemmung ist in ein Goldgehäuse eingefasst. Kurt Herkner kommt 1950 an die Uhrmacherschule in Glashütte. Von seinem Lehrer Rudolf Förster übernimmt er ein Taschenuhrrohwerk mit fliegendem Tourbillon. Kurt Herkner, heute Ehrenbürger der Stadt Glashütte, vollendet das Kunstwerk 1995.
Um ein fliegendes Tourbillon zu bauen, sind Geschick und Ausdauer nötig. Nur wenige exzellente Schüler der Deutschen Uhrmacherschule Glashütte wagen sich daran. Sie benötigen das Einverständnis von Alfred Helwig und Schuldirektor Dr. Karl Giebel. Beide – besonders Alfred Helwig – schätzen die Fähigkeiten der Schüler richtig ein, denn nur zwei brechen die Arbeit ab. Es entstehen 20 Taschenuhren mit Fliegendem Tourbillon – etwa 18 Monate dauert es, bis ein solches Kunstwerk vollendet ist. Diese Schuluhren sind heute Sammlerstücke, mehrere sind nicht mehr auffindbar. Alfred Helwig ist europaweit für sein umfassendes Wissen und seine praktischen Erfahrungen bekannt. Viele Uhrmacher und Lehrer lesen seine Publikationen, um sich weiterzubilden. Etwa 40 Zeitschriftenbeiträge und Bücher verfasst er im Laufe seines Lebens. Im Jahr 1927 veröffentlicht er eine Abhandlung über Drehganguhren – so nennt er Tourbillon-Uhren. Auf 98 Seiten mit 56 Abbildungen beschreibt Alfred Helwig, wie Tourbillons und Karusselluhren gebaut werden. Ein Themenschwerpunkt ist die Konstruktion von Uhren mit zwei hintereinander geschalteten Federhäusern. In seinem Buch "Drehganguhren" beschreibt Alfred Helwig Schritt für Schritt den Bau einer Tischuhr mit zwei hintereinander geschalteten Federhäusern. Sein Schüler Fritz Schwankl baut eine solche Uhr. Sie erzielt hervorragende Gangergebnisse und ist im Buch abgebildet. Die Publikationen Alfred Helwigs sind noch heute wichtige Nachschlagewerke für Uhrenkonstrukteure, Regleure und Hobby-Uhrmacher. Das gilt besonders für das Buch "Feinstellung der Uhren" und die Bücherreihe "Die Lehre an der Deutschen Uhrmacherschule".
Wichtig für Präzisionsuhren ist die Anzeige der Federspannung, auch Gangreserveanzeige genannt. Das so genannte Auf- und Abwerk zeigt die Restgangdauer der Uhr in Stunden an. Es gibt unzählige Konstruktionsmöglichkeiten für dieses Werk. Alfred Helwig schildert 1927 in "Differentialwerke" die Vor- und Nachteile einzelner Bauarten. Bruno Schriever, Schüler der Deutschen Uhrmacherschule Glashütte, fertigt 1927 eine Ankerhemmungs-Tischuhr mit großer Nickelstahlkompensationsunruhe, Wendelfeder und Differential-Auf- und Abwerk. 1937 konstruiert Alfred Helwig das Handmuster einer Fliegerarmbanduhr mit Gradmaß-Zifferblatt und Rattrapante-Funktion (Schleppzeiger) – zur schnellen und sicheren Standortbestimmung. Als die Deutsche Seewarte Hamburg 1936 nach Verbesserungen für Marine-Chronometer anfragt, fertigt Alfred Helwig ein Versuchschronometer mit Ankergang, einem speziellen Auf- und Abwerk und Gradmaß-Zifferblatt. Diese Präzisionsuhr erzielt sehr gute Prüfergebnisse und ist unempfindlich gegen Stöße und Magnetfelder. Bei diesem und weiteren Rüstungsaufträgen arbeitet die Deutsche Uhrmacherschule Glashütte mit der Glashütter Firma A. Lange & Söhne und den Wempe-Chronometerwerken Hamburg zusammen. Alfred Helwig stirbt am 18. Mai 1974. Seit dem Jahr 2002 trägt die Uhrmacherschule der Manufaktur Glashütte Original den verpflichtenden Namen Alfred Helwig.