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Porträt: Günter Blümlein

Günter Blümlein
© PR
Günter Blümlein war ein Pionier der Schweizer und deutschen Uhrenindustrie zugleich. Mit der Sanierung von IWC und Jaeger-LeCoultre sowie dem Aufbau von A. Lange & Söhne hat er maßgeblich zur Renaissance der Mechanik beigetragen. Auch 20 Jahre nach seinem plötzlichen Tod leben seine Visionen weiter. Ein Nachruf auf den visionären Experten, brillanten Marketingprofi und charismatischen Chef, der sich mit Herz und Verstand der Feinuhrmacherei verschrieben hatte.
»Was ein Mensch an Gutem in die Welt hinausgibt, geht nicht verloren «, schrieb einst Albert Schweizer. Günter Blümlein hat viel Gutes in die Welt hinausgegeben, besonders in die Welt der Uhren, darin ist man sich auch 20 Jahre nach seinem überraschenden Tod am 1. Oktober 2001 einig. »Die Erinnerung an Günter Blümlein ist wie ein nachwirkender Adrenalinstoß. Wie kein Zweiter verstand er es, Menschen für das ehrgeizige Ziel zu motivieren, A. Lange & Söhne zur Nummer eins der Feinuhrmacherei zu machen.
Dabei hat er stets die Uhr in den Mittelpunkt gestellt und sich als Person zurückgenommen «, so Tino Bobe, Director of Manufacturing bei Lange. Diese außerordentliche Passion für die traditionelle mechanische Uhr hat auch Anthony de Haas inspiriert: »Günter Blümlein war ein absoluter Experte, sowohl in der Technik als auch im Marketing. Er lebte die Marke und hat viele Entwicklungen vorausgedacht. « Als Director Product Development weiß de Haas, dass hinter der Konzeption und Fertigung eines exquisiten Zeitmessers viele Menschen stehen: Ein Team, in dem jeder seine Aufgabe erfüllt. Doch für das große Ganze braucht es immer jemanden, der von der Idee überzeugt ist und sie mit Entschlossenheit vorantreibt. Solch ein Leader war Günter Blümlein. Egal, in welche Position er geschickt und mit welcher Aufgabe er betraut wurde – der sympathische Franke setzte Visionen in die Tat um.
Im Gegensatz zu vielen anderen Akteuren der Branche hatte der 1943 in Nürnberg geborene Blümlein keine direkten Verbindungen zur Uhrmacherei. Aufgewachsen in Nürnberg zu Zeiten des Wirtschaftswunders, erlebte er, wie die im Krieg schwer zerstörte Stadt durch die Ansiedlung namhafter Industrieunternehmen zu einem bedeutenden Standort in Süddeutschland heranwuchs. Das mag ihn zu einem Studium der Feinwerktechnik bewogen haben. Über den Diehl-Konzern, der in den 1950er-Jahren Junghans übernommen hatte, führte ihn der Weg 1968 in den Schwarzwald, wo er das Einmaleins der Uhrenwelt von der Pike auf erlernte. Schnell erklomm er die Karriereleiter und hatte leitende Positionen in Entwicklung, Qualitätswesen, Marketing und Vertrieb-inne.

Erfolgreiche Neuausrichtung von IWC und Jaeger-LeCoultre

Sein außergewöhnliches Talent konnte er auch in seiner nächsten Position unter Beweis stellen. Die spätere Mannesmann-Tochter VDO übertrug ihm die Neuausrichtung der in der Holding »Les Manufactures Horlogères « (LMH) zusammengefassten Manufakturen IWC und Jaeger-LeCoultre, heute wie A. Lange & Söhne Teil des Richemont-Konzerns. Wie die meisten Schweizer Marken waren die Traditionshäuser während der Quarzkrise schwer gebeutelt worden. Mit dem sicheren Gespür für die Bedürfnisse der Zeit gelang es Blümlein, das Ruder herumzureißen. So bestärkte er den genialen Uhrmacher Kurt Klaus, den berühmten Ewigen Kalender von IWC zu entwickeln.
Blümleins größter Erfolg – und wohl auch eine Herzensangelegenheit, was seine Zeitzeugen bestätigen – war jedoch die Wiederbelebung von A. Lange & Söhne. Gemeinsam mit Walter Lange (1924 – 2017) gründete er die einst weltberühmte und während des Sozialismus in der DDR zwangsverstaatlichte Manufaktur im wiedervereinigten Deutschland neu – quasi aus dem Nichts. Manfred Fritz, ehemaliger Chefredakteur der Rhein-Neckar-Zeitung, schrieb damals Folgendes: »Günter Blümleins Lieblingsdisziplin ist es, eine Eisenbahn, die vom Gleis gefallen ist, wieder auf die Schienen zu stellen und in eine neue Richtung zu schieben. Die Richtung – an die Spitze des Luxusuhrenmarkts – war bei Lange vorgegeben, nur diesmal mussten sogar noch die Gleise neu verlegt werden.«
Nach einer Zwangspause von mehr als vierzig Jahren ging es dabei um eine komplett neue Strategie für eine Marke, die einst durch Taschenuhren höchster Qualität berühmt geworden war, doch im Jahr 1990 nur noch als Mythos existierte. Gemeinsam mit Lange entwickelte Blümlein ein integriertes Unternehmens-, Produkt- und Marketingkonzept, das den Namen A. Lange & Söhne wieder an die Spitze der Feinuhrmacherei führen sollte. Die sogenannte 1A-Qualität der früheren Taschenuhren, begehrte Objekte bei Auktionen, diente als Basis für eine starke, auf Handarbeit ausgerichtete Marken- und Produktphilosophie: Höchste Qualität statt kostengünstige Massenproduktion wie zu DDR-Zeiten. »Die Sammler haben A. Lange & Söhne in den letzten fünfzig Jahren nicht vergessen. Wir sie auch nicht«, so Blümlein.
Im Sinne von Ferdinand Adolph Lange sollten die neuen Armbanduhren nützliche Innovationen mit handwerklicher Perfektion verbinden und so die Brücke von der Tradition zur Moderne schlagen.

Erfolgreicher Neustart mit vier Armbanduhren

»Eine Lange-Uhr ist ein Gesamtkunstwerk. Sie verbindet die Leidenschaft der Uhrmacher für Mechanik und Handwerkskunst mit dem unverwechselbaren Stil des Hauses und einer reichen Geschichte«, fasste Blümlein den konzeptionellen Ansatz zusammen. Dabei war ihm bewusst, wie schmal der Grat zwischen Triumph und Niederlage war: »Als Newcomer können wir uns keine Schwäche leisten. Unsere Produkte müssen bis ins letzte Detail stimmen «, sagte er nach der Erstpräsentation am 24. Oktober 1994 in Dresden. Diesem Anspruch wurden die vier ersten Lange-Armbanduhren der neuen Ära nach Ansicht der anwesenden Fachhändler, Journalisten und Ehrengäste voll und ganz gerecht. Innerhalb kurzer Zeit waren die bis dahin fertiggestellten 123 Exemplare restlos ausverkauft, die großen Konzessionäre der Welt standen Schlange.
Dieser Erfolg zeigte, dass Lange und Blümlein mit ihrer auf Exklusivität und Beständigkeit ausgerichteten Strategie einen Nerv getroffen hatten. Sie umfasste die Wiederbelebung traditioneller Finissierungen und Handwerkskünste, die Verwendung hochwertigster Materialien wie Gold und Platin für die Gehäuse und Neusilber für alle Gestellteile. Dafür stand die neue Modellgeneration exemplarisch.Mit ihrem dezentral aufgebauten Zifferblatt, dem ersten Großdatum in einer seriell hergestellten Armbanduhr und einem Doppelfederhaus für eine lange Gangautonomie repräsentierte die Lange 1 das Gesicht der Marke in der Moderne. Die von Blümlein mitgestalteten Kampagnen kommunizierten ihre Vorzüge ebenso geistreich wie selbstbewusst. »Die Legende ist wieder Uhr geworden« wurde zum geflügelten Wort bei Connaisseurs und Sammlern. Und was für eine Uhr! Wer hätte damals gedacht, dass die Lange 1 die Basis für eine Kollektion werden würde, die neben verschiedenen Größen und kunsthandwerklichen Sondereditionen auch einige der anspruchsvollsten Komplikationen wie Ewiger Kalender und Tourbillon umfassen würde.
Manch einer schmunzelte auch über Blümleins mutiges Statement: »Die Schweizer bauen die besten Uhren der Welt. Die Sachsen auch.« Schönster Beweis dafür ist das technisch komplexeste Modell, das Tourbillon »Pour le Mérite«, das mit der Kombination von Minutentourbillon und Antrieb über Kette und Schnecke – eine Premiere in einer Armbanduhr – die Manufaktur an die Spitze der Haute Horlogerie katapultierte.

Komplexe Chronographen und eine eigene Unruhspirale

Auch der Datograph, der auf der Baselworld 1999 debütierte, war eine echte Sensation. Nachdem selbst namhafte Schweizer Manufakturen jahrzehntelang ihre Chronographenwerke zugekauft hatten, überraschte Lange mit einer Eigenentwicklung. Bis heute gelten Konzeption und Herstellung eines Chronographenkalibers als schwierig, zeitaufwändig und kostspielig.
Das Kaliber L951.1. konnte nicht nur die Zeit stoppen, sondern bot technische Finessen wie einen exakt springenden Minutenzähler und einen Flyback-Mechanismus – ein Game Changer, wie man heute sage würde. Der Double Split, dessen Präsentation Blümlein nicht mehr erleben durfte, war nicht nur der erste Rattrapante-Chronograph, der Zwischen- und Vergleichszeiten bis zu einer Dauer von 30 Minuten erlaubte, sondern er war auch mit der ersten, inhouse hergestellten Unruhspirale ausgestattet. Damit demonstrierte die Manufaktur einmal mehr, dass die traditionelle Glashütter Feinuhrmacherei auch im 21. Jahrhundert noch Neues hervorbringen konnte.
Die unter Blümleins Ägide erschaffenen innovativen Designs und mechanischen Erfindungen gaben der Uhrenindustrie Inspirationen und Impulse, die bis heute nachwirken. »Günter Blümlein stellte eine in der Branche respektierte Ausnahmeerscheinung dar – denn er war beides: Realist und Visionär. Er verstand es wie kaum jemand, die Menschen, die mit ihm arbeiteten, von seinen sehr ehrgeizigen Zielen zu überzeugen und sie dafür zu begeistern.« So fasste Walter Lange seine Erinnerung an Günter Blümlein einst zusammen. Seine Vision und seine Begeisterungsfähigkeit haben ihn überdauert und leben in der Gegenwart fort. sz
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