Das Projekt "AMC" – Atomic Mechnical Control – verbindet zwei Zeitmessansätze: die schöne Tradition der Mechanik mit der zukunftsweisenden Spitzentechnologie der Atomuhr. Beide Systeme in Konvergenz zu bringen, betrachten die Urwerk - Pioniere Felix Baumgartner und Martin Frei als Experiment.
"Durch meinen Vater, der ein großer Spezialist für Präzisionsuhren und dekorative Zeitmesser des 17. bis 20. Jahrhunderts war, lernte ich das goldene Zeitalter der Uhrmacherei kennen", erzählt Felix Baumgartner. "Eines Abends schlug er ein Buch auf und zeigte mir eine überaus raffinierte Uhr – die 'Pendule Sympathique' von Breguet. Und dann erzählte er mir die Geschichte: Breguet habe einen Weg gefunden, eine Taschenuhr einzustellen und zu regulieren, ohne dass sich dabei ein Uhrmacher um sie kümmern musste. Jeden Abend platzierte er die Taschenuhr auf einer Tischuhr, und am Morgen war sie über eine Welle mit der Tischuhr abgeglichen. Breguet sah darin die Möglichkeit, perfekt gehende mechanische Uhren zu bauen und ihre Leistungen an die besten Ganggenauigkeitsnormen seiner Zeit heranzuführen."
Die Geschichte, die sich für Felix Baumgartner wie ein Märchen anhörte, ließ ihn nicht mehr los – bis er schließlich auch Urwerk-Mitbegründer Martin Frei begeistern konnte und sie mit der Entwicklung der sogenannten Atomar Mechanischen Regeleinheiten (AMC) begannen.
Das Projekt AMC ist ein Hybrid und besteht aus zwei selbständigen, aber miteinander verbundenen Systemen – einer mechanischen Armbanduhr und einer Atomuhr. Dabei ist es die Aufgabe der Atomuhr, als Mutteruhr die Zeitreferenz zu liefern, die Funktionen der Armbanduhr zu überwachen, ihren Gang zu regulieren, die Uhrzeit zu synchronisieren und nicht zuletzt, sie auch aufzuziehen.
Atome legen die Dauer von einer Sekunde auf Millionen Jahre fest
System 1, die Mutteruhr, ist ein sogenannter Atomolith, eine 45 mal 30 mal 18 Zentimeter große und 35 Kilogramm schwere Atomuhr in einem Aluminiumgehäuse – etwa in der Art eines Aktenkoffers, wie man ihn aus dem Geschäftsleben kennt, nur eben etwas schwerer. In der Schweiz werden jährlich einige Tausende solcher Atomuhren in industrieller Serienproduktion gefertigt. Bei Spectratime – daher stammt auch der Atomolith für das Projekt AMC.
Aber was muss man sich eigentlich unter einer Atomuhr vorstellen? Wie eine konventionelle Uhr besitzt auch die Atomuhr einen Taktgeber und ein Zählwerk. Wir wissen, um eine möglichst genaue Zeitangabe zu erreichen, müssen diese Taktgeber synchron schwingen, und dass dies ein in der Praxis unrelevanter Idealzustand ist. Bei der Großuhr kommt ein Pendel, in Taschen- und Armbanduhren die Unruh zum Einsatz. Bei elektronischen Zeitmessern sorgt der Schwingquarz und bei Atomuhren zumeist das Cäsium-Atom für einen gleichmäßigen Takt.
Durch die besondere Eigenschaft der Cäsium-Atome, beim Übergang von einem in den anderen Energiezustand elektromagnetische Wellen zu erzeugen, sind sie als Taktgeber bestens geeignet. Wird eine bestimmte Frequenz erreicht, nehmen die Atome sehr viel Energie auf und geben diese schließlich in die andere Richtung wieder ab. Ein Zähler misst, bei welcher Frequenz die meisten Atome den jeweiligen Zustand wechseln, um die Dauer einer Sekunde zu ermitteln. Sie ist durch das 9.192.631.770-fache der Periodendauer dieses Übergangs definiert.
Zum Zweck der Zeitbestimmung kamen die ersten Cäsium-Atome 1952 zum Einsatz. Die erste Uhr, die mit ihnen gebaut wurde, erhielt den Namen NBS-1, und 1955 wurde die bis dahin genaueste Uhr der Welt kreiert. Seit dem definieren sogenannte Primäruhren die Zeitdauer von einer Sekunde rund um den Globus. Auf Grund ihres Taktgebers wird sie Atomsekunde genannt und stellt die Grundlage der Atomzeit dar.
Was ist eigentlich die Atomzeit?
Sie ist nicht die genaueste in Bezug auf Sonnenzeit und Erdrotion, sondern hinsichtlich der Länge einer Sekunde. Nicht Pendel, Unruh oder Quarz, sondern schwingende Atome definieren diese Zeiteinheit auf Millionen Jahre genau.Schwingende Cäsium-Atome bestimmen die gesetzliche Zeit
In Deutschland nahm 1969 die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig die Cäsium-Atomuhr CS1 in Betrieb, die seit 1978 die gesetzliche Zeitbestimmung innehatte. Heute betreibt die PTB vier primäre Cäsium-Uhren. Sie bilden die Grundlage für die gesetzliche Zeit in Deutschland. Deren Weitergabe erfolgt über den Langwellensender DCF77, das Internet, einen Telefonzeitdienst und über Satellitenverbindungen. In der Schweiz betreibt das Labor für Zeit und Frequenz des Bundesamtes für Metrologie (METAS) mehrere Atomuhren, mit denen die Atomzeit geführt wird.Die Internationale Atomzeit TAI (aus dem Französischen: Temps Atomique International) wird durch die Koordination nationaler Atomzeiten (TA) ermittelt. Weltweit tragen über 60 verschiedene Zeitinstitute mit derzeit etwa 260 Atomuhren dazu bei. Die Atomzeiten werden durch GPS-Zeitvergleiche, inzwischen zunehmend durch Zweiwege-Zeit- und Frequenzvergleiche abgeglichen und die Ergebnisse dem Bureau International des Poids et Mesures (BIPM) in Sèvres bei Paris übermittelt, das aus ihnen einen Durchschnitt bildet, der die Grundlage der Internationalen Atomzeit (TAI) darstellt, die vom BIPM veröffentlicht wird. Die Atomzeit hat eine Genauigkeit von 3 mal 10−16 Sekunden. Das heißt, mindestens eine Millionen Jahre würden vergehen, bis die Atomzeit mal eine Sekunde abweicht. Wobei das eine Milchmädchenrechnung ist, denn schon seit einigen Jahren arbeiten Wissenschaftler weltweit an der nächsten Generation, den optischen Atomuhren. Bei denen werden die zeittaktgebenden Atome nicht wie bei den Cäsium-Atomen durch Mikrowellen, sondern durch sichtbares Licht aus einem Laser angeregt. Dies hat eine viel kürzere Wellenlänge und ermöglicht dadurch eine noch höhere Ganggenauigkeit. Optische Atomuhren können 100 bis 1.000 Mal genauer sein als herkömmliche atomare Zeitmesser. Sie gehen pro Tag nicht mehr als eine Femtosekunde – eine Billiardstel-Sekunde – falsch. Bis eine solche Atomuhr eine Sekunde abweicht würden also Jahrmilliarden vergehen.
In unserem Alltag sind allerdings Zeitskalen von Interesse, die synchron zur mittleren Sonnenzeit laufen, sprich sich auf die Erdrotation beziehen. Da es bei dieser immer wieder Unregelmäßigkeiten gibt, laufen Sonnenzeit und Atomzeit nicht synchron. Die Abweichung ist aber so gering, dass sie im Alltag nicht in Erscheinung tritt. Hier gilt die koordinierte Weltzeit UTC, die ebenso wie die Atomzeit auf der Sekunde basiert und bei Bedarf durch Schaltsekunden mit der universellen Sonnenzeit UT1 synchronisiert wird.
Und damit sind wir zurück bei der AMC von Urwerk und ihrem System 2, das aus dem ganz normalen Alltag stammt – die mechanische Armbanduhr. Sie zeigt Sekunden, Minuten, Stunden, Jahre und die Gangreserve an, die sich übrigens auf 80 Stunden aus zwei übereinander montierten und in Serie geschalteten Federhäuser beläuft. Das Handaufzugwerk mit einer Frequenz von vier Hertz ist von Urwerk entworfen und gefertigt und wird über die Mutteruhr automatisch aufgezogen, wenn sich die Armbanduhr in der entsprechenden Konversation befindet.
Dann erfolgen auch Gangregulierung und Synchronisation der Zeit. Und genau in dieser Schnittstelle liegt die eigentliche Herausforderung des Projektes AMC. Die zum Einsatz kommende Atomuhr gibt mit einer Gangabweichung von einer Sekunde in 317 Jahren den Takt vor. Es sind bei dieser allerdings nicht Cäsium-, sondern Rubidium-Atome in Aktion, die sich für kleinere Atomuhren besonders gut als Taktgeber eignen. Sie werden in luftleeren Glaskolben angeregt. Die Resonanz, also die Sekunde, wird mithilfe eines Lichtsignals gemessen. Es gibt nur wenige Firmen weltweit, unter anderem Spectratime in Neuchâtel, die diese kleinen Vakuumröhrchen, die auch als hochpräzise Zeitmesser in Satelliten zum Einsatz kommen, herstellen können. So auch für Urwerk.
Atomuhr reguliert und synchronisiert die Mechanik
Befindet sich die Armbanduhr nun auf einem Sockel der Mutteruhr, wird sie über ein komplexes, ausgeklügeltes System reguliert und synchronisiert. Dabei wird nicht nur der Gang genau eingestellt, sondern auch ein interner Mechanismus der Armbanduhr feinreguliert, womit sich der Gang der Armbanduhr der Präzision der Atomuhr angleicht. Und das funktioniert so: Das Uhrwerk erhält von der Mutteruhr über einen Drücker einen Impuls. Dadurch wird ein Hebel betätigt, an dessen Ende sich eine Schere befindet, die auf einer Achse drehbar gelagert ist. Die Schere schließt sich um eine halbkreisförmige Scheibe, die auf der Welle des Sekundenzeigers sitzt. Stimmt die Uhrzeit der Armbanduhr mit der der Atomuhr sekundengenau überein, befindet sich die Scheibe in einer Position, bei der sich beide Scherenteile gleichmäßig ganz außen an die Scheibe anlegen. Ist die Uhrzeit aber nicht exakt gleich, steht die Scheibe so, dass sich ein Scherenteil weiter als das andere schließt und in der Folge einen Rücker bewegt. Die Position der Halbkreisscheibe in Bezug auf die Scherenteile bestimmt also über die am Uhrwerk vorzunehmende Feineinstellung. Die Scheibe dreht sich dabei auch etwas und sorgt dafür, dass die Armbanduhr am nächsten Tag etwas schneller oder langsamer läuft. Je häufiger die Armbanduhr auf den Sockel der Mutteruhr aufgelegt wird, desto stärker passt sie sich dem Rhythmus der als Referenz dienenden Atomuhr an. Der Atomolith fährt ein automatisches Programm, bei dem auch sämliche Informationen und Korrekturen gespeichert werden, um das mechanische Uhrwerk so genau wie möglich zu kalibrieren.
Während die automatische Gangregulierung ein ungewöhnlicher Prozess ist, funktioniert die Synchronisation von Sekunden und Minuten ähnlich der Nullstellung eines Chronographen. Sie wird ebenfalls durch einen von der Atomuhr betätigten Drücker ausgelöst. Dadurch treffen zwei Federanker im Uhrwerk auf zwei herzförmige Exzenternocken, die so kalibriert sind, dass sie die entsprechenden Zeiger in Nullstellung und den Stundenzeiger in die nächste Position einer vollen Stunde bringen.
Die Atomuhr zeigt Jahr, Monat und Tag an, dazu Stunden, Minuten und Sekunden – diese auf die Tausendstel genau, wobei letzterer Wechsel so schnell erfolgt, dass das menschliche Auge ihn nicht wahrnehmen kann. Für die Genauigkeit der autonomen Atomuhr AMC sorgt ein GPS-Signal, das über den internationalen Abgleich auch die richtige Zeitzone einstellt, auf Sommerzeit wechselt oder eine gelegentliche Schaltsekunde einlegt. Diese wird ab und an wegen der Unregelmäßigkeiten der Erdrotation notwendig. In der Folge beträgt die Differenz zwischen der Atomzeit TAI und der koordinierten Weltzeit UTC im Moment 37 Sekunden und untermauert die Herangehensweise von Felix Baumgartner und Martin Frei, ihre AMC als Experiment der Zeit zu betrachten. MaRi