Christine Hutter, Gründerin der Manufaktur Moritz Grossmann, spricht über Tradition und Vision, Geschichte und Zukunft.
Was würde Moritz Grossmann sagen, wenn er heute durch das moderne Manufakturgebäude spazieren und den Uhrmachern bei der Arbeit zusähe? Wäre er zufrieden, oder würde er manches anders machen?Er wäre sicherlich zufrieden, vor allem angesichts der technischen Entwicklungen und der aufwendigen Finissage, die wir heute in unserer Manufaktur anwenden. Wir haben die alten Traditionen von Moritz Grossmann bewahrt und teilweise neu interpretiert. Vielleicht wäre er überrascht, wenn er sehen würde, dass wir oft anders denken und viele Innovationen umgesetzt haben, wie den Sekundenstopp mit Haarpinsel in unserem Tourbillon oder das gespiegelte Kaliber unserer Backpage.Er würde zudem ein modernes Manufakturgebäude am Ufer der Müglitz vorfinden. Er wäre vielleicht erstaunt, dass wir viele Teile in unseren Uhrwerken nach der gleichen Art und Weise finissieren, wie es bereits vor 100 Jahren praktiziert wurde. Dies ist für uns Anspruch und zugleich Ansporn. Wir möchten die alten Traditionen in die Neuzeit übertragen und weiterhin einen großen Anteil unserer Uhrwerke von Hand fertigen. Ein Beispiel ist der gestufte Unruhkloben. Er ist eine Hommage an seine Taschenuhren und mit einer speziellen Regulierschraube ausgestattet. Mit dem Rückerzeiger lässt sich die wirksame Länge der Spirale einstellen und damit die Ganggenauigkeit regulieren. Zu seinen Lebzeiten waren seine Messinstrumente und Taschenuhren für ihre besonders feinen Zeiger berühmt. Dies setzen wir heute fort, indem wir unsere Zeiger vollständig von Hand fertigen.
Was sind die wichtigsten technischen Errungenschaften in der Gegenwart?Wir denken anders und haben bereits viele technische Innovationen entwickelt, für die wir auch Patente erhalten haben. Darunter fällt der Sekundenstopp mit Haarpinsel sowie die geteilte Minutenanzeige unseres Tourbillons. Der patentierte Sekundenstopp mit Haarpinsel vollendet einen Mechanismus, der bis ins kleinste Detail den Grundsätzen eines Grossmann’schen Präzisionszeitmessers entspricht. Die Aussparung im Minutenzifferblatt von der 25. bis zur 35. Minuten, welche die bewegte Mechanik sichtbar werden lässt, wird durch eine Zeigerverlängerung mit separater Skala in der Mitte des Zifferblattes elegant überbrückt. Das gespiegelte Uhrwerk unserer Backpage ist ebenfalls patentiert. Mit der Entwicklung des Kalibers 107.0 lässt sich das bewegte Schauspiel des Uhrwerkes nun am Handgelenk in seiner Funktionsweise bewundern. Auch der Armbandaufzug unserer Tefnut Twist ist offiziell patentiert. Der Grossmann’sche Schnell-Armbandaufzug ermöglicht das komfortable Aufziehen der Uhr im Handumdrehen, nämlich mit einigen wenigen Drehungen der Armbandbefestigung bei sechs Uhr. Zu unseren patentierten Modellen gehört außerdem die Date mit springender Datumsanzeige. Der Clou ist hier, dass Uhrzeit und Datum auch noch unmittelbar vor Mitternacht und direkt danach verstellt werden können. Über eine Rastfeder wird der Zeiger exakt auf dem richtigen Datum positioniert. Darüber hinaus sind Patente für weitere Modelle beantragt, wie zum Beispiel für den selbstaufziehenden Hammeraufzug unserer Hamatic. Eine Pendelschwungmasse in Form eines Hammers nutzt die Energie, die durch die Bewegung des Uhrenträgers entsteht, geschickt aus, um sie über das Sperrrad auf die Zugfeder im Federhaus zu übertragen.
Wie wichtig ist der kunsthandwerkliche Aspekt?Kunsthandwerk hat für uns eine herausragende Bedeutung. In der perfekten Oberflächenveredelung und Dekoration der einzelnen Bauteile liegt die eigentliche Kunst des Grossmann’schen Handwerks. Wir finissieren alle unsere Uhrwerke von Hand. Eingeschlossen sind solche Teile, die auf den ersten Blick nicht sichtbar sind, weil sie im Inneren des Uhrwerkes liegen. Zum Beispiel werden die Kanten aller Teile im 45-Grad-Winkel gebrochen und in mehreren Stufen feinpoliert. Die Gravuren auf dem Ankerradkloben, dem Unruhkloben und der Zweidrittel-Platine werden allesamt von Hand gestochen. Der dreifach gestufte Sonnenschliff verleiht dem Sperrrad eine dreidimensionale Körperlichkeit und unverwechselbare Optik. Zudem übertragen wir auch historische Techniken zur Zifferblattveredelung in die Neuzeit. So wartet die Hamatic anreibeversilbert mit einer sehr seltenen Veredelung auf: der Korn- oder Anreibeversilberung. Sie erzeugt eine feinkörnige, samtig erscheinende Oberfläche, die das einfallende Licht reflektiert, ohne zu blenden. Die Tremblage besitzt ein handgraviertes Zifferblatt aus Neusilber.Was faszinierte Sie persönlich so sehr an der historischen Figur Moritz Grossmanns, dass Sie eine Luxusmanufaktur mit seinem Namen gründeten?Während meiner Tätigkeit in Glashütte habe ich mich intensiv mit der deutschen und der Glashütter Uhrengeschichte beschäftigt. Dabei bin ich auch auf seinen Namen gestoßen und war fasziniert von seiner Persönlichkeit und dem herausragenden fachlichen Wirken. Dabei ist in mir die Vision entstanden, die Historie wieder aufleben zu lassen. Als gelernte Uhrmacherin hatte ich schon immer den Traum eine eigene Manufaktur zu gründen. Mit der Manufaktur Moritz Grossmann konnte ich diesen wahr werden lassen und die alte Tradition ins Heute übertragen.Worauf sind Sie im Rückblick besonders stolz?Besonders stolz bin ich auf das gesamte Team. Gemeinsam haben wir eine schöne, umfassende Kollektion von insgesamt rund 22 Modellen und 15 Uhrwerken entwickelt und gefertigt. Wir lassen alte Traditionen wieder aufleben und fertigen dabei in allerhöchster Qualität. szMehr über Carl Moritz Grossmann, Gründungsvater der sächsischen Uhrenindustrie erfahren Sie hier.